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Alt 07.06.2018, 10:54   #1
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Standard Der Hund - Teil 2

Auf der Fahrt nach Hause kam Gerit eine Idee. Es war noch Vormittag, und wenn er Glück hatte, schaffte er es, innerhalb der Öffnungszeit in die Steuerbehörde zu kommen. Zwanzig Minuten später saß er einem Angestellten gegenüber, der ihm beim Ausfüllen eines Hundesteuer-Anmeldeformulars behilflich war.

„Haben oder hatten Sie bereits einen Hund, oder ist es Ihr erster?“

„Mein erster.“

„Rasse?“

Gerits Gesicht bekam einen leeren Ausdruck. Der Angestellte schaute ihn erwartungsvoll an.

„Ich weiß nicht recht. Ich glaube, es ist ein Mischling.“

„Wie? Sie wissen nicht, welcher Rasse Ihr Hund angehört?“

„Kann ich das nachtragen lassen?“

„Gewiss. Alter des Hundes?“

„Äh … ein Jahr … so ungefähr.“

„Sie wissen nicht genau, wie alt er ist? Woher haben Sie ihn?“

„Ist mir zugelaufen.“

„So? Na ja, da gibt man ihn eigentlich im Tierheim ab und hofft, dass sein Besitzer ihn dort findet.“

„Ich habe eine Anzeige aufgegeben,“ log Gerit.

„Dann ist der Hund aber vielleicht schon angemeldet. Wieso wollen Sie also nochmal die Steuer für ihn bezahlen?“

Gerit spürte ein starkes Verlangen, den Angestellten anzubrüllen, er möge keine blöden Fragen stellen, sondern einfach nur das Formular ausfüllen. Doch er beherrschte sich.

„Rein vorsorglich. Wenn sich der Besitzer nicht melden sollte, will ich den Hund behalten.“

Der Angestellte warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr und zog es vor, sich mit Gerits Antwort zufrieden zu geben.

„Dann trage ich ein, dass die Steuer erstmals in vier Wochen fällig wird, das gibt ihnen etwas Zeit. Rufname des Hundes?“

Das erste, was Gerit in den Sinn kam, war sein Lieblingsfilm „Mein Name ist Nobody“, den er sich vor einigen Tagen zum xten Male angesehen hatte.

„Nobody … äh, nein, ich meine Terence. Schreiben Sie Terence.“

„Also ein Rüde. Ihre Kontonummer?“

Gerit reichte dem Angestellten seine Kreditkarte zum Abschreiben der Daten.

„Lesen Sie nochmal alles sorgfältig durch und unterschreiben Sie dort, wo ich das Kreuzchen gemacht habe.“

Gerit sparte sich das Durchlesen und unterschrieb. Als er wenig später dem Ausgang der Behörde zustrebte, jubelte er innerlich: Er war einen Schritt weiter.

Seine Stimmung wurde durch Bungerts Anblick gedämpft, der, eine geöffnete Bierflasche in der Hand, hinter dem Eingangstor seines Hauses stand und offensichtlich auf Gerits Erscheinen gewartet hatte. Gerit tat, als gehe ihn Bungert nichts an, und parkte sein Auto vor der Garage.

Als er ausstieg, war Bungert bereits auf dem Weg über die Straße. Er ging nach vorn gebeugt, das Kinn vorgestreckt und die freie Hand zur Faust geballt.

„Wo ist mein Hund, Schreiberling?“

Gerit schloss schweigend das Tor zu seiner Einfahrt. Bungerts Stimme wurde schrill. „Wo mein Hund ist, will ich wissen.“ Er hatte das Tor erreicht und schlug die Bierflasche gegen die Eisenstäbe, so dass der Glasboden wegsprang und die Flüssigkeit auf seine Schuhe platschte.

Gerit ging zur Haustür und schloss auf.

„So kommst du mir nicht davon, Schreiberling. Der Köter hat mich ein Vermögen gekostet. Das ist nicht nur ein Rassehund, verstehst du. Der ist direkt vom Züchter, mit erstklassigem Stammbaum und Vertrag als künftiger Deckhund.“

Gerit zuckte zusammen und drehte sich langsam um. Er hatte die Situation unterschätzt. Der Rüde war keine Anschaffung aus einer Laune heraus gewesen, um Bungert über die Einsamkeit hinwegzuhelfen, sondern er war für ihn ein reines Investitionsobjekt. Dafür musste Bungert die notwendigen Papiere haben. Gerits Gang zur Steuerbehörde war völlig nutzlos gewesen.

„Ich kauf dir den Hund ab, Bungert. Wie viel willst du haben?“

Bungert schnaubte. „Armleuchter! So viel kannst du mir gar nicht bezahlen, wie mir der Köter in Zukunft bringen wird.“

„Du kalkulierst falsch, Bungert, denn du bist nicht qualifiziert. Du behandelst den Hund schlecht. Du machst ihn fertig, und wenn du ihn völlig versaut hast, ist dein Vertrag nichts mehr wert.“

„Das werden wir ja sehen. Du hast zwei Stunden Zeit, den Köter rauszurücken oder mir zu sagen, wo er ist. Ansonsten hetze ich dir meinen Anwalt auf den Hals.“

Gerit ließ Bungert, der immer noch die zerbrochene Bierflasche in der Hand hielt, am Tor stehen, trat in den Hausflur und schloss die Tür hinter sich.

