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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 18.03.2024, 16:37   #1
weiblich Lee Berta
 
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Standard intensiv

ich presse meine warmen lippen
auf deinen kalten mund
damit die seele neue heimat findet
dein haar riecht nach zitrone

so weit geöffnete pupillen
so süchtig nach dem Licht
wie verletzlich du mir scheinst
ohne die trachialkanäle

ein kleines, weißes pflaster
dort, wo die lebensrettungsmaschine
dir immer wieder odem eingehaucht hat
mörder füllen totenscheine

ich weiß, was geschah
weil du es weißt und sie sind götter
eine vietnamesische krankenschwester
öffnet die fenster

und wir wechseln einen blick
seelen können durch glas fliegen,
sagst du und ich sage:
aber das weiß sie doch noch nicht
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Alt 18.03.2024, 18:05   #2
männlich MonoTon
 
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Ich beneide niemanden darum in einem solchen Fall eine Entscheidung zu treffen.

Allerdings hört man wunderschön heraus, dass diese Entscheidung hier aus Liebe gefällt wurde, um jemanden nicht mehr an Ort und Stelle und in einem "Käfig" gefangen zu halten.
Mir gefällt die stille Übereinkunft des erdachten Zwiegespräches und das man sich dessen "Ok" geholt hat. Das leise Einverständnis und den eigenen Seelenheil von der schlafenden Seele, sie auf Reisen zu schicken.
Ein schöner Abschied und ein intensives letztes Wahrnehmen in Form eines Blankverses.

Ich höre ebenso den Vorwurf zwischen den Zeilen, an jene gerichtet, die diesen Zustand zu verantworten haben.

Ein schönes Stück Empathie zwischen zwei Seelen und nur ein Zettel für Andere. In vielen Kulturen ist es brauch ein Fenster zu öffnen. Bei uns stellt man noch zusätzlich Kerzen vor ein Fenster, um das Licht zum Licht zu führen.


Lg Mono
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Alt 18.03.2024, 18:46   #3
weiblich Lee Berta
 
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Hallo MonoTon,
unsere Entscheidung war eine andere und das stand auch ganz klar in der Patientenverfügung. Aber ich habe mir das leise Einverständnis geholt, öffentlich im Internet darüber zu schreiben, dass Ärzte in Deutschland nach Belieben Behinderte euthanasieren und vor den Angehörigen Witze darüber reißen.
Es lebe die künstlerische Freiheit

In meiner Kultur bittet man eine Höhere Entität darum, die Seele sicher in die nächste Ebene zu geleiten, aber meine freie Religionsausübung wurde mir auch verwehrt.
We're just a very angry ghost ...

Liebe Grüße,
Lee
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Alt 18.03.2024, 19:22   #4
männlich MonoTon
 
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Das tut mir leid, dann habe ich das falsch aufgefasst.
Für mich klang es nach einem einvernehmlichen Abschied.
Was du da erklärst wirkt auf mich Rechtswidrig und anfechtbar.
Tatsächlich bekommt es dadurch einen unschönen dreh, da ich das "sich anschauen" nun wörtlich nehme und es nicht mehr als nach dem Tod empfinde, sondern während des Eintretens des Todes. Wie schrecklich. Mein aufrichtiges Beileid, da dies ja anscheinend eine wahre Begebenheit ist.
Ich gehe fast immer davon aus das hier Autoren von fiktiven Ideen berichten.
Lg Mono

Warum brauchst du ein Einverständnis von anderen, um an etwas zu Glauben, dass dir Trost spendet? Verstehe ich nicht.
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Alt 18.03.2024, 19:38   #5
weiblich Lee Berta
 
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Hallo MonoTon,
vielleicht habe ich die Unfreiwilligkeit zu sehr versteckt und muss sie stärker herausarbeiten.
In der Tat sind die meisten meiner Geschichten sozusagen erfunden, aber die Figuren meist nicht oder manchmal auch umgekehrt. Ein Körnchen Wahrheit ist immer dabei. Das wirkliche Leben ist aber so krass, dass alle immer nur sagen: "Das wirkt ja total unrealistisch."
Die Realität überfordert den Konsumenten, auch den Kritiker. Darum muss ich Sachverhalte abschwächen.

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen eingestellt. Der Arzt, der Euthanasie-Witze gerissen hat, hat dann auch den Totenschein ausgestellt. Er hat nachweislich gelogen, den Totenschein mit dem Namen eines anderen Arztes unterschrieben und alle sagen mir nur: "Es war doch das beste ... er wollte gehen ... du musst loslassen ... nun muss er nicht mehr leiden ..." und sind dann irgendwie pikiert, wenn ich sage: "Fuck you, Nazis!"

