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Alt 17.01.2005, 16:29   #34
Doska
 
Dabei seit: 12/2004
Beiträge: 113


Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 34

Kapitel 6


Worgulmpf war entsetzt. Hatte er richtig gehört ? Dummerweise hatten er und seine Freunde genau zu diesem Gehöft gewollt, dass ganz wie all die anderen Höfe in ziemlicher Nähe der großen Stadt lag. Doch aus Vorsicht war er mit seiner Meute nicht gleich zu dem stattlichen Fachwerkhaus, das von einem hübschen Gärtchen umrahmt war, hinüber geschlichen, um sich dort etwas zu erbetteln, denn sie hatten nichts auf den Feldern gefunden, wovon sie hätten leben können, sondern sich noch einige Augenblicke verborgen gehalten. Das war sehr gut gewesen, denn plötzlich war Lärm aus dem Hause bis zu Worgulmpfs Ohren gedrungen ... erheblicher Lärm ! Die Eigentümer des Hauses hatten wohl ziemlich heftig eine Meinungsverschiedenheit mit anderen Leuten zu klären, denn es klapperte jedes Mal die Tür, da jemand hinausgeworfen werden sollte, der sich jedoch immer wieder erfolgreich dagegen zu wehren verstand.
Gerade als Worgulmpf durch Handzeichen seiner Meute verständlich zu machen suchte, dass es wohl besser wäre sicherheitshalber umzukehren, hörte er plötzlich “Lais“ von der Landstraße her, direkt hinter ihnen. Er griff sich vor Schreck an die Brust, an die rechte Seite, wo das Herz aller Außerirdischen lag, die der Galaxie Raik Hotas entstammten, denn dort spürte er einen scharfen Stich. Waren es Hajeps oder Loteken, die sich ihnen näherten ? Xorr, das war ja im Grunde ganz egal ! So oder so waren sie gleich verloren ! Doch dann versuchte er sich zu beruhigen. Noch funktionierte ja der Schutzschirm ... noch ! Denn irgend etwas stimmte plötzlich an diesem Ding nicht. Entweder waren die Batterien alle – Worgulmpf wusste nicht, womit sie gespeist wurden – oder aber das Ding war ohnehin nicht so ganz funktionstüchtig gewesen, denn hier oben an dem quaderförmigen Medaillon – seine ungelenken Finger tasteten es gerade ab - blinkte rotes Licht. Es war ein ziemlich altes Modell, das wusste er, aber er war damals zufrieden gewesen, dass er es überhaupt vor der Flucht von Haituk, einem winzigen Halbroboter, hatte erhandeln können. Sein Daumen zitterte, als er das grüne, ovale Sensorenfeld berührte. Das Herz pochte ihm, als würde es dabei zerspringen und nun wartete er auf jenen ihm nun gut bekannten feuchten Dunst, der aus den oberen zwei Kanülen, die sich aus dem Medaillon hervorschieben würden, entweichen sollte, ja musste ! Er wartete und keuchte vor Angst. Würde es ihm noch ein letztes, bitte nur noch ein allerletztes Mal glücken ?
Die rettende Dunstwand blieb aus ! Schweiß trat auf Worgulmpfs Stirn und seine Freunde, seine Familie wisperten ungeduldig und angsterfüllt miteinander.
Ubeka! Irgendwie hatten sie trotzdem noch Glück im Unglück, denn die Lais änderten nicht nur ihre Richtung, sie setzten auch schwungvoll über den niedrigen Holzzaun des kleinen Gärtchens hinweg und parkten schließlich direkt vor dem Haus. Nun wusste auch Worgulmpf, mit wem man es hier zu tun hatte. Die Lais zierte eine Schlange und ein schwarzer Drache ! Und auch auf den Helmen war eine weiße Schlange zu sehen. Die Loteken fackelten nicht lange. Ihre Lais schwebten noch, als sie aus den Sitzen sprangen und es ertönte nur ein kurzes Summen und schon war die Tür des hübschen Fachwerkhauses auf und sie stürmten mit erhobenen Waffen in den Flur.
Jemand lachte schadenfroh, als ein Mann schmerzerfüllt aufschrie, eine Frau wimmerte und mehrere kleine Kinder weinten. Worgulmpf hörte die schrecklichen Stimmen der Loteken, aber er hörte nicht lange zu, denn er gab der Meute ein Zeichen.
Dort, auf der rechten Seite des Hauses, unter jenem Fenster mit den vielen Blumentöpfen, standen fünf Lais ! Er traute seinem Sohn Gulmur einiges zu, denn schließlich hatte der noch bis vor einem Jahr Skrabonede, dem obersten Verwalter militärischer Kleinstfahrzeuge lotekischer Einheiten, dienen müssen. Atimok, ein Kirtiv, zwergwüchsig, aber mit großem technischem Verstand, war zufälligerweise genau in jene Einheit damals strafversetzt worden. Er hatte sich rasch mit Gulmur angefreundet, ihm einige Tricks gezeigt, wie man sich diese Fahrzeuge auch ohne die Eingabe eines besonderen Codes für einige Zeit aneignen konnte. Es war nur gefährlich, bis dorthin ohne Schutzschirm zu gelangen!

#

Wenig später führten Margrit und Muttchen, niedergeschlagen aber zielstrebig, ihre Fahrräder durch ein Stück des riesigen Waldes, vor welchem sich beide Familien vorhin getrennt hatten. Über diese Abkürzung wollten sie auf eine ehemalige große Schnellstraße kommen, die an einem Gehöft vorbeiführte, das noch funktionierte, wo sie sich Nahrung erbetteln oder in dessen Feldern heimlich nach restlichen Kohlrüben suchen konnten.
„Der wird uns fehlen, der Paul, stümms ?“ unterbrach Tobias unpassenderweise die inzwischen lang anhaltende Stille.
Margrit nickte und obwohl sie es nicht wollte, schossen ihr automatisch wieder Tränen in die Augen.
Tobias achtete - wie alle Kinder dieser Welt - natürlich kaum auf den Gesichtsausdruck anderer Menschen und so auch nicht auf den seiner Mutter, er hakte sogar, gründlich, wie er von Natur aus war, weiter nach: “Warum ist der denn mit der Scheißtussi mitgegangen und nich` mit uns ?“ knurrte er verdrießlich.
Margrit hielt tapfer die Tränen zurück. “Weil...weil sie hübscher ist als ich, schätze ich und... und jünger !“
„Die war aber gar nich` hübscher, als du Mams“, mischte sich jetzt auch Julchen ziemlich aufgebracht ein.
„Stümmt !“ bestätigte Tobias. “Du bist sogar viel, viel schöner, als die. Du hast nämlich mehr als die.”
Margrit war erstaunt, ausgerechnet das von Tobias Lippen zu hören, zumal ihre Oberweite nicht gerade besonders groß und auch noch durch die Strapazen des Krieges und dem ewigen Hunger richtig eingeschrumpelt war. Aber der Kleine sah das wohl aus dem Blickwinkel der Liebe und daher mühte sie sich zu lächeln. “Was habe ich denn mehr, Tobias ?“ fragte sie dennoch sicherheitshalber und zog reflexmäßig die Schultern zurück und hielt sich gerade, damit man wenigstens ein bisschen von dem erkennen konnte, was eine Frau vom Mann unterschied.
Diese weibliche Eitelkeit schien auch belohnt zu werden, denn der Kleine betrachtete sie anerkennend. “Naa –
ah... !“ sagte er. “Du hast mehr Falten im Gesicht ... das hat die nich` ! Stümms, Mams, es gibt bestümmt niemand, der soooh viele Falten hat, wie du ?“
Margrit fiel in sich zusammen und nickte beklommen.
„Am Mund haste welche“, zählte er sehr stolz auf, “und sogar am Hals haste welche, und an den ... naja, an den Fingern haste auch welche und... und... wo noch ? Ah, ja, schön graues Haar haste auch, wie ein rauschgoldiger Engel. Na, nich` ganz, ein bisschen braun is` noch drin, aber das wird schon noch ! Daas wird ganz bestümmt, stümms ?“ Er sah ungeheuer ermutigend zu ihr hinauf, während er, entschlossenen Schrittes neben ihrem Rad durch das herbstliche Laub stapfte. Dann betrachtete er die hohen Bäume.
”Haben die aber viele Blätter und die kommen jetzt alle runter. Er blickte zu Boden.
Margrit lachte derweil und als die Tränen ihre Lippen erreichten, leckte sie sich die einfach mit der Zunge ab. “Du kannst ja vielleicht Komplimente machen, Tobias !“ krächzte sie.
Tobias nickte zufrieden, aber plötzlich blickte er doch misstrauisch zu ihr auf .“Heulste etwa?“
Margrit nickte, blieb stehen und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
„Wegen der Blätter oder immer noch wegen dem Paul ?“ fragte er weiter und seine Stirn legte sich in viele kleine Dackelfalten, die alle nach oben wiesen.
Margrit erwiderte lieber nichts, sondern schob nur das Rad zu einem Baum. Sie lehnte es vorsichtig gegen dessen Stamm, hob Julchen aus dem Sitz und stellte die Kleine auf den Boden, die nun heftig gähnte und sich streckte und reckte. “Ich habe Paul geliebt, Tobias“, erklärte sie endlich und ergriff sich den Jungen, der an der Reihe war, gefahren zu werden, “und nun ist er von mir gegangen und ich kann ihn nicht mehr lieben ... Donnerwetter, bist du schwer !“ keuchte sie. ”Ich staune immer wieder !“
„Bin ja auch ein Mann ! Naja. ein kleiner”, räumte er ein, als er endlich im Sitz saß. “Das hat nämlich der George einmal zu mir gesagt !“
„Ja, stümmt !“ quiekte Julchen. “Ich hab`s auch gehört ! Kleiner Mann hat er zu Tobi gesagt !“
„Siehste !“ sagte Tobias stolz.
Eine letzte Träne kroch über Margrits Wange und während sie das Sonnenlicht, das auf den schmalen Waldweg fiel, betrachtete, tauchte im Geiste Georges liebes Jungsgesicht vor ihr auf. Sie blickte in seine Katzenaugen, sie waren so unergründlich und grün wie dieser verwilderte Wald, zwinkerten ihr schelmisch zu ... und nun verschwand dieses Bild wieder.
„Wenn ich gangere”, plapperte Tobias indes eifrig weiter.
„Das heißt ginge !“ verbesserte ihn Margrit und lachte mit einem Mal erheitert.
„Na, dann ginge ! ” sagte er. “Würdest du mich nich` mehr lieben, Mams ?“ Seine Stimme klang ziemlich bedrückt.
„Ich würde dich immer lieben, Tobias !“ versicherte sie ihm. “Es war nur mit Paul etwas anders gemeint ! Ich werde Paul nie vergessen ! Wir Menschen können uns glücklich schätzen“, sie warf dabei ihrer Mutter einen zärtlichen Blick zu, “dass wir die Gabe der Liebe haben !“
„ICH werd` dich auch nich` vergessen Mams ! Neee! NIE ! Menschen können nämlich lieben, so ist das !“ schluchzte Tobias plötzlich los.
„Aber Tobias !“ rief Margrit entgeistert.
„Und ich ... ich werd` dich auch nich` vergessen ...weil ... ich bin nämlich gar nich` vergesslich !“ fiel Julchen schniefend mit ein. “Großes Indianerehrenwort !“
„Nicht doch, Kinder !“ Margrit suchte hastig nach dem einzigen Taschentuch, was sie inzwischen nur noch hatte, und fand es plötzlich nicht. “Ihr müsst mich doch nicht schon heute verlassen."
„Weiß ich ja“, quiekte Julchen, “aber ich hab` schon mal meinen Mantel vergessen ... aber das war wirklich nur das eine einzige Mal, dass ich meinen Mantel vergessen habe ! Neee ! Den Mantel ... DEN vergesse ich nich` mehr, nie nich` mehr vergesse ich Mantels ! ”
„Und ich ... kann dich nicht leiden, Mamms !“ heulte Tobias weiter. “Ach, quack ... kann ES nicht leiden, wenn... wenn du so scheiße... traaau... erig bist!“
„Wenn ich mal groß bin“, stellte Julchen jetzt mit finsterem Blick und tief gerunzelter Stirn klar, “und ich Indianer und sogar Medizinmännin bin, fange ich dir den Paul, Mams, und mache, dass er dich immer liebt, Hough !“ Sie hob die Hand zu einem selbst erdachtem indianischem Gruß.
„Danke euch ! Hough !“ erwiderte Margrit so gut es ging, mit der freien Hand. “Und ich verspreche euch, nun durch so viel Unterstützung gestärkt, künftig nicht mehr so dämlich zu weinen - nochmals, Hough !“
„Kann man auch dämlich weinen Mams ?“ erkundigte sich Tobias, ganz der Denker, der er von Natur aus war.
„Manchmal schon !“ knurrte Margrit und schob energisch das Rad durch`s Laub, während ihr Muttchen erleichtert zulächelte.

#

Worgulmpfs lange Struwwelmähne wehte ihm über Stirn und Nase, der weite, derbe Sklavenkittel knatterte wie eine Tüte um seinen wuchtigen Körper und ihm war hier oben direkt ein wenig kalt. Bei Ubeka, und Anthsorr, er musste jetzt sehr aufpassen und reaktionsschnell sein. Er machte kleine Augen, weil ihm der Wind so sehr ins Gesicht fuhr und knirschte mit den gewaltigen Zähnen, da er sich so sehr konzentrieren musste, um keinen Unfall zu bauen, aber er war nicht unruhig. Die Arme seines Jüngsten, die sich voller Vertrauen von hinten um seine Hüften geschlungen hatten, machten ihm Mut. Der Kleine hinter ihm juchzte nun schon die ganze Zeit voller Vergnügen, während ein wunderbar abendliches Landschaftsbild so etwa fünfundzwanzig Meter entfernt unter ihnen dahin segelte.
Je eine von Worgulmpfs Pranken hielt die beiden etwas seltsam gekrümmten Lenkknüppel fest umschlungen. Es war nur Schade, dass sein Ältester nicht mehr gewusst hatte, wie man die geleeartigen Fensterscheiben und das Verdeck hoch bekam. Nun ja, es ging auch so. Schließlich hatten sie ein dickes Fell. Und wenn man es recht bedachte, war das schon eine Glanzleistung Gulmurs gewesen, ungesehen gleich vier Lais startklar zu machen.
Jetzt würden sie sehr schnell bei - wie hatte ihn Georgo doch gleich genannt ? Ah, ja, Robert ! - bei diesem Robert angekommen sein. Der sollte dann die entsprechenden Verbindungen für Worgulmpf und seine Meute herstellen, für sie Kontakte mit den – oh, jetzt war ihm auch dieser komische Name entfallen, aber es musste so etwas ähnliches wie Würmer sein, bäh ! – herstellen. Menschen würden dort erscheinen, die sie mitnehmen und für einige Zeit in ihren Verstecken leben lassen würden. Sie würden erst dann endlich...endlich in Sicherheit sein !
Die gescheckten Augen leuchteten bei diesem Gedanken erleichtert auf. Zu schade nur, dass er nicht wusste, wie man das Tempo bei solch einem Lai etwas drosseln konnte. Aber vielleicht war es auch gut so schnell zu sein. Schade auch, dass es Gulmur vorhin nicht geglückt war, noch den fünften Lai zu rauben. Er war ein wenig derb mit diesen kleinen Flitzern umgegangen und daher auch recht laut gewesen, um deren Sperrsystem zu zerstören. Die Loteken hatten es später doch gehört, aber ehe sie zur Tür hinaus gewesen, waren sie mit eben diesen vier Lais schon auf und davon.
Er war froh, dass Gulmur an der Spitze des kleinen Zuges flog. Gulmur konnte diese kleinen, schmalen Gleiter nicht nur recht gut steuern, sondern ihnen auch noch Ratschläge dabei erteilen.
Er wunderte sich jetzt doch ein bisschen, dass die Loteken den fünften Lai noch immer nicht repariert hatten, dessen feines Sensorensystem Gulmur glücklicherweise doch noch schnell hatte zerstören können. Aber er war sich sicher, dass die Loteken bestimmt ihre Kameraden zur Hilfe gerufen hatten. Bald würde es hier nur so von Lais wimmeln. Sie mussten also machen, damit sie in den großen Wald kamen, wo man sie schwerer ausfindig machen konnte.
Schon seit einem ganzen Weilchen sah er hier und da hektische Vogelschwärme in den roten Abendhimmel aufsteigen. Sie kamen alle nur aus einer Richtung, nämlich von der Stadt her und ihnen entgegen. Erst hatte er sich nicht sonderlich darüber gewundert, denn er hatte gelernt, dass sich in diesen Breitengraden die Vögel immer zur Herbstzeit zusammenfanden, um in wärmere Gebiete zu fliegen, doch plötzlich erschien ihm doch an ihrem wildem und ziemlich undiszipliniertem Gebaren irgendetwas eigenartig. Vor allem, wenn die Vogelschwärme wieder auf dem Boden oder in den Bäumen landen wollten. Seine gesprenkelten Augen schauten genauer hin und ... er wäre deshalb fast vor Schreck aus seinem viel zu kleinen Sitz geflogen ... denn er erkannte, dass diese Vögel nach einer Weile einfach tot vom Himmel herab fielen, als wären sie ein Haufen niederprasselnder Steine.
Plötzlich winkte ihm Gulmur zu. Er gab aufgeregt nach hinten ein Zeichen: alle sofort scharf nach rechts, hieß das ! Bei Ubeka, weshalb sollten sie denn plötzlich einen Umweg machen und nicht direkt auf den Wald zufliegen ? Da sah er in der Ferne hajeptische Kontrestine blinken.. Sie kamen aus der gleichen Richtung wie die Vögel. Zwar waren diese reinrassigen Hajeps im Moment nicht Worgulmpfs direkte Feinde, das schon eher die Loteken, ein gewaltiges einstiges Eliteheer der Hajeps. Doch konnten die Hajeps den Verlust ihrer sonderbaren und uralten Bombe längst bemerkt haben und gemeinschaftlich Jagd auf Trowes machen? So gehorchte Worgulmpf seinem Sohn, hörte aber trotzdem nicht auf, über die Vögel nachzudenken. Hatten die Mannschaften dieser Kontrestine irgend etwas mit diesen plötzlich erkrankten Vogelscharen zu tun ? Weshalb kamen die Hajeps ebenfalls aus jener Richtung, wo Coburg lag ?
Es war gut anzunehmen, dass Hajeps die Menschen mit ihren sonderbaren Waffen in dieser Stadt getötet hatten. Worgulmpf hatte eigentlich schon längst mit viel heftigeren Reaktionen der Hajeps auf die gewaltigen Menschenmassen, die plötzlich in ihre Gebiete strömten, gerechnet. Und so wäre er gar nicht verwundert gewesen, wenn sie zum Beispiel über besondere Schallwellen, die zwar niemand hören konnte, die aber nach einem Weilchen die empfindlichen Zellen der Gehirne zerfraßen, die Menschen und leider auch somit die Vögel, welche sich in der Nähe der Stadt aufgehalten hatten, getötet hatten.
Ah, da war ein anderer Wald. Gulmur machte Handzeichen, dass die Gleiter niedriger fliegen und dann plötzlich zwischen den Baumwipfeln verschwinden sollten.
Alle gehorchten mehr oder weniger geschickt. Schließlich warteten sie auf dem Boden, angstvoll die gelben Augen zu den Blätterdächern über sich gewandt. Worgulmpfs kräftige Finger schwebten für einen Moment über dem Sensorenfeld seines Medaillons, als sie die Kontrestine der Hajeps endlich heransegeln hörten. Sollte er es ein letztes ... noch ein allerletztes Mal versuchen ? Vielleicht funktionierte der Kasten nach solch einer langen Pause wieder ?
Oder sollte er sich dieses letzte Mal für entscheidendere Momente aufheben, weil das Ding vielleicht dadurch völlig kaputt gehen konnte ? Jetzt waren sie direkt über ihnen. Sein Jüngster hatte deshalb die Ärmchen wieder fest um ihn geschlungen und bebte am ganzen Leibe. Aber die Kontrestine verharrten nicht, sondern flogen ohne jede Verzögerung einfach weiter. Die kleine Schar atmete erleichtert aus.
Erst nach einem ganzen Weilchen hatten sich die Trowes mit ihren Lais wieder über den Wipfeln der Bäume erhoben, aber dann jagten sie wieder pfeilschnell davon
Als sie sich jedoch Coburg näherten, wurden sie etwas langsamer – Worgulmpf beherrschte das jetzt - denn von oben konnte man sehr gut sehen, was sich dort ereignet hatte. Wenngleich Worgulmpf ein Gefühl wie Mitleid völlig unbekannt war – er stand nur zu seinem eigenen Klan und nicht einmal sein Volk interessierte ihn - so glaubte er jetzt doch zu begreifen, weshalb die Menschen sich nicht nur mit Trowes, sondern auch mit allen anderen Sklavenvölkern zu verbünden suchten. Denn nicht nur in den Straßen lagen leblose Menschenkörper, Männer, Frauen, Kinder herum, die sich noch im letzten Todeskrampf die Ohren zugehalten hatten, auch außerhalb der Stadt und in den Gehöften. Es waren all jene gewesen, die wohl schon früh gespürt hatten, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, vielleicht waren aber auch die wahnsinnigen Ohren- und Kopfschmerzen der Grund dafür gewesen einfach schleunigst ins Freie zu laufen, um mehr Sauerstoff für`s Gehirn zu bekommen. Doch damit hatten sie nur, umso schneller ihrem Leben ein Ende gesetzt.
Worgulmpf sah nun mit zusammengekniffenen Lidern in die Ferne. Würden sie eine Chance haben, wenn sich Trowes mit den restlichen Menschen dieses Landes verbündeten oder war ohnehin alles sinnlos ?
Gulmur winkte schon wieder zu ihm nach hinten - aha – also jetzt in die alte Richtung. Er schätzte, er würde noch vor Sonnenuntergang bei diesem Robert sein ... wenn nichts dazwischen kam !
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.01.2005, 16:35   #35
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 35

Stunden vergingen und die beiden Frauen kamen nur mühsam vorwärts. Blattwerk und Wurzeln wirkten sich leider sehr störend auf die Reifen aus. Muttsch`s Rucksack und der Koffer waren schwer. Das zweite Rad hatte Paul ihnen überlassen, damit sie besser vorwärts kommen sollten. Was sehr lieb und aufopferungsvoll gewesen war. Dennoch fehlte Paul einfach an allen Ecken und Enden ! Auch die Reifen aufzupumpen, geschweige denn nach deren Löchern zu forschen und diese zu flicken, ging ihnen viel langsamer von der Hand als dem starken und geschickten Mann.
Margrit biss die Zähne fest zusammen und ihr dürrer, ausgemergelter Körper zitterte und schwankte, gebeutelt von all den zusätzlichen ungewohnten Belastungen und unwillkürlich dachte sie dabei an Ilona, die jetzt gewiss von Paul verwöhnt wurde, die vor allen Dingen seine Zärtlichkeiten genoss. Zunehmender Neid stieg bei diesen Gedanken in ihr auf, leider auch wieder Tränen, doch sie hielt sich diesmal an ihr Versprechen, wollte wieder so fröhlich sein, wie vordem.
„Indianer brechen nicht ihr Wort!“ murmelte sie, in solchen Fällen dann, leise vor sich hin. “Nein, das tun sie
nicht !“
Als es Abend wurde, standen sie, nach etlichen Pausen während ihrer Wanderung, endlich am Rande des großen Waldes. Vor sich hatten sie eine der größten Schnellstraßen, die einst von Menschenhand erbaut und nun Gott weiß wie lange nicht mehr befahren worden war. Die Straße sah schrecklich aus. Nichts war hier seit über zwanzig Jahren mehr repariert worden. Kein Wunder ! Die außerirdischen Eroberer brauchten keine Straßen, denn sie fuhren nicht, sie flogen ! Manchmal nur wenige Zentimeter knapp über dem Boden dahin !
Die Stadt war jetzt etwa dreieinhalb Kilometer von der kleinen Familie entfernt. Das meiste Land, das sie bisher gesehen hatten, war verwildert. Es gab wohl nur noch Höfe ganz in der nähe der Stadt. Muttchen wollte, obschon sie sehr erschöpft war, diesmal ohne Pause weiterlaufen, doch Margrit hinderte sie tatkräftig daran, zum Beispiel indem sie die alte Dame beim Zipfel ihres Mantels packte.
„Was ist los mit dir ?“ quiekte Muttchen schließlich entrüstet. “Wir können nicht mehr trödeln. Es wird bereits dunkel und du weißt, wie es mit dem Licht aussieht. Wer repariert heute noch Laternen ? Außerdem sind Strom und Gas ungeheuer kostbar geworden, und Hajeps scheinen kaum Licht zu brauchen, oder sie haben ihre eigene besondere Lichtversorgung. Wie wollen wir ein Gehöft in völliger Finsternis finden ? Wir brauchen ein Dach über dem Kopf, endlich feste Wände um uns, oder willst du etwa in diesem feuchten und kalten Wald übernachten ? Da ist dir aber eine Lungenentzündung sicher, meine Liebe !“
„Die will ich auch nicht bekommen!“ Margrit hatte noch immer ihre Finger fest in Muttchens Mantel gekrallt; sie sah verzweifelt und angstvoll zur Straße. “Aber ... merkst du nichts?“
„Doch, deine Finger an meinem Hintern !“ knurrte Muttchen..
„Immer musst du Witze machen.“ Margrit fuhr sich mit der Zunge über die vor Aufregung trocken gewordenen Lippen. “Ich meine... merkst du nicht, wie still es ist ?“
Muttchen brach in verdutztes Lachen aus. “Ja, es ist still. Warum sollte es das nicht sein ? ”
„Na, kein Vogel singt - nichts ! Dabei besingen Vögel doch sonst immer die kommende Nacht.”
„Mein Kind“, fauchte Muttchen und versuchte sich dabei von Margrits festem Griff zu befreien. “Du hast zwar ein hervorragendes Gehör, aber du spinnst dann und wann. Naja, bist ja auch Psychologin! Das entschuldigt Einiges ! Denn es ist Herbst. Die meisten Vögel werden bereits fortgeflogen sein ! ”
„Danke, Danke, Danke !“ Margrit machte einen alberlichen Knicks, gleichwohl ließ sie das Rad und vor allem Muttchen nicht los. “Du bist heute richtig reizend zu mir !“
„Bin ich auch ! Aber du hörst gelegentlich Mäuse husten. Ich gebe zu, dass es zwar im Augenblick Vögel sind, die außerdem nicht husten ! Aber deine Vögel werden eben schon vorher gehustet haben. Wir haben nur nicht darauf geachtet.“
„Aber, es ist noch nicht vollkommen dunkel, Muttsch. Einige noch Verbliebene müssten jetzt zwitschern. Außerdem ist die Stadt total ruhig. Kein Laut dringt einem ans Ohr, als ob...“
„Du meinst... Coburg ist auch...ist bereits... ist...tot ?“
„Ja, na ja, hm...das befürchte ich ! Es lebt keiner mehr in dieser Stadt. Es müssten aber Flüchtlinge an ihr vorbeikommen. Wer das tut, oder sogar durch Coburg hindurchzieht, läuft vielleicht in eine Falle !“
„Oh, Sch...Schade !“ platzte es aus Tobias heraus .“Ich hasse Fallen ! Neeee ! Magst du Fallen, Jule ? ”
„Puh, ich auch nich !“ bestätigte Julchen.
„Und wenn nun Dieterchen schon in Coburg ist ?“ fiel es Tobias plötzlich ein.
„Bestümmt, die...die wollten doch einen Abkürz - zug nehmen ?“ keuchte Julchen entsetzt.
„Herr du meine Güte, die Kinder haben ja Recht ?“ ächzte jetzt auch Muttchen. “Oh Gott, dein Paul ! Annegret, Herbert, Ilona! hoffentlich sind die nicht da hinein und...“
„Der .. der hat meinen Blaui”, war Tobias nächster Gedanke, “den krieg` ich nun nich mehr ... stümms ? ”
Margrit nickte, er faltete düster die Stirn und schob schließlich die kleine, dicke Unterlippe vor. “Ich meine ... ich will aber meinen Blaui wiederhaben !“
„Tja, Tobias !“ Margrit hob hilflos die Schultern an.
„Ich will nich, dass die Hajeps unsere Erde kriegen !“ schluchzte Tobias plötzlich los. Sein dürrer Körper bebte schrecklich dabei. “Der Blaui ist meiner, der gehört doch uns, den Menschen, verstehste !“
Julchen blickte zu ihrem Bruder hoch, zu ihm, der auf Mamas Rad saß, und zupfte Tobias am Hosenbein. “Nich... nich weinen, Tobi ... Ja...ah ?“ krähte sie halb erstickt zu ihm hinauf. “Ich... ich werd` nämlich bald später Indianer und dann Medizinmännin ! ”
„Bestümmt ?“ fragte Tobias, etwas getröstet, zu ihr herunter.
„Indianerehrinwort ! Da... da schleiche ich mich dann an und klaue deinen Blaui den blöden Hajeps, so !“
„Kreuzspünnen, Jule ! ”
„Urrgh !“
„Machst du es bestümmt ?“
„Urrgh...ja, Bestümmt !“
„Klauste auch...“ er schluckte “Dieterchen ? ” Dabei tropfte ihm nun doch eine Träne still zu Boden und dann folgte etwas schneller gleich die nächste. Große Augen starrten dabei Julchen an.
Julchen erwiderte nichts, sah nur in Tobias Gesicht und plötzlich brach auch sie in hilfloses Schluchzen aus.
Margrit blickte besorgt auf ihre verstörten Kinder. Sie hatte diese Verwirrtheit und Verzweiflung schon oft bei ihnen erlebt, aber diesmal ging ihr das ganz besonders unter die Haut ! Zumal sie selber Sorge um Paul und im Grunde auch um all die anderen hatte. Es waren Menschen, die sie ins Herz geschlossen hatte, die zu ihrem Volke gehörten, die irgendwie ihre Brüder und Schwestern waren. Niemandem, auch wenn sie ihn noch so hassen würde, konnte sie ein derart furchtbares Ende wünschen, wie durch die Hände dieser schrecklichen Außerirdischen zu sterben.
„Ich glaube nicht, dass Paul diese Stadt betreten haben wird. Er ist so vorsichtig wie ich”, sagte sie möglichst bedächtig. “Er müsste dann schon sehr von Ilona abgelenkt worden sein.“ Und wieder kroch bei diesem Gedanken Argwohn in ihr hoch. Was, wenn diese Ilona in Wahrheit doch so ein verkleideter Hajep war ? “Die Hegenscheidts“, fuhr sie trotzdem noch einigermaßen ruhig fort, „werden sich nach Paul richten. Sie waren wohl nicht so lange auf der Flucht wie wir und sind daher kaum so erfahren.“
„Du meinst Dieterchen is nix passiert,. ganz ohne Schei...äh...in echt ?“ Tobias schnäuzte sich trompetend in den Ärmel, da er schon wieder kein Taschentuch hatte und krempelte den anschließend ein kleines Stückchen höher.
„Ich bin mir dessen sicher !“ Margrit versuchte, ohne mit den Wimpern zu zucken auf die Lenkstange ihres Fahrrades zu starren.
„Du lügst nich Nee ?“ meldete sich jetzt auch Julchen und wischte sich mit dem schmutzigen Handrücken quer über die Augen, so dass ein grauer Streifen nicht nur über den Lidern sondern auch über der Nase erschien.
Oh, Gott, es war wirklich nötig, dass sie endlich wieder eine Möglichkeit fanden, sich wieder zu waschen. “Nein!“ sagte sie laut. “Äh - ich meine Hough !“
Julchen strahlte. “Hough, Mams ! Wenn ich Medizinmännin bin, werdere ich an dich denken.“
„Ich weiß, du holst mir dann den Paul !“ Sie versuchte verschmitzt ein kleines Lächeln, obwohl sich ihr dabei das Herz zusammenkrampfte, denn im Geiste sah sie mit einem Male wieder die Kirchenbänke vor sich, erblickte das Blut an den Wänden, doch diesmal war es nicht Armin der mit weit aufgerissenen Augen zwischen den Bänken lag, sondern ... ! Margrits Hände zitterten, während sie das Rad weiter schob.