.*.*.*.*.*.

„Shit“. Gerit saß mit leerem Kopf vor seinem Laptop. Eine Stunde lang hatte er wiederholt den nächsten Absatz seines Romans begonnen und ihn wieder gelöscht, weil die Ergebnisse lausig waren. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren.

Er schloss das Dokument, rief das Internet auf und googelte nach „Tierschutzbund“. Zuständig für Anzeigen wegen Misshandlung: das Veterinäramt. Erforderliche Beweismittel: Protokolle, Fotos, Zeugenaussagen.

„Na, prima, das wär’s dann wohl.“

Gerit konnte sich ausrechnen, dass sein Problem auf diese Weise nicht über Nacht lösbar war. Alles, was er hatte, war der Krankenbericht des Tierarztes, der nicht bezeugen konnte, wer Terence malträtiert hatte, und die Informationen der alten Picard, die zwar fleißig tratschte, aber wie eine Schildkröte den Kopf einzog, sobald sie es mit einer staatlichen Autorität zu tun bekommen sollte.

Ohne ausreichende Beweise konnte Gerit nichts ausrichten. Niemand würde ihm glauben, dass ein Mensch, der in einen teuren, gewinnträchtigen Zuchthund investiert, so verrückt war, dieses wertvolle Objekt zuschanden zu prügeln. Im schlimmsten Fall würde man einen ganz gewöhnlichen Nachbarschaftsstreit vermuten und gelangweilt abwinken.

Gerit klappte resigniert den Laptop zu. Wie immer, wenn er ein scheinbar unlösbares Problem hatte, begann sein Magen zu grummeln und sein linkes Augenlid zu zucken. Er ging in die Küche, nahm einen angeschnittenen Camembert aus dem Kühlschrank und stopfte sich den Rest gierig in den Mund. Mit einem Glas Rotwein in der Hand setzte er sich auf die Wohnzimmercouch und trank langsam aus. Als sein Magen sich beruhigt hatte und das Zucken seines Augenlids nachließ, fühlte er sich entspannt genug, seine Gedanken wieder ordnen zu können.

So saß er eine gute Weile, bis es draußen dunkel geworden war. Kein Anwalt war auf seiner Schwelle erschienen, niemand hatte an seine Tür geklopft, und nicht einmal Bungerts Einfahrtstor hatte er scheppern hören.

„So soll es bleiben,“ murmelte Gerit, stand auf und ging in sein Schlafzimmer. Er nahm den Rollkoffer, den er in der Ecke neben dem Kleiderschrank verstaut hatte, legte ihn aufs Bett und klappte ihn auf.

.*.*.*.*.*.

„Ich nehme meinen Hund doch schon heute mit.“

Gerit stand am Desk der Tierarztklinik und sah zu, wie die Sprechstundenhilfe in der Kartei nach seinen Unterlagen suchte, während eine Kollegin in den hinteren Räumen verschwand, um Terence zu holen.

Während die Formalitäten und die Abrechnung erledigt wurden, erschien der Tierarzt mit Terence. Er führte ihn an der Leine und ließ ihm Zeit, humpelnd den Weg bis zum Desk zurückzulegen.

„Die Schmerzen wird er noch eine Weile aushalten müssen, aber er wird sich daran gewöhnen.“ Er tätschelte Terence den Kopf. „Das ist ein braver Hund. Haben Sie inzwischen einen Namen für ihn?“

„Terence – er heißt Terence.“

Der Arzt reichte Gerit die Leine. „Passen Sie gut auf Terence auf.“

„Darauf können Sie sich verlassen, Herr Doktor.“

„Alles Gute.“ Der Arzt wendete sich ab, um zu seiner Arbeit zurückzukehren.

„Sagen Sie, Herr Doktor, zu welcher Rasse gehört er eigentlich?“

Der Arzt blieb stehen und blickte zurück.

„Ein Golden Retriever. Ein Prachtstück von einem Golden Retriever. Der ist noch kein Jahr alt und wird ein gutes Stück größer werden, darauf sollten Sie sich einstellen.“

Der Weg zum Parkplatz der Tierklinik stellte Gerit auf eine Geduldsprobe. Terence kam nur langsam voran. Auf halbem Weg hielt Gerit an, um ihn ausruhen zu lassen und ihm gut zuzusprechen, wobei er ihm mitfühlend über den Kopf und die Ohren strich. Als Terence mit seinen warmen Augen zu ihm aufsah und mit dem Schwanz zu wedeln begann, spürte Gerit einen Stich in der Brust, und er wusste, dass er in diesem Augenblick sein Herz verloren hatte. "Du wirst mich noch in Teufels Küche bringen."

Am Ziel angekommen, hob er Terence behutsam auf den Rücksitz seines Fahrzeugs. Eine Viertelstunde später lenkte er den Wagen auf den Zubringer der A3 in Richtung Südost und gab Gas.

.*.*.*.*.*.
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