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Alt 04.06.2006, 14:35   #1
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123


Standard Die Melodie der fernen Welten

Wallend zog der leichte Wind an den hellen Gewändern der jungen Frau. Blass und schmucklos beleuchtete der Mond ihre Gesichtszüge und man konnte in den Augen traurige Spiegelungen der Sehnsucht erkennen. Der Wald um sie herum verharrte still, als würde er gespannt und lauernd auf etwas warten um dann sofort aus der atemlosen Pause hervorzuspringen. Eine leise Melodie war der einzige Laut, der die Stille zu durchbrechen vermochte die sich wie ein Mantel um die Wahrnehmung des Lebens gehüllt hatte. Die Frau bewegte sich schweigend und ohne es wirklich wahrzunehmen zu diesen fremden Klängen, doch sie wusste, dass sie nur in ihr spielten. Jeder, der sie so beobachten würde, würde den Takt nicht hören können, die zarte Stimme nicht fühlen können, denn die zarten Rhythmen spielten nur in ihr selbst. Ihre Seele wiegte sich in den wohlklingenden Melodien und ihr Herz tanzte in dem Takt der leisen Instrumente.
Doch das alles stammte noch nicht einmal von der Welt, in der sie sich gerade befand. So etwas Wunderschönes und Zartes würde ihr Körper nie von Außen, nie von dieser Welt hören. Da war sie sich sicher.
Leise neigte sie ihren Kopf und strich zärtlich über einen der Ginsterbüsche in ihrer Nähe. Ein leichter, bekannter Geruch stieg in ihre Nase.
Der Geruch der Natur.
Er passte zu den Reigen, die ihr aus anderen Welten entgegen klangen. Früher musste auch in dieser Welt so eine Harmonie geherrscht haben, doch sie wusste, dass die Menschen sie wohl kaum wieder herzustellen vermochten.
Als sie noch ein kleines Kind gewesen war, hatte sie ihrer Mutter manchmal von den schönen, mysteriösen Melodien erzählt und hatte ihren Körper zu ihnen tanzen lassen. Ihr Mutter hatte sie nie verstanden. Sie hatte über ihre schönen, harmonischen Bewegungen gestaunt, aber die leisen Singstimmen hatte sie nie gehört und darüber nur gelacht.
Mit Traurigkeit hatte sie erfahren, dass niemand, den sie kannte diese schönen Melodien hören konnte. Dabei waren sie doch so einzigartig und sie wusste, dass sie sich das alles nicht einbildete, auch wenn sie es sich schon oft hatte einreden wollen. Die Stimmen und die Winde ferner Welten hatten sie erneut berührt und ihr gezeigt, wie echt sie sich anfühlten. Vor mehreren Monaten hatte sie schließlich aufgegeben, ihre Sehnsucht zu verstecken oder zu verbannen.
Sie wollte in eine dieser fremden Welten. Sie wollte sich zu den Melodien bewegen, wenn sie auch von anderen Leuten gehört wurden.
Ein leises Knacken im Unterholz hinter ihr ließ sie zusammen fahren. Die Melodie spielte weiter, doch das Knacken kam immer näher.
Verwirrt drehte die junge Frau den Kopf. Ihre hellen Haare behinderten ihre Sicht und sie sah nur eine dunkle Kontur hinter sich. Doch als sie sich ganz umgedreht hatte, konnte sie etwas hören, was sie mitten in ihrer Bewegung erstarren ließ. Eine leise, dunkle Stimme sang aus dem Mund ihres Gegenübers. Es waren die Worte und Töne der Sprache und der Melodie, die wie eine Begleitmusik in ihrem Herzen weiterhüpfte und tanzte. Sie wusste, dass sich ihr Körper noch immer zu den Rhythmen bewegt hatte, doch dem Mann schien dies kaum aufgefallen zu sein.
Er hörte die selben Stimmen.
Er spürte die selben anderen Welten.
Wie konnte das sein? Die junge Frau war sich so sicher gewesen, dass niemand hier sie verstanden hatte. Wirklich niemand. Sie kannte diesen Fremden noch nicht einmal, aber seine Stimme und seine Art sagten ihr alles. Denn er verstand sie, er hatte dieselbe Sehnsucht in der Stimme, die sie im Spiegel sah, wenn sie erneut die fremden Klänge und Rufe in ihrem Inneren hörte. Zögernd begann sie sich wieder in den Melodien ihrer Seele zu verlieren und ihr Körper tanzte wie von selbst auf den Sänger zu. Der Wind wehte ihr warme Gerüche ins Gesicht und zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie das, wonach sie sich all die Jahre gesehnt hatte - ohne es zu ahnen - .
Sie hatte sich nach Liebe gesehnt. Der Kraft, den anderen zu verstehen, die Melodien seines Herzens zu hören, die Wärme der Verbundenheit zu spüren.
All diese Gefühle blies ihr der warme Abendwind entgegen. Sie wusste, dies war kein Fremder.
Er war der einzige, der ihre Seele verstehen konnte.
Er war der einzige, den sie jemals lieben würde.
Die Klänge in ihrem Herzen und die Sehnsüchte in ihren Augen waren nie etwas anderes gewesen, als die Sehnsüchte nach ihm, die Sehnsüchte nach der Liebe. Wie eine warme Umarmung kam es der Frau vor, als sie weiter zu den Melodien tanzte, die gleichzeitig aus ihrer eigenen Welt in ihrem Inneren und aus der Welt, in der ihr Körper gefangen war, zu kommen schienen.
Als das Lied langsam abebbte fand sie sich in den warmen, nach Sommerwind duftenden Armen eines Mannes wieder, den sie diesen Abend zum ersten Mal wirklich gesehen hatte, ihn aber schon immer in sich gespürt hatte.
Die Melodie der Liebe hatte sie wenigstens für kurze Zeit zusammengeführt.
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