#

Die kleine Familie beschloss, an diesem Abend nur so weit zu wandern, bis sie das Gehöft erreichten. Vielleicht waren die Leute dort barmherzig, würden sie in ihrem Haus oder in einem der Ställe schlafen lassen und ihnen womöglich sogar etwas von ihren Nahrungsmitteln abgeben, sofern sie lebten ... aber sie lebten nicht mehr !
Der Leichnam des Bauern saß vornübergebeugt noch am Tisch. Er hatte wohl gerade eine Suppe gegessen und sein Gesicht lag darin, als Margrit die Türe öffnete, die nur leicht angelehnt gewesen war. Seine Frau lag vor dem Stall, ebenfalls das Gesicht von Margrit abgewendet und der Zipfel ihres Kopftuchs flatterte noch immer im Wind. Wenig später fand Margrit den Knecht, blau und aufgedunsen auf dem Wasser des in der Nähe gelegenen Forellenteichs treibend, gerade als Margrit dort ihre Feldflasche hatte auffüllen und ein wenig trinken wollen.
Sämtlicher Durst war ihr mit einem Male vergangen. Was war denn so plötzlich mit diesen Menschen passiert ? Nach kurzem Grübeln glaubte Margrit den Grund hierfür herausgefunden zu haben. Diese Leute hatten in der Nähe von Coburg gelebt. Irgendwelche Gifte mussten von dort aus bis zu ihnen herübergeweht sein Als Margrit dann die Kinder entdeckte, die wohl beim Mittagschlaf erstickt waren – komischer Weise hielten sie die Hände an den Ohren - begrüßte sie es doch, dass sie sowohl Muttchen als auch Julchen und Tobias zuvor in weiser Voraussicht am Rande des Gehöftes hatte warten lassen. Margrit plünderte nach einigem Zögern trotzdem die Schränke und schnappte sich ein paar Decken, um diese später gegen Nahrung einzutauschen. An die Speisekammer schlich sie sich diesmal nicht, denn wenn womöglich irgendwelche tödlichen Gase hier herumgeweht hatten, waren die Nahrungsmittel womöglich auch nicht mehr zu gebrauchen. Anschließend grub sie jedoch noch Kartoffeln aus - das waren viele - dann kam sie, zur großen Erleichterung der kleinen Schar, endlich zurück !
Jubelnd wurde sie begrüßt, alles schrie und jauchzte, da man endlich irgendeine Nahrung hatte und Margrit musste sich dabei zu ihrer Schande eingestehen, dass sie das schlimme Ende der Bauern in diesem Moment schon fast völlig vergessen hatte. Sie machte sich auch später kaum Gedanken, so hart war selbst Margrit, eigentlich eine mitfühlende Natur, inzwischen geworden.
Nachdem die Familie am Rande des Waldes von den gegrillten Kartoffeln genügend gegessen hatte, ging sie sehr zufrieden in diesen tiefer hinein und man beschloss, den Wald vorab nicht mehr zu verlassen. Die Vögel hier sangen zwar schließlich doch, aber viel zu spät ! Beide Frauen waren inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass irgendetwas Gewaltiges passiert sein musste, was die Vögel in der Umgebung vor Schreck hatte verstummen lassen. Margrit hatte es sich zur Vorschrift gemacht, die Tierwelt besonders scharf zu beobachten und sich nach ihr zu richten. Sie war fest davon überzeugt, dass dieses wachsame Verhalten ihrer aller Leben retten konnte. Muttchen verließ sich dabei ganz besonders auf Margrits ausgezeichnetes Gehör und obwohl die Kinder - speziell Julchen - auch recht gute Lauscherchen hatten, reichten sie doch nicht an Margrits Ohren heran. Man kämpfte sich also vorwärts, durch Unterholz und Gestrüpp, aber auch manch einen Waldweg entlang und das obwohl man zum Umfallen müde war, dabei auch noch dann und wann einen Blick auf Pauls Uhr werfend, die ja zugleich ein Kompass war. Munk folgte ihnen - Muttchen konnte den schweren Kater einfach nicht mehr tragen - und der tat es, wie schon so oft, in großer Treue.
Schließlich wurde es dunkel und der Kater vollbrachte das Kunststück, Mäuse zu fangen, ohne dabei seine Freunde
aus den schrägen Katzenaugen zu verlieren. Und dann war es so duster geworden, dass auch er nichts mehr jagen und die kleine Familie sich lediglich vorwärts tasten konnte, wobei man dennoch suchend nach einer schützenden, nicht ganz so feuchten Lagerstatt war.
Plötzlich glaubte Margrit in der Nähe Hundegebell zu vernehmen,
„Etliche Meter von uns entfernt, mitten im Wald, muss eine Hütte sein!“ wisperte Margrit konzentriert. “Denn ich habe einen Hund und eine Ziege hören können.“
„So ?“ Muttchens Stimme klang müde aber auch ein bisschen ungläubig. Sie hustete und ihr Rad schwankte dabei und somit Julchens Arme, die während des Schlafes je rechts und links über die Lenkstange gerutscht waren. “Was du so alles hörst.“
„Du hättest die Kleine nicht auf dein Rad nehmen sollen, Muttsch“, rügte sie Margrit so ganz nebenbei. “Das Kind ist zu schwer für dich und du wirst mir noch zusammenklappen.“
„Erinnere mich nicht an so etwas“, erklärte Muttchen leise, “sonst tue ich es noch. Aber, was sollte ich denn anderes machen, Tobias ist dir plötzlich eingeschlafen und...“
„Ich hätte ihn geweckt und... weißt du was ? Das werde ich jetzt auch noch tun. He, Tobias ... hee...eh... Donnerwetter ... der hat heute aber einen gesegneter Schlaf !“
„Es ist ja auch viel passiert ! Viel zu viel für kleine Kinder!“ bemerkte Muttchen. “Nein, lass ihn nur schlafen ! Es geht ja noch. Dummerweise haben wir heute eine mondlose Nacht.” Sie riskierte einen Blick zum Himmel, hätte dabei Munk fast angefahren, der mit gesträubtem Fell ebenfalls dem Hundegebell gelauscht hatte. Es ist schon schlimm !“ murmelte sie. “Man sieht buchstäblich die Hand vor Augen nicht. Wenn ich hinschlage und mir die Beine breche ... in meinem Alter... ds wird tödlich ! Zum Setzen und Ausruhen ist es hier zu kalt und zu feucht, dabei hole ich mir auch den Tod. Wir sitzen hier fest wie in einer Falle ! Findest du nicht ? Nein, nein! Denken wir lieber an etwas anderes. Was sagtest du doch gleich ? Ach ja, du meintest, Geräusche gehört zu haben.“ Sie kicherte.
„Pah, du bist doch bloß neidisch, nicht solche Ohren zu haben ! Und jetzt wollen wir mal ganz still sein, um herauszuhören, von welcher Seite die Geräusche kommen. Nein, du meldest dich jetzt bitte nicht, Munk ! Hör` auf zu maunzen, meine Güte !”
„Munk ist wohl müde und will, dass wir endlich anhalten !“ erklärte Muttchen. “Bist du sicher, dass sich die Hütte tatsächlich im Wald befindet und nicht ausserhalb ?“
„Pscht ! Ruhe, Mutsch ! Ach, dieser gottverdammte Kater ! ”
„Vielleicht hatten sich ja auch nur ein Hund und eine Ziege im Wald verirrt?“ plapperte Muttchen trotzdem weiter.
„Ha, nun haben auch noch Hühner gegackert“, zischelte Margrit. “Ooooh, sie sind sehr aufgeregt ! Naja, schlafen ja auch normalerweise um diese Zeit und jetzt ... Motorengeräusche aus der Ferne ? Vernimmst du sie auch ? ”
„Nix !“ Muttchen schüttelte den Kopf, konnte beim besten Willen nichts anderes vernehmen als das Rauschen der Baumwipfel über sich und jetzt Munks lautes Schnurren von unten, der ihr die Beine strich, was sie wohl beeinflussen sollte, ihn endlich in sein Körbchen zu packen, damit er sein Nickerchen machen konnte, was jetzt dringend dran war.
„Merkwürdig, ist das nun ein Flug - oder eher ein Fahrgeräusch ?“ fragte Margrit mehr sich selbst als Muttchen.
„Es ist ein Katergeräusch !“ erklärte Muttchen verdrießlich.
„Ach, Muttsch ! Es kommt aus der Nähe von Coburg”, fuhr Margrit in gespannter Tonlage fort, “und ist irgendwie ein feines Summen...“
„Nämlich Munks Schnurren ! ”
„Mensch, Muttsch, jetzt reicht`s aber ! Das ist wirklich ein komischer Klang.”
„Stimmt !“
„RUHE!“
Selbst Munk wurde urplötzlich still, lauschte ebenfalls, er hatte sogar deshalb mit seiner “Beinarbeit“ aufgehört.
„Es ist ein hauchfeiner, fast melodischer, metallischer Ton!“ erklärte jetzt Margrit. ” Ich hab`s ... das sind keine menschlichen Fahrzeuge, Muttsch ...oh Gott ... es ... es sind sicher außerirdische Kleinstwagen, die jetzt über die Straße sausen, Lais, diese ... diese winzigen Gleiter ! So nannte sie damals George und sie sind wie das eine Ding, weißt du, das damals dem riesigen Flugschiff gefolgt war, welches diese komischen Klebebälle auf uns hinab geworden hatte, entsinnst du dich Muttsch ?“
„Igitt, ja ! Ich erinnere mich nicht gerne daran !“ Muttchen schüttelte sich.
„Huch !“ ächzte Margrit.
„Was ist jetzt los ?“
„Na, die sind aber schnell ! Donnerwetter, jetzt sind sie schon im Wald !“
„Oh, Gott !“ stöhnte Muttchen verzweifelt. “Und ich höre sie noch immer nicht...”
„Macht nichts ! Hm ...jetzt fahren sie ziemlich ruckartig, wohl wegen der Bäume, die ihnen im Weg sind ! Sie benutzen kein Licht ... Licht kann man nämlich schon kilometerweit im Wald erkennen... ”
„Herr im Himmel ! Wie machen die das ? Stoßen sie dabei nicht an ? Ach, ach”, jammerte Muttchen. “Ich hätte es zu gerne gehabt, dass du heute, wenigstens das eine einzige Mal, ein wenig SPINNEN würdest ! Aber, es ist wohl wieder Mal die Wahrheit ! Sie kommen also ausgerechnet hierher. So ein Pech aber auch ! Und wenn sie uns hier finden, werden sie uns gleich abmurksen, nicht wahr ? He, was machen wir jetzt ?“
„Reg` dich nicht auf, Muttsch ! Denke lieber an dein Herz. Noch haben sie uns nicht entdeckt und der Wald ist groß. Vielleicht stoßen sie auch auf ein paar Wildschweine.“
„Meinst du, es gibt noch welche? Ich denke die Menschen haben alle aufgefressen ?“
„Um deine vorherige Frage zu beantworten: Ich vermute, dass es computergesteuerte Fortbewegungsmittel sind, die hochsensibel, also automatisch Widerstände umkurven, sonst könnten sie nicht derart schnell durch solch einen dschungelartigen Wald sausen ! Ooooh, oh, nein! Jetzt sind sie leider doch ganz nahe !Beweg` dich nicht, Mutsch. Beweg dich nicht ! Die Kinder ... die dürfen jetzt auf keinen Fall wach werden, geraten totsicher in Panik, wenn hier mit einem Male Hajeps aufkreuzen ... und halt den Kater fest !”
„Wie denn, wenn ich mich nicht regen soll ?“
„Ach ... hm ... na ja, Tiere lassen ja Hajeps eigentlich zufrieden ! Es heißt sogar, sie wären tierlieb !“
„Wie mich das jetzt rührt, Margrit !“ fauchte Muttchen.
”Nanu ?“
„Du machst mich wahnsinnig !“
„Na, plötzlich wird gebremst !“
„Hast du sie tatsächlich bremsen hören ? Nein, nein, Munk, du kommst jetzt nicht in den Korb ! Ach, dieser verflixte Kater, stell` dir vor, er ist gerade an mir hochgeklettert ! ”
„Dann schmeiß` ihn eben wieder runter ... etwa einen Kilometer entfernt von uns haben sie gestoppt ! Oh, das Haus! Davor haben sie also gehalten, denn es kommt jetzt mächtig viel Lärm vom Haus rüber ! Der Hund bellt, oh Gott, regt der sich vielleicht auf...”
„Munk auch“, warf Muttchen ein, “hörst du ihn, wie der faucht ? Er kann Hunde nicht ausstehen ! ”
„Ist mir jetzt egal ! Da, eine Frauenstimme gemahnt den Hund zur Ruhe. Jetzt höre ich Männer ! Die Frau wird wohl ausgefragt, denn ihre Antworten klingen zögernd. Es sind wirklich Außerirdische! ”
„So ? Woran willst du erkennen, dass es Außerirdische sind? Du verstehst doch kaum, was gesprochen wird, oder ?”
„Ganz recht, ich verstehe nichts, jedoch sind Klang und Betonung ganz anders als bei uns ! Jetzt wird es spannend ! Komm, wir schleichen uns näher, Muttsch !“
„Auf gar keinen Fall, bist du denn verrückt geworden ?“
„He, jetzt ist es wieder völlig still !“
„Ja und, hast du sie denn wegfahren hören ?“
„Stimmt, hast Recht, warten wir also lieber noch ein bisschen. Aber mir ist mächtig kalt, wenn man so ewig still stehen muss, dir nicht ?“
„Brrrr, ja, weißt doch, was für eine Frostbeule ich bin !“
Dennoch harrten sie tapfer für etwa eine gute Viertelstunde aus.
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Alt 17.01.2005, 16:38   #36
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 36

Doch dann drangen wieder Laute zu ihnen.
„Verdammt, sie sind leider immer noch da ! Und was machen wir nun, Muttsch ?“
„K...keine Ahnung, brrr ist mir k---kalt ! Schätze, wir müssen uns doch irgendwie bewegen !“
„Oh Gott, die Außerirdischen müssen wohl etwas kolossal Wichtiges bei diesen Menschen entdeckt haben.
Etwas, was diese Menschen wohl nicht haben durften, denn jetzt schimpfen sie die Frau aus. Die jammert, gibt irgendwelche Erklärungen ab, doch sie werden immer ungehaltener ! Oh Gott, jetzt schreit sie ... Stille ! Wimmert, hat wohl Schmerzen! Sie fragen sie wieder etwas. Sie antwortet ! Huch ! Huuuch ! Mir wird schlecht !“ Margrit würgte sich plötzlich. “Das ist ja kaum auszuhalten! ”
„Was denn ?“ keuchte Muttchen. “Bitte, beruhige dich doch ... oh, Gott, jetzt höre ich es auch, trotz meiner altersschwachen Ohren ! Das sind ja fürchterliche Schreie! M...meinst du etwa, dass diese Frau?“ Sie brach ab.
Beide schwiegen und lauschten entsetzt.
„Türen im Hause werden jetzt aufgerissen ... sie ... sie stürmen das Haus ! Jetzt auch noch eine verzweifelte Männerstimme ! Lautes Gezeter ! Mensch Munk, lass` doch endlich das Fahrrad in Ruhe ! Verdammt noch mal ! Der Mann weint, bettelt ebenfalls, versucht sich wortreich zu verteidigen. Er wird trotzdem angebrüllt ... nach draußen gezerrt ... jetzt schreit auch der Mann schmerzerfüllt...“
„Oh Gott, oh Gott, oh Gott!” ächzte Muttchen verzweifelt. “.Und wir können den beiden nicht helfen! Was machen wir nur ? ”
„Ganz ruhig bleiben Mutsch ! Jetzt ist es nämlich vorbei ... Stille ... nein ... ich höre immer noch Männerstimmen ... sind diesmal sehr leise ... Lais werden wieder in Gang gesetz t...sie fahren, äh, fliegen ...e ntfernen sich, wieder ohne Licht. Du lieber Himmel, sind die schnell. Ich kann es noch immer nicht fassen ! Da ... schon sind sie zum Wald hinaus !“
„Sie sind wieder auf der Straße ?“
„Richtig ! Sausen zurück irgendwo hin...”
“...und ?“
„Weg, sie sind weg, Muttsch ! Wir haben es geswchafft !“
„Gott sei Dank ! Puh ! Und wo sollen wir nun hin ?“
„Natürlich zur Hütte !“
„Auf gar keinen Fall !“
„Hast du etwa Angst vor den Leichen ? Was glaubst du wohl, was ich heute schon so alles gesehen habe ! Und du hast gewiss auch schon so einiges Unappetitliches hinter dir, Mutsch. Wir brauchen aber ein Dach über dem Kopf. Oder hast du vor, nur deswegen hier zu erfrieren ?“
„Hab` ich natürlich nicht ! Aber vielleicht sind da noch Außerirdische und wir laufen denen mitten in die ausgebreiteten Ärmchen hinein !“
„Unsinn, da befinden sich außer dieser Leichen nur noch die Ziege ... aha... da meckert sie ! Die Hühner gackern noch immer aufgeregt. Alles kommt aus dieser Richtung, und der Hund lebt auch noch !“
„Wie beruhigend ! Nachher beißt der uns ? Du weißt, es gibt derzeit sehr viele verwilderte Hunde !“
„Ach, los ! Komm schon, Muttsch !“
„Wie denn ? Kann nichts sehen ! Laufe ohnehin fast nur gebückt, um ständig Wurzeln und Zweige aus den Speichen zu popeln!“
„Es wird besser ! Ich fühle hier einen Weg ! Komm doch endlich ! Nein, nicht du, Munk ! Lauf ` nicht ständig vor`s Rad, verrückter Kater !“
„Munk ist nicht verrückt. Er ist nur ein bisschen unaufmerksam !“ knurrte Mutsch, folgte aber ihrer Tochter gehorsam.
Nach einer Weile sahen sie tatsächlich nur noch ca. fünfzig Meter von sich entfernt ein sehr schwaches, kleines Lampenlicht durch Zweige und Blätterfächer schimmern. Der Hund schien sich inzwischen beruhigt zu haben. Margrit sowie Muttchen lehnten die schweren Räder geschickt an die Bäume - es war schon erstaunlich, welch einen festen Schlaf Kinder haben konnten, denn sie wurden dabei nicht wach - und die beiden Frauen schlichen leise umher, Muttchen aus dem Grunde, da sie sich noch mehr bewegen musste, damit die Kälte nicht all zu sehr in ihre Glieder kroch, denn sämtliche Decken hatte man ja bereits um die schlafenden Kinder gewickelt und Margrit, weil sie zur Hütte, jedoch zuvor nach einem kräftigen Knüppel suchen wollte.
Munk suchte derweil auch ... nämlich ein nettes Plätzchen unter einem Holunderbusch auf, kreiste dort einige Male trampelnd hin und her und ringsherum und schließlich rollte er sich ächzend zusammen.
Margrit hatte einen ziemlich dicken Ast gefunden, lief vorwärts, diesen wie eine Waffe in der schmalen Hand haltend, um einen eventuellen Angriff des Hundes abzuwehren.
Sie war nie ein besonders aggressiver und daher kämpferischer Mensch gewesen, und wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie regelrechten „Bammel” davor hatte, dem offenbar recht großem (nach seinem Gebell zu urteilen ), womöglich halb verwildertem Hund zu begegnen.
Außerdem war sie sich nicht sicher, ob das wirklich gute Menschen waren, die hier so tief im Wald versteckt gehaust hatten und vielleicht noch am Leben sein konnten. Sie war zu müde, um zuerst vorsichtig das ganze Häuschen im großen Bogen zu umkreisen und ging stattdessen gleich von einer Seite mehr oder weniger zügig auf das Lichtlein zu.
Der Weg war länger als ihre kurzsichtigen Augen geschätzt hatten und unterwegs trat sie auch noch in einen, Gott sei Dank recht flach angelegten, Forellentümpel ! Mit nassen, eiskalten Füßen tappte sie weiter auf das Licht zu.
Plötzlich geschah es ! Ein schwarzer, riesengroßer Schatten stürzte mit lautem, wütendem Gebell auf sie zu. Der Hund schnappte nach ihrem rechten Handgelenk, als sie sich von ihm fortdrehen wollte und schlug die scharfen Zähne in ihre glücklicherweise recht dick gefütterte Jacke.
Margrit schrie gellend auf und begann nun, zuerst zaghaft, dann immer kräftiger, mit ihrer Linken, die den Stock hielt, auf den Rücken des knurrenden Hundes einzuschlagen. Er ließ den Ärmel los und schnappte nach dieser Hand, sie zog sie zurück, aber zu spät ! Der scharfe Reißzahn hatte ihr schon den Handrücken aufgerissen. Und nun fuhr das gefährliche Maul hoch, wollte sie dabei zu Boden werfen, gierte nach ihrem Hals.
Mit weit aufgerissenen Augen warf Margrit Kopf und Oberkörper zurück, und diesmal hatte sie keine Skrupel dem Tier ins Gesicht zu schlagen. Sie schlug, schreiend und schluchzend in dessen Richtung und traf tatsächlich.
Blut troff zu ihrer Überraschung aus der Schnauze des schwarzen Ungeheuers, während es von tödlicher Wut getrieben, an ihr weiter hochsprang. Gerade noch rechtzeitig konnte sich Margrit den Arm vor den Hals schieben, in den sich der Hund nun mit vor Ekstase schäumendem Maul verbiss.
„Bodo !“ hörte Margrit plötzlich eine schwache Männerstimme.
„Aus, sage ich, AUS ! Komm hierher ... zu mir ... ZU MIR !“
Jetzt erst merkte Margrit, dass die Tür aufgegangen war und sie deshalb von gleißendem Licht angestrahlt wurde, das aus der erleuchteten Wohnung kam. Die Stimme gehörte einer untersetzten, männlichen, leicht taumelnden Schattengestalt, die sich silhouettenhaft zur Helligkeit abhob.
Der Mann tätschelte jetzt linkisch die breite Stirn des Hundes, der geduckt und winselnd zu ihm gekrochen war, und murmelte leise beruhigende Worte dabei. “Hast brav gemacht, mein Alter !“ glaubte Margrit dabei immer wieder herauszuhören und sie wischte sich zornig das Blut vom Mund, über den vorhin ihr eigener offener Handrücken gestrichen war.
„Was wollen Sie hier auf meinem Grundstück ?“ wandte sich nun der Mann Margrit vorwurfsvoll zu.
„Machen Sie doch einen Zaun darum, wenn Sie so einen hochgefähr...“, Margrit hatte bemerkt, dass der Kerl in der anderen Hand ein Gewehr hielt und sie atmete daher etwas gepresster, “also ... wenn Sie sich solch einen hochgefährlichen Köter halten. Er hätte mich beinahe getötet.“
„Köter ?“ wiederholte der Mann mit schwerer Zunge. “Achten Sie mal ein bisschen darauf, was Sie hier sagen ! Sonst könnte es sein...“, er hob schwankend und demonstrativ die Waffe, blickte dann aber auf seinen Hund, “...dass mein Bodo nervös wird. Er wird schnell nervös, wissen Sie und er kann bestimmte Leute einfach nicht leiden !“ Er glotzte nun recht bedeutsam auf Margrit. “Darin sind wir uns sehr ähnlich, mein Bodo und ich !“
„Es erstaunt mich, dass sie so große Ähnlichkeiten mit Hunden haben, aber...“, Margrit brach entsetzt ab. Was hatte sie da gesagt ? War sie denn von allen guten Geistern verlassen ?
„Bodo ?“ brüllte der Mann. Dieser spitzte die kurzen Ohren und duckte den Körper, zögernd wedelte er mit dem Schwanz. “Bodo, fass sie ... FAß !“
Margrit machte auf dem Absatz kehrt, hörte das geifernde, erregte Gekläff des Hundes hinter sich, aber es war zu spät ! `Aus !` dachte sie. `Aus und vorbei !`
„Bodo ! Bodoooo !“ hörte sie plötzlich eine völlig andere Männerstimme. “Komm zu Robert, los komm ! Ja, fein ! Bist ein guter Hund, jaja !“
Margrit hielt den Atem an, glaubte nicht recht gehört zu haben. Das war doch Georges Stimme ? Er nannte sich plötzlich Robert. Warum ? Obwohl noch ihr Herz von all dem schrecklich Erlebten wie rasend schlug, drehte sie sich langsam herum, blinzelte zu ihm in die Helligkeit.
Tatsächlich dort stand - ER - George ! Jedenfalls, soweit sie das bei diesem Licht erkennen konnte. Die Hajeps hatten ihn also damals und auch heute nicht getötet.
„Seit wann hetzt du eigentlich den treuen Bodo auf hilflose Frauen, Onkel Achim ?“ erkundigte sich der schlanke und riesengroße Bursche und strich dem leise winselndem Hund über das Fell.
Der ältere Mann lachte nun ein wenig verschämt. “Man wird doch wohl einen kleinen Scherz machen dürfen mit unerbetenen Besuchern, he, he, he ?“
„Das ist kein ...äh... Dieb, Onkel Achim. Wir sind alle in Not !“
„Papperlapapp !“ Der Alte machte eine missmutige Handbewegung und wollte sich leicht taumelnd an dem Jungen vorbei ins Haus schieben.
„Es ist Krieg, mein Junge“, schnaufte er, während er sich an ihm abstützte. Er stöhnte jetzt schmerzerfüllt. “Du weißt, ich habe das vorhin am eigenen Leibe erfahren. Gott sei Dank bist du noch rechtzeitig gekommen und hast sie beruhigen können ... ich hab`s überlebt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Du scheinst das Weib dort zu mögen ! Also wenn sie dich interessiert - bitte !“ Der Alte streckte unwirsch den Arm nach ihr aus. “Mach doch mit der, was du willst. Polizei gibt es ja ohnehin schon lange nicht mehr. Keiner kräht mehr danach, wenn hier jemand spurlos verschwindet und irgendwie hast du ja Recht ! Wer weiß, wann uns je wieder etwas Weibliches in dieser Einsamkeit vor die Flinte läuft ... hahaha !“
Margrits Herz schien plötzlich eine eisige Faust zu umklammern, dann wendete sie sich herum, rannte weg, immer weiter und weiter, so schnell sie nur die Füße tragen konnten, nur nicht in die Richtung, wo Muttchen mit den Kindern wartete, sondern nur ein gutes Stück in den Wald hinein. Keuchend, nach Atem ringend hielt sie erst einmal an und dachte gründlich nach. War die große, jugendliche Männergestalt vor dem Haus tatsächlich Gorge gewesen ? Oder konnte er etwa einen Zwillingsbruder haben ? Warum hatten die Leute hier, besonders der Alte, ein solch entsetzliches Verhältnis zu Frauen ?
„Ha, die ist aber gelaufen, hast du gesehen ?“ wurde ihr plötzlich vom Wind zugetragen. “Ich sag` dir, so musst du`s immer machen, dann kommen die Leute nie mehr wieder ! ”
Margrit war überrascht. Sie stand so günstig, dass sie, wenn sie sich konzentrierte, fast jedes Wort verstand.
„Hast du dabei auch an Rekomp Nireneska gedacht ? Der braucht nämlich wieder neue Menschen ! Ach, du bist ja nur wütend, weil dich diese drei Loteken vorhin verprügelt haben.!“
„Nicht nur mich, mein Lieber, auch die Hilde. Hast du sie dir mal angesehen, wie sie jetzt ausschaut ?“
„Ich kann nichts dafür, Onkel Achim !“ Der junge Kerl hörte sich zornig an. “Auch nicht dafür, dass du wieder getrunken hast !“
„Ach, das bisschen, was ich getrunken habe!“
„...kann aber sehr entscheidend gewesen sein !“ führte der Bursche dessen Satz zu Ende. “Denn wer weiß, was für einen Blödsinn du so daher geredet hast, nachdem sie die vier Lais im Heuschober entdeckt hatten.“
„Sie haben aber zuerst die Hilde verhört ! So, was sagst du nun ! Also muss DIE den ganzen Unsinn geschwafelt haben...“
„Hilde redet aber meist keinen Blech. Sie ist ein besonnener Mensch !“
„Das sagst du so ! Sie war sehr erschrocken, nachdem die Loteken die Lais gefunden hatten, obwohl sie so gut unter Decken und Heu versteckt gewesen waren.“
„Hat sie denn gar keine Ausrede parat gehabt ?“
„Doch., aber der Solmaki jener Loteken fand ein Trowenhaar auf dem Sitz !“
„Verdammt!“ Der Bursche stampfte hilflos und zornig mit dem Fuß auf. “Dabei haben wir so aufgepasst !“
„Da wollten sie natürlich sofort wissen, wo wir denn die primitiven, stinkenden und elenden Trowes versteckt hielten. Ja, genau so haben sie es gesagt ! Oh Gott, jetzt fällt mit ein, was wir uns da mit den Trowes geleistet haben, wird sicher auch bald Rekomp Nireneska zu Ohren kommen ! Und was machen wir dann ? Der ... der wird bald gar nicht mehr gut auf uns zu sprechen sein ! He, wer weiß, was er mit uns macht ?“„
„Schschscht... ! ” wisperte jetzt der Bursche aufgeregt. “Ich bin mir nicht sicher, ob die Frau noch in der Nähe ist und uns hört ?“
„Ach was, das Weibstück ist sicher sehr weit gelaufen. Bodo würde sonst nervöser sein. Schau nur, er ist ganz ruhig!”
„Aber manchmal ist er auch faul und vernachlässigt sein Wachamt,Onkel Achim ! Ich darf dich dabei an einige Momente erinnern, die...”
„Papperlapapp ! Außerdem, glaub` mir, kein Mensch hat solche Ohren, um uns aus so weiter Ferne zu hören ! ”
„Ach, ja ? Weißt du denn, wie weit diese Frau eigentlich entfernt ist ?“
„Ist mir piepegal ! Was soll die uns schon groß tun ! Die wird sich schwer hüten, zu Rekomp Nireneska, geschweige denn zu den Loteken zu laufen, um über uns zu petzen !“
„Du meinst, sie ist weder ein von Rekomp Chiu-Natra noch von dem Montio Sotam-Sogi entsandter Pajonit ?“
„So siehst sie nicht aus !“
„Das kann man nicht sehen, Onkel Achim !“.
„Weiß` ich doch ! Aber die ist bestimmt bereits meilenweit von uns entfernt ! Glaub` mir, ich habe eine gute Menschenkenntnis ! Hat` sich zu sehr erschrocken !“
„Mein lieber Onkel, du hast jedenfalls eine Fahne, die man bereits meilenweit riecht.“ Er lachte. “Wie bist du eigentlich schon wieder zu diesem Fusel gekommen ? Los, sag` es mir !“
„Verrat` ich nicht ! Aua, du tust mir weh ! Chiu-natras Schergen haben mich bereits genug gebeutelt ! Ganz nebenbei, ich verstehe nicht, weshalb ausgerechnet Rekomp Chiu-natra, das höchste Oberhaupt sämtlicher lotekischer Heerscharen, solch einen Wert auf die Festnahme von ein paar harmlosen Trowes legen kann.“
„Haben sie was` rausgekriegt ?”
„Nie und nimmer! Kennst uns ja ! Außerdem weiß ich wirklich nicht, wo diese Trowes stecken sollen. Du kannst von Glück reden, dass du und Dagmar gerade um diese Zeit fort wart, um nach den Kaninchenfallen zu gucken.“
„Ja, du hast Recht ! Armer Onkel ! Wirklich, ich finde es auch reichlich stark, was wir uns neuerdings so alles gerade von Loteken gefallen lassen müssen, denn schließlich ist das hier ja hajeptisches Hoheitsgebiet ! Hatten denn diese drei Loteken irgendeine Zustimmung unseres Rekomps, dass sie hier dermaßen rigoros vorgehen zu durften ?“
„Nein, sie kannten ihn gar nicht mal !“
„Eigenartig !“
Und was sagst du zu diesen vielen Menschen, die hier in großen Massen plötzlich hereinströmen dürfen ?“
„Verstehe ich ebenso wenig wie du ! Montio Sotam-Sogi scheint das alles plötzlich nicht mehr zu interessieren ! Gut, dass wir noch...” Er brach ab, denn der Hund begann wieder von neuem zu knurren.
„Sehr richtig, die Jisken haben ja auch ... arrgh ! Was ist los? Spinnst du ? Nun tut mir der Arm erst recht weh !“
„T`schuldigung, Onkel Achim !“ ächzte der Junge. “Aber du solltest jetzt lieber still sein !“ Er ließ den Alten los und blickte auf den Hund, dessen Rückenfell sich gesträubt hatte. Anscheinend befand sich wieder jemand auf dem Grundstück. Sollte er den Hund in die Dunkelheit losflitzen lassen oder nicht ? Wenn es die drei Loteken waren, die zurückkamen, hatte das überhaupt keinen Sinn. Sie waren meist ebenso hoch technisiert, wie die Hajeps. Allerdings schossen sämtliche Außerirdische meist nur mit harmlosen Lähmungsstrahlen auf Tiere, die ihnen gefährlich erschienen. Sie töteten oder verletzten sie selten. Jedoch ein knurrender, womöglich beißender Hund würde vielleicht ihren Zorn entfachen. Rekomp Nireneska zum Beispiel würde Bodo womöglich von einer Sekunde auf die andere mit einem Fingerschnippen sterben lassen ! Bodo war nämlich hierfür vor langer Zeit ein winziges Arenso (Plättchen) von den Hajeps unter die Haut gepflanzt worden, dass einen Sprengsatz enthalten sollte, der so intelligent war, dass er auf spezielle Geräusche reagierte. So hatte man ihm das jedenfalls erklärt. Doch das konnte auch eine kleine Lüge gewesen sein, sicher war man darin bei Hajeps nie. Aus diesem Grunde hielt er lieber den Hund beim Halsband fest und spähte unsicher umher. Da sah er sie, Donnerwetter, es war die selbe Frau von vorhin, sie war sehr mutig, denn sie war wiedergekommen.
Der Bursche nahm, im Gegensatz zu seinem verstörten Onkel, eine ausgesprochen selbstbewusste Haltung an. “Oh, hallo !“ rief er Margrit freundlich zu und diese erwiderte ebenso seinen Gruß. “Sie sind aber heorisch !“meinte er weiter. “Und da ich sehe, dass Sie nicht abzuschütteln sind, mögen Sie unser Gast sein. Entschuldigen Sie den etwas rustikalen Empfang von vorhin, aber es kommen neuerdings wirklich zu viel Leute, um bei uns eine Bleibe zu suchen. Wir leben auch nur von Wasser und Brot, das wir nicht teilen können und es ist in diesem kleinen Häuschen sehr eng. Wem wir hier erst einmal ein Lager angeboten haben, der will uns nicht mehr verlassen.” Der Junge lachte sarkastisch. ”Und es ist schon vorgekommen, dass uns Leute aus unserem eigenen Haus vertreiben wollten, da sie meinten, stärker als wir, oder uns zahlenmäßig überlegen zu sein.“ Er räusperte sich und rieb sich dann über die Nase. “Dieser Selbsterhaltungstrieb ist zwar verständlich, denn kaum jemand hat noch eine anständige Bleibe, doch auch wir wollen leben, was bei dieser Not kaum jemand einsehen will ! Daher wollte mein Onkel sie zunächst vertreiben.“
Margrit nickte, denn das hatte sie nach einigem Nachdenken vorhin selbst herausgefunden.
“...aber nun...” fuhr der Bursche fort und zuckte hilflos mit den Achseln.
“...haben Sie sich`s anders überlegt ?“ fragte Margrit.
„Sie hat`s erfasst !“ Er lachte halb verärgert halb belustigt.
„Und wenn Sie`s genau wissen wollen ... ich schäme mich sogar und hoffe der Hund hat sie nicht all zu sehr verletzt - aha - die Hand ! Sie halten die so komisch ! Na ja, die kriegen wir schon wieder hin. Aber zur Zeit geht alles bei uns drunter und drüber!“ Er schob sich mit einer unwirschen Geste das Haar aus der Stirn, ganz wie George es immer getan hatte und bückte sich zu dem Hund hinunter.
Der Alte verzog sich währenddessen zwar taumelnd, aber dennoch erstaunlich schnell ins Haus. Von drinnen vernahm Margrit wenig später die aufgebrachte Stimme einer älteren Frau. Der Mann antwortete einsilbig und missmutig. Margrit ahnte, worüber man sprach. `Die ganze Aufregung brachten zuerst Loteken - nein, zuerst müssen ja die Trowes da gewesen sein ! - und nun bringe ich diese Unruhe hier herein !` sagte sich Margrit betroffen. Dann ging plötzlich von hinten eine Tür und die Stimme eines jungen Mädchens war zu hören.
„Dagmar !“ rief der Junge, der sie wohl auch vernommen hatte und offenbar dabei Erleichterung verspürte. “Nimm mir doch bitte mal eben “Bodi“ ab.“
Margrit hörte schnelle, leichte Schritte und schon kam die junge Frau aus dem Haus gelaufen. Sie bewegte sich im Lichtschein, der aus der Tür leuchtete, und mochte, soweit Margrit das erkennen konnte, etwa so alt wie der Bursche sein, der sich Robert nannte. Sie hatte schulterlanges Haar, das ihr offen über den viel zu großen Pullover fiel und sie trug ausgeleierte Jeans. Ihre Füße steckten in schlabbrigen Stoffturnschuhen, so wie Margrit sie hatte. Sie schien ihr im Dunklen freundlich zuzulächeln.
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Alt 17.01.2005, 16:43   #37
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 37

