Affe

[Thing]

Ich red mit mir, ganz im Geheimen,
nur noch in Metrik und mit Reimen,
ich bin so lyrisch, daß es schmerzt.
Ich bin so herrlich unbeherzt,
daß ich schon meine Blumenwichtel
des Morgens füttre mit Gedichtel.

Ich dichte hin, ich dichte her,
da gibt es keine Gegenwehr,
all meine Lieben müssen leiden.,
weil ich dann d o c h zur Lyra singe,
mit Sang und Klang und Wortgeklinge,
bis daß der Tag mag scheiden.

Nur die, die tauben Ohres sind,
entrinnen diesem Leiden.
Noch besser: Sie sind blind.
Der dritte Affe hats erkannt:
d a s kommt mir aus dem Dichterland!
Der böse hält die Hand sich vor den Mund,
statt mir zu sagen: Alles Schund!




(c)

[BABSvomKUTSCHI]

Hi Thing, gefällt mir ausgezeichnet. Erinnert mich an einen Spruch, den mein Vater mal prägte:

Lieber Gott, mach mich blind,
dass ich alles herrlich find.
Lieber Gott, mach mich taub,
dass ich allen Unsinn glaub.
Lieber Gott, mach mich stumm,
dass ich nicht nach Bautzen kumm.
Macht mich blind, taub, stumm der Herr,
dann bin ich reif für die DDU.

Bussi Bussi
Babsi

[Thing]

Halli Hallo, BABSI -

ich freu mich immer, wenn ich jemanden zum Schmunzeln bringen kann.
Das DDR-Dingens ist bitterbös und prima!

Thing

[Ex-Schamanski]

Das DDR-Dingens funktoniert auch im real existierenden Kapitalismus, bis auf Bautzen.

[Thing]

Ja, allemal!
Läßt sich (Bautzen) garantiert adäquat austauschen.

[Heinz]

Lieber Thing,
ich finde das Gedicht zunächst einmal als (zum Widerspruch heraus fordernde) Selbstbetrachtung. Der Anregung durch die Vortsellung der drei Affen hat Babsi zu einem niedlichen Kommentar ermuntert. Aber dann kommt es gleich knüppeldick: Aus deinem Gedicht nun gleich eine tiefschürfende (aber sehr an der Oberfläche japsende) Betrachtung - hie alte Bundesrepublik, da ehemalige DDR - zu machen, na, ich weiß nicht. Bautzen sei "austauschbar" gegen etwas Adäquates im "real existierenden Kapitalismus" (dessen größter Ausgabeposten, wenn ich mich nicht irre, die Sozialausgaben sind). Ich flüstere dem Kommentator zu: Ein jeder rede nur von dem, was er versteht! Nein, mein lieber Schamansky, Bautzen ist gegen keine einzige Haftanstalt im Gesamtdeutschland austauschbar. Bei aller Kritik an unserem politischen System: Liebe Jung, lass die Kirche im Dorf! (Bautzen ist genauso wie der Stasi-Knast in Berlin Hohenschönhausen zu besichtigen, und wenn Du einen Zeitzeugen brauchst - hier bin ich).
Liebe Grüße,
Heinz

[Ex-Schamanski]

Mal langsam, ich hatte Bautzen ausgenommen. "bis auf Bautzen".
Verblödet wird man überall, aber nicht überall bringt einen eine Meinungsäußerung in den Bau. Im Kapitalismus läßt man jeden nach Herzenslust meckern und ignoriert das dann einfach komplett. Besser als Bautzen ist das zweifellos.

[Heinz]

Lieber Schamansky,
ich muss mich bei Dir entshuldigen! Meine Zeilen hatten sich an dem Satz "Läßt sich (Bautzen) garantiert adäquat austauschen." entzündet. Dass ich Thing sehr schätze, daraus mache ich kein Geheimnis. Aber das scheint ihn auch nicht vor jeder Eselei zu bewahren.
Liebe Grüße,
Heinz

[Rosenblüte]

Lieber Thing,

da laust mich doch der Affe. Dir ist ein vortreffliches Gedicht gelungen!

An S2 und S3 könnte man noch ein bisschen feilen:

Ich dichte hin, ich dichte her,
da gibt es keine Gegenwehr,
die Meinen müssen leiden,
weil ich dann d o c h zur Lyra sing,
mit Sang und Klang und Wortgekling,
bis daß der Tag mag scheiden.

Nur die, die tauben Ohres sind,
entrinnen diesem Leiden.
Noch besser ist es, sie sind blind.
Der dritte Affe hats erkannt:
d a s kommt mir aus dem Dichterland!
Der Böse hält die Hand vor'n Mund,
statt mir zu sagen: Alles Schund!

