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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 21.06.2008, 13:38   #1
tagedieb
 
Dabei seit: 07/2005
Beiträge: 520

Standard fliegen lernen

fliegen lernen

jetzt schweigst auch du mir herzlich zu
was bleibt dir noch zu sagen, schöne?
ich fühlte dich schon bevor ich dich sah

mir wächst nur das schlagen innen zu oft
wie goldader bis auf die eiligen lippen

ich werde dir kein gutes wort mehr sein
und mich wird alles missen irgendwann
weniger kosten als ein restliches lächeln
tagedieb ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.06.2008, 13:10   #2
apnoe
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 785

Standard RE: fliegen lernen

fliegen lernen

jetzt schweigst auch du mir herzlich zu
was bleibt dir auch zu sagen, schöne?
ich fühlte dich schon, bevor ich dich sah


diese strophe klingt auf interessante weise bitter-süß. so, als ob es der lauf der welt wäre, dass jedes du,also „auch du“, so wie ein anderes du, sich in herzlichem schweigen des kontaktes entzieht.
anmerkung: z1 z2auch /auch> vielleicht in z2: „noch“
wobei herzliches schweigen mehrdeutig zu verstehen sein kann. herzlich kann schweigen sein, wenn es nicht aus der absicht geschieht, zu schweigen, sondern wenn es aufgrund der umstände gerade eben nichts zu sagen gibt, aber nichts dagegen spricht, wieder kontakt aufzunehmen.
das scheint vorerst der fall zu sein, wobei zeile 2 impliziert, dass die umstände weitere worte der schönen unmöglich machen werden. ihr schweigen ist nicht böswillig gekommen, aber es ist eben trotzdem keine kommunikation mehr möglich.
das ist traurig, denn das lyrich hängt in dem gefühl fest, weil es dem du eine wichtigkeit gegeben hat, ohne zu wissen, ob das du diese mittragen kann, sozusagen noch bevor man sich sah= „er/kannte“. das lyrich ist euphorisch in diese begegnung gegangen und bleibt wieder einmal ein wenig enttäuscht zurück, diesselbe wichtigkeit für das du nicht gehabt und auch nicht erlangt zu haben.
darauf weist die nächste strophe auch hin.

mir wächst das nur schlagen innen zu oft
wie goldader bis auf die eiligen lippen


die fehlenden satzzzeichen ab strophe2 ermöglichen mehrere lesarten. formal ist es aber uneinheitlich, falls das überhaupt wichtig ist. ich würde die satzzeichen einfach in der ersten strophe auch weglassen.

mir wächst das (nur schlagen innen) zu oft
wie goldader bis auf die eiligen lippen

v1: das „das“ könnte sich auf den satz beziehen: ich fühlte dich schon, bevor ich dich sah.
dieses gefühl, auf eine goldader, die pulst und glücklich macht, gestoßen zu sein in einer begegnung, hat das lyrich öfter und auch schon mehrmals voreilig gesagt( eilige lippen)
dabei war es nur ein schlagen ( zb herzklopfen) im inneren, das außen kein ergebnis zeigte, also dem lyrdu verborgen blieb, weil es die begegnung nicht als so wertvoll empfand und das daher nicht so sehen konnte.
goldader: metallhart. wertvoll. schwer zu finden. schwer zu gewinnen. leicht zu verkaufen/verlieren.
am schönsten finde ich die metaphorik eines menschlichen felsengesteins, dem eine goldader im inneren gehört, die wie in einem bergwerk nur von innen zu sehen und deren reichtum nur von innen zu gewinnen ist, aber für zuhörende (mund-worte/bergwerkseingang/hämmern) auch von außen erkennbar sein könnte.
die zweifache bedeutung, dass das schlagen im inneren auch schmerz sein kann, wird mir dadurch noch deutlicher.