„Hallo !“ murmelte sie, während sie dem Jungen das Halsband aus der Hand nahm und dabei mächtig viel Bewegung in den riesigen Hund kam. “Haben Sie unsere drei Männer sehr erschreckt ?“
Margrit nickte stumm. Offensichtlich zählte das Mädchen den Hund dazu. “Keine Angst“, fuhr die junge Frau fort. “Die drei tun nur so. In Wirklichkeit...“
„Waaas ?“ unterbrach sie der Junge entrüstet. “Nur Bodo und Onkel Achim haben sich daneben benommen. Ich dagegen habe mich der Gegebenheit angemessen verhalten !“ Er tippte sich aufgeregt an die Brust.
Sie küsste ihn auf die Nase. “Das weiß ich ja. Schließlich hast du jemanden, von dem du weißt, dass er auf dich aufpasst - mich !“
„Auch ohne dich würde ich nicht so wirr daherschwätzen und Hunde auf Menschen hetzen wie Onkel Achim !“
Nun wurde das Mädchen ärgerlich. “Onkel Achim ist nicht mehr ganz hier !“Sie tippte sich an die Stirn. “Das weißt du doch ! Durch die ...hm... naja... so geworden...und, dass er trinkt...“, sie senkte betrübt den Kopf, "... macht die Sache auch nicht besser.“
Sie zog nun den hechelnden und ständig schwanzwedelnden Hund am Halsband hinter sich her und lief mit ihm ums Haus, bis sie vom Dunkel verschluckt wurde.
Inzwischen ging der junge Mann auf Margrit zu, knipste eine Taschenlampe an. “Robert de Mesá, mein Name!“ stellte er sich vor und streckte ihr freundlich die freie Hand entgegen. Margrit erstarrte. Nicht nur, weil sie das plötzliche Licht blendete, sondern auch wegen des Namens. War der nicht auch Georges Nachname gewesen ? Aber der Mann war nicht George, sie blinzelte, versuchte ihre Augen an`s Licht zu gewöhnen, auch wenn er dem in Größe, Körperbau und all seinen Bewegungen ähnelte. Sein Gesicht war hager, schmaler, irgendwie auch die Form seiner Lippen anders, weicher und voller, die Nase nicht so aristokratisch, sondern eher breit und knubbelig, die Stirn schon etwas gelichtet ... also wohl wesentlich älter als George. Außerdem erschien er Margrit nicht ganz so groß und trug eine Brille mit Drahtbügel.
„Ich bin Irmgard ... Irmgard Müller !“ log Margrit, denn irgendwie misstraute sie ihm, sie wusste auch nicht warum!“ Haben Sie zufällig einen Bruder, der George heißt ?“ hörte sie sich schon fragen, ehe er ihre – die unverletzte - Hand ergreifen konnte.
Er stierte sie entgeistert und mit offenem Munde an. “Sie kennen George ?“ dann hustete er. “Ich meine ... ist er... ist er Ihnen begegnet ?“
Margrit schwieg und seine Augen bohrten sich regelrecht in ihre, so als ob wahnsinnig viel von dieser Antwort abhinge.
Sie war noch immer misstrauisch. Was spielte sich hier eigentlich ab ?“ Sie sind also Georges Bruder ?“ fragte sie einfach wieder zurück, feindlich seinem stechenden Blick begegnend.
„Nein !“ Der Blick ging endlich zu Boden. “George ist mein Cousin ! Aber er ist bei uns aufgewachsen ! Er war immer unser Nesthäkchen. Wissen Sie, stets eigenwillig. In letzter Zeit gingen unsere Meinungen sehr auseinander. Vielleicht lag das auch an Dagmar.“ Er schaute sich nach der jungen Frau um, die jetzt ohne Hund wieder aus dem Schatten kam, fröhlich ein Liedchen vor sich hin summend. Sie schien Robert und Margrit zuzulächeln und verschwand dann im Haus, wo die Alte sie seltsamer Weise wieder mit einem heftigen Wortschwall empfing.
„Er hat Dagmar sehr verehrt, so wie ich !“ fuhr Robert leise fort. „Ich siegte bei ihr ! Das hat er nicht verkraftet. Dabei war er noch so jung. Zwölf Jahre jünger als sie. Ich kann das alles nicht begreifen !“ Er sah sie wieder fragend an. “Und nun ? Ist er Ihnen begegnet ?“
Margrit nickte zögerlich.
„Oh Gott, das ist ... ist wirklich ein WUNDER !“ stieß er erleichtert aus. “Ach, Sie wissen ja, wie es in diesen schrecklichen Zeiten ist ! Man kann nicht mehr damit rechnen, sich wiederzusehen ! Der Tod schwingt immer schneller die Sense. Wir können ihn nicht aufhalten !“
Der Mann sah so traurig aus, dass plötzlich Mitleid Margrits anfängliche Skepsis zu vertreiben suchte. “S...so, schlimm...“, stotterte sie darum, “...sollte man das alles nun doch nicht sehen. Ich meine ... so... ohne Hoffnung ! ”
„D...ddas sind genau Georges Worte !“ rief er fassungslos. “Die reinste Seelenverwandtschaft ! Und ich dachte immer, die Welt hätte nicht mehr ganz so viele Verrückte parat !“ Er spielte nervös an seinem schmalen Brillenbügel herum. „Denn auf was sollte man denn noch großartig hoffen ?“
„Ich weiß es nicht. Aber man sollte ruhig an das Gute glauben, selbst wenn es schwächer als das Böse zu sein scheint!“ fauchte Margrit.
Er kicherte in sich hinein. “Sie meinen also, da gibt es etwas Böses und etwas Gutes, was auf unserer alten Erde plötzlich herumspukt ?“
„Schon immer ! Und das nicht nur auf der Erde ! Zwei sonderbare, nicht erklärbare Mächte kämpfen erbittert gegeneinander ! Wir Menschen müssen dabei nur wissen, auf welcher Seite wir stehen, dann wird uns schon etwas einfallen !“
„Sehr süß, diese Erklärung ! Die Wahrheit aber ist: eine neue Spezies wird sich in ungefähr vier Jahren auf dieser Erde völlig ausgebreitet haben. Uns...”, er schluckte, “...har es dann mal gegeben ! Ja ja, so ist es mit der Natur. Da gibt es eben keine Mächte ! Nur Materie! Stärkere vertreiben Schwächere, das ist ganz natürlich ! So war es schon immer! Das sind die brutalen Gesetze des Lebens !“
„So sehe ich das nicht !“ konterte Margrit abermals, jedoch sehr viel leiser.
„Mag sein, aber so ist es nun mal ! ” Er nahm die Brille ab und putzte die energisch mit einem Hemdzipfel. “Tja, nun ist mein Cousin ja weg, und das wohl für immer !“ Er dachte kurz nach, ehe er hinzusetzte. „Das letzte, was ich noch von ihm weiß, ist, dass er nach Würzburg wollte, um Hajeps zu beobachten !“ Er schob sich die frisch geputzte Brille wieder auf seine Nase und blinzelte Margrit grinsend zu. “Er meinte nämlich, dass uns das vielleicht eines Tages nützten könnte !“ Robert lachte bei dieser Bemerkung abermals hart auf, jedoch fing er sich gleich wieder und fragte dann erneut. “Wo genau haben Sie denn George zuletzt gesehen ?“
„In der Nähe von Hornberg“, antwortete Margrit. „Er war mit uns aus dem gleichen Abteil gestiegen, hatte kaum Gepäck bei sich ! Schleppte die ganze Zeit nur so ein...“, sie brach plötzlich ab. Konnte sie das sagen ? Würde es dann für sie gefährlich werden ? Sie sah eigentlich keinen Grund. “...äh... so ein komisches Ding !“
„Komisches Ding ?“ Er grinste schief. “Also ... das müssen Sie mir wohl genauer beschreiben !“
„Na ja, das war etwa handgroß ... irgendeine komische Hajepmaschine halt !“
„Soso, eine Hajepmaschine !“ wieder lachte er. “Kann mir immer noch nichts vorstellen !“
„Sie war oval“, Margrit zeigte ihm die Form mit ihren Fingern. “Tja, zuerst habe ich gedacht, na ja, das wäre ein Kanten Brot !“ Nun lachten sie beide. “Oder so ein alter Stein ... aber da war Keilschrift drauf. Wenn man das Ding geputzt hatte glänzte es in einem schönen hellen Braun ... und dann ... na ja, war da - glaube ich - noch eine Schlange eingraviert. Sie hatte übrigens Ohren !“ Margrit prustete los, doch dann war ihr Lachen wie weggewischt, da er völlig ernst geblieben war. Außerdem glaubte Margrit, eine sonderbare Reaktion in Roberts scheinbar starrem Gesicht zu erkennen. Es schien ihr nämlich so, als würde er eine aufkeimende Freude aber auch ungeheuer große Sorge vor ihr zu verbergen suchen. Seine Augen funkelten und es zuckte um die Mundwinkel, dann folgte ein leichtes Schwanken seines Oberkörpers und die Hände ballten sich zu Fäusten. Er mühte sich nicht zu keuchen, als er sie fragte: “Und das hat er ihnen so einfach gezeigt ?“ Seine Augen flackerten jetzt richtig wild hinter der Brille. Aber das konnte sie sich auch bei der Finsternis eingebildet haben.
„Äh ... ja ?“ keuchte sie und mühte sich, nicht dabei rot zu werden, denn sie schämte sich plötzlich sehr. Ach, wie gut, dass es eine mondlose Nacht war ! „Hornberg wurde wenig später von Loteken überfallen“, fuhr sie schnellstens fort, um auf ein anderes Thema zu kommen. Merkwürdig, diesmal wirkte Robert weder überrascht noch erschüttert. ”Aha”, sagte er nur, “das haben diese Hornberger verdient, jawoll, VERDIENT ! Und weiter ?“ fragte er betont ruhig.
"George half einem Schwerverletztem aus diesem Dorf und...“
„Das ist typisch !“ fiel er ihr wütend ins Wort. “Wieder mal so richtig daneben !“ Er schnaufte aufgebracht. “Dabei hab` ich ihm gesagt, er soll sowas lassen. Und noch dazu war es gewiss ein Hornberger, aber der Kerl kann ja nie hören.“ Er räusperte sich und beruhigte sich mühsam. “Und ... wohin ist der dann gegangen ?“
„Er schleppte den Verletzten ins Gebirge...“
„Schleppte ?“ wiederholte er fassungslos.
„Nein, nein, mit dem Fahrrad...“ erklärte Margrit hastig.
„Na ja, wenigstens das !“ Robert wischte sich, schon wieder nervös geworden, über die Nase. “Haben Sie meinen Cousin während des ganzen Weges begleitet ?"
Margrit informierte Robert in kurzen Worten nun doch über alles, was sie von George wusste, außer, dass sie ihm die Sachen weggenommen hatten. Sie wusste zwar, dass dies irgendwie feig` war, aber sie wollte nicht noch einmal Bodos Zorn ausgesetzt sein.
Robert schwieg für einen Moment bekümmert und nachdenklich, nachdem Margrit geendet hatte, denn ihre Informationen stellten keinen Beweis dar, dass George noch lebte. Er zeigte sich jedoch höflich und geleitete Margrit ins Haus und stellte sie seiner Tante vor. Diese war ziemlich klein und für diese furchtbaren Zeiten geradezu frevlerisch rund, doch ihr Gesicht war derzeit rot geschwollen und ihre Lippen aufgesprungen und blutverkrustet. Für Margrit also ein sichtbares Zeichen, dass sie sich genau vor jener Frau befand, die vorhin so brutal von Loteken verhört worden war, und diese Tante war sarkastischerweise derart eifrig bemüht so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre, dass das allein schon verdächtig wirkte. Die ganze Atmosphäre war deshalb, obwohl Dagmar heißen Tee in die angesprungenen, meist henkellosen Tassen goss, und sie einander heiter zuprosteten, doch etwas gespannt. Robert erkundigte sich schließlich, ob Margrit alleine unterwegs wäre oder mit einer Familie, die vielleicht auf ihre Rückkehr wartete, was beinahe wie eine Aufforderung wirkte, endlich das Haus zu verlassen. Aber das Gegenteil war der Fall, denn es stellte sich heraus, dass die kleine Familie, zwar nur auf dem Fußboden der Wohnstube, aber ansonsten ruhig in diesem Hause übernachten durfte. Margrit, Muttchen und die Kinder waren so müde, dass sie auch im Hühnerstall genächtigt hätten, wäre da nur genügend Platz gewesen. Da Margrits ausgemergelter Körper kaum noch Abwehrstoffe hatte, puckerte und rumorte die von Dagmar verarztete Wunde die ganze Nacht.
Nach anfänglichem Protest des Onkels und leisem aufgeregten Getuschel der Tante, setzte schließlich die jüngere Generation durch, dass Margrit mit ihrer Familie sogar drei Tage bleiben konnte.
Margrit revanchierte sich, indem sie von ihrer Beute, die sie auf ihren Fahrrädern mitgeschleppt hatte, jenen eigenartigen Menschen etwas abgab. Im Laufe dieser Tage hatte man ausgiebig Zeit miteinander zu sprechen, obwohl sich Onkel sowie Tante stets zurückzogen und Margrit, nebst Muttchen ansonsten nur von weitem skeptisch beobachteten.
Während ihrer Unterhaltungen fiel Margrit dann auf, dass diese Menschen, obwohl sie so tief im Walde versteckt und von aller Welt entfernt lebten, geradezu beklemmend gut über vieles Bescheid wussten. Woher kam dieses ungeheure Wissen ?
„Zarakuma liegt achtzig Kilometer von uns entfernt, südöstlich“, erklärte Robert eines Tages beim Frühstück, genüsslich einen Brocken hartes Brot kauend. “Warum wollten Sie das eigentlich wissen ?“ Er spülte das trockene Gebäck mit dem von Dagmar gebrauten Tee herunter.
„Es wundert mich nur, wie die Hajeps die Menschen Coburgs vernichten konnten, ohne den geringsten Lärm zu machen“, erklärte Margrit ruhig. “Immerhin mussten sie ja bis dorthin erst einmal kommen. Ich frage mich, wie sie das auf so lautlose Weise gemacht haben ?
Robert hustete plötzlich hinter seiner Tasse. “Ein Krümel!“ entschuldigte er sich keuchend, dann stellte er die Tasse langsam auf den Tisch zurück, betrachte diese schweigend und düster, während sein Finger nervös hin und her über den Sprung an deren Rand strich, so als könne man ihn dadurch kitten. “Woher wollen Sie wissen, dass überhaupt Menschen in Coburg getötet worden sind ?“ fragte er schließlich sehr, sehr leise zurück. “Sie waren doch gar nicht dort. So haben Sie mir das jedenfalls eben geschildert.“
„Es war zu still für so eine große Stadt ... und auf dem in der Nähe liegenden Gehöft lagen Menschen, die einen unerklärlichen Tod gestorben waren. Sie hielten sich im übrigen die Ohren zu..“
„Soso, es war also zu still !“
„Ja, und mit den Vögeln stimmte auch irgendwas nicht !“
„Und nur deshalb haben Sie sich der Stadt einfach nicht mehr genähert ?“
„Meine Tochter hat”, begann Muttchen, plötzlich an Margrits Stelle, “ein sehr feines Ge...“
„Zufall !” fiel ihr Margrit ins Wort. “Reine Spekulation, wissen Sie, weiter nichts !“
„So, so !“ Robert hatte aufgehört, mit der Tasse zu spielen und sich stattdessen sein unrasiertes Kinn vorgenommen. “Und wie konnten Sie unser Haus mitten im Wald finden ?“ Er versuchte, drei Härchen aus seinem Kinn zu rupfen.
„Das ist es ja eben, Margrit kann sehr gut...“
„Ebenfalls Zufall !“ schmetterte Margrit wieder dazwischen.
„Soso, immer solche Zufälle !“ wiederholte Robert, seine Hand fiel schlaff auf den Tisch und seine Augen blitzten Margrit seltsam an.
”Ich habe gehört, dass Hajeps neuerdings Menschen gegen Menschen einsetzen”, knurrte Margrit feindlich.
„Nicht neuerdings, sondern schon immer !“ erklärte Robert sehr leise und wendete seinen merkwürdigen Blick kaum von ihr ab. “Irmgard“, sagte er bedächtig, “Sie können also ungewöhnlich gut hören und haben eine ziemlich scharfe Beobachtungsgabe !”
Margrit überging diese Bemerkung und fragte stattdessen. “Anscheinend kennen sie Menschen, die für die Außerirdischen arb...?“ Margrit konnte seltsamerweise nicht mehr sprechen, denn sie hatte plötzlich einen Klos im Halse.
”...die für unsere Eroberer arbeiten, ja !“ setzte er einfach ihren Satz fort. “Und welche besonderen Gaben haben
nun Sie ?“fragte er Muttchen.
„K...keine !“ stotterte Muttchen verdutzt.
„Und sie hat auch k...k...keine Angst, nee !“ unterstützte sie Tobias, der ebenfalls mit am Tisch saß, obwohl er wie alle Kinder in diesem Alter kaum etwas von dem verstand, was sich Erwachsene so im allgemeinen zu erzählen haben.
„Also ...äh... ich habe mal vor langer Zeit gehört, dass es sogar Menschen gibt“, fuhr Margrit heroisch fort und erntete dafür auch sogleich nicht nur einen bewundernden Blick ihres Sohnes, sondern auch von Muttchen, “die sich unter die Einwohner größerer Städte mischen, dort harmlose Gegenstände “verlieren“, die in Wahrheit “Suro...“, na, wie heißen doch diese Dinger ? Verdammt jetzt hab` ich`s vergessen !“ Sie rieb sich verwirrt die Stirn.
„Siranis !“ Robert schaute Margrit weiterhin unverwandt an, das Kinn jetzt in die Hände gestützt und grinste breit. Lachte er sie etwa aus ?
„Ah ja, Siranis!“ knurrte Margrit. ”Also, das sind wohl Maschinen, die nach einiger Zeit Schallwellen aussenden, die zwar nicht hörbar sind, jedoch zur Taubheit und dann zur völligen Zerstörung des Gehirns führen. “Sie räusperte sich um endlich den lästigen Klos im Halse loszuwerden. ”Natürlich haben diese Hajephörigen bereits vorher die entsprechende Stadt verlassen.”
„Ja, und ?“ knurrte Robert. “Warum sollten sie das nicht tun ? Irmgard, was haben sie gegen diese Leute ?“
„Na, Sie sind gut !“ empörte sich Margrit. “Haben Sie denn etwa nichts gegen Verräter ?“
„In meinen Augen sind das auch nur Menschen ...Menschen in Not... weiter nichts !“
„Nein, mein Lieber, dafür gibt`s keine Entschuldigung !“
„Soso ! Ach, Irmgard, da fällt mir ein, wissen Sie, dass unser guter hajeptischer Rekomp Nireneska im Moment dringend ungewöhnliche Menschen brau...äh...sucht ?“ fragte er wieder völlig übergangslos.
Nun war es direkt hinaus, aber Margrits Augen blitzten ihn nur böse an. “Wenn sie denken, dass ich für den Feind arbeite, dann haben sie sich geschnitten!“
„Ich habe mich auch schon mal eingeschnitten !“ trällerte Julchen dazwischen. “Und die Oma, diiie...“
„Ruhe, Julchen !“
„Oh, ich will Ihnen beileibe nicht zu Nahe treten“, Robert hob abwehrend beide Hände und wedelte damit in gespielter Verzweiflung herum, “aber sein Sie doch nicht so stur,. stur wie einige...“ Er senkte die Arme wieder und runzelte stattdessen missbilligend die Stirn. “Wenn Sie schon nicht an sich selbst denken können, dann bitte doch an ihre Familie. Sie haben so nette Kinder und es wäre Schade wenn...“ Er brach ab und blickte zuerst auf Tobias, der deshalb den Mund sofort zu einem Schluchzen verzog, denn den Blaui hatte er ja nicht mehr, um den diesem Schei...na...blöden Robert an den noch viel beschi...äh...blöderen Kopf zu werfen, und dann blickte Robert bedeutungsvoll auf Julchen, die, in einer Ecke auf dem zerfledderten Sofa, noch immer völlig arglos Munks fetten schwarzweiß gescheckten Bauch massierte.
„Wollen sie mir drohen ?“ zischelte Margrit aufgeregt hinter ihren wenigen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Ein bisschen !“ Er lachte und strich sich das Haar zurück, wieder ganz George ! “Aber, haben sie keine Angst, ich meine das nicht so Ernst. Mich ärgert nur, dass die Menschen kaum Verstand zeigen. Wenn unsere Eroberer ihre Mitarbeit haben wollen, sollten sie ruhig einwilligen. Die Hand schütteln, die sich ihnen entgegengestreckt hat, auch wenn diese Hand...“, er hielt jetzt doch etwas beklommen den Atem an und ächzte leise, “... einem Außerirdischen gehört !“
„Iiiih, eine Spünnenhand !“
„Kreuzspinnenhand, Jule, uuurgs !“
„Meine Hand ist eine Menschenhand.“ Margrit streckte Robert ihre entgegen, hielt sie ihm vor`s inzwischen, ziemlich blass gewordene, Gesicht. “Und darum soll sie auch nie dazu genutzt werden, andere Menschen zu
töten !“
„Aber Irmgard ! Sie wollen doch etwas länger leben oder nicht ?“
Margrit nickte. “Aber nicht so ... so nicht !“
„Meine liebe Frau Müller ! Wie denn sonst ? Wir haben nun mal verloren...“
„Was heißt hier verloren ! Das ist kein Spiel !“ fauchte Margrit.
„Aber die Hajeps sehen das so !“
„Ihr Pech !“ sagte sie schnippisch.
„Eine ausgesprochen dumme Antwort !“
„So, finden Sie ?“
„Aber ja, denn wir sind todgeweiht, jeder Tag, den wir noch leben dürfen, zählt !“
„Aber nicht indem ich andere töten muss !“
„Na, töten muss ja nicht gleich sein !“ räumte er leise ein.
„Nein, ich werde meinem Volk auch in anderer Weise nicht schaden ! Basta ! Aus und vorbei !“ Margrit war aufgestanden und schob mit verdrießlicher Miene den leeren Stuhl zurück an den Tisch.
„Mensch, Irmgard, so bleiben Sie doch...“ Robert griff kurzentschlossen über den Tisch und packte ihre Hand. „Setzen Sie sich wieder !“
„Nennen Sie mich nicht immer Irmgard !“ zischelte sie und zog an ihrer Hand, jedoch nicht zu doll, denn sie hatte Angst, dabei das ohnehin schon arg lädierte Geschirr zu zerdeppern.
„Na dann eben Frau Müller“, sagte er und ließ ihre Hand endlich los. Er begann seine Brille zu putzen, obwohl die Margrit eigentlich völlig sauber erschien. “Ich glaube, ich werde ... werde Sie jetzt wohl lieber doch über alles aufklären“, sagte er nach einem ganzen Weilchen.
„Das würde ich Ihnen auch raten !“ fauchte sie.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.01.2005, 16:45   #38
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 38