Lieben Gruß
Rosenblüte

[Ilka-Maria]

Der dritte Affe hats erkannt:
d a s kommt mir aus dem Dichterland!
Der böse hält die Hand sich vor den Mund,
statt mir zu sagen: Alles Schund!

Eine Brücke zu schlagen zu den drei Affen hat seinen Reiz. Aber bisher war ich der Meinung, daß sich das "Nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen" dieser Gesellen auf Selbsterkenntnis bezieht (= freiwilliger Verzicht) und dem Menschen vorführen soll, daß mancher Affe klüger ist als er.

Mit der Definition von "Schund" habe ich Probleme. Was ist das? Im Zusammenhang mit Literatur ist mir der Begriff zu vage, ich weiß nicht, woran ich ihn festmachen kann (schinden - wer wird geschunden, und mit welcher Autorität?). Warum schreibt ein Autor wie Bodo Kirchhoff ein Buch mit dem Titel "Schundroman" (das ich mit Genuß gelesen habe)?

Mit dem Begriff "pulp fiction" kann ich eher etwas anfangen, da schon im Wort "pulp" der Matsch und die Billigkeit dieses Mediums enthalten ist: Schnell aufzunehmende und zu verdauende Kost, und was nicht verkauft wird, gehört schnellstens eingestampft und zu neuem "pulp" verarbeitet. Das wäre "Reader's Digest" allerdings auch, der Titel dieser Reihe spricht für sich: Aufbereitete Kost für simple Gemüter, deren Verdauungstrakt man nicht über Gebühr strapazieren will.

Bleibt die Frage: Wie ist "Schund" zu definieren?

LG
Ilka-M.

[Thing]

Nachtrag:

Zur Klarstellung:
Ich denke schon, daß Bautzen austauschbar ist. Mit z.B. Hoheneck, Zwickau, Brandenburg etc.
Im Kapitalismus greift man zu anderen Mitteln (wie bei Stuerprüfern geschehen): Man versucht sie, in eine Nervenheilanstalt zu bringen o.Ä.

@ Rosenblüte:

Danke fürs Lob.
Ich laß den Ulk mal so stehen, wie er eingestellt wurde.
Das mit den 3 Affen soll sich so lesen, wie es gedacht war. Glücklich die, die taub oder blind sind und der schweigende ist galant.
Soviel zur Selbsterkenntnis des LyrI.

@ Ilka-Maria:

Hier gilt meine Definition -
Schund ist etwas Mißlungenes, ganz und gar Mißratenes, Müll.


Schönen Sonntag zusammen!

Thing

[Ilka-Maria]

Zitat von Thing

Hier gilt meine Definition -
Schund ist etwas Mißlungenes, ganz und gar Mißratenes, Müll.
Thing

Das kann ich so nicht annehmen. Müll ist ein Rückstand, also etwas, das von Verwertbarem übriggeblieben ist. Müll kann nicht aus sich selbst heraus sein.

Vielleicht könnte man "Schund" definieren als etwas unabhängig Wertloses, Niederes, Verächtliches. Aber weshalb sollte jemand bewußt etwas schaffen wollen, das ohne jeden Wert ist? Schwierge Frage mit wenig plausiblen Antworten.

Du hast mich zum Nachdenken darüber gebracht.

Ebenfalls einen schönen Sonntag.

LG
Ilka-M.

[Thing]

In diesem Ulk-Gedicht ist Schund ein mißlungenes Gedicht, das im Müllkorb landet. Es wurde nicht a priori als Schund geschrieben, aber es kam nichts Gutes dabei raus.
Ich selbst schreibe - nicht absichtlich! - viel Schrott, Schund, Müll - der landet am dafür vorgesehen Ort.

[Ilka-Maria]

Ich habe dafür eine gesonderte Datei namens "Baustelle". Man weiß ja nie, ob man den Schutt nicht doch noch sinnvoll gebrauchen kann.

[Thing]

Die Zeiten sind bei mir vorbei.
Zu oft stieg mir die Schamesröte ins Gesicht!

[Rosenblüte]

Hallo Thing,

wenn du sagst, ein Gedicht sei nicht a priori als Schund geschrieben worden, gibst du Ilka-Maria recht, dass Schund, Schwund und Müll immer ein Rückstand von etwas Verwertbarem ist. So sehe ich es auch. Es gibt keinen Schund, und selbst im Abfall lassen sich noch wertvolle Reste finden.

Was als wertvoll gilt und was nicht, ist unserer Definition überlassen. Wir trennen die Spreu vom Weizen, das Unkraut vom Rosenstock, das Ungeziefer von den Nutztieren, den Sperrmüll vom Mobiliar, das Lebende vom Toten usw. Dabei ist doch alles eins und nützlich.

