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Alt 29.07.2013, 15:14   #1
Ex-zonkeye
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Dabei seit: 05/2011
Beiträge: 504

Standard nerd.com

Als man das kleine Appartement aufbrechen ließ, war das Wesen, dessen Reste über dem Stuhl hingen, schon längst geruchlos geworden.

Der Kriminalbeamte konstatierte einen Tod, der deutlich mehr als ein Jahr zurückliegen musste, denn er fand den PC auf dem Tisch vor der Leiche im standby-Modus laufend; die letzte von dort versandte Botschaft stammte vom 21. Mai des Vorjahres. Nähere Untersuchungen ergaben, dass das Wesen die letzten beiden Jahre seines Lebens fast ausschließlich vor dem Computer zugebracht hatte; am Ende hatte es sich wohl kaum mehr vom Stuhl erhoben, wie die hinter ihm aufgestapelten Fertiggericht-Behälter eines Services und die Urinspuren unter dem Tisch zeigten. Nachforschungen bei dem italienischen Lieferanten erbrachten, dass der Service täglich und bis ins Zimmer des Wesens erfolgt war; der letzte Lieferschein datierte vom 20. Mai des Vorjahres.

Die Obduktion des Kadavers ergab keine Hinweise auf Fremdeinwirkungen oder auf eine Selbsttötung; man erkannte auf „Herzversagen“. Auffallend sei, so vermerkte das Protokoll des Gerichtsmediziners, der schlechte Pflegezustand der Person gewesen: Ihre Fuß- und Fingernägel waren verschmutzt und zentimeterlang; ihr schütteres, graues Haar war ohne jede Fasson und reichte bis weit über die Schultern; ihre Kleidung (sie trug lediglich Unterwäsche) wies Spuren von mindestens zehn verschiedenen Nudel- und Pizzagerichten auf; die Unterhose war verkotet. Falls das Wesen überhaupt im Liegen geschlafen hatte, diente ihm dazu wohl die Matratze, die, ebenso verschmutzt wie der gesamte Raum, gleich neben dem Stuhl auf dem Boden gelegen hatte.

Die Analyse der Festplatte des Computers zeigte, dass das Wesen in allen deutschsprachigen, so genannten „Literaturforen“ unter den verschiedensten Decknamen in Erscheinung getreten war. Zwar hatte es immer wieder auch eigene, einfach gereimte Verse eingestellt, war aber eher damit beschäftigt gewesen, einzelne, ihm offenbar missliebige Webgänger zu beschimpfen. An einzelnen Tagen, so erwies sich, hatte es bis zu dreihundert „Hassmails“ in verschiedene Foren abgeschickt.

In manchen Auftritten hatte sich das Wesen als männlich, in anderen weiblich dargestellt. Seine unbeholfenen Reime und seine unzähligen Schmähungen Dritter ließen keinen eindeutigen Schluss auf eine sexuelle Orientierung zu; seine Weltsicht insgesamt war jene der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Gelesen hatte es, so ergab die Musterung des Wohnungsinventares, weder Bücher noch Zeitschriften. Das Wesen war elf Jahre vor seinem Tod wegen eines Herzleidens frühverrentet, die Sozialrente ebenso wie die Miete für das Appartement waren per Dauerauftrag auch nach dem Tod weiter überwiesen worden. Persönliche Kontakte – außer jene mit den Lieferanten des Pizzabäckers – hatten offenbar in den letzten Jahren seines Daseins nicht bestanden; Angehörige konnten nicht ermittelt werden.

Nach Klärung des Sachverhaltes wurden die Überreste des Wesens verbrannt und im kommunalen Massengrab entsorgt. An brauchbaren Werten fand sich in dem Appartement nichts; der veraltete PC und der Röhrenfernseher kamen in den Sondermüll.
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Alt 29.07.2013, 15:51   #2
Thing
R.I.P.
 
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Beiträge: 34.998

Da stimmt was nicht.
Wer löst das Rätsel?
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Alt 30.07.2013, 07:40   #3
weiblich Persephone
 
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Ort: Na, in der Hölle natürlich.
Beiträge: 425

Raus damit, ich komm nicht drauf.

Übrigens finde ich uns recht gut beschrieben,
Persephone ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.07.2013, 09:47   #4
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747

Hi Zonkeye,

erinnert mich an das eine oder andere Mordopfer von "Sieben".
Ist auch gut und flüssig erzählt, vielleicht wäre Individuum besser gewesen als Wesen, dann wär's auch ein Leichnam und kein Kadaver, was die sterblichen Überreste näher heranrücken lässt an das eigene Computersuchtverhalten, das tut der Sache aber keinen Abbruch. Bis zu dreihundert Hassmails? Sapperlot!

Noja, man gönnt sich ja sonst nichts...
Desperado
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