Er wartete, bis sich Margrit wieder gesetzt hatte, dann räusperte er sich übernervös und setzte sich die Brille sehr langsam aber fest entschlossen wieder auf.
„Da ich annehme, dass mein Cousin Ihnen ohnehin schon recht viel erzählt haben dürfte, da er soviel Vertrauen zu ihnen gehabt hatte, ihnen sogar Danox zu zeigen...“
„D...danox ?“ wisperte Margrit leise und verdutzt.
Er wurde vor Schreck, einer Fremden viel zuviel gesagt zu haben, plötzlich knallrot im Gesicht, lehnte sich zurück im Stuhl und schnaufte leise. “Ich denke, er hat ihnen ...?“
„Ach, daas ?“ Sie winkte hektisch ab. “Entschuldigen Sie, mir war nur der Name entfallen ! Ja, das hat er...“, sagte Margrit jetzt möglichst ruhig.
Er atmete erleichtert aus, beugte sich wieder vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. “Also, wenn George ein derartiges Vertrauen zu ihnen gehabt hatte, dann kann ich es ja wohl auch zu Ihnen haben, oder ?“
„Ganz gewiss !“ bestätigte Muttchen, wieder an Margrits Stelle eine Spur zu hastig, aber er merkte das nicht.
„Genau !“ krächzte nun auch Tobias, obwohl er noch immer nicht wusste, worum es eigentlich ging.
„Also“, sagte Robert feierlich und räusperte sich schon wieder. “Es ist nicht so, dass die Menschen, die für unsere Eroberer arbeiten, ausschließlich gegen Menschen kämpfen. Sie kämpfen auch gegen sie !“
„Wie ? WAS ?“ riefen Muttchen und Margrit wie aus einem Munde. Nur Tobias sagte skeptisch: “Na - ah, daaas stümmt bestümmt nich ! Stümms ?“ Er hatte sich an Muttchen gewandt und diese wusste jetzt nicht, ob sie nicken oder den Kopf schütteln sollte.
„Oh doch, mein kleiner Bernhardt ( denn Margrit hatte auch für ihre Kinder falsche Namen erfunden ) es ist so !“ beharrte Robert. “Ihr solltet wissen, dass unsere “himmlischen“ Eroberer inzwischen so sehr miteinander zerstritten sind, dass sie sich sogar permanent bekriegen.”
„Tatsache ?“ ächzte Tobias und begann wieder an seiner Unterlippe zu nuckeln.
„Richtig in echt ?“ quiekte nun auch Julchen, die endlich kapiert hatte, warum es eigentlich ging, und Munk blinzelte verdrießlich, da Julchen deshalb mit dem Kraulen aufgehört hatte.
Robert nickte nach allen Seiten. “Wovon wir Menschen freilich kaum etwas bemerken können, da zwar ganz in der Nähe unserer Erde, jedoch im All heftig gekämpft wird, überwiegend mit intelligenten Raumschiffen ohne Besatzung.”
„Oh, Mannohmannohmann !“ krächzte Tobias ehrfurchtsvoll.
„Direkt auf unserem Globus wird nur intrigiert“, fuhr Robert weiter fort.
„Aber ... warum das alles ?“ rief Margrit verwundert.
„Was ist ent - tigert, Oma ?“ erkundigte sich Tobias. Muttchen erklärte es ihm flüsternd. “Ich will`s auch wissen !“ Julchen war von ihrem Sofa aufgesprungen, Munk dabei schnöde zurücklassend.
„Zunächst muss ich euch sagen”, begann Robert von neuem, ”dass die Loteken einstige Elitesoldaten der Hajeps sind. Diese Elite hat sich in die rebellischen Rehanan-Loteken und in die Noboistische Loteken, die sich noch ziemlich linientreu verhalten, gespalten. Die Linientreuen Nobo–Loteken halten also zu den Zivilisten und Soldaten der reinrassigen Hajeps und deren Undasubo Gisterupa, die anderen zu dem wilden Aufrührer und Rekompen Chiu-natra.”
”Arbeiten Sie für die Nobo oder Reha ...hm... dings ...na... Loteken oder Hajeps ? Heraus mit der Sprache !“ fragte Margrit.
„Für die Hajeps !“
„Also für den... ?“
„...Undasubo Gisterupa ?“
Margrit nickte.
„Nicht direkt, unsere speziellen Oberhäupter sind Rekomp Nireneska und der Montio Sotam–Sogi, der für den Erdteil Europa zuständig ist ! Aber das war Zufall. Mir blieb keine Wahl !“
Robert begann wieder mit seiner Tasse zu spielen. ”Und es gibt Menschen, die arbeiten halt für die Rehanan- Loteken ! Wie sich das eben bei denen so ergeben hat ! ”
„Und alle immer hübsch gegeneinander ?“ fragte Muttchen.
„Was sonst ? Aber es gehen dabei auch Hajeps und Loteken drauf und das beruhigt mich, beruhigt mich ungemein und es wird seit etwa fünf Jahren erzählt. Sie sollten wissen, dass die reinrassigen Hajeps im allgemeinen leider nur sehr wenig berichten, aber DAS habe ich mitgekriegt, dass sie auf eine große Flotte – ausgesandt von
Pasua - und einen wichtigen Heerführer warten - weiß ich, wann der kommen wird - der ihnen endlich zur totalen Macht auf dieser Erde verhelfen und die Loteken wieder bezähmen wird.“
„Also die .. die Rehanan–Loteken ?“ fragte Muttchen.
„Genau !“
„Merkwürdig, das erinnert mich an eine Erzählung, die ich vor einiger Zeit von einer alten Dame gehört habe !“ brummelte Margrit nachdenklich.
„Meinst du etwa, die Dame aus im Zug ... in dem abgewetzten Persianermantel ?“ rief Muttchen aufgeregt.
Margrit nickte. “Diese Dame sprach also von himmlischen Heerscharen ... und von einem König mit Namen Agul...na, Dings !“
„Agulmois ?“ hakte Robert nach.
„Richtig !“
„Dann benutzte sie wohl auch das Wort Runa ?“
„Ja ?“ ächzte Margrit überrascht.
„Das ist tatsächlich ein Wort, was besonders Hajeps sehr oft gebrauchen und heißt schlichtweg übersetzt Ende !“ erklärte er.
„Diese Dame sprach aber noch von irgendwelchen Weissagungen die schon seit Jahrhunderten überall in den Büchern der Menschheit geschrieben stehen“, sagte Muttchen leise.
„Ja ja, die Menschen haben schon immer sehr viel Quatsch daher geredet“, knurrte Robert, “und jetzt, wo sie in Not sind, natürlich umso mehr. Sicher haben wir wohl auch Bücher, in denen irgendetwas aufgeschrieben ist, was dem ähnelt, wovon die Hajeps gerade reden. Nachdem, was ich so in letzter Zeit so alles gehört habe, wird es wohl für unseren Undasubo Gisterupa immer schwieriger, sich wirklich gegen die Rehanan-Loteken durchzusetzen ! Immerhin sind schon zwei seiner Vorgänger in den letzten fünf Jahren unerklärbaren Attentaten zum Opfer gefallen. Da gibt man sich schon gern der Hoffnung hin, irgend jemand aus dem All käme einem endlich zur Hilfe ! Aber das hat rein gar nichts mit uns Menschen zu tun. Auch nichts mit unseren Weissagungen. Unsere Situation wird immer die bleiben wie gehabt.“ Er lehnte sich plötzlich zurück und faltete die Hände über seinem mageren Bauch. “Darum frage ich Sie, meine liebe Irmgard, ob Sie und ihre Familie nicht doch bei uns mitmachen wollen. Es kann ihnen nur besser gehen. Werden sie noboistisch. Sie würden mir dadurch sehr helfen, da mir Nireneska, das Oberhaupt - also Rekomp - unseres winzigen Landkreises, wahrscheinlich bald sehr, sehr böse sein wird. Sie wären in diesem Fall mein Geschenk an ihn, er braucht nämlich wie gesagt, gerade jetzt Leute mit besonderen Gaben und wenn die dann auch noch freiwillig zu ihm kämen, das würde ihn sicher ein wenig positiver für uns einstimmen. ”
„Nein, mein lieber Robert“, wehrte Margrit ab. “So leid es mir tut, ich würde Ihnen zwar gerne behilflich sein, vor allem, weil sie und ihre Familie mich so liebevoll bei sich aufgenommen haben, aber ich sage mir: lieber hungrig und frei als satt und gefangen !“
Er fuhr wieder mit dem Oberkörper hoch und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. “Ach, wir sind doch im Grunde alle Gefangene, schon die ganze Zeit, merken Sie das nicht ?“
“So lange ich das nicht direkt merken kann, fühle ich mich frei !“
„Aber dieses Gefühl dürfen sie doch auch weiterhin haben ! Glauben Sie mir, es wird Ihnen nur besser gehen, BESSER, wenn sie den wahren Herren dieses Gebietes gehorchen. Wir Menschen dürften nach einer nunmehr zweiundzwanzig Jahre währenden Diktatur unserer blutrünstigen Eroberer inzwischen eingesehen haben, dass uns nichts anderes zu tun übrigbleibt, als den Außerirdischen zu gehorchen ! ”
Margrit lehnte sich nun ihrerseits im Stuhl weit zurück, verschränkte beide Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf.
„Robert, wir sollten nicht aufgeben ... noch leben wir !“
Er seufzte, ließ sich wieder ebenfalls in seinem Stuhl zurückfallen, beide Arme baumelten traurig und erschöpft zu beiden Seiten hinab.
„Tja, das sagte George auch immer!“ murmelte er sarkastisch. “Ihr beide seid euch ähnlich ! Das ist mir schon von Anfang an aufgefallen, sogar verdammt ähnlich !“ Dann richtete er sich spontan wieder auf.
„Aber ihr seid nur Phantasten, weiter nichts ! Und ihr werdet erst merken, wie Recht ich gehabt habe, wenn es euch an den eigenen zarten Hals geht.”
Margrit stützte jetzt, ebenso wie er, ihr Kinn in die Hand und starrte ihn an, wie er sie, worüber beide automatisch lachen mussten.
Nach einer Weile Schweigen errötete er schließlich etwas. “Also gut !“ sagte er rau. “Ich verspreche Ihnen, dass ich nichts von Ihren hervorragenden Ohren und ihrer wirklich guten Beobachtungsgabe an unsere “himmlischen Beschützer” weitersagen werde, oder ... sollten Sie noch andere Gaben haben ?“ Er lachte, als er Margrits entsetztes Gesicht sah. “Aber Sie verraten uns bitte auch nicht an die übrigen Menschen, die nach ihrer Meinung noch frei sind, okay ?“
„Klaro !“
"Wir Menschen haben ohnehin keine Polizei, keine Armeen mehr, die “Verräter“ verfolgen könnten ... und hier in der Umgebung weiß sowieso fast jeder über uns Bescheid.“ Er strich wieder merkwürdig nervös über den Rand der Tasse. “Irmgard“, sagte er nach einem ganzen Weilchen, “ich mag Sie ... Sie und ihre drollige Familie ... und darum rate ich ihnen, auch die nächste Stadt, nämlich Bamberg zu meiden und lieber in Burgebrach, einem kleinen Dörfchen, das dahinter liegt, zu übernachten.“
Nach diesem Ratschlag wollten sich Margrit und Muttchen dann auch tatsächlich richten. Robert hatte ihnen sogar eine kleine Skizze angefertigt, damit sie sich zurechtfanden und der Onkel hatte darüber geschimpft und die Tante war schließlich ganz erleichtert gewesen, dass die beiden Frauen mit ihren Kindern endlich das Haus verlassen wollten und Dagmar hatte von Herzen über ihre Tante gelacht.
Nach einem kurzen innigen Abschied befanden sich unsere Vier dann wieder im Wald. Doch nach etwa einer halben Stunde mussten sie umkehren, da die Wunde an Margrits Hand inzwischen solch große Schwierigkeiten machte, dass sie kaum noch das Rad schieben konnte. Margrit hatte nämlich bei all der Aufregung vergessen, den Verband zu wechseln. Ob man ihr böse war, wenn sie wiederkam ? Zumindest rechnete sie mit großem Erstaunen. Wie würde man ihr begegnen ?
Nicht eine ihrer Vermutungen sollte sich als richtig erweisen, denn als unsere Familie eintraf, erschien das Haus überraschenderweise leer ! Bodo war zuvor von Muttchen mit einem Stück Wurst bestochen und dann gemeinsam mit einem Zipfel Schinken - der allerdings nur Sekundenbruchteile existierte - in den Zwinger gesperrt worden und Munk fauchte nicht nur Bodo aus sicherer Entfernung an - Muttchen hatte ihn wieder einmal freigelassen - sondern beleckte sich auch noch dicht vor Bodos Zaun in solch aufreizender Weise die Pfoten, dass Bodo schier vor Wut platzte.
Wie ein Verrückter jagte er nicht nur in seinem Zwinger hin und her, sondern bellte und biss abwechselnd in den Zaun. Munk ließ sich dadurch keinesfalls bei seiner Körperpflege stören, ganz im Gegenteil, wurde er umso genauer, glättete jedes Härchen und Bodo schäumte. Munk fand, dass dieser Tag irgendwie ein ganz herrlicher Tag war !
Da Margrits Schmerzen immer unangenehmer wurden, empfand sie es nicht als besonders schlimm, unerlaubt in das Haus gelangen zu wollen und daher nach einer entsprechenden Möglichkeit hierfür zu suchen, doch - siehe da - hinein ging`s leichter als gedacht.
Das Küchenfenster war nämlich leichtsinnigerweise nur angelehnt. Muttchen hielt das Rad fest, das Margrit zuvor an die Wand des Hauses bugsiert hatte und Margrit kletterte auf dessen Sattel, von dort ins Fenster und ward alsbald völlig verschwunden.
Ein Hausschlüssel drehte sich wenig später in der Tür. Muttchen keuchte aufgeregt, doch es war nur Margrit, die sie und die Kinder einließ, welche inzwischen den spotzenden und fauchenden Munk auf dem Arm hatten, der zu gerne mit Bodo „intelligenter Kater bringt doofen Köter zur Strecke“ weitergespielt hätte.
Munk kam schließlich in den Korb, weil er sich einfach nicht beruhigen wollte und Julchen und Muttchen trösteten ihn, während Tobias neugierig durch genau jene Räume schleichen musste, die ihm die Eigentümer des Hauses zuvor verboten hatten. Und das nur, weil er eine Ausrede hierfür in Anspruch nehmen konnte, nämlich seiner Mutter beim Suchen nach dem Verbandszeug zu helfen. Er hatte sich sogar hierfür drei Schlüssel vom Bord im Flur genommen und nun schloss er gerade die Tür der letzten kleinen Kammer auf, die ihm unbekannt war und blickte hinein. Julchen war aber inzwischen ihm hinterher geschlichen und trällerte nun ziemlich laut: “Hab` es ja gese...eeehäään !“
„Ach, sei still, Plapperliese !“ fauchte er über die Schulter zu ihr..
„Das is aber verboten, Tobias !“
„Ja und ? Ich muss Mamms helfen, siehste !“
„Dann helf` ich ihr aber auch, so !“ krächzte Julchen dicht hinter ihm.
„Na guuut !“ seufzte er genervt.
Und so tappsten sie beide ziemlich unsicher aber neugierig in die schmale Kammer hinein.
„Guck` mal, da is ein Schrank !“ wisperte Julchen. “Und da auch und da ...und da und der hier... deer is ein Schrank mit Vorhang dran !“
„Och, das is nur ein Bord !“ knurrte Tobias, riss aber neugierig den Vorhang auf.
„Da sind ja Einweckgläser drin ...viele Einweckgläser !“ rief Julchen schwer enttäuscht.
„Aber, einige davon sind gefüllt, siehste ! Da is bestimmt...“ Tobias schob sich nun einen kleinen Hocker heran “...irgendetwas Leckeres für uns dabei !“
„Du Tobiiii. ? »
« Ja ?“ Er kletterte auf den Schemel. Leider kippelte der etwas.
„Du, aber du –huu ?“
Tobias seufzte und betrachtete dabei die Gläser wählerisch der Reihe nach. “Ja, ah ?“ fragte er abermals genervt.
„Du, Tobi ... aber man darf nich fremde Sachen naschen !“
„Wer sagt das ?“ Er reckte sich in die Höhe, weil er nun ein besonderes Glas mit Kirschen entdeckt hatte. Es war das einzige, dass richtig hübsch aussah, denn es hatte ein silbernes Schild, und nur deswegen wollte er es haben.
Julchen dachte inzwischen angestrengt nach und er stellte sich auf die Zehenspitzen, denn er kam so schwer an dieses Glas heran..
„Na, die Mama !“ sagte sie endlich.
„Was, die Mama ?“ knurrte er genervt und zögerte, denn dieser Hocker kippelte wirklich mächtig.
„Na, die .. .diiie hat das gesagt !“
„Ach, Quack !“ Er stellte sich abermals auf die Zehenspitzen. “He, guck lieber, was ich hier oben entdeckt habe.“
„Ganz, gaaanz oben ?“
„Ja, es ist das einzige mit silbernem Schild d´rauf ... siehste ?“
„Nein, los zeigen !“ kreischte Julchen von unten aufgeregt und klatschte dabei in die Händchen. Sie wurde dabei leider so hektisch, dass sie den Hocker dabei ein wenig anrempelte. Tobias, der nicht stürzen hatte wollen, hielt sich am Bord fest, das Glas glitschte ihm dabei aus der Hand und krachte zu Boden.
Für einen Moment nahm ihnen das, was plötzlich aus dem Kirschbrei und zwischen vielen Scherben hervorlugte völlig den Atem, beide verharrten ungläubig erst einmal dort wo sie waren. Dann jedoch stieg Tobias vom Hocker herab und schlich neugierig an das Ding heran. Es war ein silbrig schimmerndes schmales, flaschenartiges Rohr, dass Tobias nun vorsichtig aus dem Brei herauszog. “He, das is ja gar nix ! Sieht ja bloß so aus, wie früher...“
„Was früher, Tobias ?“
„Na, Tante Mariannas Nagellack !“ sagte er tief enttäuscht. “Is was für Tussis !“ seine Stimme bekam einen geringschätzigen Unterton. “Kannste haben!“
„Au ja“, krächzte Julchen, wischte es kurz an ihrem Pullover sauber und ließ es in ihrer Hosentasche verschwinden.
„Das nächste, was wir finden, behalte aber ich !“ knurrte Tobias und kletterte leise ächzend nochmals auf den Schemel. “Aber erst ...erst ess` ich jetzt ein paar Kirschen.“
„Ich auch, ich auch !“ jubelte Julchen begeistert von unten. “Schmecken Kirschen ?“ setzte sie ziemlich kleinlaut hinzu.
„Glaub` schon, hab mal`n paar gegessen !“ erklärte er fachmännisch und zog den Schnodder in der Nase hoch. Seine kurzen Fingerchen wollten gerade nach dem nächsten Kirschglas greifen, als sein Blick auf ein kleines, flaches Metallstück, das ihm auf der Ablagefläche des Küchenbordes entgegenschimmerte, fiel. Er fand das noch viel hübscher als das kleine Fläschchen, welches er vorhin aus dem Kirschbrei hervorgeholt hatte, fühlte sich plötzlich wie ein Schatzsucher und wisperte daher ehrfurchtsvoll und verzückt. “Da is noch was, Jule ... ganz ohne Scheiß ?!“.
„Zeigen zeigääään !“ jubelte Julchen zu ihm hinauf und klatschte wieder ziemlich wild in ihre Händchen.
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Alt 17.01.2005, 16:46   #39
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 39

Margrit hörte wenig später lautes Geschrei von nebenan, kaum dass sie den alten Verbandskasten endlich gefunden, geöffnet und ihre Hand zur Hälfte gewickelt hatte. `Tobias !` schoss es ihr zu Tode erschrocken durch den Kopf. `Was ist mit ihm ?`
Muttchen und sie selbst jagten fast gleichzeitig so schnell aus verschiedenen Zimmern zu ihm hinüber durch den kleinen engen Flur, dass sie fast zusammenprallten, sich gegenseitig den Weg versperrten.
Margrit zwängte sich, das herabhängende Ende des Verbandes hatte sich dabei um ihre Hüften geschlängelt, mutig als erste durch die schmale Tür der winzigen Kammer.
Da stand der arme Tobias mitten im Raum und schluchzte gemeinsam mit Julchen um die Wette. “Ich krieg` “ihn” nich mehr aus ...nie !“ schniefte er. “Sch...Scheiße ! Wie hab` ich “ihn“ nur angekriegt? Weiß´ es nich mehr ! Er is ja auch so ganz anders als der Flutschi !“
„Stümmt !“ piepste Julchen, die sich jetzt zur Hälfte hinter der Oma versteckt hielt. ” Flutschis Farbe is hübscher !“
„Was ist hier mit Fl... Flutschi ? ” krächzte Margrit entgeistert und starrte auf ein etwa mantelknopfgroßes, leuchtendes Ding, das Tobias etwas zittrig in der vor sich ausgestreckten Hand hielt.
„Na, der...das Dings !“ nuschelte er.
„Wer ?“ wiederholte Margrit und versuchte dabei, nervös wie sie war, das Ende des Verbandes von ihren Hüften zu bekommen, doch es rutschte nur etwas höher um ihre Taille.
„Na, der...“, versuchte nun auch Julchen zu erklären, “... der Käfer !“
„Der Käfer !“ keuchte Margrit verdutzt und wickelte sich ausgesprochen hektisch endlich den Rest des Verbandes um die Hand.
„Ja, die Jule hat da nämlich ein Bein von ihm gesehen !“ Er zog den Schnodder in der Nase hoch.
„Es war ein ganz langes, haariges Bein, Mamms !“ wisperte Julchen schon wieder hinter ihrer Oma hervor. “Und sah ganz ...gaanz doll ekelig aus, bäh !“ Sie machte eine kleine Pause und schüttelte sich. “Und ...und... deer Käfer, deer heiß Flutschi ...und is ein Geheimnis !“
„Ihr habt ihn also damals doch nicht freigelassen, das arme Tier !“
„Aber der Flutschi spricht nich mit mir ... NEEE ! ...daas macht der nich !“
„Ist eigentlich auch nicht gerade typisch für einen Käfer !“ murrte Margrit.
„Horch, Mamms ! DER hier SPRICHT ! Da ! Die reden mit mir schon die ganze Zeit! Die da in dem wabbeligen Geldstück oder ist das eine aufgeweichte Kartoffelscheibe, Mams ? Na egal ! Ich soll mich endlich beruhigen, haben DIE gesagt! Aber ich ... ich weiß immer noch nich, wie ich das machen soll..”, schluchzte Tobias plötzlich wieder lauthals los, “...denn ich bin ja gar nicht unruuuuuhig, oder?“
Alles nickte beklommen.
„W...wartet...“, er brachte für einen Moment seinen wie stets üppigen Tränenstrom zum Stoppen, der Sender war im übrigen schon ganz schön nass, und strich mit dem Zeigefinger sacht über ein kaum sichtbares quadratisches Winzfeld an der rechten Seite, “... ich stell “ihn“ mal lauter, damit die Oma auch was davon hat!”
„D...danke, dir, Tobias !“ wisperte Muttchen kreidebleich, denn ein erstaunlich lautes, abgehacktes Pfeifen war plötzlich im Zimmer zu hören.
„Xalimon ! Nor kos pun ? Amar ?“ vernahmen vier paar entsetzte Menschenohren. ”Amar ? Deakaliso ! Kera kur Rekomp Nireneska dandu Tjufat Diguindi dandu Jimaro Durunai !“
„Mein Gott !“ ächzte Margrit und Tobias heulte schon wieder, da sich der Knopf dabei in seiner kleinen Hand von ganz alleine herumdrehte und Julchen sagte gar nichts mehr.
„Nor kos pun ?“ fragte das winzige Kontaktgerät abermals und hielt endlich inne. ”Kos pun... mando ?“
Margrit bewaffnete sich mit einem Kissen, das sie auf einem weiteren Schemel in der Nähe entdeckt hatte und bewegte sich ganz langsam und so vorsichtig auf den Winzling zu, als hätte sie ein gefährliches Insekt vor sich, das es zu bekämpfen galt. Dabei machte sie auch einen großen Schritt über das zerdöpperte Einweckglas.
„Deakalis Padra ! Kera kos Rekomp Nireneska ! Deakalisoa ... ziett !“ tönte es weiter überlaut durch den Raum und der Sender begann sich erneut inmitten Tobias Fingerchen herumzudrehen. Dabei machten alle eine erstaunliche Entdeckung, denn das “Ding“ veränderte seine Form, es wurde jetzt länglich, etwa wie eine Zigarette. Tobias Hand vibrierte wie bei einem Erdbeben, aber er wagte nicht es fallen zu lassen.
Eine weitere Angst plagte alle. Vernahmen die Hajeps womöglich bereits, was sich in dieser Kammer abspielte, konnten sie es gar sehen, da sich die Zigarette - verdammt, jetzt war es schon wieder etwas GANZ anderes geworden, nämlich eine Niere - so beständig drehte ? Wer wusste auch schon, was Tobias in seiner großen Neugierde bereits damit eingestellt hatte ? Margrit hatte schon schlimmste Schauergeschichten über außerirdische Winzapparate gehört. Zum Beispiel, dass Hajeps sogar mittels dieser quallenartigen Kleinst-Kontaktgeräte, die zunächst die Form einer Armbanduhr hatten, Menschen zuerst anvisieren und dann auf diese ziemlich genau feuern konnten. Sie bestanden aus einem regenfesten, halb lebendigen Material und die Verwandlungskünste dienten nicht nur dazu, dass man die Geräte auf engstem Raume und überall bestmöglich hinknautschen und verstauen konnte, sondern auch um Unbefugten glauben zu machen, dass es eben keine Geräte wären, sondern nur irgendetwas Belangloses !
Half es, wenn sie das Kissen drauf legte ? Margrit fand diesen Gedanken plötzlich so saukomisch, dass sie zwar in leises jedoch ziemlich hysterisches Kichern verfiel. Sie warf schließlich das Kissen weg, ging tapfer bis dicht an Tobias heran und wartete, denn es ratterte und knackte wieder in der Winz-Niere, so als würde sich dort wieder Mal etwas verändern.
„Fengi - pa - itun ? Amar, allorrr ?“ ertönte plötzlich zu Margrits Überraschung eine andere, eine höchst sympathische, seltsamerweise auch ziemlich heisere und leider auch etwas verschnupfte Männerstimme.
„Kera kos Tjufat Diguindi ! Iiier is wiedär Unteeeroffisier Diguindi ! Was ist loss mit dirrr, Kleinér ? Hmmm ?“ krächzte es jetzt in Deutsch durch den Raum, jedoch fast alle Silben dabei völlig falsch betont.
„Warum meldést to disch niiischt merr ? ”
Margrit lief ein Gänseschauer den Rücken hinab, denn nun hatte sich die Niere - so schien es - in ein nettes, leuchtendes Glühwürmchen verwandelt.
„Das ist er !“ wisperte Tobias und seine Unterlippe bebte. ”Daaas ist EINER von DENEN, die mit mir die ganze Zeit herumgequatscht haben. Sonst haben wir immer nur die Roboter gehört, aber DEER hier, Mams ... DEEER ist ECHT!“
Margrit nickte beklommen.
„Wo iiist Robääärt kleinääär Maan, Kée ?“ Das Würmchen hob das eine Ende wie einen Kopf.
Margrit wagte kaum zu atmen, denn diese Stimme hatte, wohl wegen der verdrehten Betonung einzelner Silben, nun doch für Margrit irgendwie etwas Beklemmendes oder beruhte Margrits Angst allein auf der Tatsache, dass sie zum ersten Mal den Feind so deutlich und leibhaftig hörte, DEN Feind der den Menschen SO weit überlegen war ? Sie versuchte sich damit zu trösten, dass dieser Außerirdische eigentlich auch nur ein Mann war, der zudem wohl eine sehr schwere Erkältung hatte.
„Wo ist äär ? Weiiißt to daaas ?“ näselte er weiter und das Würmchen verwandelte sich nun in einen hübschen Ring. “Rekomp Nireneska und Durunai erwarten nämlisch die üblischen Informationén ! Ziétt tula ! Akir ?“
„A...akir !“ wisperte Tobias verzweifelt. ” I...ich glaube, der ist fort ...äh... weg !“
„Auch ti andrinn ?“
Plötzlich wusste Margrit,was so beunruhigend an dieser Stimme war, denn obwohl sich dieser Diguindi immer wieder größte Mühe gab, nicht nur die Worte deutlicher auszusprechen und auch richtig zu betonen, klappte es nicht so ganz dabei mit dem Atmen. Es schien irgendetwas mit seinen Nasenflügeln nicht in Ordnung zu sein, denn diese schnarrten leicht - oder konnte man dazu schnurren sagen ? - und zwar bei jedem Wort.
„Ja !“ beantwortete Tobias kleinlaut Diguindis Frage.
„Schadé, jamérrrrschadé“, schnurrte die Nasenstimme, “und wer bist do, mein Hérzschinn ? ”
„Ich...äh...!“begann Tobias, konnte aber kaum noch weiterreden, denn ein neuer Klos saß ihm schon wieder im Hals.
Margrit beugte sich über den Ring, schloss die Augen und fragte so ruhig wie sie nur konnte. “Amar ?“
„Fengi pa itun ?“ hörte sie eine andere Stimme.
„Fengi !“ antwortete sie einfach.
„Nenelonto ! Kera kos Jimaro Durunai !“ kam es verblüfft zur Antwort. “Nor kos pun ?“
„Ich ...äh... verstehe nicht!“ wisperte Margrit. “Hier ist Irmgard Müller, die Mutter des Jungen. Ich habe etwas Wichtiges zu sagen !“
„Akir ! Nenelonto.“ Eine kleine Pause entstand.
„Kera kos Diguindi !“ kam es schon wieder. “Waaaas willst do ?“
Margrit schwieg und der Hajep fauchte deshalb ungehalten, wenn auch leise ...oder hatte sie sich verhört? Und dann folgte aufgeregtes Getuschel mit zwei anderen Personen.
„Ich ...äh...“, begann Margrit und brach doch wieder ab, denn sie musste sich jetzt genau überlegen, was sie sagen wollte.
„Wievill Menschään seid ihr, ké ?“ hörte sie wieder die jetzt freundliche Nasenstimme. Sie war für Margrits Geschmack entschieden ZU freundlich.
”Wir sind ...öh...“. konnte sie ihm das sagen, oder war das schon zu gefährlich ?
„Zaiii ... aaach, bitée, schippt dooch mall ebän den kleininn schwarzinn Riegäl obin ein wennick zorr Zaite,
chesso ?“ verlangte die Nasenstimme sanft aber mit Nachdruck. Margrit fand, die war jetzt beinahe katzenfreundlich, aber dieses Wort wollte sie lieber nicht gebrauchen, nicht einmal in Gedanken, das hätte Munk beleidigt.
”Und wie soll ich das machen?“ fragte Margrit so arglos wie nur irgend möglich.
„Indäm do denn Riegäl schiiipst ! Weisst do nischt, waas schiiipen ist ?“ Die Nase klang nun doch ein wenig gereizter als bisher.
„Ach so ! Das meinen Sie ! ” ächzte Margrit und nahm den inzwischen rechteckigen Winzkasten sehr vorsichtig aus Tobias Händen.
Sie hielt ihre Brille schief, um an diesem Ding überhaupt etwas zu erkennen und drehte und wendete es. Es fühlte sich weich und glatt an, ähnlich wie Gummi und seltsamerweise auch warm ! Merkwürdig, wozu brauchten Hajeps ein wabbeliges und vor allem warmes “Handy“?
„Dieses kleine Beinchen ... äh... den Riegel hier, ja ?“ erkundigte sie sich nochmals und mit angehaltenem Atem.
„Xorrrrr, JAAA !“ fauchte es irgendwo aus einem Mikrophon. Diesmal hatte Margrit das fast tierische Fauchen deutlich herausgehört.
„A ... aber f...fänden Sie es nicht besser, wenn ich ... huch, huch... jetzt sind Sie mir runtergefallen !“ Margrit hatte den Wabbelsender mit voller Wucht auf den Boden geschmettert, aber zu ihrem Erstaunen war dem trotzdem überhaupt nichts passiert ! Nun verstand sie, weshalb fast alle technischen Dinge der Hajeps aus diesem weichen, anschmiegsamen Material gefertigt worden waren, von dessen genauerer Beschaffenheit allerdings Margrit noch immer nichts wissen konnte. Doch diese Robustheit erfreute sie keinesfalls ! Ja, in ihrer Verzweiflung begann sie jetzt sogar, sehr zum Entsetzen ihrer kleinen Familie, mit dem Absatz auf den Sender einzuhacken, der ihr immer wieder dabei davonglitschen - oder gar krabbeln ? - wollte ! Schließlich stellte sie sogar den ganzen Fuß darauf und drehte ihn herum. Na, wenigstens war das Ding nun zu einer pfützenförmigen Scheibe geworden. Margrit hob die hauchdünne “Glibberpfütze” wieder auf, führte den Sender ziemlich dicht an den Mund. “Kö... können Sie mich noch hören, Herr ...äh... Diguindi? Oh Gott - uh- entschuldigen Sie!“
"Amaaarr ?“ klang es zwischen Pfeifen und Krachen durch den Raum.
“Hoppala !“ wieder pfefferte Margrit den Sender auf den Boden, stellte die Hacke darauf und drehte sich auf dem “Ding” einmal im Kreise herum. “Bin vielleicht ein Tollpatsch ... hallo ?“ Sie lauschte, schüttelte das Wabbelzeug, kein Tönchen folgte. Da warf sie es in irgendeine Ecke der Kammer. Sie grinste. “Ich meine, dass diese Hajeps jetzt ganz schön schimpfen über diese Frau mit ihrem Kind, aber zu ernst werden sie die Angelegenheit nicht nehmen. Mir scheint, dass sie unter großem Stress stehen. Diguindi und Rekomp Nireneska sprachen trotz aller Freundlichkeit stets gereizt, waren knurrig wie ... äh... wie die Raubkatzen !“ Sie schluckte bei diesem Gedanken. “Ich nehme an, diese Männer haben Wichtigeres zu tun, als sich um solch eine Lappalie noch weiter zu kümmern.“ Wieder schwieg sie für einen Moment und sagte dann energisch: “Im übrigen sollten die Hajeps endlich nach ein paar dicken Taschentüchern suchen ... diese Triefnasen sind ja nicht auszuhalten.“
“...und nach ein paar Schals...“, fügte Muttchen hinzu, ”...diese Heiserkeit ist ja furchtbar !”
Da lachte die kleine Schar Tränen und hielt sich die Bäuche.
Wenig später verließen unsere vier Flüchtlinge jedoch auf das Eiligste das Haus. “Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste ! ” meinte Muttchen. Das fand auch Munk, der auf Muttchens Schulter saß, da man Bodo wieder freigelassen hatte.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.02.2005, 13:38   #40
Bluestar
 
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Hab heut endlich mal angefangen, mir das auszudrucken und zu lesen und ich muss sagen, wenn das so gut wird, wie der Anfang eigentlich verspricht, wird es klasse!

