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Alt 02.05.2018, 16:59   #1
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Standard Die alte Fabrik. Teil 2: Theo

Theos Adresse war nicht handgeschrieben, sondern auf ein Klebeetikett gedruckt, aber an der Briefmarke erkannte er, dass der Brief aus Frankreich war, und da wusste er sofort, von wem er kam. Er schloss den Briefkasten, riss den Umschlag auf und entfaltete den Papierbogen. Bevor er zu lesen beginnen konnte, stach ihm Frau Klaukes spitze Stimme in die Ohren: „Wenn sie ihrer Tochter zurückschreiben, richten sie ihr Grüße von mir aus. Und dass sie mir bloß nicht daran denkt, zurückzukommen!“

Mit Handtasche und Einkaufbeutel bewaffnet humpelte die Alte an Theo vorbei. „Der Brief ist doch von ihr, oder? Melly war das süßeste Geschöpf, das es in dieser Straße je gegeben hat. Ihre Mutter war dieses Mädel nicht wert! Gott habe die Hexe selig - trotzdem.“

Theo sah der Klauke nach, bis sie auf die Straße getrottet war. Er kannte sie und ihre Meinung zu lange, um auf ihre Worte noch empört zu reagieren. Als er Schritte im Treppenhaus und das Schließen einer Tür hörte, nahm er eilig jede zweite Stufe zu seiner Wohnung hinauf, um weitere Begegnungen zu vermeiden und den Brief ungestört lesen zu können.

„Papa, es geht mir gut. Ich habe Arbeit, von der ich leben kann, und noch genügend Zeit, mich der Malerei zu widmen. Mit meinen Fortschritten bin ich zufrieden. Ich hoffe, dir und Mama geht es auch gut. Deine Melly.“

Lakonisch wie immer. Theos Augen wurden nass. Melanie wusste nicht, dass ihre Mutter schon vor Monaten gestorben war. Er hatte keine Chance gehabt, seine Tochter zu benachrichtigen, weil er ihre Adresse nicht kannte. Er hatte nichts als die Briefe, die sie ihm regelmäßig, doch ohne Absender schrieb und die er in einem Schuhkarton aufbewahrte.

Er faltete den neuen Brief zusammen, legte ihn zu den anderen und wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes die Tränen aus dem Gesicht. Nie hatte er sich einsamer gefühlt als jetzt. Oft wünschte er sich die Zeit zurück, in der seine Ehe mit Sylvia noch glücklich und das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter harmonisch war. Die Idylle ging verloren, als Melanie sich nach dem Abitur dafür entschieden hatte, eine Ausbildung in Malerei und Fotografie an einer Kunsthochschule zu machen und dort einen jungen Türken namens Timur kennenlernte, in den sie sich verliebte. Sylvias Reaktion auf diese Verbindung überraschte Theo, denn bis dahin hatte er seine Frau für einen weltoffenen und vorurteilsfreien Menschen gehalten. Doch je mehr sie über Timur und dessen Familie erfuhr, umso energischer drängte sie Melanie dazu, die Verbindung zu Timur aufzulösen, worüber sich die beiden Frauen so heftig zerstritten, dass Melanie zu den Vorwürfen ihrer Mutter schwieg, ihr nach Möglichkeit aus dem Weg ging und bei Freundinnen übernachtete, wann immer sich die Gelegenheit bot.

Theo gelang es nicht, zwischen den beiden Frauen zu vermitteln. Sehr bald stellte er fest, dass Sylvia von der Angst getrieben wurde, Melanie könne sich in eine fremde Kultur verstricken, aus der es kein Entrinnen mehr gäbe, denn Timur und seine Eltern waren bekennende Moslems. Wenn es um das Wohl der eigenen Tochter ging, stieß Sylvias Toleranz, die sie ansonsten mit missionarischem Überzeugungswillen demonstrierte, schnell an die Grenze.

Theo fand den Eifer seiner Frau übertrieben. Er mochte Timur, verabredete sich mit dessen Eltern, um sie kennenzulernen, und verstand sich mit ihnen auf Anhieb. Sylvia hatte sich geweigert, mitzukommen. Sie war davon überzeugt, dass Melanie für Timur nur ein Abenteuer war. „Sie ist für ihn nichts als ein deutsches Flittchen, das man zum Vergnügen nimmt, aber nicht heiratet. Dafür kommt nur eine moslemische Frau in Frage, die als anständig gilt. Denk an meine Worte und bete dafür, dass Melly nicht schwanger wird.“

Als Melanie dreiundzwanzig Jahre alt war, hielt sie es nicht länger mit ihrer Mutter aus und zog in eine eigene Wohnung. Obwohl Sylvia dagegen protestierte, zahlte Theo die Miete und weiterhin die Studiengebühren. Sylvia nannte ihn naiv und warf ihm vor, Melanie sehenden Auges in ihr Unglück rennen zu lassen. Nichts konnte sie davon überzeugen, dass ein Mensch in Melanies Alter nicht mehr beliebig zu lenken war. Theo wollte nichts anderes, als für seine Tochter da zu sein, egal was passierte. Gleichzeitig hatte er ein schlechtes Gewissen, weil Melanie vorzog, sich mit ihm in einem Café zu treffen, statt die Eltern zu Hause zu besuchen. Es war eindeutig, dass sie den Vater bevorzugte und der Mutter lieber aus dem Weg blieb, und genauso eindeutig war für Theo, dass Sylvia deswegen eifersüchtig war.

