Von Stegen, von Wegen und vom Leben

[sohare]

Ein schmaler Steg. Ein langer Weg. Ein Floß auf dem Meer. Schwimmt und schwankt, hin und her. Allein, verlassen, leer.
Ein Mädchen. Ihre Stimme. Sie ist wunderschön. Und ihre Stimme.
Sie sitzt auf dem Steg. Singt. Wunderbar. Ihre Stimme.
Die Vögel stimmen mit ein. Wenn sie summt, wenn sie singt, allein.
Ein Mädchen. Wunderschön. Allein. Ein langer Weg. Zum Glück.
Nur die Vögel kennen es. Zwitschern es aus der Luft. Ihr Leid. Ihr Lied. So wunderschön. Ihre Stimme. So traurig. So einsam. Ihr Lied.
Sie weint, wenn sie singt. Ihr Lied schreit. Sie singt von Liebe. Von Sehnsucht. Von Leid. Von Stille. Von Angst. Sie fühlt es. Und die Vögel fühlen, was sie singt.
Sie flattern, sie wehen im Wind. Ihre schwarzen Haare. Sie versinken, ertrinken im Meer. Ihre salzigen Tränen. Es bringt die Vögel zum Winseln. Ihr Leid.
Hin und wieder kommt ein Schiff vorbei. Hin und wieder auch ein Mensch. Ein Angler. Am Steg.
"Ist was?", fragt er. "Alles okay?"
"Alles bestens", sagt sie. "Was soll schon sein?"
Und stumm denkt sie sich die Wahrheit: Ich bin nur allein.

Stunden vergehen.

Das Floß. Es treibt. Es ist so stark. Unzerstört. Schwimmt weiter. Seinen Weg. Es ist nicht in Gefahr. Nur allein.
Das Mädchen. Sie blickt hinaus. Sie singt. Sie denkt nach. Sie singt wieder. Wie immer. Von Sehnsucht.
Ja. Sie sehnt sich... Nach Liebe. Nach der Welt. Nach Glück. Nach einem Abenteuer. Nach der Welt.
Die Vögel trällern ihr Lied mit. Der Wind streift ihr Haar.
"Warum", singt das Mädchen, "kann ich nicht frei sein?"
"Warum", singt sie nochmal, "kann ich nicht gehen?"
"Warum", schreit sie fast schon, "bin ich so leer?"
"Warum", brüllt sie lauthals, "ist diese Glitzerwelt, in der ich hier lebe..."
"Warum", wiederholt sie, "ist sie so leer, warum ist sie so hohl?"

Ein Junge. Mit Rucksack. Mit Narben. Voller Schweiß. Voller Schrammen.
Zerrissen. Seine Kleidung. Aufgebraucht. Sein Proviant.
Echt. Sein Schweiß. Echt. Seine Erschöpfung. Ehrlich. Sein Lächeln. Echt.
Es ist schön hier. Am Ufer des Flusses. Doch er kann nicht schwimmen. Wie kommt er auf die andere Seite? Gar nicht. Er nimmt es hin.
Schwierig. Die Geduld.
Echt. Sein Schweiß. Echt seine Erschöpfung. Ehrlich. Seine Tränen. Echt.
Ein Floß. Er hat ein Floß gebaut.
Das Floß. Auf dem Meer. Das schwimmt und schwankt, hin und her. Allein, verlassen, leer. Das ist seins.

Stunden vergehen.
Tage vergehen.

Der Junge. Er streift durch den Dschungel. Suchend. Nach Abenteuern.
Das Floß. Es treibt richtung Steg.
Das Mädchen. Es singt. Zum Leben ist's ein langer Weg.
Und 'leben' ist ein harter Weg.
Doch Einsamkeit ein schmaler Steg. Auf dem es sich nicht lange lebt.

Stunden vergehen.
Tage vergehen.
Wochen vergehen.

Die Vögel zwitschern. Der Junge summt. Das Mädchen singt. Das Floß kommt näher.
Die Wellen treiben es zu ihr. Zum Mädchen.

Leben, was ist das?
Es ist wie das Lied.
Es geht um Liebe. Um Sehnsucht. Um Leid. Um Stille. Um Angst. Man fühlt es.
Man hofft.
Das Leben ist Hoffnung.
Das Mädchen. Sie hofft.
Der Junge. Er hofft.
Das Leben ist.
Sie ist.
Er ist.
Das Leben ist leben...
Und treiben. Am Land. Und im Meer.

Stunden vergehen.
Tage vergehen.
Wochen vergehen.

Das Leben. Es ist.
Und eigentlich gar nicht so schwer...

(C)by sohare