Eine genaue Meinung kann ich zu der Geschichte allerdings noch nicht sagen. Das einzige was ich bis jetzt festgestellt habe ist, dass der Traum gleich am Anfang mich an Kill Bill erinnert

Ich les auf jeden Fall weiter und werd dann wieder was dazu sagen

Blue
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Alt 13.03.2005, 11:08   #41
Doska
 
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Standard Kapitel 40

Kapitel 7

Irgendwie war die kleine Familie ein bisschen in Sorge, doch noch für ihre Frechheit von den Hajeps verfolgt und bestraft zu werden. Obwohl Margrit eigentlich der Meinung war, dass sie ja für dieses große und mächtige außerirdische Volk im Grunde ziemlich bedeutungslos wären, zogen sie meistenteils des Nachts weiter und schliefen in den Wäldern bei Tage. Mit der Zeit jedoch wurden Margrit und Muttsch mutiger und wagten sich auch in die Helligkeit hinaus. Als dann immer noch nichts besonderes mit ihnen geschah, bewegten sie sich vorwärts wie eh und je.
Robert hatte sich ihnen gegenüber fair gezeigt und sie rechtzeitig vorgewarnt. Auch die Menschen der nächsten Stadt und Umgebung waren an irgendeiner rätselhaften Ursache ähnlich elend zugrunde gegangen, wie vordem in Coburg. Krähen kreisten über Bamberg, während die Familie aus guter Entfernung beklommen vorbei schlich, stießen heisere Schreie aus. Es roch süß und faulig nach vermoderndem Fleisch bis zu ihnen hin und es raschelte dann und wann im Laub und Gestrüpp, wohl weil Ratten und anderes fleischfressendes Getier Richtung Stadt unterwegs waren. Die anliegenden Gehöfte mied Margrit ebenfalls ganz zu recht, denn auch von dort waberten ihnen seltsame Düfte schon von weitem unangenehm entgegen.
Freilich entwickelte die Familie dabei durchaus gemischte Gefühle gegenüber Robert und seinen Verwandten, denn man fragte sich, ob die nicht sogar für die Todesursache all jener Leute mehr oder weniger aktiv gesorgt hatten. Trotzdem tauchten immer wieder Momente auf und zwar immer dann, wenn die Kinder miteinander beschäftigt oder gerade außer Hörweite waren, in denen Margrit und Muttchen unbedingt darüber reden mussten, was wohl Rekomp Nireneska inzwischen so alles mit Robert angestellt haben mochte, weil sie doch dessen Kontaktgerät zerstört hatten. Doch diese Gewissensbisse verdrängten sie schnell, da inzwischen wieder der Magen knurrte, denn es war schwer, der Versuchung zu widerstehen, nicht irgendeine Fensterscheibe der stillen Bauernhäuser einfach zu zerschlagen, um in die Küche zu stürmen und die Speisekammer zu leeren, da sie trotz der Erklärung Roberts fürchteten, dass die Hajeps auch giftige Gasen eingesetzt hatten.
Auch als sie endlich das von Robert empfohlene Dörfchen erreichten, mussten sie erst einmal miteinander beratschlagen. Richtig prächtig schien es dort den Leuten zu gehen. Sie hatten noch völlig funktionstüchtige Traktoren. Selbst die Kühe auf den Weiden waren außerordentlich gut im Stande. Es gab sogar Pferde. Einige Jeeps und sogar ein Traktor standen auf dem Hofe. Die Häuser und Stallungen schienen gut repariert. Es gab einen kleinen Laden und der Rauch aus den Schornsteinen zeigte an, dass wohl niemand zu frieren brauchte.
Vielleicht hätte unsere Familie sogar ihr Versteck verlassen, denn der Hunger war groß und womöglich brauchte man ja Hilfe bei der Ernte, wenn nicht Tobias plötzlich ein herannahendes zeppelinförmiges Flugzeug hinten am Horizont entdeckt hätte. Also warteten die fünf (Munk dabei mitgezählt) erst einmal ab.
Diese Vorsicht sollte sich keinesfalls als Fehler erweisen, denn auf einer Wiese, nur wenige Meter vom Dörfchen und nicht weit vom Versteck unserer Familie entfernt, versammelten sich einige Anwohner mit bunten Fähnchen in den Händen, wohl um das Flugschiff zu begrüssen. Sie steckten schließlich unter lauten Gesängen die Wimpel in den Boden und jemand rollte sogar einen schönen roten Teppich aus. Wenig später fuhr das fliegende U-Boot etwa acht oder sogar zehn – das war vom Versteck aus nicht so gut erkennbar – recht stabile Metallbeine aus und landete so elegant wie etwa eine Liebelle mitten auf der Wiese. Der zarte, halb durchsichtige Flossensaum waberte noch ein bisschen um das in graublauen und silbernen Tönungen schimmernde Ding herum, doch dann erklang ein Gugelgeräusch von allen Seiten und die Flossen wurden plötzlich eingesaugt. Eine der warzenähnlichen Luken öffnete sich direkt vor dem Teppich, über den wenig später der Außerirdische mit seinen üppig verzierten Stiefeln und hoch erhobenen Hauptes stolzierte, der gerade über die kurze, biegsame, ebenfalls leicht transparente Rampe des Kuarins zu den Menschen hinabgestiegen war.
Die Anwohner des Dorfes hatten sich der Länge nach mehrmals vor ihm auf den Boden geworfen und dabei laut gerufen : „Fengi pa itun, moa abuto Karimba ! Tjudin gra unka Lotek!” So lange bis der Hajep, durch ein leichtes, jedoch ungeduldiges Tapfen mit dem Fuße ihnen geboten hatte aufzustehen.
Margrit pochte das Herz bis zum Halse, nicht nur, weil sie sah, wie der eine Hajep die zahlenmäßig weit überlegenen etwa zwanzig Dörfler nun in hartem Ton herumkommandierte, sondern auch, weil diese ihm, ohne nur eine Sekunde zu zögern, gehorchten. Sie hetzten für ihn in den Laderaum des sonderbaren Schiffes und schleppten keuchend die schwersten Kisten ins Freie. Als er abflog, lagen alle der Reihe nach flach am Boden, die Gesichter demütigst im Grase, Laub und Dreck verborgen.
Margrit schämte sich plötzlich ihrer Spezies und ärgerte sich zugleich über Robert. War der also doch nicht so selbstlos gewesen wie zunächst gedacht. Denn wäre nicht dieses Kuarin so vorzeitig gekommen, hätte er wohl Erfolg gehabt und die vermutlich bereits als Geschenk angekündigten Menschen hätte Nireneska in seinem Raumschiff einfach mitgenommen. Ein Gänseschauer lief Margrit deshalb über den Rücken. Sie setzte sich sofort mit ihrer kleinen Familie in Bewegung, um sich schnellstens so weit wie möglich auch von Burgebrach zu entfernen.
Sie wären wohl dem Hungertode nahe gewesen, hätten sie nicht schließlich doch noch ein zwar einsames aber funktionierendes Gehöft entdeckt, das sogar dringend Hilfskräfte für die reichliche Apfelernte brauchte.
Muttchen konnte leider nicht für das Essen und das Dach über dem Kopf(sie schliefen in der Scheune) arbeiten, denn die Kälte und die feuchte Luft während der vielen Übernachtungen im Freien hatte an ihren Knochen genagt, vor allem quälte sie ein schwerer Husten. Darum widmete sie sich voll und ganz den Kindern. Besonders abends. denn Julchen und Tobias halfen Margrit, indem sie die Äpfel in Horden verstauten, erzählte sie ihnen Geschichten, sang mit ihnen Lieder oder beschäftigte sie mit allerlei Kinderspiel.
Eines Tages, als es Muttchen besser ging, brachte sie nach einem Ausflug ein altes, sehr dickes, zerfleddertes Buch mit, welches sie während des Markttages von einem Schwarzhändler gegen das einzige inzwischen wieder frisch gewaschene Taschentuch und zwei Paar gut gestopfter Socken getauscht hatte.
Die Kinder waren ganz begeistert davon, hatten sie doch schon lange kein richtiges Buch mehr in den Händen halten dürfen. Leider war es kein Märchenbuch, sondern eines, das von Waffen und Granaten, Raketen und Atombomben erzählte, von Kampfflugzeugen und den guten, alten Maschinengewehren, von chemischen Waffen, Biogas und so weiter. Es war eben ein zwar schön buntes aber militärisches Bildungsbuch. Da unsere Kleinen jedoch erst am Anfang ihrer Lese- und Schreibkunst standen(das alles brachte ihnen Margrit bei, denn das Schulsystem funktionierte nicht mehr), war es ihnen zu mühselig, die Namen der verschiedenen Mordinstrumente zu entziffern. Sie betrachteten lieber die Bildchen, bestaunten zum Beispiel die herrlichen Farben des Atompilzes, der dort abgebildet war, und sahen sich interessiert die rote Farbe der Blutspuren an, die ein Mensch im Schnee hinterlassen konnte, wenn er zum Beispiel angeschossen worden war und bemerkten dabei, dass sie sich so etwas schon mal in echt angeschaut hätten. Die Kinder versuchten, nicht das Grauen zu sehen, sondern eher ihr starkes Bedürfnis nach leuchtenden Farben zu stillen(die schlimmsten Seiten hatte Muttchen ohnehin vorher schon herausgerissen). Da Papier sehr knapp war und deshalb eine Kostbarkeit darstellte, war Muttchen froh, überhaupt dergleichen für die Kinder gefunden zu haben. Obwohl Tobias hin und wieder eine Frage in Bezug des grundlegenden Themas dieses Buches stellte, wurde es doch eigentlich zweckentfremdet benutzt. Man faltete nämlich aus dessen Seiten herrliche Schiffchen, die wegen der Hochglanzseiten besonders lange und ausdauernd im Wasser manch einer stattlichen Pfütze schwammen. Auch entstanden die schönsten Flieger und Segler aus Muttchens “Zauberhand” und sogar wohlgestaltete Schweinchen, Kühe, Hühner und ein prächtiger Hahn, der wie alle anderen bald ein ganzes Gehöft aus Papier bevölkerte, das in einer ruhigen Ecke der Scheune auf dem Holzboden seinen Platz fand.
Ja, Julchen und Tobias lobten und priesen jeden Tag aufs neue Muttchens grandiosen Einfall, dieses große, dicke Kriegsbuch erhandelt zu haben( es hatte sogar einen Ledereinband). Sie sogen schnüffelnd an dessen Seiten den Papierduft ein, rochen am Leder und malten mit einem Bleistift, den Muttchen immer wieder mit einem Obstmesser zurechtspitzen musste, so gut es ging abwechselnd die schönsten Bilder auf die schmalen weißen Ränder der Blätter, dort, wo ansonsten überwiegend Text war. Einen Radiergummi besaßen sie nicht, jedoch einen Schießgummi mit dem man sehr gut radieren konnte, wenn man sich nur geschickt genug anstellte.
Und dann fand sich in dieser Zeit auch noch eine andere wunderbare Beschäftigung, die wieder mal Omas Idee gewesen war. Es wurden Apfelkerne gesammelt, diese fein säuberlich geputzt, mit einer Nadel durchstochen, und auf einen Zwirnsfaden gezogen. Selbstverständlich waren diese Kerne für Julchen "Bärenkrallen", die sie sich im Kampf verdient hatte, und Muttchen musste, nachdem sie gemeinschaftlich mit den Kleinen mühsam zwei Ketten fertiggestellt hatte, diese mit feierlichen, selbsterdachten Indianersprüchen den Kindern umhängen. Seit diesem Tage liefen sie stolz und aufrecht durch die Gegend.
Leider sollte auch jene frohe, unbeschwerte Zeit bald zu Ende sein. Der Bauer brauchte die kleine Familie nicht mehr und so zog man weiter, mit einer Träne im Auge, die Papierfarm, -Schiffchen, -Segler und -Heupferdchen größtenteils hinter sich lassend. Nur eines dieser hübsch gefalteten Pferde quetschte Julchen in ihren ohnehin überfüllten Rucksack: „Liese“ eine stattliche Papierpferddame mit liebvoll aufgemaltem schwarzen Lockenponny und dicht bewimperten großen Augen, die noch ein kleines Heupferdchen mit hellerem Haar in ihrem wie eine Kuhle gefalteten Rücken trug, nämlich den „Freddi“, ihr Kind.
Es zeigte sich jedoch später, dass Freddies stets eingedetschte Stirn und sein durchgebogener Rücken vom Nagellackfläschchen herrührten, das Julchen damals gemeinschaftlich mit Tobias von Robert gemaust hatte und das nun auch immer oben im Rucksack lag, nämlich deswegen, weil sie es griffbereit haben wollte, für den Fall, dass sie sich plötzlich schick zu machen gedachte. Leider, das hatte Julchen schon inzwischen feststellen müssen, ging das Fläschchen nicht aufzuschrauben. Auch Tobias, der inzwischen ebenfalls seine Künste daran ausprobiert hatte, war zwar ein Fachmann für solche Dinge, aber das war ihm nun doch nicht gelungen. Julchen verzweifelte dennoch nicht, weil sie glaubte, dass sie es eines Tages schaffen würden.
„Das würd schon noch Tobi !“ hatte sie ihm immer wieder im Brustton der Überzeugung versichert. „Daas würd bestümmt !“
Auch Tobias konnte sich nicht von seinem Lieblingspapiersegler trennen, der selbstverständlich gleichsam einen Namen hatte, wie der „Flutschi“.
„Feuerstern“, das hörte sich herrlich wild und unzerstörbar an. Feuerstern lag immer dicht neben Flutschi im Rucksack, weil Tobias fand, dass sich die beiden, da sie fliegen konnten, eigentlich ähnlich wären und daher auch recht gut verstehen müssten
Munk hatte natürlich auch ein kleines Überbleibsel aus Muttchens Papierwelt in seinem Tragekörbchen, nämlich gleich zwei aus einer festen Seite zusammen gequetschte Bälle, die er allerdings schon nach einer viertel Stunde völlig zerpflückt hatte.
Leider passierte im Laufe der nächsten Tage, während die tapfere Familie wieder weiter Richtung Würzburg zog, etwas sehr Dramatisches ! Tobias Apfelkern- pardon!- Bärenkrallenkette riss ! Und obwohl Muttchen dem wild schluchzenden Tobias diese wieder zusammenknotete, war sie doch zu kurz geworden und reichte nur noch zu einem Bärenkrallenarmband. Kinder können Kleinigkeiten viel schwerer nehmen als Erwachsene. Ein Streit zum Beispiel kann bei ihnen intensivere Beachtung finden als ein großer Krieg, selbst wenn der dicht um sie herum tobt. Vielleicht hatten sich Julchen und Tobias aber auch im Laufe der Jahre an die ständige Möglichkeit zu sterben gewöhnt. Sie hatten zwar Albträume, aber am Tage versuchten sie alles zu verdrängen und so nahm Tobias den Verlust seiner Kette dermaßen schwer, dass er sich sogar veranlasst sah, während einer Rast zu Julchen hinüber zu fauchen:
“So, weil du mir vorhin meine Bärenkrallenkette kaputt gemacht hast, helfe ich dir auch nich mehr deine Kack ...äh...
Sch... na, deine dämliche Nagellackflasche zu öffnen. Siehste ! Das hast du nun davon !“
Da spritzten plötzlich auch bei Julchen die Tränen. „Du, du bist ja so ... so ... oooh gemein Tobias !“ heulte sie los, doch dann nahm sie sich plötzlich zusammen, holte tief Atem und funkelte Tobias mit ihren großen Augen an. „Du ... du hilfst mir doch, mein Nagelklackfläschchen zu öffnen !“ knurrte sie. „Du musst es tun ! Sonst...“
„Was sonst ?“ Er runzelte düster die Stirn, saugte aber die Unterlippe ein.
„Na, sonst ... sonst hab` ich doch keine hübschen Finger !“ Sie betrachtete traurig jeden einzelnen ihrer kurzen Fingerchen. “Hörst du, Tobi ?“
„Nee, hör` ich nich, so !“ Er schlug die Arme übereinander und wendete ihr den Rücken zu.
„Du Tobi, duhuuuu ?“
„Nein !“
„Du ... aber, duhuuu ?“
Er blickte nun doch so ein bisschen zu ihr über die Schulter und knurrte: „Hm ?“
„Du ... du kannst ja meine Bärenkrallenkette haben, ja ?“
Da kam er direkt in`s Grübeln.
„Machst du mir dann mein Nagelklackfläschchen ?“
„Ich höre hier immer das Wort Nagellackfläschchen ?“ vernahmen sie plötzlich eine höchst vertraute Stimme hinter sich.
Beide Kinder fuhren ertappt zusammen, als Margrit jedem von ihnen eine ihrer schmalen Hände auf die Schultern legte.
„Ja - ah ?“ ächzte Tobias und Julchen bekam rote Ohren.
„Nagellack ist eine Seltenheit heutzutage !“ kam auch Muttchen hinzu. „Daher tragen ihn nur wenige Frauen. Er ist in etwa so kostbar wie Schnaps oder Parfüm, Seife oder Zahnpasta !“
„Habt ihr denn so etwas...“, Margrit keuchte, ehe sie weiterreden konnte, denn sie schämte sich plötzlich wegen ihrer Kinder rein zu Tode, “...von irgend jemandem ge...“, sie musste sich die trocken gewordenen Lippen belecken, „...gestohlen ?“ war endlich das ganze Wort aus ihr heraus.
Beide Kinder wurden blass im Gesicht und nickten beklommen.
„Was habe ich euch immer gesagt ?“ brüllte Margrit nun völlig verzweifelt.
„Wir sollen nich` mehr klauen, nee !“ kam es wisperleise beiderseits zur Antwort.
Margrit seufzte und streckte die Hand aus. “Her mit dem Nagellack, los, los !“
Julchen ließ ihren Rucksack von der Schulter rutschen und vor ihre Füße fallen. Schnell hatte sie das Fläschchen gefunden, denn es lag ja wie gesagt ganz oben.
Margrit betrachtete es stirnrunzelnd, aber auch irgendwie fasziniert.
„Du ..du gibst es...“, Julchen schluckte, „...dem Robert zurück, stümms ?“
„Aha!„ Margrit hielt jetzt die Flasche ins Sonnenlicht. “Ausgerechnet den armen Robert musstet ihr auch noch beklauen!“
„D...daah müssen wir aber ganz ... gaaanz weit zurücklaufen, stümms ?“ fragte Julchen abermals.
„Stümmt“, erklärte Tobias einfach anstelle von Margrit düster.
„Komisch!“ murmelte Margrit nachdenklich. „Zwar habe ich schon seit Jahren keinen richtigen Nagellack mehr in den eigenen Händen gehalten, aber... “
„Der ist doch in Ordnung !“ meldete sich Muttchen sehr interessiert. “Ist nur ein wenig alt. Bedenke, welche Fabrik stellt heute noch Nagellack her !“
„Aber...“, Margrit hielt ihre Brille schief, wie immer, damit sie besser sehen konnte, „...wo ist denn hier der ... der Schraubverschluss ? “
Muttchen lachte. “Na sicher oben ! Der Lack hat übrigens eine sehr schöne orangene Farbe ! Na, wenn ich jünger wäre...“ Sie zwinkerte Margrit aufmunternd zu.
„Ach“, piepste Julchen zu ihr hoch, „und vorhin war er noch gelb !“
„Unsinn !“ brummte Margrit. „Du Muttsch, wo aber ist hier oben ?“ Margrit drehte und wendete die Flasche nach allen Seiten.
Muttchen kicherte abermals. „Ach Margrit, das kann doch wohl so schwierig nicht sein ! Du meine Güte, ist das aber eine herrliche Farbe !“ schnurrte sie schon wieder. „Dieses wunderbare lila würde dir bestimmt gut stehen !“
Margrit nickte und stutzte dann. “Nein Muttsch, das ist wohl eher ein silber ...ein herrliches gold-silber!“
„Na, das ist doch ganz egal, Margrit ! Also bei solch einem Nagellack würde ich nicht lange herumüberlegen und...“
„Aber...“
„Was aber ?“ murrte Muttchen.
„Es gibt gar keinen Pinsel ... keinen Pinsel zum Auftragen, verstehst du, Muttsch ?“
„Na und ? Herr du meine Güte, haben die halt damals vergessen ! Sowas soll vorkommen!“
„Hör mal, Muttsch...“, Margrit setzte sich jetzt ihre Brille wieder richtig auf, „...was wollte Robert eigentlich mit einem Nagellack - er ist übrigens grün - ohne Pinsel ? “
„Hhhrrrgh ...du kannst einen so richtig fertig machen, weißt du ? Der wollte natürlich damit gar nichts, dann schon eher Dagmar, Mensch !“
„Hä, hä, wie haben wir gelacht ! Aber kommt dir das nicht auch irgendwie ...der Nagellack ist übrigens rosa... komisch vor ?“
„Herr du meine Güte, Margrit, immer machst du alles so schwierig! Genieße doch wenigstens mal ein bisschen dieses armselige und gewiss verdammt kurze Leben und freue dich endlich, dass du einen so wunderbar weißen Nagellack gefunden hast...“
„Bist du dir sicher, dass das ein Weiß ist ?“ Margrit kniff die Augen zu skeptischen kleinen Schlitzen zusammen.
„Ich habe ihn aber gefunden !“ fauchte Tobias dazwischen.
„Stümmt !“ Julchen nickte so heftig, das ihr die struppigen Locken nur so um den Kopf herumwirbelten. “Das war der Tobi !“
„Ach, das ist doch jetzt ganz Wurst, Kinder !“ knurrte Muttchen. „Margrit bedenke, vielleicht begegnet dir doch noch eines Tages Paul und dann willst du ja vielleicht ... na ...“, sie zwinkerte ihr schon wieder verheißungsvoll zu. „...hübsche Finger haben“, fügte sie jetzt etwas sachlicher hinzu.
„Ich auch, ich auch !“ bettelte Julchen.
„Ruhe, du bist noch viel zu klein für solche Sachen !“ murrte Muttchen.
„Bin ich nich, nö !“ schimpfte Julchen trotzig.
Muttchen seufzte. „Margrit, jetzt steh` nicht dauernd da und mache so ein Gesicht.“
„Komisch, jetzt ist der Nagellack völlig klar“, brabbelte Margrit nervös, „nur eine dünne Silberpelle schwimmt oben, und wenn man ihn nun so herum hält?“
„He, wollen wir noch vor dem Dunkelwerden in Würzburg sein oder erst übermorgen ?“
„Sind die ganz schwarzen kleinen Punkte da hinten schon Würzburg ?“ fragte jetzt Tobias.
„Sind sie“, erklärte Muttsch ganz einfach.
„Ich seh` sie auch, ich seh` sie au-auuuch ! Und da ... und da und da-ah !“ jubelte Julchen und wies mit dem Finger darauf.
„Also los, pack das Zeug endlich ein, Margrit, und meinst du nicht auch, dass sich später ein Pinsel zum Auftragen finden wird ?“ brummte Muttsch.
„Nein“, Margrit schloss die Augen und atmete tapfer durch, „das kriegt der Robert zurück !“
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst ?“ schnaufte Muttchen und stemmte die Fäuste in die Huften. „Der ... der Mann wollte uns verschenken !“
Bei diesem Gedanken riss Margrit die Augen weit auf. “Da hast du auch wieder Recht !“ keuchte sie.
Julchen machte ein trauriges Gesicht, als sie sah, wie das Fläschchen in der Innenseite von Margrits Weste verschwand.
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Alt 13.03.2005, 11:10   #42
Doska
 
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Standard Kapitel 41

Während sie mit den Fahrrädern weiter Richtung Stadt fuhren, begann sich Margrit doch zu fragen: Passt eigentlich ein brauner, leicht silbrig glänzender Nagellack zu zerflederten Turnschuhen und einer Hängehose ?
Leider stellte sich heraus, dass Muttchen eine Schafherde, die ganz hinten am Horizont das kärgliche Gras abgefressen hatte, irrtümlicherweise für Würzburg gehalten hatte. Der Weg war also viel länger als gedacht und so mussten sie, als es dunkel wurde, erst einmal ihre Fahrräder an einen Baum in der Nähe eines schmalen Sandweges anlehnen und in einem Steckrübenfeld, ebenso wie die sechs bis acht verwilderten Hühner, die hier lebten, nächtigen. Unsere kleine Familie nahm dabei die Koffer und Rucksäcke als Kopfstütze zum Schlafen, legte zunächst eine Plastikfolie und dann mehrere Decken darüber und dann deckte man sich noch mit Mänteln und Jacken zu, gut verborgen hinter zwei, drei großen Holunderbüschen.