Die Beziehung zwischen den Eheleuten kühlte in einem Maße ab, wie es sich Theo niemals hätte vorstellen können. Täglich rechnete ihm Sylvia vor, wie hoch sein Schuldenberg gewachsen sein würde, sollte Melanie an dieser unsäglichen Liebe scheitern. „Timur wird sie sitzenlassen, selbst wenn sie schwanger werden sollte. Wenn er sie aber heiraten will, muss sie Moslemin werden. Dann verliert sie sämtliche Rechte als Frau und liefert sich mit Haut und Haar seiner Familie aus. Siehst du das denn nicht? Bist du völlig blind geworden?“

Theo war anderer Meinung. Für ihn waren Melanie und Timur zwei junge Menschen in einer modernen Welt, die sich liebten und denen er vertraute, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Doch Sylvias hartnäckig verteidigte Ansichten ermüdeten ihn, so dass er Diskussionen mit ihr vermied und sich damit abfand, im Zustand eines kalten Krieges zu leben.

Kurz vor ihrem dreißigsten Hochzeitstag reichte Sylvia die Scheidung ein. Es brach Theo das Herz. „Dinge verändern sich nun mal,“ versuchte Rick, sein bester Freund, ihn bei einem Kneipentreff zu trösten, klopfte ihm kameradschaftlich auf den Rücken und gab ihm einen traurigen Abend lang ein Bier nach dem anderen aus.

Theos Kummer steigerte sich, als Timur mit Melanie Schluss machte und er der Trauer seiner Tochter über die verlorene Liebe hilflos gegenüberstand. Obwohl Melanie über die Gründe für die Trennung hartnäckig schwieg, triumphierte Sylvia, denn sie fühlte sich in ihrer Skepsis gegenüber einer „Vermischung fremder Kulturen“ bestätigt. Doch ihre Versuche, sich mit der Tochter zu versöhnen, scheiterten. Als sie bei einem von Melanies seltenen Besuchen aufdringliche Fragen stellte, erhielt sie zunächst nur einsilbige Antworten, doch dann platzte der Frust aus Melanie heraus: „Ja, Mama, ich habe wieder einen Freund. Hast du was gegen einen Franzosen?“

Sylvia war irritiert. „Aber nein, Kind. Ein Franzose, das ist doch wunderbar. So ein kultiviertes Volk, dem die Welt viel zu verdanken hat. Sartre, Voltaire … und die Maler, Matisse, Chagall, Picasso …“

„Picasso war Spanier, Mama, und Chagall stammte aus Russland.“ Sylvia hörte darüber weg. „Und erst die Filme! In Frankreich wurde der Film erfunden …“

Melanie hatte genug. Sie erhob sich von der Couch und griff nach ihrer Handtasche. „Mein Freund heißt Omar und hat einen französischen Pass. Er spricht außer Französisch fließend Englisch, Deutsch und zwei arabische Sprachen. Er hat eine dunkle Hautfarbe, schwarze Locken und sieht phantastisch aus.“

Als Melanie zur Wohnungstür ging, sah Sylvia ihr sprachlos nach.

„Um deine beiden nicht gestellten Fragen zu beantworten: Erstens, ich bin nicht schwanger. Zweitens, Omar studiert Medizin.“

Melanie machte sich nicht die Mühe, die Tür von Hand zu schließen, sondern ließ sie ins Schloss krachen. Sie besuchte ihre Mutter nie wieder.

Zur Scheidung ihrer Eltern kam es nicht, weil Sylvia erkrankte und die Metastasen wie ein Orkan in ihr wüteten. Theo verzichtete auf eine Trauerfeier, und als Sylvias Urne beigesetzt wurde, war der Pfarrer, der für sie die letzten Worte sprach, seine einzige Begleitung.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.05.2018, 07:05   #2
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Ein bisschen sehr plakativ gestrickt.... und auch etwas schablonenhaft geschrieben.

Die Mutter ist (war) fremdenfeindlich eingestellt, Mutter und Tochter verkrachen sich deswegen aufs Schärfste, die Tochter haut beleidigt ab, dann wird die Mutter schwer krank und stirbt, ohne ihre Tochter noch einmal gesehen zu haben. (Die bekommt, was sie verdient hat, ahnt man da als Leser). Klischeehafter und vorhersehbarer geht es fast nicht mehr.
Sorry, der Teil überzeugt mich überhaupt nicht. Ich finde ihn sehr wenig differenziert geschrieben.

Geändert von DieSilbermöwe (03.05.2018 um 08:28 Uhr)
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.05.2018, 13:20   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Ich finde ihn sehr wenig differenziert geschrieben.
Das stimmt. Wenn ich anfinge, differenzierter zu schreiben, hätte ich am Ende einen Roman, und so weit will ich es in einem Forum nicht treiben. Ich versuche, pro Teil in einem bestimmten Rahmen zu bleiben. Deswegen tippe ich die Kapitel auf meinem Computer in eine Formatvorlage für Normseiten, so habe ich immer einen guten Überblick über die Länge des Textes.

Plakativ ... darauf muss ich mich wohl einlassen, wenn ich den Text nochmal überarbeiten und sogar erweitern sollte. Stilistisch lässt sich immer feilen.

Ich weiß ohnehin noch nicht, wohin die Fahrt mit dieser Geschichte gehen wird.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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