ich werde dir kein gutes wort mehr sein
und mich wird alles missen irgendwann
weniger kosten als ein restliches lächeln


das lyrich erkennt, dass das schweigen des lyrdu etwas endgültiges hat und da es seinen eigenen wert eigentlich doch kennt und zu schätzen beginnt (goldader), gibt es eine entscheidung, die das schweigen manifestiert, das das lyrdu wollte.
das lyrich gibt auf. in seinen worten braucht das lyrdu keine einseitigen bemühungen mehr erwarten. so vieles ist gesprochen worden und nichts ist davon geblieben, außer der erkenntnis, dass das vermissen von gegenseitigkeit nicht für immer schmerz bleibt, weil es auch dem lyrdu keinen schmerz bereitet zu schweigen. noch hat das lyrich ein lächeln für das gute, das es für sich selbst in der begegnung gefunden hat (restliches lächeln), aber es weiß, wenn sein eigenes bemühen aufhört, dann wird es nach der überwindung des traurigseins nicht mehr mit der eigenen substanz (weniger kosten als ein lächeln) bezahlen müssen. es wird vielleicht auch aufhören können darüber zu lächeln, welchen schmerz es im hoffen auf antwort erlitten hat und welcher schmerz ihm schweigend zugemutet wurde.

ich muss nicht extra sagen, dass ich den text mag?
auf mich wirkt er verständnisvoll und trotzig, verbittert und freundlich abgeklärt, und also: insgesamt stark emotional. es scheint, als ob das lyrich spürt, dass sich seine wertigkeiten und sein selbstwertgefühl positiv verändern, aber auch so, als ob es an den weg, der sich dadurch auftut, noch nicht so recht glauben will.
es muss erst wieder fliegen lernen.
flügge werden ist immer mit dem verlassen alter strukturen verbunden.
wenn es zu früh geschieht, fällt auch der vogel aufs maul oder wird von der katze gefressen.
das lyrich hat lange genug gewartet. es wird nun fliegen lernen, um einem weiteren absturz zu entgehen. es akzeptiert unabänderliches und verändert seine haltung dazu. es fühlt trotzdem noch die schwere des schweigens, denn es liegt keine ermunterung darin.

das lyrich scheint noch ein bisschen in der hoffnung gefangen, dass die angedeutete konsequenz in s3, „ich werde dir kein gutes wort mehr sein“ etwas ändern könnte. es möchte zurück ins alte nest der gewohnheit, dessen, was es einstmals zur normalität erklärt hat.
allerdings weiß es nun, dass das so nicht mehr geht.
nicht oft sind entwicklungsprozesse rückgängig zu machen, sogar dann nicht, wenn das sehr unbequem und ungelegen ist. das lyrich beginnt das zu spüren, obwohl es sich etwas anderes erhofft hat (s1)
daraus ergibt sich auch der für mich sehr stark zu spürende zwiespalt des textes.

und eins noch: bei aller sich mir auftuenden schlüssigkeit, ist das nur meine eigene lesart. ich weiß das. irrtum möglich. =)

lieben gruß
a
apnoe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.06.2008, 13:38   #3
tagedieb
 
Dabei seit: 07/2005
Beiträge: 520

Danke Dir sehr. Diesmal liegt in Deiner Lesart leider nichts Neues für mich. Sie ist absolut stimmig. Ein wenig hatte ich verdreht am Text. Das hab ich mit Deiner aufmerksamen Betrachtung reparieren können. Du bist toll! Danke nochmal.
tagedieb ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.06.2008, 13:59   #4
Melanie
 
Dabei seit: 06/2008
Beiträge: 23

Standard RE: ohne viel Worte

ich mag das Gedicht...
Melanie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.06.2008, 14:16   #5
tagedieb
 
Dabei seit: 07/2005
Beiträge: 520

Danke, Melanie.
tagedieb ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.06.2008, 06:32   #6
Melanie
 
Dabei seit: 06/2008
Beiträge: 23

Hallo tagedieb

ich werds einer Freundin zuschicken.

sie wirds auch toll finden

für mich hab ichs schon rauskopiert. =)
wäre natürlich schön, wenn man den richtigen Namen drunter schreiben könnte...
Melanie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.06.2008, 21:51   #7
tagedieb
 
Dabei seit: 07/2005
Beiträge: 520

Das ist schön. ich schicke Dir eine PN.
tagedieb ist offline   Mit Zitat antworten
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