#

Kleine Kinder sind meistens früher auf den Beinen als Erwachsene, eigentlich auch Katzen. Doch Munk musste sich erst einmal von einer Auseinandersetzung mit einem großen, getigerten Kater gut verborgen unter Muttchens Decke erholen. Zwar waren Julchen und Tobias leise, als sie bereits im Morgengrauen Hühner fangen quer durchs Rübenfeld hindurch spielten, doch dann hatte Julchen plötzlich etwas im Gebüsch entdeckt, auf das sie Tobias unbedingt aufmerksam machen musste
„Du Tobi, duhuuu ? » quiekte sie ziemlich aufgeregt mit ihrem hellen Stimmchen.
„Ja ?“ fragte er zurück und wendete sich um, denn er war in die entgegengesetzte Richtung gelaufen.
„Du aber, duhuuu ?“ rief sie noch aufgeregter.
Er seufzte. „Ja ?“ Und kam näher. “Was gibt`s ?“
„Du Tobi, Tobi ...Tobiiii ? « Sie klatschte jetzt vor lauter Aufregung in ihre Händchen.
„Ja !“ fauchte er und kam jetzt gerannt. “Was is denn los ?“
„Na ... da !“ ächzte sie wonniglich. „Und da !“ Sie wies mit dem Finger darauf.
Aber er konnte noch immer nichts Besonderes im hohen Grase zwischen den Steckrübenblättern entdecken,
“Ich sehe nichts ?“ sagte er sehr wahrheitsgemäß.
Sie schluckte. „Aber da is doch eins!“ rief sie tief enttäuscht, weil er es nicht fand, und sie beugte sich hinunter. „Und, und, uuuund...“
Er seufzte abermals. “He, sag` doch endlich mal, was ich suchen soll !“
„Na, da is es doch ... oh ... ooooh ... da is ja noch eins, ja ...jaaaaahhh ... und da auuuuch!“ Sie kicherte jetzt glucksend in sich hinein.
„Verfick...!“ aber dann sah es Tobias auch. Er bückte sich, nahm es in die Hand und sein Herz hüpfte ebenso wie Julchens.“ Es war ein nahrhaftes und daher auch sehr wertvolles Hühnerei. Er roch daran und es war frisch ! Der Zufall wollte es – hier lagen genau vier äußerst leckere Hühnereier ! Julchen hatte das Nest einer der Wildhennen, die hier lebten, entdeckt. Die Spucke lief ihnen vor Appetit im Munde zusammen als sie die Eier aufhoben. Es wurde zwar ein sehr schönes Frühstück, nachdem Margrit die Eier feierlich in einer Blechdose mit Wasser über dem Feuer gekocht hatte, aber die Fahrräder waren weg. Zwei Bauernjungen hatten die Freude und daher auch Unachtsamkeit der kleinen Familie ausgenutzt, die Schlösser schnell geknackt und sich in die Sättel geschwungen. Man konnte sie zu Fuß nicht mehr einholen, ihnen nur noch verzweifelt hinterher schimpfen. Die tapferen vier ergriffen schließlich ihre schweren Sachen und buckelten die bis zur Bushaltestelle. Sie waren so langsam gewesen, dass für Munk unterwegs noch genügend Zeit blieb, zwei fette Brummer und einen Engerling zu verspeisen.
Sie hatten das große Glück -und Munk Pech, denn er wurde wieder in sein Tragekörbchen gesperrt-, schon nach fünf Minuten einen der äußerst seltenen Busse zu erwischen. Natürlich mussten sie den Schaffner reichlich bezahlen und zwar in Form von diversen, zur Zeit hoch im Kurs stehenden, Gütern. Margrit opferte hierfür unter anderem auch ihre noch recht gut erhaltene Strickjacke, da der Bußfahrer jammerte, sein Leben zu riskieren, indem er nun eigentlich viel zu viel Leute im Bus hätte und daher sich die Gefahr erhöhe, auf dem Weg nach Würzburg noch von Hajeps abgefangen zu werden, die ja bekanntlich größere Menschengruppen überfielen.
Diese Busfahrt lohnte sich nicht nur für unsere Familie wegen des schweren Gepäcks. Es gab auch so gut wie keine Stadtpläne. Daher hätte man lange durch die ziemlich große Stadt eilen und nach dem entsprechenden Bezirk, nach der richtigen Straße und Nummer suchen müssen, um Muttchens Bekannte zu finden, die sie aufnehmen wollten. Freilich hätten jene Freunde sie auch abholen können, aber es war ein langer Weg und das Paar war nicht so recht auf dem Posten, wie es damals in deren Brief geheißen hatte.
Als es für einen Moment etwas leerer im Bus geworden war, stiegen plötzlich ein paar Leute ein, die vor allem Tobias sofort vertraut vorkamen.
„Dieterchen !“ kreischte er plötzlich los und die Augen glänzten feucht, während er vor lauter Freude laut zu lachen begann. Dieter schluchzte hemmungslos, als er Tobias und Julchen wiedererkannte und dann quetschten sich die Kinder an den Fahrgästen vorbei und fielen einander in die Arme. Annegret war natürlich gleichsam in Tränen aufgelöst, kaum dass sie Margrit und Muttsch hinter den vielen Menschen entdeckt hatte. Nur Herbert rang nach Fassung, wischte sich jedoch immer wieder die Nase.
„Hallo, was macht ihr denn plötzlich hier ?“ krächzte Margrit an den Fahrgästen vorbei. Sie hatte sich die Brille abgenommen, um ihre Tränen von den Gläsern weg zu putzen, aber das gelang ihr nur schwer, da der Bus immer wieder schaukelte, denn die Straßen waren furchtbar. Muttchen bekam einen knallroten Kopf vor lauter Aufregung und hielt sich ihr Herz als sie keuchte:
„Also, das ist ja nicht zu fassen. Euch hier anzutreffen, aber wolltet ihr nicht in Coburg bleiben ?“
„Ja, das stimmt, aber...“, begann Herbert.
„Seine Tante, die hier in Würzburg wohnt...“, schmetterte Annegret dazwischen.
„Ja, die ist gestorben...“,sagte er jetzt einfach, „... und die ist...“
„...stellt euch vor, ganz normal an Altersschwäche !“ übertönte ihn schon wieder Annegret. Darüber musste sie allerdings lachen und das war die Chance für Herbert, endlich weiter zu reden, während sie sich ebenfalls an den Fahrgästen vorbei schoben, um Margrit und Muttsch näher zu sein.
“Tja, so was soll`s trotz allem auch noch geben !“ rief Herbert ihnen schmunzelnd zu. „Sie hat uns ihre kleine Eigentumswohnung vermacht !“
„Das ist ja toll !“ keuchte Muttsch begeistert, kaum dass sie dichter beieinander standen. „Also, wie findest du das Margrit ! He, nun sag` doch auch mal was dazu !“
„Und wie habt ihr das damals von so weit her erfahren ?“ fragte Margrit.
„Über Verwandte, die...“, beeilte sich Herbert.
„...uns auf dem Weg nach Coburg begegnet sind...“, erklärte Annegret.
„...und uns wenig später zu ihrem Gehöft mitgenommen haben...“, fügte Herbert hinzu.
„Ward ihr etwa nie in Coburg ?“ entfuhr es Muttchen und sie kam Annegret dabei noch näher, um sie besser zu verstehen, weil ihre Ohren nicht mehr die besten waren.
„Genau ! Auoooh!“ kreischte Annegret plötzlich. „Gott, meine gute Hose !“
Herbert grinste ein bisschen.
„Tschuldigung !“ keuchte Muttchen betroffen. „Munk wird eben manchmal nervös, wenn er dauernd im Körbchen sitzen muss !“ Sie schob die Pfote zurück, die der Kater zwischen die Gitterstäbe gezwängt hatte.
Herbert schmunzelte abermals und erhielt dafür von Annegret einen giftigen Blick.
„Der ist nicht nervös, Muttsch !“ schimpfte jetzt Margrit, denn ihr war das ganze peinlich. „Der ist richtig aggressiv, dein Kater !“
„Ist er nicht !“ protestierte Muttchen. „Hach, du hast ja gar keine Ahnung von Katzen !“ fügte sie eingeschnappt hinzu.
„Mag sein !“ Margrit schob sich ihre Brille auf dem Nasenrücken zurecht, wie immer, wenn sie auf ein wichtiges Thema zurück kommen wollte. „Also, ihr habt damals bei Verwandten, die Bauern sind, übernachtet und wo...„ Margrit schluckte und schaute sich dabei suchend im Bus um, „...schlief damals Paul ?“
„Ach der ...der kam auch mit uns mit...“, beeilte sich Herbert, “... weil Ilona sich zuerst...“
„...nicht von uns trennen wollte !“ übertönte ihn Annegret.
Der Busfahrer schüttelte verärgert den Kopf über den Lärm, den die beiden Familien machten. Dann jedoch gewann er immer mehr den Eindruck, jene Leute hätten durch die Kriegswirren den Verstand verloren, denn sie lachten, während sie miteinander sprachen, und weinten zugleich, umarmten sich fast ständig und betrachteten sich gegenseitig verwundert auf `s neue, konnten es wohl nicht so recht fassen, dass sie einander wohlbehalten wiedersahen.
Nur eines beunruhigte schließlich beide Familien, dass Paul und Ilona später völlig ihre eigenen Wege gegangen waren.
„Warum habt ihr das zugelassen ?“ warf ihnen Margrit schließlich vor.
„Sie meinten, sie kämen alleine besser zurecht“, kam es verschämt zur Antwort.
„Wisst ihr, dass sowohl in Coburg als auch in Bamberg und Umgebung sämtliche Menschen getötet worden sind ?“
Die Passagiere hatten die beiden Familien so gut es ging zusammen gelassen und ihnen zugehört und kaum, dass die Namen der Städte gefallen waren, warfen sie auch schon ihre persönlichen Erlebnisse oder das, was sie so alles darüber gehört hatten, mit ein.
So war es schließlich wesentlicher lauter geworden, doch das störte weiter niemanden bis auf den Busfahrer natürlich und Munk und dann auch noch Dieterchen. Dieterchen wollte nämlich all das grauliche, was gerade in seiner Nähe herum erzählt wurde, nicht hören und hielt sich daher die Ohren zu und sang dabei ein Kinderlied.
Tobias musste Dieterchen schließlich antippen, da der auch die Augen zusammen gekniffen hatte, um ihm etwas zu sagen. Dieterchen hob die Lider.
„Ja –ah ?“ fragte er.
Tobias machte ihm durch Zeichensprache verständlich, ob er denn noch den Blaui bei sich habe ?
Da nahm Dieterchen, wenn auch ungern, endlich die Finger aus den Ohren.
„Ja, hab` ìch ! Wieso fragst du ?“ Wenn er ehrlich war, langweilte ihn die komische Hartgummikugel schon seit einem ganzen Weilchen. Vielleicht lag das auch daran, weil ihm bisher kaum Kinder begegnet waren, die mit ihm Murmeln hatten spielen wollen. Es hatte auch niemanden gegeben, der ihn wegen dieser prächtigen Kugel bewundert hätte. Deswegen fragte er gleich: “Und was is mit dem Flutschi ? Hast du den noch ?“
„Schscht, leise Mann !“ Tobias zog den Schnodder in der Nase hoch (das war schon gekonnt, denn er hatte meistens gar keinen richtigen Schnupfen) und sagte feierlich: „Is doch ein Geheimnis, du Hirni !“
„Ach so – Tschuldigung !“
„Klar hat er ihn !“ entgegnete jedoch Julchen kess anstelle von Tobias.
„Und ich ... ich hab auch was...“, setzte sie sogleich dahinter, „...nämlich was gefunden.“ Sie versuchte ebenfalls, den Schnodder in der Nase hoch zu ziehen, aber das gelang ihr nicht so recht. „Nämlich einen richtigen Nageklack!“
Tobias warf ihr einen ziemlich gehässigen Blick zu. “Erstens hast du den gar nich gefunden sondern ich und zweitens das heißt nich Nageklack, du Tussi, und drittens gehört der jetzt Mama !“schimpfte er erbost, dass sie sich in Männergespräche einmischte,
„Ach, so !“ meinte Julchen kleinlaut.
„Ich geb` dir den Blaui zurück, wenn du den gegen was anderes tauschst !“ ging Dieterchen ohne Umwege gleich aufs Ziel zu.
„Was ... was willst du von mir dafür haben ?“ krächzte Tobias mit belegter Stimme, kaum, dass Dieter den herrlichen Knuddelball aus seiner Umhängetasche hervorgeholt hatte und ihm entgegen hielt. Tobias schluckte, denn ihm war in diesem Moment klar geworden, wie sehr er schon die ganze Zeit seinen besten - ach - seinen allerallerbesten Freund, seinen guten, treuen Blaui vermisst hatte. Ja, wie hatte er sich eigentlich von diesem trennen, ohne den überhaupt leben können ?
Dieterchen sah, was sich so alles in Tobias Gesicht abspielte und machte ganz kleine, boshafte Augen. „Ich will dafür aber den Flutschi haben !“ sagte er scharf.
„Gerade den ?“ ächzte Tobias. „Ich meine ...willst du nich... lieber was anderes dafür ?“
„Nein !“ Dieses Wort hatte wie ein Peitschenknall geklungen und Tobias fuhr auch so zusammen, als hätte man ihm was übergezogen.
„Naaaa gut !“ Tobias bückte sich schweren Herzens und griff in seinen Rucksack, den er vor sich auf den Boden gestellt hatte. “Ich muss ihn aber erst suchen ... dauert `n bisschen, ohne Scheiß !“
Dieterchen nickte großmütig. Er war zufrieden mit sich, denn was konnte man schon Großartiges mit solch einer dämlichen Kugel anfangen. Der Flutschi hingegen wirbelte nur so durchs Gras, wenn man ihn ankickste. Er konnte fliegen, durchs Wasser sausen, und er kam immer zu seinem Herrn zurück. Dieter schmunzelte in sich hinein, während er all diese Vorstellungen hatte.
Julchen sah dies und zog ihre kleine Stirne kraus.
„Hier !“ sagte Tobias schließlich und keuchte. Er hob etwas rundes, braunes und leicht glänzendes in seinem Rucksack in die Höhe. „Er ... er ist heute etwas schwer!“
„Heute ? Is er nich immer gleich schwer ?“ fragte Dieterchen verdutzt.
„Weiß auch nich ... kommt mir viel schwerer vor, ganz ohne Scheiß !“
„Vielleicht ... vielleicht will er ja auch nich raus ... aus dem Sack !“ piepste Julchen und mischte sich somit schon wieder ein.
„Stümmt !“ gab Tobias, wenn auch ungern zu. “Aber ich ... ich schaff` das schon! Uuups ... ich ... ich will den Blaui und nich dich !“ fauchte er plötzlich das Ding zornig an. „Gehorche ! So ! So, halt schon still, du sch ... scheißschweres Glitschding !“
„Du, Dietercheeeen ?“ fragte Julchen abermals mit ihrem quietschigen Stimmchen.
„Ja ? Gott is der schön!“ jubelte Dieter, als Tobias den herrlichen schimmernden Metallkern endlich aus dem Rucksack hinaus hatte und ihm in die Hand legte. „Der ... der is aber gar nich schwer ! Ganz leicht is der !“ rief er verdutzt.
„Ja, das is er auch manchmal !“ bestätigte Tobias. “Mal is er eben so und mal is er so !“ Er zuckte mit den Achseln.
„Egal, hier hast du dafür deinen Blaui.“ Dieterchen übergab den Tobias mit feierlicher Miene und der seufzte erleichtert.
“Endlich bist du wieder mein !“ wisperte er seinem Knuddelbällchen zärtlich zu. Ach, nur schwer konnte Tobias sich beherrschen. der Kugel auch noch einen ganz dicken Schmatzer oben drauf zu geben.
„Du, Dieterchen, duhuuu ?“ fragte Julchen trotzdem hartnäckig weiter
„Jaah ?“ Behutsam tasteten Dieterchens Finger die feine Gravur ab. Er schnalzte voller Anerkennung mit der Zunge. „Sieht echt edel aus das Ding ...na ...der Flutschi !“ Er pustete den Staub von dessem stromlinienförmigen Rücken und schon begann das Gerät zu funkeln und zu glitzern wie eine sonderbar geformte Metalllampe.
„Du, aber duhuuu ?“ quiekste Julchen abermals.
Beide Jungs seufzten.
„Du ... du wirst keine Angst haben, nee ? Auch nich vielleicht ganz .. g anz später ?“
„Warum ?“ Dieterchen machte nun doch ein etwas ernsteres Gesicht, denn irgend etwas rumorte plötzlich in dem Ding.
„Is ja auch nuuur ein ganz kleines winziges bisschen ekelig, wenn er abends mal sein...“, Julchen schluckte, „...ganz doll haariges Bein zeigt, stümms ?“
„St..stummt !“ ächzte er und wurde etwas blasser um die Nase, da er das Gefühl hatte, dass sich nun irgendetwas Hartes, Kratziges von der Seite her in seine Handinnenfläche schob.
„Na ... vielleicht ... vielleicht zeigt er auch mal was andres ?“ überlegte Julchen weiter laut. „Was andres, mein ich, als nur ein Bein !“
Dieterchen spürte nun, dass sich auch etwas an der anderen Seite des Dinges zu rühren begann.
„Naaaah, ich glaub`...“, plapperte Julchen munter weiter, „...ich frag` mal die Oma, was so ein Käfer alles dran hat. Ja ! Ganz bestümmt mehr ... mehr Beine als eins, stümms ?“
„Stümmt !“ Dieterchen nickte, noch grauer im Gesicht geworden, denn er spürte auf der anderen Seite gleich drei dieser furchtbar kratzigen Beine.
„Und das eine, das ganz doll haarige is...“
Das Ding hob das entsprechende Bein etwas an und winkte damit Dieterchen für einige Sekunden zu.
„... dem Flutschi bestümmt nur mal so herausgeflutscht ... so nich mit Absicht, weißt du ... aber er hat vielleicht Fühler drin und die ... diiiie...“
Dieterchen merkte jetzt, dass sich irgendetwas an dem Vorderteil des Dinges rührte und deshalb wurde er plötzlich ziemlich lebhaft. Er hielt sich nämlich mit einer Hand beim Hosenschlitz fest, weil ... ihm war plötzlich so komisch zumute.
„T...ttobias hast du nich etwas anderes, als den Käf ...äh... Flutschi zum Eintauschen dabei ?“ fragte er etwas nuschelig, denn er hatte jetzt seine Lippe zwischen den Zähnen, um nicht zu kotzen.
Tobias öffnete den Sack, um abermals hinein zu schauen. „Na, was hab` ich denn da noch...“, sagte er bedächtig, grinste aber heimlich zu Julchen hinüber.
Da warfen Dieterchen zittrige Finger das unheimliche Metallding ganz schnell in den Sack.
„Wie wär`s mit dieser Bärenkrallenkette ?“ fiel es Tobias plötzlich ein, und er zeigte ihm die Kette, die er um seinen Hals hatte.
„Einverstanden !“ wisperte Dieterchen, ach, er hätte eigentlich alles genommen, nur um bloß nie wieder dieses komische Ding in den Händen halten zu müssen. „Das mit der Kette war die Oma, stümms ?“ fragte er und betastete dabei die vielen kleinen harten Dinger, die ihm Tobias mit feierlicher Miene umgehängt hatte. Er war noch gar nicht dazu gekommen, die Kette genauer in Augenschein zu nehmen.
„Stümmt !“ sagten beide, sowohl Julchen als auch Tobias.
Komisch, irgendwie traute er ihnen jetzt nicht mehr so recht über den Weg.
„He, jetzt erzählt mir bloß nicht ...“, er musste plötzlich bei diesem Gedankengang inne halten, „... dass diese Kette aus lauter kleinen schwarzen...“, und nun schluckte er bei dieser Vorstellung, “... aufge ... gespießten Käfern besteht!“
„Do–och !“ erklärte Julchen mächtig boshaft.
„Ohne Sch...? Uuups ?“
Da lachten die Geschwister schallend los und Dieterchen kicherte schließlich mit.
Leider kam es sehr schnell wieder zum Abschied, doch die beiden Familien versprachen einander, sich möglichst bald zu besuchen. Herbert hatte inzwischen, obwohl es hier wackelig war, sogar eine kleine Skizze mit den wichtigsten Straßen für Margrit und Muttsch angefertigt, damit sie wussten, wie sie laufen mussten, wenn sie zu Besuch kommen wollten, und selbstverständlich hatte Annegret noch einiges daran auszusetzen, darüber zu malen, etliches verbessern müssen, ehe Margrit das arg zerknautschte und jetzt schrecklich undeutlich zu lesende Stückchen Papier erhalten durfte.
Noch ein letztes Mal drückten sich schließlich alle sieben freundschaftlich aneinander und noch ein letztes Mal langte dabei Munk tüchtig nach allen Seiten zu und dann waren Annegret, Herbert und Dieterchen wieder hinaus. Ach, es wurde so lange gewunken, bis der Bus in die nächste Straße einbog.
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Alt 13.03.2005, 11:15   #43
Doska
 
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Standard Kapitel 42

Unsere Vier waren schließlich fast die letzten, die aussteigen mussten. Die Fahrt war gut und ohne irgendwelche besonderen Komplikationen verlaufen, doch nun stand die Familie etwas verloren mit allem Gepäck an einer der ehemaligen Bushaltestellen und sah sich unsicher nach allen Seiten um. Überall waren Hochhäuser, ein ganz normales Viertel am südöstlichen Stadtrand also, wobei gar nicht mal die Tatsache störte, dass es derart hohe Häuser waren, die einen umgaben, sondern vielmehr die Art und Weise und die Eintönigkeit, in welcher sie einst erbaut worden waren. Es war eines der alten, öden und bedrückenden Wohnsilos, dieser Gettos, welche die Menschen früher immer so beklagt hatten. Heute war man wohl eher froh, dass man überhaupt noch eine Bleibe hatte, denn hier tummelte sich alles Leben.
Offenbar deswegen wartete nun auch der Busfahrer an dieser Haltestelle auf neue Fahrgäste. Er saß lässig auf der Bank im Wartehäuschen und zündete sich eine der wohl vor seiner Fahrt erhandelten Zigaretten an.
Ganz bis zur richtigen Strasse hatte er unsere Vier nicht bringen können, denn dort, wo die war, befand sich eine sehr große, selbst beim besten Willen nicht befahrbare Fußgängerzone. Muttchen hatte plötzlich wieder einmal Beschwerden mit ihrem Rücken. Das lange Stehen im Bus und zuvor die viele Schlepperei war ihr einfach nicht bekommen, daher konnte sie ihr Gepäck nicht mehr tragen. Für Margrit allein war aber alles zu schwer, um es so weit zu schleppen. Die lange Strecke hatte ihnen der Busschaffner zuvor ziemlich genau beschrieben, nachdem er Margrits Handschuhe erhalten hatte.
Sie hatten mit einer solchen Panne nicht gerechnet und besprachen nun aufgeregt miteinander, was wohl am Wichtigsten und gleichzeitig einigermaßen leicht war, um es fortzuschaffen, denn es schien beileibe nicht sicher, dass man das, was man übrig ließ, auch später wiederfinden konnte.
So schleppten Margrit, die Kinder und Muttchen schichtweise ihre Sachen erst einmal aus der Reichweite des Busfahrers, der schon einen unverhohlenen Blick darauf geworfen hatte, und aus der Sichtweite der Menschen, die anscheinend hier schon lange auf den Bus gewartet hatten, und der zuströmenden Leute.
Etwas weiter weg von der Haltestelle entdeckten die Vier, dass erstaunlich viele Würzburger von allen Seiten kamen. Ziemlich schnell wurden es noch mehr und zuerst fielen Margrit und Muttchen gar nicht die entsetzten, bleichen Gesichter jener Leute auf, auch nicht, wie sie aufgeregt miteinander tuschelten und dem erstaunten Fahrer unglaublich wertvolle Handelsgüter boten, wenn er sie nur mitnähme.
Fast alle warteten auf verspätete Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn oder Bekannte. Es war sagenhaft laut geworden. Stimmen riefen aus der Ferne einander angstvoll etwas zu, bald waren es mehr Fahrgäste als der Bus fassen konnte und plötzlich hatte es auch der Fahrer furchtbar eilig und war sogar derart nervös, dass er die Packung mit den Zigaretten einfach auf der Bank liegen ließ.
Dies machte Margrit stutzig, sie hörte auf mit Muttchen darüber zu debattieren, ob lieber die zwei Wolldecken mitgenommen werden sollten oder die Winterstiefel sondern beobachtete aufmerksam das seltsame Geschehen.
„Hajeps !“ krächzte sie plötzlich entgeistert. “Mein Gott, irgendetwas scheinen sie wieder im Schilde zu führen ! Muttchen, Tobias, Jule - schnell in den Bus ! "
Sie sah, dass noch andere Einwohner, die plötzlich aus den Straßen herbeigejagt kamen, den gleichen Gedanken wie Margrit hatten. Jemand musste besonders dieses Viertel gewarnt haben, anders war das hektische Verhalten der Bürger nicht zu erklären. Etliche von ihnen fuhren bereits auf Fahr- oder Motorrädern mit ihrer wenigen Habe Richtung Süden davon, nicht nur aus dem Grunde, weil man in dieser Richtung am schnellsten aus der Stadt hinauskam, sondern auch hoffte, dass die dichten, dort angrenzenden Wälder Möglichkeiten boten, sich vor Hajeps zu verbergen. Um Margrit herum tobte Hektik und Angst. Hunde bellten, Kinder weinten, alte Frauen hinkten mit Tränen in den Augen auf den Bus oder auf die wenigen, randvoll gepackten Autos zu, die jedoch ohne sie zu beachten an ihnen vorbeiknatterten.
Als unsere Vier ebenfalls zum Bus flitzten - leider ohne jedes Gepäck, lediglich den Korb mit dem Kater ließen Muttchens knochige Finger nicht mehr los, die Kinder hatten ihre Schätze noch immer auf ihren Rücken - verfiel der Motor des Busses bereits in heftiges, lautstarkes Getöse. Entsetzt prallten sie vor dessen Eingang zurück, denn keine weitere Person konnte da mehr hineinpassen.
„Bitte, so rücken sie doch etwas mehr zusammen !“ flehte Margrit. Es tat sich dennoch kaum etwas, alles war in Panik geraten, und selbst der Fahrer hatte vergessen, ein weiteres Tauschgut von Margrit zu verlangen. Sie durfte hinein mit ihrer Familie oder auch nicht ! Ihm schien alles egal zu sein. Er wollte nur schnellstens weg, um sein eigenes Leben zu retten.
Darum fuhr er nach kurzem Zögern einfach an. Beide Kinder hatten sich inzwischen irgendwie zwischen die Fahrgäste gemogelt, wurden fast zerquetscht, und auch Muttchen schien sich, zwar nur mit einer Hand, die andere hielt ja immer noch den Korb, seitwärts im Inneren des Busses festgekrallt zu haben. Sie hatte dabei lediglich auf dem Trittbrett Platz gefunden. Alles schwieg verängstigt, nur Munks fauchender Protest war nicht zu überhören.
„Schnell !“ rief Muttchen Margrit zu, doch da fuhr der Bus bereits mit höchster Geschwindigkeit los.
Margrit rannte schreiend mit vielen anderen Leuten nebenher, winkte, bettelte, flehte ... der Abstand zwischen dem Bus und den Fußgängern wurde immer größer... schließlich starrten die Übriggebliebenen nach Atem ringend und fassungslos dem inzwischen weit entfernten Bus hinterher, sahen, sie wie er gerade eine Kurve nahm, Richtung Süden ... in die Sicherheit !
Margrit war verlassen worden. Mit all diesen Menschen und ihren vielen Sachen blieb sie hier zurück. Wohin genau würde der Schaffner ihre Lieben bringen - würde sie die je wiedersehen ? Würde sie überhaupt all das überleben, was sicher hier bald geschah ? Mit zitternden Knien lauschte sie in die Stille hinein. Oh Gott, das war solch ein tödliches Schweigen ! Alle Menschen schienen in diesem Moment den Atem anzuhalten. Zwei Fragen standen in dabei in ihren Gesichtern geschrieben. Was können wir jetzt noch tun ? Auf welche Weise werden die Hajeps anfangen und diesmal zu vernichten ?
Da - ein kaum hörbares Wimmern etwas weiter hinter Margrit. Sie drehte sich um. Dort stand zwischen all den vielen anderen eine junge Frau. Sie fiel dadurch auf, dass sie, obwohl so blutjung (Margrit schätzte sie auf höchstens vierzehn Jahre), bereits Mutter war. Das weißblonde Haar hing ihr von all dem Laufen wirr und schwitzig im erhitzten, sommersprossigen Gesicht. Das Kind auf ihrem Arm schmiegte sich eng an ihre Brust und schluchzte leise. Die junge Mutter hingegen vergoss keine einzige Träne, dennoch verrieten ihre wasserblauen Augen, was sie empfand.
Der alte Mann auf der anderen Seite von Margrit, welcher auch dem Bus hinterher gehetzt war, hielt sich nun das Herz. Er war käseweiß im Gesicht, kämpfte immer noch um Luft.
Ein etwa achtjähriger Junge mit dunklem, widerspenstigem Haar zur Margrits linken fuhr mit bebenden Fingern durch das struppige Fell seines Hundes und redete beruhigend auf diesen ein und der Hund hechelte, die Zunge hing ihm weit heraus. Er wedelte arglos, denn er wusste ja gar nicht, worum es hier eigentlich ging, mit seinem buschigen Schwanz dicht über dem staubigen Boden.
Auch in einiger Entfernung standen die Menschen mit vornüber gebeugten Schultern immer noch keuchend und völlig fertig erst einmal herum, doch dann versuchten sich die ersten von ihnen zusammenzureißen, irgendwie so schnell wie möglich einen Fluchtplan in ihrem Kopfe zu entwickeln. Margrit sah, wie sie die Schultern strafften. Sie atmeten dabei ganz bewusst langsamer ein und aus, stützten schließlich die Hände in ihre Hüften, und ihre Blicke durchwanderten prüfend verschiedene Straßen. Andere hingegen rührten sich noch immer nicht, waren wie erstarrt, ähnlich zum Tode Verurteilter, stierten sie dumpf vor sich hin. Es gab jetzt aber auch ein paar Leute, die liefen sofort los, einfach Hals über Kopf irgendwo hin. Einige von ihnen jedoch, meistens waren es Frauen, hielten nach Verstecken in allernächster Nähe Ausschau. Wieder andere nahmen zu Fuß genau die Strecke, die der Bus genommen hatte (das waren meistens Männer) und etliche sahen das und folgten ihnen, obwohl sie wussten, dass es lange dauern würde, auf diese Weise aus der Stadt hinaus zu sein, über die Äcker in den rettenden Wald zu kommen.
Nicht wenige, die sich hier auskannten versuchten es darum wohl mit besonderen Abkürzungen. Ein paar, die wie Margrit, hier nicht so heimisch waren, hatten dabei Stadtpläne zur Hand. Sie versuchten als Gruppe oder allein das Viertel bis zum Stadtrand zu durchqueren.
Es gab aber auch Familien die zu ihren Häusern, auf der Suche nach einem guten Versteck, zurückkehrten. Und dann entdeckte Margrit auch Menschen, die plötzlich ihre Ohren mit einem Schal zugebunden und dann noch eine Mütze darüber gezogen hatten und so in schlimmer Erwartung auf das Kommende einfach weiterliefen. Aber es bildeten sich auch Gruppen, die erst einmal miteinander gründlich berieten. Die diskutierten jetzt ziemlich laut und sehr aufgeregt und immer wieder wies jemand von ihnen dabei auffordernd mal in die eine oder andere Straße, was jedoch stets mit skeptischem Kopfschütteln abgelehnt wurde.
Gerade als sich Margrit damit trösten wollte, dass diese Panik ja vielleicht auch von einem Verrückten und daher völlig unbegründet herbeigeführt oder irgendeine Nachricht fehlgeleitet sein könnte, vernahmen ihre empfindlichen Ohren ein ihr wohl bekanntes Gebrumm und zwar weit, ganz weit aus der Ferne und sie versuchte sich, wenngleich sie sehr nervös war, darauf zu konzentrieren.
Schweiß trat nach einem Weilchen auf ihre Stirn und dann wusste sie es ganz genau : ja, eine Flotte Trestine näherte sich tatsächlich der Stadt, und kam, das war dabei das Schlimmste, aus dem Süden, genau aus der Richtung, in die der Bus mit ihren Lieben verschwunden war.
`Julchen, Tobias, Muttchen!` pochte es in ihrem Gehirn. `Was kann ich jetzt noch für sie tun ?` Sämtliche Flüchtlinge, ob mit Auto, Motor- oder Fahrrad oder einfach nur zu Fuß hatten sich ja ebenfalls nach dort hin bewegt. Würden all diese Menschen schneller sein als die Hajeps ? `Niemals ... nie!` knallte ihr die Antwort entgegen und ein weiterer fataler Gedanke drängte sich ihr ganz nebenbei auf. Waren etwa die Warnungen über Funk oder Radio für das südliche, dieses besonders dicht bewohnte Viertel, womöglich eine Finte der Hajeps gewesen, nur um am Stadtrand möglichst viele...? Margrit wagte nicht, diesen Gedanken zu Ende zu bringen, statt dessen wurde ihr Hals unangenehm trocken, sie räusperte sich, kämpfte erneut gegen diese lähmende Verzweiflung an. Beschämende Gedanken kamen leider noch hinzu, denn womöglich waren bei diesen Nachrichtenübermittlungen sogar Menschen tätig gewesen ! Menschen gegen Menschen! Menschen auf der Seite der Rehanan oder der Nobos ! Welch eine furchtbare Tatsache ! Aber es WAR nun mal eine TATSACHE, verdammt !
Das Summen aus der Ferne übertönte nun den fiebrigen Klang in Margrits Ohren. Unfähig, jetzt auch nur irgendetwas anderes zu tun, grübelte sie darüber, welche sonderbaren Waffen die Hajeps wohl diesmal einsetzen würden, denn sie hatten ja dafür reichlich Auswahl ! Alles, was Margrit bisher gehört hatte, flitzte dabei durch ihr Gedächtnis. Sie schaute schließlich mit flackerndem Blicken umher, konnte dabei nur noch an das denken, worüber sie zuletzt mit Robert diskutiert hatte. Stand hier vielleicht bereits irgend so ein Gerät ... solch ein komischer Kasten, der diese irren Töne von sich gab, welche die Gehirne zerfressen sollten ?
Im Geiste huschten dabei noch einmal Bilder der seltsam gekrümmten Leichen, die sich die Ohren zuhielten, vorbei. Entschlossen kniff sie die Lippen zusammen. Sollte sie nach diesen Maschinen vielleicht sofort suchen ? Konnte man so etwas noch beizeiten wegräumen oder gar entschärfen wie eine Bombe ? Nein, diese Suche würde gewiss zu lange dauern. Ja, es war doch im Grunde gar nicht sicher, was jetzt passieren würde ! Sie nahm sich vor, ruhiger zu atmen, damit man vielleicht so ein Ding hören konnte. Summte es wenigstens so ein ganz kleines bisschen ? Oder war es besser, wenn sie sich einfach nur die Ohren rechtzeitig zuhielt ... vielleicht noch einen Schal drum herum band, wie die Leute von vorhin ? Hatte das denn je den Menschen genutzt ? Vielleicht schützten ja Häuserwände ? Aber hatte es nicht auch Leichen in den Wohnungen gegeben ?
„Sie ... sie kommen!“ rief sie jetzt einfach dem Mädchen mit dem Kind zu.
„Ich weiß !“ erwiderte die apathisch, machte aber keinerlei Anstalten fortzulaufen. “Es ist zu spät ... viel zu
spät !"
Margrit schob sich an dem alten Mann und den zwei Damen vorbei, von denen die eine fortwährend weinte und sich vergeblich mühte, die rotgeweinten, verquollenen Augen trocken zu wischen.
„Ach, was erzählen Sie denn da!“, hörte sich Margrit und war selber erstaunt über ihre plötzliche Entschlossenheit. „Sie sind doch Mutter. Auch wenn sie selbst noch ein halbes Kind sind, haben Sie doch Verantwortung ... noch können wir alle von hier weg !“ Margrit spähte zum Himmel, denn das Dröhnen war inzwischen entschieden deutlicher geworden. Die Schiffe näherten sich eindeutig der Stadt.
„Fliehen Sie mit mir !“
Stumm, fast trotzig schüttelte die junge Frau ihren Kopf, während das Kind auf ihrem Arm Margrit aus großen, braunen Augen musterte.
„Ich komme mit ... Sitz !“ wisperte der Junge mit dem kurzen Struwwelhaar und zog seinen Hund dabei näher zu Margrit heran. Dieser gehorchte artig, wedelte mit dem Schwanz und fegte dabei ein paar Herbstblätter zur Seite.
„Es ist nicht gut, wenn Gruppen gebildet werden !“ mahnte der alte Mann aufgeregt. „Wenn jeder allein in eine andere Richtung läuft, haben wir bessere Chancen zu entkommen !“
„Er hat Recht !“ wisperte eine etwa fünfzigjährige Frau, die gerade vorbei kam und tatsächlich noch immer ihre Habe mit sich herumschleppte. “Es dürfte recht mühselig für die Hajeps sein, nach jedem Einzelnen von uns zu suchen !"
„Ach, was denkt ihr denn“, schluchzte plötzlich die junge Mutter zu Margrits Überraschung plötzlich los. „Wenn sie wollen bekommen sie uns alle !“ Das Mädchen schob sich das Kind in eine bequemere Lage auf ihre Hüfte. ”Sie haben albtraumartige winzige Waffen, die sie, so als wäre es Schmuck, an ihren Körpern tragen. Zum Beispiel, wenn man sich versteckt...“, wisperte sie, „...das ist keine Lösung für uns, denn sie hören wo wir sind !“
Die Umstehenden schüttelten nun entsetzt ihre Köpfe und wieder ein paar von ihnen ergriffen sich ihr weniges Gepäck und gingen einfach weiter, aber es kamen fast gleichzeitig Neugierige hinzu.
„Meinen Vater, meine Mutter, fast alle ... haben sie auf diese Weise erst kürzlich erwischt und ... „
„... wie machen sie das ... ich meine dieses Hören?“ fiel ihr Margrit ziemlich unhöflich ins Wort.
„Die Jimaros senden, wenn sie zu Fuß sind, mit einem etwa sechs Zentimeter langen, stiftförmigen Gerät Schallwellen in einem bestimmten Umkreis aus, die auch für uns ab einer gewissen Entfernung vernehmbar sind, sofern wir noch gute Ohren haben. Die Töne, die in einem ziemlich gleichmäßigen Abstand erfolgen, erinnern etwas verfremdet an das helle Zwitschern eines Vogels, überschlägt sich jedoch diese Vogelstimme, verändert sie sich zu einem langen und lauter werdenden Pfeifton, dann haben sie einen Menschen erwischt! Es ist zu spät für ihn, zu entfliehen, ihre winzigen Fang- und Schussgeräte funktionieren nämlich blitzartig. Du kannst nicht mehr davon ...ooooh... damals fing alles ähnlich an, doch da hatte ich noch eine Chance, konnten ich und mein Kind im letzten Augenblick gerettet werden...“
Die meisten der Leute, die zugehört hatten, gingen nun auch. Lediglich fünf, nein, sechs blieben, außerdem der Junge mit dem Hund und erstaunlicherweise noch immer der alte Mann.
„Und wie geschah das ?“ wollte Margrit wissen, neugierig, wie sie von Natur aus war.
„Sie können einem aber auch Löcher in den Bauch fragen!” knurrte die junge Mutter verdrießlich und ihr Blick ging dabei zu dem Motorradfahrer, der mit dem Lärm, den seine völlig mit Koffern und Säcken überladene Maschine machte, ihre Stimme fast übertönt hatte. Knatternd und qualmend verschwand er endlich in einer der Nebenstraßen.
“Mein Onkel kam gerade in dem Augenblick hinzu, als der Hajep auf mich zielte, es war im übrigen nur ein einziger Jimaro, denn nur fünf hatten unser kleines Städtchen erobert, nur ein Trestine war bei uns auf dem Acker gelandet. Mein Onkel sprang todesmutig aus seinem Versteck und zog ihm einfach den unteren Teil der Maske vom Mund. Darüber war der Hajep so verdutzt, dass er daneben zielte. Dafür traf mein Onkel gut, er feuerte ihm einfach mitten in den Mund. Wir hatten Glück, dass dieser Jimaro, der wie alle anderen schusssicher von Kopf bis Fuß gekleidet war, so überrumpelt werden konnte. Er brach tödlich getroffen zusammen, ohne seine Kameraden noch um Hilfe rufen zu können und...“
„Habt ihr ihm nicht sofort den Helm abgenommen und die Brille, um zu sehen, wie Hajeps überhaupt
aussehen ?“ rief Margrit aufgeregt. Sie musste diese Frage wohl sehr laut von sich gegeben haben, denn es blieben nicht nur wieder Leute stehen, zusätzlich kam noch eine ziemlich große Gruppe zu ihnen über die Straße gelaufen.
„Sie waren wohl noch nie in Lebensgefahr!” zischelte das Mädchen erbost und die Menschen warfen Margrit sowohl verwunderte, als auch missbilligende Blicke zu. „Sonst wüssten Sie, dass einem dabei sämtliche Neugierde vergeht, dass man nur eines kennt : zu entkommen !“ Blicklos wanderten nun die hellen blauen Augen des Mädchens wieder zu dem Strom Menschen, der hinter dem Kreis Zuhörer jetzt unablässig vorüberzog. Die meisten trugen dicke Mäntel oder Jacken. Einige Männer hatten sogar Mützen oder Hüte auf, Frauen nicht selten Kopftücher um ihre ungepflegten Haare. Dennoch wirbelte allen der Wind, als wolle er sie necken, die fettigen und verfilzten Strähnen darunter hervor.
„Ich war öfter in Lebensgefahr, als Sie denken...”, sagte Margrit leise, „... dennoch finde ich...“, sie dachte dabei für einen Augenblick an Georges Worte und holte daher tief Luft, ”... dass wir uns endlich darum kümmern sollten, wer eigentlich unser Feind ist ! So habe ich zum Beispiel heute zumindest erfahren können, dass Hajeps keineswegs unverwundbar sind, wie es immer felsenfest behauptet wird. Wir Menschen können sie sogar mit unseren einfachen Waffen töten, das ist mir jetzt, Gott sei Dank, klar ! ”
„Wer weiß !“ rief ihnen ein Radfahrer aus der Menge der Vorüberziehenden zu. „Vielleicht war es ja nur ein Roboter!“ Seine große Tochter, die hinter ihm auf dem Gepäckständer saß, mit langen baumelnden Beinen, lächelte dazu unsicher. Das Rad kippelte, als er zur Weiterfahrt ansetzte.
”Hören Sie das eigenartige Gebrumm ?“ fragte die junge Mutter Margrit und ihr Kind schien dabei mit zu lauschen.
Margrit nickte.
„Sie sind gleich da !“ Die Bewegungen der jungen Frau waren ziemlich fahrig, als sie sich mit der freien Hand, eine der langen blonden Strähnen hinter das Ohr strich.
Wie auf Befehl verstreuten sich nun die Zuhörer, liefen schnell, aber immer noch ziellosen Schrittes in die Straßen. Einige hatten Handwagen mit, die sie nun über das ungepflegte und holprige Pflaster der Bürgersteige hinter sich herzogen, manche sogar die schwersten Rucksäcke auf ihren gekrümmten Rücken, doch die Gesichter hinter den meist hochgeschlagenen Krägen und unter den in die Stirn gezogenen Hüten hatten dabei immer den gleichen Ausdruck ... den einer unbeschreiblichen Leere.
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Alt 13.03.2005, 11:18   #44
Doska
 