Aber danke für dein aufrichtiges Beileid und LG,
Lee
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Alt 18.03.2024, 19:50   #6
männlich MonoTon
 
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ich glaube das übersteigt gerade meinen Horizont, da ich nicht weiß wo die "Nazis" gerade herkommen.
Ich wollte dir nicht zu nahe treten mit meiner Ansicht oder dich erzürnen. Mir war nicht bewusst dass dir das Thema nahe geht. Um so etwas zu verhindern schreibe ich fiktiv. Ich will nicht dass ich angreifbar werde, oder ich andere angreife.
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Alt 18.03.2024, 20:16   #7
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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unsere Entscheidung war eine andere und das stand auch ganz klar in der Patientenverfügung. Aber ich habe mir das leise Einverständnis geholt, öffentlich im Internet darüber zu schreiben, dass Ärzte in Deutschland nach Belieben Behinderte euthanasieren und vor den Angehörigen Witze darüber reißen.
Gütiger Himmel! Ist das so?

Nicht, dass ich deine Worte anzuzweifeln gedenke, Lee Berta, denn dass eine Patientenverfügung nichts wert ist, weiß ich inzwischen - allerdings in umgekehrter Richtung: Der zuständige Arzt weigert sich, die Maschine abzustellen und beruft sich auf seinen Hippokrates-Eid.

Witze darüber, dass man sich zum Herrn über Leben und Tod gemacht hat? Von Ärzten? Das ist gruselig.

Hat das wirklich mit "Kultur" zu tun, mit einer Kultur, die selber krank ist und im Sterben zu liegen scheint?

Dein Gedicht zwingt Zeile für Zeile zum Nachdenken.

VG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 18.03.2024, 20:22   #8
weiblich Lee Berta
 
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Zitat:
Zitat von MonoTon Beitrag anzeigen
ich glaube das übersteigt gerade meinen Horizont, da ich nicht weiß wo die "Nazis" gerade herkommen.
Ich wollte dir nicht zu nahe treten mit meiner Ansicht oder dich erzürnen. Mir war nicht bewusst dass dir das Thema nahe geht. Um so etwas zu verhindern schreibe ich fiktiv. Ich will nicht dass ich angreifbar werde, oder ich andere angreife.
Das Fiktive ist im Prinzip die richtige Herangehensweise und ich fühle mich nicht angegriffen von dir oder so. Denn normalerweise halte ich es genauso: Literatur ist die Erfahrung in verdauliche Fiktion verpackt.
Ich mache gerade etwas sehr Unprofessionelles, nämlich Schreiben als Therapie.
Die Leute meinen es auch nett, wenn sie so was sagen wie: "Nun muss er nicht mehr leiden."
Was soll man denn sonst sagen? Ich würde das auch sagen.
Aber er wollte leiden und leben, denn in unserer Kultur ist die Überwindung von Leid ein zentrales Motiv. Es war nicht an diesem zynischen Arzt, eine Entscheidung für uns zu treffen, die er juristisch nicht treffen durfte. Er wusste aber, dass er das tun kann, weil es nie bewiesen werden wird. Wenn ein Kardiologe X einen Herzpatienten Y umbringen will, kann er das einfach tun, denn wenn Vorerkrankung Z vorliegt, kommt es nicht zu Ermittlungen.
Wenn derselbe Arzt außerdem postmortal eine natürliche Todesart feststellt, sowieso nicht.

Der Zusammenhang zu den Nazis ist die "Aktion T4".

LG, Lee
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Alt 18.03.2024, 20:40   #9
weiblich Lee Berta
 
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Gütiger Himmel! Ist das so?
Hallo Ilka-Maria,
leider ist es so, denn die Betten und Beatmungsgeräte sind knapp. Da gibt es aber genaue Vorschriften vom Gesetzgeber. Zum Beispiel wenn ein kleines Kind dieses Gerät benötigt, das jemand beansprucht, der sowieso keine Chance hat und 99 ist. Dann findet ein Gespräch statt zwischen Klinikleitung, Stationsärzten und Angehörigen.

Das alles war aber bei uns überhaupt nicht so und ich hatte den Eindruck, dass es eine industrialisierte Tötungsmaschinerie ist. Mir wurde auch die freie Religionsausübung verwehrt. Dass Menschen gegen ihren Willen am Leben erhalten werden, ist seit Corona obsolet.

Ich habe lange in der Altenpflege gearbeitet und dass nachgeholfen wird, ist täglich Brot. Auch, wenn das jetzt viele schockieren mag. Du musst nur ein Mal "vergessen" das Fenster zu schließen, wenn dieser eklige Typ, der dich immer mit voller Absicht beim IKM-Wechsel anpisst, eine Lungenentzündung hat und draußen Winter ist.

Aber zum Nachdenken wollte ich anregen. Und vielleicht muss ich das in Zukunft noch viel krasser tun.
Liebe Grüße,
Lee
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