Lieben Gruß
Rosenblüte

[Heinz]

Lieber Thing,
"Zur Klarstellung:
Ich denke schon, daß Bautzen austauschbar ist. Mit z.B. Hoheneck, Zwickau, Brandenburg etc.
Im Kapitalismus greift man zu anderen Mitteln"
Hoheneck steht hauptsächlich für verurteilte - und in vielen Fällen unschuldig verurteilte - Frauen. Brandenburg, Zwickau (und es gab noch mehrere von dieser Sorte) stehen für Zuchthäuser, in denen neben von Terrorurteilen Betroffene auch durchaus Kriminelle saßen. Bautzen - das gab es zwei Zuchthäuser. Wenn von Bautzen gesprochen wird, dann meint man das "Gelbe Elend", das unweit des Zentrums der sehr schönen Stadt liegt (und seit Jahren Gedenkstätte ist). Kann man Bautzen "austauschen"? Lieber Thing, dann müsste man die Geschichte der DDR-Zuchthäuser umschreiben. In Bautzen "saßen" die politischen Häftlinge (die natürlich nicht als solche bezeichnet wurden), hauptsächlich Bundesdeutsche, aber auch Männer und Frauen aus anderen Ländern - und eine Anzahl von Bürgern/Bürgerinnen der DDU. Du glaubst nicht, wieviel Kombinatsdirektoren da mit lebenslänglich saßen (nach einer Schamfrist zu immer kürzeren Restzeiten "begnadigt", weil sie mit ihrem Fachwissen ja doch gebraucht wurden). Das "Fünfte Kommando" - das waren nur Bundesdeutsche mit Haftstrafen ab 10 Jahren aufwärts (15 Jahre war die längste zu vergebende zeitliche Freiheitsstrafe) bis zu lebenslänglich. Ein weiteres Kommando, ich glaube, es war das vierte, bestand ebenfalls aus Bundesdeutschen, einer bunten Mischung vom Fluchthelfer, Kleinkriminellen, aber auch Mördern. Die, die am schlimmsten dran waren, saßen über Jahre in Einzelhaft (ohne jeglichen Kontakt zu anderen Häftlingen), hier brachte sich 1982 einer dieser streng Isolierten um (nicht ahnend, dass er drei Monate später ausgetauscht werden sollte). Die "Politischen" - und dazu wurden in unserem Selbstverständnis nur die Mitglieder des fünften Kommandos gezählt, wurden übrigens nie freigekauft; sie wurden nur im Austausch mit Spionen der DDR, die anderswo gefasst wurden nach etwa drei/vier Jahren "verlegt" (dass sie in die Bundesrepublik entlassen wurden, kam keinen DDR-Offiziellen über die Lippen). Langer Rede kurzer Sinn: Bautzen war schon ein Solitär unter den Zuchthäusern der DDU.
Liebe Grüße,
Heinz

[Thing]

Halli Hallo, Heinz -

dann muß ich Abbitte leisten!
Meine Informationen sind sehr spärlich, was ich sehr bedaure.
Auch kenne ich niemanden, der in Bautzen war, geschweige denn Literatur über dieses trübe Kapitel.
Das will ich aber sofort nachholen, damit ich mich nicht mehr so beschämend vergaloppiere.

Warum mein Ulk-Gedicht auf einen solch deprimierenden Weg geführt hat?

Du schreibst nicht einmal, ob es Dir zusagt oder nicht.

LG
Thing

[Heinz]

Lieber Thing,
das "Urteil" über Dein Gedicht fällt positiv aus! Diese spöttische Selbstbetrachtung ist Dir gut gelungen (und ich habe den fehler gemacht, mich nicht aus das Gedicht zu beziehen, sondern auf einen Teil der Kommentare).
Du kennst niemanden, der in Bautzen gesessen hat? Du kleiner Schwindler! Muss ich Dir eine Kopie meines urteils und des Entlassungsscheins schicken?
Liebe grüße,
Heinz

[Thing]

Halli Hallo, Heinz -

ich meinte damit, daß ich niemanden persönlich (nicht nur virtuell) kenne, der in Bautzen einsitzen mußte.
Aber ich habe mich inzwischen ein wenig kundig gemacht via Internet.
Bücher werden folgen.
Persönlich (in der Familie) kenne ich jemanden, der 3 Jahre oder so in der BRD im Gefängnis war. Darüber haben wir über die Jahre hinweg ausführlich gesprochen.
Gegen Bautzen kommt mir das wie ein Sanatoriumsaufenthalt vor.

Danke fürs Lob (Selbstbetrachtung)!

LG
Thing