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Standard Kapitel 43

Jemand hakte sich trostsuchend beim anderen ein und eine junge Frau kuschelte sich schutzsuchend an die Schulter ihres Freundes, während sie gemeinschaftlich, als gingen sie zum Schafott, um eine Häuserecke tappten.
Margrit sah all jenen mit großem Kummer nach und vernahm dabei einen stetig lauter werdenden Orgelton. Zunächst meinte sie, dass ihre Ohren klingeln würden, aber dann merkte sie, dass die Menschen mitten in ihren Bewegungen verhielten und zwar überall in den Straßen, und dass sie dabei völlig entgeistert waren. Sie schienen wie aus Stein gemeißelt zu sein, nur die Köpfe bewegten sich noch, wurden in die Höhe gereckt, denn sie schauten nach Süden zum Himmel hinauf.
Und da entdeckte Margrit es auch : ein kugelförmiges Gebilde mit einem Durchmesser von etwa vier Metern, das oben und unten ein wenig abgeplattet und abwechselnd mit spitzen, antennenähnlichen Stäben und feinen Düsen versehen war, kam langsam näher. Der helle Orgelton wurde deshalb lauter und es flog ziemlich niedrig, immer nur knapp über den Dächern dahin, verhielt sogar für einen kurzen Moment da und dort, erhob sich mal ein bisschen oder senkte sich, drehte sich um die eigene Achse, als ob es sich nach allen Seiten umschauen würde.
„Was will plötzlich dieses DING...“, Margrit fand keinen anderen Namen dafür, ”...über der Stadt ?“ fragte sie sich laut.
„Es ist ein Scabatu!“ erklärte die junge Mutter mit bebender Stimme und drückte das Kind dabei so fest an sich, als könne sie es dadurch schützen.
„Ein was ? He, das fabriziert jetzt wohl extra diese irren Töne für uns“, krächzte Margrit mit belegter Stimme, “damit uns zuerst das Trommelfell kaputt gehen soll, dann die Nervenbahnen und...“
„Nein, nein, so etwas ist es nicht !“ fiel ihr das Mädchen ins Wort. Sie tröstete ihr Kind, da es die Unruhe spürte und wieder zu weinen begonnen hatte.
„Ist schon gut meine Kleine, ja, ja, ja !“ und begann es zu wiegen, bis es wieder völlig still war.
„Und was macht nun so ein Sca...?“
„Scabatu !“ Das Mädchen wischte sich ärgerlich eine ihrer Tränen weg. „Das ist eine intelligente, frei bewegliche Beobachtungssonde aus Biomaterial...“, sie hob sich das Kind auf die andere Seite ihrer Hüfte, ”...die sicher bereits in ihrem Gehirn gespeichert hat, wohin sich die meisten Menschen im Süden wandten und wird auch bestimmt gleich sehen, wohin wir laufen werden.“
Das Baby starrte nun auch zum Himmel, sein kleines Däumchen, an dem es bisher genuckelt hatte, dabei völlig außer acht lassend, denn das Ding schwebte jetzt direkt über ihnen.
Margrit hielt ihre Brille schief um besser zu erkennen. Der Satellit sah, von hier unten aus betrachtet, tatsächlich weich und irgendwie lebendig aus. Die lederartige Haut war vernarbt und hatte überall knubbelige Verfleischungen und Schwielen. Das ganze Ding schimmerte in einer blaugrauen Farbe, fast wie der Himmel. Nur ab und an blinkten kleine rote, manchmal weiße Punkte darin auf.
„Das Scabatu ist über Funk...“, erklärte das Mädchen weiter, „...wahrscheinlich mit den Helmen der Jimaros, jener Truppen verbunden, die hier gleich landen werden.”
„Jimaros ?“
„Ja, das heißt übersetzt Töter, Soldat ! Wussten Sie das nicht? „
Margrit schüttelte den Kopf „Aha, deshalb tragen die ... diese Jimaros immer Brillen ? ”
„Ach wo, nicht nur deshalb, denn...“, das Mädchen kam mit diesem Satz aber nicht zu Ende, da sich ihnen plötzlich ein ziemlich merkwürdiges Bild hier unten auf dem Platz und in den Straßen bot.
Das anfängliche Staunen und die Starre der Menschen hatte sich jetzt in recht übertriebenes Leben verwandelt.
Gestandene Männer brachen sich zum Beispiel, kaum, dass sie das Ding über sich gesehen hatten, in einer Allee kräftige Äste von den Bäumen, wohl um sich irgendwie gegen den zu erwartenden Feind zu wehren. Das wirkte fast komisch, wenn man dabei an die hochtechnisierten Waffen der Hajeps dachte.
Der Anblick des Dinges war wohl auch für zwei Frauen, vermutlich Mutter und Tochter, zuviel gewesen. Sie verkrochen sich, kaum dass die Sonde hinter den Dächern der nächsten Häuser wieder verschwunden war, laut kreischend im Gebüsch, das einen Parkplatz umrahmte und auch der Junge, eben noch dicht an Margrit gedrängt, flitzte wieselschnell, dabei leise vor sich hinweinend und eine Hand ins rissige Halsband seines Hundes gekrallt, einfach fort.
Margrit war entsetzt, denn sie hatte ihn nicht mehr beim Ärmel packen und aufhalten können.
„Bleib doch !“ schrie sie ihm nun hinterher. “Lass dich nicht bange machen ! Wir müssen alle genau überlegen ! Komm zurück ...bitte !“
Auch der Alte hörte nicht, er überquerte ebenfalls so schnell er konnte die Straße, wenn auch schwankend und sich immer wieder das Herz haltend. Margrit schüttelte fassungslos den Kopf. Nur die Mutter mit dem Kind hatte sich noch immer nicht gerührt. Es war im Süden seltsam still geworden, lediglich im Norden hörte man noch den stetig abebbenden Orgelton der davonsausenden Sonde. Margrit ahnte, weshalb es im Süden plötzlich so ruhig geworden war, die Trestine waren wohl zu groß, um direkt hier zu landen, wohl aber am Stadtrand in der Nähe dieses Viertels, irgendwo auf den Äckern.
Wenig später erfolgte jedoch weiteres Grollen aus der Ferne. Diesmal von anderer Seite der Stadt und zwar aus dem Westen ... also näherte sich von dort noch ein kleines Geschwader ! Es war der reinste Hexenkessel !
„Los, komm du wenigstens mit mir !“ Margrit packte die junge Frau beim Arm und versuchte sie mit sich zu zerren. Zögernd folgte die ihr tatsächlich und das Kind auf ihrem Arm blickte erstaunt von einer Frau zur anderen, sein rotgenuckeltes Däumchen immer noch weit von sich streckend.
„Wohin wollen Sie denn mit mir hin ?“ erkundigte sich das Mädchen halb aufgebracht, halb mutlos, als sie an einem kleinen Park vorbeikamen, in dessen Mitte ein Springbrunnen war, der nicht mehr funktionierte.
„K ... keine Ahnung !“ erwiderte Margrit und sie schaute sich dabei in den trostlosen Gassen um. “Ich ...äh... kenne mich hier nicht aus!“
„Unverschämtheit !“ das Mädchen riss sich los. „Was glauben Sie denn, wer Sie sind ? Die Retterin Menschheit ?"
„Nein ...hm... aber ich höre sehr gut, und wenn Sie vielleicht die Güte haben würden, mir zu erklären, wo genau wir uns jetzt befinden, dann könnten wir uns geschickt verstecken ...“
„Das können wir wohl kaum ! Ich habe ihnen doch eben erklärt, welche Geräte die Hajeps haben! Das Scabatu beobachtet alles! Sitzen Sie denn auf diesen Ohren, mit denen sie angeblich so gut hören können ? "
„Aber... es sieht uns doch nur von oben!“ bemerkte Margrit zögerlich.
„Na, von unten wird`s wohl schwerlich gehen !“ Das Mädchen lachte ärgerlich auf und das Baby begann deshalb wieder angestrengt an seinem Daumen zu nuckeln, die kleine Stirn in tiefe Fältchen gelegt.
„Äh, ich meine damit nur, dass diese Sonde“, begann Margrit von neuem, „kaum die Häuser total bis ganz nach unten durchleuchten wird o...oder doch ?“ Margrit bekam bei diesem Gedanken irgendwie Atemstörungen.
“Nein“, beantwortete sie sich ihre Frage einfach selbst, ”denn sonst bräuchten die Hajeps ja ihre komischen Pfeifgeräte nicht !“
„Das ist nicht ganz dumm gedacht”, räumte das Mädchen ein und strich sich dabei ihr langes, blondes Haar aus dem Gesicht, “aber wer sagt Ihnen, dass die Hajeps auch heute diese Pfeifgeräte einsetzen werden ? Es könnte durchaus sein, dass jene Sonde nicht ein Scabatu sondern ein Spelk ist...“
„Ei...ein... Spr...Spelk ? ” ächzte Margrit entsetzt.
„Genau ! Ich kenne mich nämlich darin nicht so recht aus, und ein Spelk kann sehr wohl die Etagen einzelner Häuser von oben nacheinander durchleuchten und dort sofort Menschen entdecken, auch wenn sie sich noch so gut verstecken. Doch Spelks sind wohl ziemlich kompliziert und aufwendig herzustellen und darum sieht man häufiger Scabatus als Spelks über den Städten kreisen. Aber auch ein Scabatu ist schon gefährlich genug, denn es erkennt, wohin sich die Menschen auf den Straßen wenden. Dorthin werden sich dann später auch die Einheiten der Außerirdischen bewegen, daher ist es tatsächlich wichtig, dass jeder von uns alleine bleibt ...Tschüß !“ Und sie bog dabei in eine andere Richtung ein als Margrit.
„Moment“, rief ihr Margrit hartnäckig hinterher, „wissen Sie, dass sie jetzt gerade nach Süden laufen? Meine Uhr ist nämlich gleichzeitig ein Kompass und..."
„Ja und ?“ Das blonde Mädchen sah Margrit plötzlich herausfordernd an. “Ist das denn nicht völlig egal ? ”
„Ich ...ich meine ...nein !“ stotterte Margrit.
„Tristine sind doch auch im Westen gelandet, haben das ihre guten Ohren etwa vergessen ? He, kommen Sie mir ja nicht hinterher“. kreischte sie jetzt und ihre Lippen bebten. „Dies ist mein Weg, den ich gewählt habe !"
„Hab` ich mitgekriegt und deshalb auch kein Interesse an ihrem Sch...Scheißweg !“ brüllte Margrit wütend zurück. Sie schämte sich nun doch ein bisschen. Gut dass das Tobias nicht hören konnte! „Trotzdem müssen sie mir noch eines verraten ... weshalb töten Hajeps nicht gleich sämtliche Menschen mit einem Ruck ? Ich meine, weshalb machen sie sich so viele Umstände, wie zum Beispiel heute ?“
„Weil sie nach etwas suchen !“ rief das Mädchen und schlug dabei den großen Kragen hoch, nachdem sie ihr helles Haar zuvor in die Jacke gestopft hatte. Jetzt sah sie so grau und leer aus wie alle anderen.
„Und WAS ?“ fragte Margrit einfach weiter. “Sicher ihre entflohenen Sklaven, nicht wahr ?“
„Davon habe ich auch schon gehört.“ Das Mädchen blieb nun nachdenklich stehen. „Trowes ... die wollen sie anscheinend lebend haben !“
„Und deswegen werden wir heute sozusagen handverlesen!“ vollendete Margrit deren Satz.
Nun musste das Mädchen doch Grinsen, wurde aber sofort wieder sehr ernst und nickte. „Uns Menschen bringen sie allerdings gleich um!“
„Ist sozusagen, weil`s ohnehin viel zu viele von uns gibt, ein Abwasch !“ Margrit kicherte jetzt ziemlich hysterisch und das Mädchen fiel mit ein.
„...sind ja auch zu viele hierher gekommen“, sagte sie. „Die Hajeps sind geradezu überflutet worden. Diese Trowes müssen allerdings ungeheuer wichtig für die Hajeps sein. Diejenigen Menschen, welche sie heute an die Hajeps verraten oder gar an sie ausliefern, kommen bestimmt zur Belohnung mit dem Leben davon.“
„Ob sich die Trowes wohl als Menschen verkleidet haben ?“
„Ganz bestimmt ! Ich muss sagen, ich bewundere diese Sklaven“, erklärte das Mädchen mit leuchtenden Augen, “dafür, dass sie den Feind so lange schon an der Nase herumgeführt haben.“ Sie holte tief Atem. „Aber das ist es womöglich nicht allein, was die Hajeps suchen.“ Sie drückte das Köpfchen ihres Kindes dicht an ihre Wange und gab ihm einen Kuss. „Sie suchen eigentlich IMMER schon nach Salvarin Trochose !“ Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der freien Hand. „Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, was das ist, aber dazu brauchen sie Menschen ...viele Menschen !“ Und dann wendete sie Margrit endgültig den Rücken zu und lief weiter.
„Halt ...Hallo ? Ei ...einen Moment noch“, schrie ihr Margrit trotzdem hinterher.
Aber das Mädchen reagierte nicht mehr, bog um die Ecke, verschwand einfach hinter einem der leer stehenden Läden.
„Woher wissen Sie eigentlich immer so verdammt gut Bescheid ?“ rief Margrit dennoch und machte sogar Anstalten, dem Mädchen zu folgen. „He, wer sind Sie eigentlich ?“ rief sie jetzt etwas leiser, da sie meinte, dass das vielleicht gar nicht mehr aus solch einer Entfernung zu hören war. „Verdammt, wo kommen Sie her ?“
„Geheimnis !“ hörte Margrit hinter der Ecke. „Viel Glück !“ und dann Schritte, die sich sehr schnell entfernten. Oder hatte sich Margrit das nur eingebildet ? Margrit biss sich auf die Lippe und trottete dann nach kurzem Zögern nach Norden. Sie wollte sich nicht so schnell verstecken, weil sie wusste, dass sie von oben gesehen wurde, sondern lieber Haken schlagen, hierhin laufen, dorthin laufen, beweglich sein, sich dabei aber immer wieder nach den Haltestellen richten, die Route einfach zurück, denn sie hatte vorhin vom Bus aus bemerken können, dass es irgendwo eine uralte riesige Baustelle gab, bei der man damals mit den Häusern nicht fertig geworden war. Es lohnte kaum für Hajeps dort nach Menschen zu suchen, da dieser Platz ziemlich übersichtlich war, und zum Teil ganze Dächer und Wände fehlten. Außerdem befand sich dort auch noch ein alter Selbstbedienungsladen mit Lagerhallen, und einem Hochhaus, umgeben von Bäumen und verwilderten Hecken, in dessen Keller, sich Margrit verbergen und übernachten wollte. Von dort aus würde sie dann weiter zurücklaufen, bis zur anderen Seite der Stadt, in den Norden, wo ein kleiner Wald war mit Moorgebieten.
Sie hielt den Atem an. Alles wirkte wieder so still und viel zu ruhig, nicht mal ein Hund bellte. Anders als zuerst vermutet, war sie sich nun sicher, dass es kaum noch etwas Lebendiges in diesen Häusern geben konnte. Die vielen Menschen, die sie an der Haltestelle noch gesehen hatte, waren vielleicht nur der letzte Rest gewesen. Die Hajeps selber hatten womöglich gar nicht Mal den Alarm ausgelöst. Es kam nämlich mitunter vor, dass die Leute noch rechtzeitig über das Radio von den Beobachtungsposten der Menschen gewarnt wurden. Dieser Fall war hier wohl eingetreten. Es hatte aber anscheinend doch noch Leute gegeben und so auch diesen Busfahrer, die nur deswegen so spät Bescheid wussten, weil sie eben kein Radio gehörten hatten. Margrit nahm an, dass zum Beispiel der Schaffner lieber in aller Ruhe um die Handelsgüter für diese Strecke gefeilscht hatte, als sich mit den neuesten Nachrichten zu beschäftigen ! Sie dachte dabei kurz zurück, wie er sich sich während der Fahrt mit einem Kollegen, der später hinzugestiegen war, unterhalten, und den störenden Radiofunk letztendlich ausgeschaltet hatte.
Deshalb also saßen Margrit und ihre Familie jetzt in der Tinte!
Margrit war voller Furcht und Zorn zugleich. Wie wenig Rücksicht nahmen doch Menschen aufeinander. Die meisten kannten wirklich nur sich selbst. Und wie unvernünftig und dickköpfig. Sie wischte sich den Schweiß - oder sollten das schon wieder Tränen sein ? - vom Gesicht, während sie die nächste Straße, an einer Tankstelle mit eingeschlagenen Scheiben vorbei, überquerte. Alles Wehklagen half ja nun gar nichts mehr. Sie hatte sich, weil sie dem Bus hinterhergerannt war, von der Fußgängerzone mächtig entfernt gehabt.
Defekte, leer geräumte Autos, die manchmal irgendwo inmitten der Straßen standen, sahen sie traurig an, schienen darauf hinweisen zu wollen, dass sich die Menschen einst in einer hochtechnisierten Wohlstandszeit befunden hatten.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.03.2005, 11:19   #45
Doska
 
