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Alt 10.05.2010, 23:29   #1
Friedrich
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 237


Standard Das Märchen von der Blume im Unkrautgarten

Das Märchen von der Blume im Unkrautgarten

Für „Julia“


Es wuchs einmal in einem wilden Garten, inmitten eines grünen Meers aus Brennesseln und Disteln, still und einsam eine Blume.

„Und du willst eine Distel sein?“ keiften plötzlich schrill die Disteln ihr zu Füßen, und in ihren spröden Blättern raschelte der Wind, „du bist nicht hart, du bist nicht steif und kannst nicht richtig kratzen! Wenn uns Disteln nämlich einer mal zu nahe kommt, dann reißen wir mit unseren spitzen Krallen ihm die Waden wund, denn wir lassen uns, weiß Gott, nicht gerne was gefallen. Und du, was tust du stattdessen? Nichts! Du stehst nur da auf deinem hohen Stengel und blickst unendlich traurig in die Weltgeschichte! Wahre Disteln haben violette Blütenböden, und nun, sieh dich mal an! Wo ist sie denn nur, deine ... Blüte? Du läßt sie uns nicht sehen. Ist sie am Ende gar noch dunkelrot? Unmöglich diese Farbe! Nein, du bist nicht nur blasiert und ungeschickt, du bist zudem noch häßlich!“

„Und seht mal ihre Blätter an, diese Blätter!“ mischten voller Hohn die Brennesseln sich ein, „und so was möchte eine Nessel sein! Zart und dunkelgrün sind ihre Blätter, und jede Nessel weiß von Kindesbeinen an, daß schöne Blätter fleischig sind und ... dicht behaart, genau so wie die unseren. Und hast du schon mal jemanden gebrannt, so heiß gebrannt, daß seine Haut sich rötete und all die vielen Bläschen kamen? Natürlich nicht, du kannst es nicht und wirst es niemals können. Du bist nichts weiter als ein Nichtsnutz, ein trauriger Versager!“

Und die Blume in dem Unkrautgarten schämte sich und litt, und da sie’s leid war, weiter hämisch kritisiert zu werden, hielt sie ihre Knospe fest geschlossen und lugte nur ganz oben noch durch einen kleinen Spalt heraus und freute sich des wenigen an Licht und Wärme, das ihr auf diese Weise noch zuteil ward.

Doch eines schönen Tages lief der Gärtnerjunge in den Unkrautgarten und entdeckte überrascht die scheue Blume. Vergessen war mit einem Mal der Grund, weshalb er in den Garten kam. Er hielt verwundert vor ihr inne und betrachtete sie liebevoll. Da öffnete die Blume zaghaft ihre Knospe, und der Junge staunte über so viel unverhoffte Schönheit und war ... auf einmal ... wie verzaubert. Und verglichen mit der schönen Blume erschien ihm all das Unkraut in dem Garten noch viel häßlicher und böser als zuvor. Geschwind enteilte er nach Haus, griff flugs die schärfste Sichel seines Vaters und hieb erbarmungslos das Kraut im Umkreis seiner Blume ab. Von nun an konnte sie sich ungestört entfalten.

„Unkraut hat er uns genannt, der unverschämte Bengel“ zeterten die Disteln schrill im Chor. „Auch uns hat er verschmäht, wie äußerst undankbar!“, zischelten vereint die Nesseln, „er hat nur Augen noch für sie, für sie allein, für diese, diese ... Rose!“ Und aus dem einstmals kalten Stolz der Disteln wurde heiße Eifersucht, und voller Zorn agierten sie noch härter und noch schärfer. Und die Nesseln kochten, bebend vor gekränkter Eitelkeit, in ihren dicht behaarten Blättern ein noch stärkres und gemeinres Gift.

Doch all das sah die Rose fortan wie von fern mit lächelnder Gelassenheit. Was kümmerte sie’s noch, was all das dumme Unkraut über sie so tratschte? Der Gärtnerjunge kam sie jeden Tag besuchen, und sie lebte nunmehr in einer andren, schönren Welt.
Friedrich ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.05.2010, 10:01   #2
männlich Whomas
 
Dabei seit: 05/2010
Ort: Erlangen - Bamberg (wechselnd)
Alter: 34
Beiträge: 16


Sehr schön bildlich. Da könnte ich dem grauen Regenwetter doch tatsächlich in einen sonnigen Rosengarten entschweben. Danke
Whomas ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.05.2010, 12:47   #3
Friedrich
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 237


Lieber Risiko,

schön, daß Dir das Lesen meines Märchens Spaß bereitet hat.

Wenn Rosen von Brennesseln und Disteln kritisiert werden, können sie sich nicht entfalten; und es bringt ihnen auch nichts, selber Unkraut werden zu wollen. Im Grunde bedarf es nur der Liebe eines Einzigen, eine - noch verborgene - Schönheit zu erkennen.

Danke für Deinen Kommentar.

Mit liebem Gruß

Friedrich


Hallo Whomas,

danke für Dein Lob!

Lieber Gruß

Friedrich
Friedrich ist offline   Mit Zitat antworten
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