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Alt 12.02.2008, 19:44   #1
Terror Incognita
 
Dabei seit: 12/2007
Beiträge: 392


Standard Pudding Klavier Tod

Während ich die letzten Reste aus dem halb zerdrückten Puddingbecher kratze, tropfen warme Tränen auf die ungeheizten Fliesen unter meinen Füßen. Aus dem Augenwinkel sehe ich nichts, denn die angegraute Gardine hängt träge vor dem Fenster, aber ich kann meinen Nachbarn Schnee schaufeln hören. Ich stecke den Löffel in den Mund und warte auf ein wenig Weisheit, die sich in die braune Matsche verirrt hat. Aber ich mache mir kaum Hoffnung dabei, denn könnte man Weisheit in Puddingform kaufen, dann würde ich mich fett und arm fressen, um dann bei irgendeiner Quiz-Sendung das richtig große Geld zu machen.

Ich weiß, dass ich mich nicht beschweren sollte. Ich habe einen Job, der genug Geld zum Leben abwirft, ich bin gesund und mit meinen Eltern komme ich auch zurecht. Ich weiß, dass es vielen Leuten viel schlechter geht als mir. Ich weiß auch, dass viele Menschen allein sind, dass viele Männer keine Freundin haben und damit zurecht kommen. Ich weiß auch, dass viele Männer betrogen und verlassen wurden und trotzdem nicht so rumjammern wie ich. Eigentlich brauche ich gar keine Weisheit. Vielleicht wäre es auch besser gewesen weniger Pudding zu essen, denn ohne diese Erkenntnis wäre mein Selbstmitleid wahrscheinlich erträglicher für mich.

Ich wische die Tränen mit dem Ärmel aus meinem Gesicht und schmeiße den Becher in den Müll. Besser fühle ich mich nicht. Langsam schleppe ich mich ins Wohnzimmer und lasse mich auf den Klavierhocker fallen. Wenigstens die Tasten bleiben mir treu. Sanft streiche ich über sie, lächle ihnen zu und fange an zu spielen. Ich habe nichts bestimmtes im Kopf, klaue ein wenig hier, ein wenig dort. Ein paar Themen, ein paar Variationen, ein paar Gefühle. Während meine Hände sich bewegen und dem Instrument die Töne entlocken denke ich nach: Über mich, über dich, über das Leben, die Liebe, Gefühle, Verrat, Betrug, Lügen, einfach alles. Ich bemerke nur am Rande, wie das Spiel hektischer wird, die Melodien dissonanter und erst als ich schreiend auf die Tastatur haue, schrecke ich aus meinen Gedanken auf. Ich hoffe, die Tasten mögen mich auch nach dieser erneuten Misshandlung noch.

Ich bin aufgewühlt. Mir schießen Bilder durch den Kopf, Bilder von dir mit anderen Männern. Wie oft hast du mich betrogen, wie oft habe ich dich dabei erwischt und wie oft habe ich dir verziehen. Wahrscheinlich zu oft, aber was vorbei ist, ist vorbei und ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Eigentlich bin ich froh, dass es vorbei ist. Ich bin froh wie es ausgegangen ist und erschrecke dabei. Ich schäme mich fast, doch ich bin froh. Froh, dass dich am Ende auch der Tod gefickt hat.
Terror Incognita ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2008, 20:25   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo terror,

verzeih, dass diese Kritik nicht allzu ausführlich wird. Deine Geschichte gefällt mir sehr gut und oft entsteht die Ausführlichkeit, wenn ich Fehler finde oder Verbesserungsvorschläge habe. Das ist hier nicht der Fall. Groß interpretieren kann man auch nicht - man erlebt einfach nur mit beim Lesen und das funktioniert sehr gut.
Es gibt nur eins, das mir gar nicht gefällt und das ist der Titel. Erstens verrät er mit "Tod" zu viel, denn beim ersten Lesen geht man am Anfang davon aus, der Protagonist wäre von seiner Freundin verlassen worden und findet erst mit dem letzten Satz die Wahrheit heraus. Zweitens erscheint mir die lose Verbindung der Hauptelemente des Textes einfallslos.
Der letzte Satz ist krass, normalerweise passt "fickt" nicht in die Sprache des Erzählers, aber in dem Zusammenhang haut es rein. Da lässt er endlich mal seine Gefühle auch sprachlich raus, denn eigentlich ist er sehr wütend, hält sich aber sehr unter Kontrolle.

Liebe Grüße

Struppi
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2008, 20:46   #3
Terror Incognita
 
Dabei seit: 12/2007
Beiträge: 392


Oh, besser kurz als gar nicht

Und du hast Recht, der Titel war eher eine Notlösung zusammengeflickt aus den beiden Leitmotiven/Handlungen und der Pointe. Ich fand ihn dann im Nachhinein aber nicht zu uninteressant und habe ihn so gelassen, über schöne Vorschläge freue ich mich natürlich.

Ansonsten: Danke fürs Lesen

Gruß,
TI
Terror Incognita ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2008, 20:55   #4
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


"Puddinggedanken"
"Klaviergestützte Puddinggrübelei"
"Der Weisheit letzter Pudding" oder so ...

Ich tu mich auch immer schwer mit Titeln.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.02.2008, 21:30   #5
Terror Incognita
 
Dabei seit: 12/2007
Beiträge: 392


Zitat:
Original von Struppigel
Ich tu mich auch immer schwer mit Titeln.
Ist bei mir meistens auch so.
Aber "Puddinggedanken" klingt nicht schlecht, ich denk drüber nach, Danke.
Terror Incognita ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.03.2008, 20:45   #6
Garfield
 
Dabei seit: 01/2008
Beiträge: 20


Moin Terror

Deine Gerschichte hat mir gut gefallen. Am Anfang fand ich sie noch etwas unspektakulär und dachte der Prot kommt vom Grübeln übers Klavierspielen zum Selbstmord. Den letzten Satz fand ich dann richtig klasse, er ist ein guter Gegensatz zum restlichen Text und bringt die ganze Wut rüber und auch die Tatsache, dass es eigentlich etwas schlechtes ist, sich über den Tod eines anderen zu freuen.
Und ich denke sprachlich gibt es nichts zu kritisieren.
Schöne Geschichte.

Gruß Garfield
Garfield ist offline   Mit Zitat antworten
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