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Standard Kapitel 44

Nach exakt einer halben Stunde hatte Margrit zwar längst sieben weitere Bushaltestellen hinter sich gelassen, aber von einer riesigen Bauruine, geschweige denn einer Lagerhalle war weit und breit nichts zu sehen. Hatte Margrit sich etwa verfranst ? Das fehlte noch. Na, wenigstens schien sie inzwischen vom südlichen Stadtrand weit genug entfernt zu sein, um den ersten Attacken der Hajeps entgehen zu können.
Während Margrit in einem kräftesparenden Tempo weiter trabte versuchte sie sich damit zu trösten, dass das eventuell keine Hajepeinheiten waren, die in diese Stadt gebracht wurden, sondern Menschen, die nur im Dienste der Hajeps standen. Wie waren eigentlich Menschen zu Menschen, wenn sie die zu töten hatten ? Bestimmt nicht viel anders !
Ihr war ziemlich übel bei diesem Gedanken geworden und so versuchte sie, sich nur ganz auf den Weg zu konzentrieren, vernahm den dumpfen Hall ihrer Tritte, wenn sie wieder über den Asphalt einer Straße preschte oder durch Herbstblätter raschelte und schaute manchmal sogar hinauf zu den Baumkronen. Zwei Straßen weiter ertönte auch von Osten her das lebensgefährliche Brummen.
Zu Tode erschrocken hielt sie erst mal inne ohne zu atmen. Landete etwa noch ein Geschwader ? Ihr Herz hämmerte bis hinauf zu den Ohren, pochte dort unangenehm. Nein, bloß nicht, das durfte nicht sein ! Dann gab es ja nur noch eine Fluchtmöglichkeit, und zwar die nach Norden, genau in jene Richtung wohin die Sonde verschwunden war. Aber, vielleicht verhörte sie sich ja auch ? Sie horchte mitten in diesen störenden Hämmerrhythmus ihres Herzens hinein - verdammt, es stimmte !
Man konnte, wenn auch undeutlich, jetzt von dort ein Grollen vernehmen, das stetig lauter wurde. Margrit schluckte, doch der Klos im Halse wurde dicker, verschloss nicht nur die Kehle, sondern schließlich auch beide Ohren, denn die waren mit einem Male zu. Zu ... aus und vorbei ! Sie hörte nichts vor lauter Angst ! Oder geschah dies, weil sonderbare Töne bereits ihr Trommelfell angriffen ? Sie versuchte diesen Klos endlich hinunter zu bekommen, doch der rührte und ruckte sich nicht. Stattdessen flimmerte und blitzte es jetzt vor ihren Augen und ein grauer Schleier nahm ihr mehr und mehr die Sicht. Säuerlicher Geschmack legte sich auf ihre Zunge. Sie hatte plötzlich unsäglichen Durst. Mein Gott, sie hatte ja auch schon unendlich lange kaum mehr etwas getrunken. Vielleicht funktionierte ihr Kreislauf wieder, wenn sie ganz schnell ein paar Kniebeugen machte !
Vögel flogen jetzt komischerweise hektisch auf und schlugen am Himmel verwirrt ihre Kreise, ehe sie wieder in den Bäumen landeten. Hatte auch ihnen der Lärm Angst gemacht ? Oder war das ein schlimmeres Zeichen ?
Nach nur sechs Kniebeugen waren Margrits Ohren, wenn auch pfeifend und dröhnend, endlich wieder frei und sie machte einen Schritt von der Straße auf den Bürgersteig, als könne sie sich dadurch noch vor allem Übel retten und lachte gleichzeitig innerlich über sich selbst. Sie benahm sich heute wirklich zu dämlich ! Aber sie hatte ihre Ohren wieder, das war das Wichtigste !
Das Donnern aus der Ferne ebbte ab und wieder herrschte völlige Ruhe. Also verließen die Außerirdischen wohl auch auf dieser Seite ihre großen Flugschiffe. Was wurde hier wohl wirklich gesucht ? Es musste etwas verdammt Wichtiges sein, dass sie dafür so viele Leute einsetzten ? Vermutlich würden sie nun mit ihren schnellen Lais durch die Stadtviertel sausen. Von welcher Seite konnten die gnadenlosen Killer wohl zuerst bis in diesen Bezirk vordringen ? Es würde die Hajeps wohl etwas Zeit kosten, vom Osten die Häuserblöcke genauestens bis hierher nach Menschen durchzukämmen ... sofern es in diesen Häusern überhaupt noch Menschen gab! Margrit schluckte bei dieser Vorstellung. Aber wenn, dann hatte Margrit möglicherweise doch noch eine Galgenfrist! Denn auch das Töten verlangte ja, so makaber der Gedanke auch war, wenigstens ein bisschen Zeit ! Die Hajeps vom Süden her würden natürlich schneller sein, denn es war schon ein Weilchen her, dass sie dort gelandet waren.
Sie schob jetzt mit gerunzelter Stirn den Ärmel ihres dreckigen, verfransten Hemdes hoch und blickte auf die kostbare Uhr, die ihr Paul damals überlassen hatte : ja, gute vierzig Minuten länger als die Landung der Flotten im Westen. Vom Süden aus würde es also als erstes am Gefährlichsten werden. Wie weit war dieser Bezirk, in dem sie sich nun befand, vom Süden entfernt, wie groß war er eigentlich und wie die übrigen Bezirke hier ? Sie nahm sich Annegrets und Herberts Skizze wohl heute schon zum dritten Mal zur Hilfe. Hätte sie je gedacht, dass sie die so brauchen würde ? Herbert war sehr gründlich gewesen und hatte auch die übrigen Bezirke wenigstens flüchtig angedeutet. Automatisch musste sie wieder an die beiden denken und auch an Dieterchen. Sie war an deren Haus längst vorbei. Die Türen und Fenster hatten dort überall offen gestanden und sie hatte niemanden gehört, geschweige denn dort gesehen. Hoffentlich waren sie rechtzeitig gewarnt und von irgend jemandem mitgenommen worden ! Und dann war Margrit mit ihren Gedanken schon wieder bei Muttsch und den Kindern. Oh, Gott wenn ... nein, sie durfte sich damit nicht mehr fertig machen. Sie brauchte ihre Kraft, ihren Verstand. Bestimmt hatten sie auch längst die junge blonde Mutter ...! Schon wieder so ein Gedanke. Margrit schob auch den mit aller Macht zur Seite. Sie musste jetzt laufen, laufen, laufen. Je eher sie auf ihrem Weg nach Norden zur Stadtmitte kam, um so sicherer würde sie erst einmal vor den Hajeps sein. Darum jagte sie jetzt so schnell wie sie nur konnte an altertümlichen Mietsblöcken, winzigen Grünanlagen, die von Unkraut und Müll überdeckt waren, an öden Parkplätzen, Selbstbedienungsläden mit zerschlagenen Scheiben und oft völlig zerstörten Kneipen und Restaurants vorbei. Und da – endlich – sah sie auch wieder Menschen.
Etliche jagten genauso wild durch die Gegend wie sie, schauten dabei immer wieder prüfend zum Himmel oder blickten angstvoll hinter sich. Es gab auch welche, die fieberhaft damit beschäftigt waren, die Türen und Fenster ihrer Häuser zu verbarrikadieren. Viele waren als Gruppen zusammen geblieben und einige von ihnen ließen sich sogar beim Vorbeilaufen von Margrit ansprechen. So erzählten sie zum Beispiel, dass die Hajeps ziemlich schnell vorrückten und äußerst brutal dabei vorgehen würden und dass es sehr, sehr viele Jimaros wären. Manch einer berichtete Margrit sogar von eigenartigen Rauchwolken, welche die Hajeps zunächst vor sich her durch die Straßen geschickt hätten. Aber dieser Rauch wäre völlig harmlos, man wisse nicht, auf welche Weise er für die Hajeps nützlich sei.
Dann war Margrit doch wieder weiter gelaufen, und dass obwohl man ihr geraten hatte, sich lieber möglichst bald zu verstecken. Schneller und schneller war sie geworden und es zeigte sich, dass es gut war, früher eine Sportlerin gewesen zu sein. Ihr Herz ging schließlich wieder ruhig und ihr Atem war gleichmäßig. Würde sie es schaffen, die riesige Baustelle, die Lagerhallen noch rechtzeitig zu erreichen ?
Doch als Margrit gerade eine Wohngegend erreichte, die einst wohl von betuchteren Menschen belebt worden war, geschah es ... da glaubte sie plötzlich erneutes Getöse zu vernehmen. Sie unterdrückte das heftige Schnaufen ihrer Lungen. Oh Gott, das Grollen kam ziemlich eindeutig aus der Richtung, in die sie gerade lief, nämlich aus dem Norden. Also landeten auch Raumschiffe dort. Peng ! Die Stadt war also entgültig eingekreist ! Feine Geschichte! Margrit blieb stehen, ließ die Arme und den Körper nach vornüber baumeln, um den Kreislauf ein wenig zur Ruhe kommen zu lassen. Was jetzt ?
`Nur einen klaren Kopf behalten !` sagte sie sich, dennoch begann Blitze vor ihren Augen zu zucken und sie drehte sich wie ein gefangenes Tier hilflos um ihre eigene Achse. `Wohin jetzt nur ... WOHIN ?` hämmerte es durch ihren Schädel. Und abermals spürte sie unsäglichen Durst. Sie versuchte sich schließlich nur auf diesen Durst zu konzentrieren, um bloß nicht wieder von diesen schrecklichen Vorstellungen gepeinigt zu sein. Gab es hier eine Wasserpumpe ? Irgendwo draußen an den Häusern müssten doch Wasserhähne sein ! Oder nahm das Suchen danach zu viel Zeit ? Bloß nichts verkehrt machen ! Der seltsame Geschmack im Mund ließ schließlich nach. Ja, einen Plan entwickeln, das ist das einzige, was vielleicht helfen konnte ! Das leise Knacksen in den Ohren gab den Weg zum Handeln wieder frei.
Doch diese Ohren vernahmen nun leider auch noch das zarte, fast lieblich klingende Sausen der Lais aus den südlichen Bezirken hinter sich, die wohl sehr schnell näher kamen. Also hatten die Hajeps die Häuserblöcke dort bereits durchgeforstet und sicher auch getötet, was das Zeug hielt ! Sie konnte nicht verhindern, sich dabei doch all die schreienden, sterbenden Menschen vorzustellen. Nun war es also soweit ! Die Hatz nach Menschenleben würde von jetzt an für Margrit hörbar sein, weil diese nämlich direkt in diesem Bezirk stattfand. Gab es keinen Ausweg mehr ? Sollte die junge Mutter Recht gehabt haben ?
Ach, Unsinn ! So lange Margrit noch zwei Beine hatte um zu laufen, durfte sie nicht aufgeben. Sie musste ganz einfach zurück zu den Hochhäusern von vorhin, dort waren nämlich sehr dicht stehende Mietsblöcke. Schnell in deren Höfe hechten, sich dort verstecken !
Gesagt, getan. Margrit trabte zu einem von diesen und suchte. Wie kam man nur von hier aus auf solch einen Hof ? Wo war der Eingang, der dorthin führte? Zum Beispiel bei diesem Backsteingebäude hier, an dem sie gerade vorbeischlich ? Oder war man durch die Häuser, die meist um solch einen Hof gebaut waren, erst recht eingesperrt und konnte später nicht schnell genug hinaus ?
Sie hörte inzwischen nun auch das leichte, vielfältige Sausen vom Westen her näherkommen, doch das störte sie im Augenblick weniger. Schlimmer war, dass der Lärm aus dem Süden jetzt so laut tönte, dass er sich sogar an den Wänden genau jener Häuserblöcke brach, vor denen sie stand. Margrits Pulsschlag fing schon wieder an ziemlich wild in den Schläfen zu pochen.
Sie lehnte sich gegen eine Laterne und versuchte sich zu erholen, denn immerhin trabte sie ja bereits mehr oder weniger schnell für gute zwei Stunden durch die Stadt. Dabei hatte sie fast pausenlos Haken geschlagen, in der Hoffnung, die Sonde dadurch vielleicht etwas zu irritieren. Blinzelnd suchten die Augen nun die ganze Umgebung nach einem einigermaßen sicheren Weg ab.
Dort, ganz weit vorne, konnte sie etwas ähnliches wie einen Sportplatz, nein, eher Schulhof ausmachen und wo ein Schulhof war, befand sich ja bekanntlicherweise auch ein Schulgebäude. Ja, da musste sie hin, denn das große Gebäude erschienen ihr im Moment am günstigsten, um sich zu verstecken und gleichzeitig noch ein wenig beweglich zu sein.
Nanu ? Der feine Summton der Gleiter hatte jetzt aufgehört ? Liefen die Jimaros hinter ihr etwa inzwischen zu Fuß ?
Ja, so schien es. Plötzlich drangen kaum hörbare Befehle von irgendwo her bis zu ihr hin. Der Wind, der sie ihr zutrug, verzerrte sie zwar etwas, aber dennoch war die eigenartige Sprache, welche Margrit erst kürzlich durch Roberts Funkgerät vernommen hatte, gut vernehmbar.
Margrit erschauerte, oder war ihr nur kalt ? Sie hatte so viele Hajeps noch nie aus solch einer Nähe gehört. Kaum waren die Befehle verklungen, folgten stürmische Antworten aus - erstaunlicherweise wieder sehr heiseren -Männerkehlen. Diese klangen zwar für Margrits Ohren genau wie damals, fremd und seltsam, sehr dunkel und rauh, jedoch hatten sie eine sonderbare Ausstrahlung, die man (Margrit war im Begriff sich für diesem Gedanken zutiefst zu tadeln) irgendwie auch als erotisch bezeichnen konnte. Aber es gab wirklich kein treffenderes Wort dafür ! Wie mochten Männer, die solche Stimmen hatten, wohl erst aussehen ? Margrit errötete. Was war nur plötzlich mit ihr los? Weshalb konnte sie derartige Gefühle trotz dieser großen Lebensgefahr für den größten Feind der Menschheit entwickeln ? Hatte sie denn plötzlich den Verstand verloren ?
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Alt 20.03.2005, 12:21   #46
Doska
 
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Standard Kapitel 45

Kapitel 8

Sie versuchte ihre wohl etwas wirr gewordenen Sinne zu ordnen. Ihr war klar, dass die südlichen Einheiten wieder in kleinere Grüppchen aufgeteilt und dazu abkommandiert worden waren, ganz bestimmte Gebiete dieses Bezirks auf das Gründlichste zu durchkämmen. Wie schnell mochten diese Kerle zu Fuß sein ? Zu welcher Gruppe gehörten sie ? Zu den Rehanan oder zu den Nobos ? Wie dem auch war, Margrit musste weiter ! Mit weichen Knien setzte sich Margrit wieder in Bewegung. Wohin nur ... wohin ? Sie war immer noch durcheinander. Zudem hatte sie diesen unerträglichen Durst. Sie kam kaum noch voran ! Das ist wie in einem Albtraum.
`Los, gib dir wieder einen Ruck, noch ist es nicht zu spät !` schimpfte es in ihrem Inneren. Da wurden Margrits Schritte rascher, raumgreifender, sie rannte wieder ... einfach diesen schönen Stimmen davon. Gleichmäßig und ruhig war der Rhythmus ihrer Füße geworden, als sie der Schule näher kam. Hier war eine herrliche Allee, in der, wie Soldaten - oh, wie passend - schön in Reih und Glied, junge Birkenbäumchen standen. An einer struppigen Hecke, die als Sichtschutz für die Terrasse dahinter diente, bremste Margrit, etwa dreihundert Meter vor dem Schulhof, um Atem zu schöpfen. Sie schloss dabei die Augen, um wieder wenigstens für einen kurzen Moment zur Ruhe zu kommen.
Überall summten inzwischen Gleiter - wie immer ausgesprochen melodisch klingend - durch die Straßen der Stadt. Befehle waren zu hören, aber auch lautes, wohl menschliches Geschrei und Gezeter, unterbrochen vom Prasseln und Knattern außerirdischer Gewehre.
Margrit versuchte dagegen abzuhärten. Na, wenigstens hier hörte sie keine Fußtruppen mehr. Sie nahm schließlich auf der Steineinfassung des Grundstückes völlig erschöpft Platz, auch um endlich den Sand aus den Augen zu bekommen, den sie sich wohl mit dem Ärmel versehendlich hineingewischt hatte, doch nach etwa drei Minuten war sie wieder hoch. Ein kurzes Zischeln aus einer der ganz in der Nähe liegenden Straßen war zu vernehmen gewesen. Etwa Schüsse ? Sie keuchte. Wurden jetzt auch direkt hier Menschen erwischt ? Sollte sie schnellstens über die Steineinfassung, über den Rasen und dann über die Terrasse hechten, die Scheibe zerschlagen und mitten in dieses Reihenhaus hinter sich hinein ? Fliegen konnte man aber später nicht, wie manchmal in ihren Träumen, wenn dort die Eingänge erst einmal in Beschlag genommen waren, höchstens von oben aus dem Fenster springen, aber dann durfte es nicht so hoch sein.
Jetzt glaubte sie von rechts, also von östlicher Seite her, ebenfalls diese ungewöhnlich heiseren und schönen Stimmen zu hören, die Befehle erteilten und dann wieder die Antworten vieler, anscheinend recht wilder Männer, die alle zugleich parierten. Sie biss sich auf die ohnehin schon viel zu zerfetzte Lippe und lief kurzentschlossen weiter auf das Schulgebäude zu. Doch weiter entfernt als gedacht ! Es war schon schlimm, denn Margrit spürte vehement, wie ihre Kraft nachließ. Jetzt hörte sie helle Pfiffe, sie klangen wie ein Zwitschern, doch waren sie viel zu rhythmisch, um von einem Vogel zu stammen. Zögernd und ratlos setzte sie nun einen Fuß vor den anderen. Am lautesten schien es komischerweise genau aus der Richtung zu fiepen, in welche sie hatte laufen wollen. Waren die Hajeps etwa in dem Schulgebäude ? Oder schlichen sie nur in den Nebenstraßen herum ? Hatten Menschen den gleichen Gedanken gehabt wie Margrit und sich in der Schule versteckt ? War man ihnen schon auf der Spur ? Konnten Hajeps Margrit etwa vom Schulgebäude aus bereits sehen ? Da hastete sie doch lieber den Weg zurück, bog um die Ecke ... dort war ein Zeitungskiosk ...da hinein ? Ach, Quatsch ! Oder in ein Auto ... dieses kaputte da ? Ginge möglicherweise, wenn das offen war und sie sich drinnen ganz klein machte, liefen die Hajeps vielleicht später daran vorbei ! Sie blieb nach Atem ringend stehen. Komischerweise bekam sie immer weniger Luft für ihre Lungen.
Das rhythmische Pfeifen von hinten aus dem Schulgebäude hatte sich plötzlich in einen lauten und lang anhaltenden Pfeifton verwandelt ! Türen gingen, sofort folgten herzzerreißende Schreie einer Frau und dann die eines Mannes. Er brüllte ... ja er brüllte in etwa wie ein Tier ! Margrit zitterte, klapperte mit den Zähnen und tat nun genau das, was eigentlich sonst immer Dieterchen nur machte. Sie hielt sich nämlich einfach die Ohren zu, denn sie konnte ja nicht helfen. Dennoch drangen die Schreie bis zu ihrem Trommelfell durch, schließlich vernahm sie das typische kurze Prasseln, dann Stille und kurze Zeit danach hörte Margrit wieder das rhythmische, fast heitere Pfeifen, diesmal im Freien auf dem Schulhof! Also, war`s wieder Mal erledigt, ging die Hatz auf andere Menschen weiter !
Nach einem kurzen Heulkrampf versuchte sich Margrit endgültig von dieser recht blitzartigen Hinrichtung abzulenken. Die Idee mit der Schule war eben keine so gute gewesen ! Tja. .. Pech gehabt ... aus und fertig! Verdammt ! Plötzlich kam ihr ein Gedanke. He, womöglich war es besser, wenn man sich stellte, war doch vorhin bei diesem Paar eigentlich schnell gegangen ?
Jetzt kam ein ziemlich nahes Pfeifen auch noch von rechts. Ein weiteres Trupp stieß also zu den Kameraden, die noch immer auf dem Schulhof waren. Himmel, was suchten die eigentlich da ? Das weckte Margrit schlagartig aus ihrem halb apathischen Zustand, denn wer sagte ihr, dass man sie sofort erschoss ? Sie suchten ja auch nach Sal ... na, dem Zeug, das sie wohl irgendwie aus den Menschen gewannen. Es kam wohl ganz darauf an, in wessen Hände man dabei geriet. Ihr fiel automatisch das dramatische Ende ihrer besten Freundin ein. Marianna, ja, sie sah jetzt sogar das Bild von damals vor sich. Diesen aufgesägten Schädel von ihrem Freund ... schon rüttelte Margrit entschlossen an der Tür des kleinen Sportwagens, aber die war zu verbeult und verrostet, ging nicht mehr auf.

#

Verzweifelt und mutlos, die dürren Arme hoch erhoben und im Nacken verschränkt, humpelte Muttchen durchs Laub. Lange würden das ihre armen, alten Beine nicht mehr durchhalten, aber sie mussten es noch schaffen bis zum Wald, dessen Wipfel man schon von hier aus hinter einem der großen Grashügel sehen konnte. Von dort aus hatte auch der Wind bereits das Knattern der Gewehre und die anschließenden furchtbaren Schmerzensschreie der tödlich getroffenen Menschen Muttchen zugetragen. Ja, sie glaubte jetzt sogar, dass ihr der Geruch von Blut und Rauch zugeweht wurde. Tränen traten ihr in die Augen. Dann sah sie, wie die nächste Gruppe Menschen, es waren diesmal vorwiegend jüngere Leute, die wesentlich schneller als Muttsch laufen konnten, den Hügel hinauf getrieben wurde.
Den Kater hatte Muttsch schon seit einem Weilchen nicht mehr bei sich.. Munk war nämlich vorhin, kaum dass die Hajeps seinen Käfig geöffnet hatten, um das ihnen wohl fremdartig erscheinende Tier gründlicher in Augenschein zu nehmen, einfach in`s Freie gehopst. Einer der umstehenden Soldaten hatte zwar den Fehler gemacht, ihn noch in letzter Minute hochnehmen und festhalten zu wollen und wohl nicht damit gerechnet, was Katzen so alles fertig bringen können, wenn sie meinen, in allerhöchster Lebensgefahr zu sein. Vor Schreck hatte der Jimaro dann auch die beißende, fauchende und mit sämtlichen Pfoten nach allen Seiten kratzende Bürste auf den Boden fallen lassen, von wo aus sie dann wie der Blitz ins nächste Gebüsch zischte. Muttchen schmunzelte, obwohl ihr die Tränen die alten Wangen hinabflossen, nun doch so ein bisschen darüber. Wenigstens hatte der Kater es denen mal tüchtig gezeigt, ha! Zu schade nur, dass diese Kerle immer eine kaum zerstörbare Uniform trugen.
Hinter sich hörte Muttchen die tapsenden, unsicheren Schritte der Kinder und das Rascheln von Blättern. Tobias hatte den Kopf gesenkt und ebenfalls seine kleinen Ärmchen im Nacken, genau wie Julchen. Die Kleinen waren völlig fertig. Ihre Augen waren dick geschwollen vom vielen Weinen. He, nicht einmal die Nase durfte man sich wischen. Sonst bekam man sofort von Diguindi – ja, es war jener Diguindi, den sie damals aus dem komischen Kontaktgerät gehört hatten, Julchen und Tobias hatten seine Stimme sofort wiedererkannt – das Gewehr zwischen die mageren Rippen gepresst und das tat furchtbar weh. Auch Julchen hatte bereits überall blaue Flecke.
Es war natürlich klar, dass Diguindi Tobias ganz besonders furchtbar böse war. Na ja, vielleicht hätte Tobias das mit dem Blaui vorhin lieber doch sein lassen sollen ? Den hatte er nämlich Diguindi direkt an den Kopf (wohl eher Helm!) geworfen, kaum dass der es gewagt hatte, in den voll besetzten Bus hinein zu schauen, kurz nachdem seine Kameraden diesen gestoppt hatten, indem sie den Busfahrer einfach erschossen.
Sämtliche Passagiere hatten danach aussteigen müssen und Tobias wurde von Diguindi aussortiert. Er kam an dessen Seite und nicht nur Tobias auch Julchen hatten deswegen fürchterlich geheult und herumgeschrien und Muttsch hatte schließlich gar keinen Ton mehr hervorbringen können, da sie plötzlich unter einem fürchterlichen Herzanfall gelitten hatte. Dann war die Sache mit dem Kater passiert und so wurde auch Muttsch zur Strafe, weil das ihr Kater gewesen war, von Diguindi einfach aussortiert. Na ja, und Julchen, die hatte sich dann schließlich ganz von allein zu ihrer Familie und somit zu Diguindi gesellt, was Diguindi erstaunlicherweise völlig gleichgültig war.
Dieser Diguindi war überhaupt ziemlich komisch, wenn man das recht bedachte. In dieser halben Stunde, die sie nun schon über die Wiesen liefen, schnauzte er zwar bei jeder Kleinigkeit wie wild herum, während er die kleine Familie vor sich her trieb, sodass man das meilenweit hören konnte, aber ansonsten geschah weiter nichts Schlimmes, ganz ohne Scheiß.
Die anderen Hajeps waren viel schneller, hatten inzwischen wahnsinnig viele Leute zu großen Gruppen zusammen getrieben, dabei auch immer wieder Busse und Autos angehalten und geleert und diese nun an Diguindi vorbei den großen Hügel hinauf und in den Wald getrieben. Tja, der Diguindi ließ sich eben Zeit, hielt sogar manchmal inne, wenn zum Beispiel Muttchen für einen kurzen Moment verschnaufen musste, oder wenn Julchen über irgendetwas gestolpert war. Aber, und das war wirklich zu komisch, kam nur irgendjemand von seinen Kameraden vorbei und der schaute vielleicht auch noch etwas genauer hin, wurde er wesentlich ungeduldiger. Trotzdem hatte Tobias Angst, denn jetzt konnte man immer besser die schrecklichen Schreie aus dem Wald heraus hören und diese vielen knatternden Schüsse ... wieder und immer wieder ! Ach, Tobias wollte gar nicht wissen, was dort geschah. Vorsichtig lugte er nun über die Schulter zu Diguindi hinüber. Nichts, rein gar nichts konnte man hinter dessen Helm und Maske erkennen. Tobias kleines Herz pochte, als er den Hajep trotzdem mit seinen großen Augen fragend anschaute. `Was hast du vor ?` fragte Tobias stumm. Vorsichtig ganz vorsichtig zog Tobias den Schnodder in der Nase hoch, während er weiterhin den großen, starken Mann hinter sich bittend anstarrte. Julchen sah, was Tobias vorhatte und wurde nun auch langsamer, schaute zu Diguindi hinüber und wagte ein kleines Lächeln. Da er keine Reaktion zeigte lehnte sie sich schließlich so ein bisschen gegen Diguindis Hüfte. Das war wohl zuviel für den Hajep.„Dus, xondra en skirko takinis !“ fauchte der los und das hörte sich an wie das gewaltige Brüllen eines
Löwen. „Galet udil ! Xondra dawu !“
Natürlich hatte niemand etwas verstanden, aber die wütenden, abweisenden Bewegungen hatten genug bewiesen.
Sofort ließ die kleine Familie erschrocken von ihm ab, ja sie beeilte sich sogar ihm schnellstens voran zu laufen.
Nach etwa einer viertel Stunde hatten sie den Hügel erreicht. Der Geruch von Blut war jetzt noch viel intensiver geworden. Julchen begann sich deshalb zu würgen, doch ihr Magen brachte nichts mehr hervor.
Schon hatten sie den schrecklichen Hügel erklommen. Muttchens dürre Beine zitterten, denn sie wusste, was sie dahinter zu sehen bekommen und auch am eigenen Leibe erwarten würde, als ihnen einer der Hajeps von oben entgegen kam.
„Tjufat Diguindi ?“ brüllte der und die Familie erkannte erschrocken, dass das die Stimme des Rekomps Nireneska war.
„Akir !“ Diguindi versuchte, so gut es ging, auf diesem schrägen Hügel Haltung anzunehmen.
„Djagba ! Ukam tur !“ schnauzte der Rekomp. „Wona jukon da len te Jink, chesso ?“
„Hm ... Chesso ! Pla wan ta ir ad !“ Diguindi wies in die Richtung aus welcher der Rekomp gekommen war, er zögerte, ehe er seine Bitte hervor brachte. “Bani noi rug teten lumantis len tetu itizur ?” Er wies nun zur anderen Seite des Hügels hin und diesen hinab.
Nach kurzer Überlegung nickte der Rekomp zustimmend, wendete sich ab und lief wieder den Hügel hinauf und von dort ins Tal, wo auf`s neue Schüsse und Schmerzensschreie zu hören waren.
Diguindi hingegen stapfte mit der Familie nun die andere Seite hinab, wo zwar auch ein kleines Wäldchen war, jedoch weiter entfernt. Unten angekommen trieb er sie erst einmal über eine große Wiese und dann kamen sie zu einer großen, starken Eiche, die dort ganz vereinsamt stand. Ein Maulwurf hatte direkt hier gewühlt und Diguindi schulterte sein Gewehr und besah sich drei dieser prächtigen Hügel erst einmal gründlich – wahrscheinlich war er neugierig -, dann holte er eine kleine Schippe aus seinem Gürtel und trug noch etwas Erde von den übrigen Maulwurfshügeln zusammen. Die Familie fand das zwar recht eigenartig, wagte aber nicht ihn dabei zu stören. Mucksmäuschenstill blieben sie unter der Eiche stehen und schauten ihm dabei zu. Diguindi vergrößerte die drei kleinen Häufchen. Die übrigen Maulwurfshügel, welche noch in der Nähe waren, trampelte er ziemlich aufgeregt flach. Dann betrachtete er sein Werk und schüttelte doch irgendwie verzweifelt darüber den Kopf. Seufzend nahm er wieder das Gewehr von der Schulter und visierte die Familie an, zuerst Muttchen, die hielt sich jetzt das Herz, dann Tobias, der zog den Schnodder in der Nase hoch, danach Julchen, die dabei an ihrem Ärmel zu nagen begann. Er seufzte abermals und senkte den Lauf.
„Höt zu !“ sagte er nach einer Weile des Nachdenkens. “Isch feuererere jetzzzt sechs Schusse in die luftig !“ Er holte tief Atem, so aufgeregt war er. “Unt ihr ... ihr schrrrait gaaanz doool ... serr, serr dool ! Verstandin !“
„Verstanden !“ riefen die drei fast gleichzeitig.
„Krikt jeetzzzt keinin Schrick!“ Und schon legte Diguindi los, wüste Schimpfworte in seiner Sprache vor sich hin brüllend schoss er einfach irgend wohin in die Luft. Und die Kinder und Muttsch schrien und jammerten dabei, was das Zeug hielt. Doch dann geschah etwas, womit sie leider nicht gerechnet hatten. Diguindi schaute sich erschrocken um, denn er hatte in einem der Rückspiegel, welche sich an seiner Waffe befanden, Rekomp Nireneskas Helm hinter dem Hügel auftauchen sehen und dann kam auch schon dessen Maske zum Vorschein und schließlich auch seine breiten Schultern und dann war der ganze Kerl da. Er lief den Hügel direkt zu Diguindi hinab.
„Noi jato da auka raot ! » rief er schon von weitem aufgeregt. „To juko nenzo ter Xulos ir Gilgam rawanga ! Galmanokimir “
Diguindi nickte und wies mit einer stolzen Bewegung auf die drei Maulwurfshügel. Der Rekomp zeigte sich verwundert.
„Hich, Diguidiii !“ rief er aus. „ Moa Widava !“ Er gab ihm anerkennend mehrere „Knuffis“ mit dem Ellenbogen in die Rippen. „To onnope kontriglus el palta !“ zischelte er begeistert hinter seiner schnabelartigen Maske hervor. Dann wendete er sich wieder um und lief den Hügel empor. Hinter welchem erneut die Schüsse seiner Männer zu hören waren.
Muttchen glaubte zu erahnen, was Diguindi soeben seinem Rekompen weiß gemacht hatte, nämlich, dass er die kleine Familie nicht nur erschossen, sondern auch noch zusätzlich deren Leichen sofort zu ordentlichen kleinen Erdhäufchen verarbeitet hatte. Über die Tierwelt des Planeten Erde schienen wohl nur die wenigsten Hajeps Bescheid zu wissen und so hatte Diguindi auch noch ein Lob für seine „Sauberkeit“ von Rekomp Nireneska erhalten. Muttchen verstand allerdings nicht, denn das ganze war so furchtbar schnell gegangen, wie sie so plötzlich bis ganz nach oben in die dicke Eiche gekommen war. Sie saß sogar noch höher als Tobias auf einem kräftigen Ast direkt über ihm und Julchen befand sich auf der rechten Seiten von ihr, ganz in der Nähe des Baustammes, auf einem etwas dünnerem Ast als der, an welchem sich gerade Tobias mit seinen Beinen und Ärmchen festgeklammert hatte. Das dichte, bunte Laub der Eiche verbarg die kleine Familie fast völlig, aber die Höhe war ganz enorm. Niemand von ihnen traute sich jetzt so recht wieder hinunter. Würde man beim Hinabklettern vielleicht hinabstürzen, schrecklich tief, und sich dabei die Knochen brechen ?
„Jeetzzzt ihr kannt los lassin !“ wisperte Diguindi zu ihnen hinauf.
„Neieeein !“ krächzte Tobias.
„Abar doooch, abar doooch !“ knurrte Diguindi ungeduldig. „Kainee Fuischt !“
Und ganz so wie vorhin streckte der Hajep nur den Arm nach Tobias aus, bläuliches Licht erschien hinter seinem Helm und eine sonderbare Kraft hob nun leider nur Tobias Hintern etwas an. „Loss lassin haber isch gesakt !“ schimpfte Diguindi von unten.
„Naaa gut !“ ergab sich Tobias schließlich doch und dann wanderte das kleine Kerlchen zur Erde.
Auf diese Weise holte Diguindi einen nach dem anderen vom Baum. Pflückte sie sozusagen wie Äpfel. “Unnt
nunn ihr werrdet laufen in tiesen Wallld unt dort bleibin die gase Naacht ! Verstandin ?“
„Verstanden !“ antwortete die kleine Familie.
„Morgän schleischt ihr daaan noch Reickenbreg. Tiesen Menschänn tun wir namlisch nixts ! Fengi pa itun. Läbt woll!“ knurrte er und dann wendete er sich einfach um und verließ die kleine Familie, so schnell er nur konnte.
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Alt 20.03.2005, 12:24   #47
Doska
 
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Standard Kapitel 46

Margrit hatte indes einen großen Umweg an dieser grässlichen Schule vorbei gemacht, um nun doch endlich zu dem Baugrundstück, den Lagerhallen und dem Selbstbedienungsladen zu kommen. Das ist wohl jetzt doch das Beste, sagte sie sich jetzt. Sofern alles dort war, wo sie es vermutete. Aber durch die vielen Haken, die sie hatte schlagen müssen und durch die Umwege hatte sie weitere Bushaltestellen kaum mehr als Richtschnur nehmen und diese auch schwer wiederfinden können. Aber das Baugrundstück musste jetzt einfach kommen. Schließlich hatte sie die gesamte Umgebung lange genug danach abgesucht !
Plötzlich, es erschien ihr wie ein Wunder, sah sie hinter einer Häuserreihe den großen Platz. Sie lächelte und machte wieder einen tiefen Atemzug vor Erleichterung und dann begann sie noch ein bisschen schneller zu laufen. Ach, es war schon komisch, dass hier immer noch ein großer Kran stand, wie für die Arbeit bereit. Allerdings schlängelten sich allerlei Pflanzen an ihm empor und er war ein wenig auf die Seite gekippt, lehnte zum Teil an einem halbfertigen Haus und an einem jungen aber starken Baum. Zwar war Würzburg eine der wenigen noch relativ gut funktionierende Städte gewesen, so wie auch Coburg und Bamberg, und deswegen waren ja die Menschen gewiss bis hierher geflohen, doch hatte sich wohl nach und nach herum gesprochen, dass sich auch hier Außerirdische angesiedelt hätten. Das hatte den Menschen vermutlich ganz allmählich die Hoffnung geraubt, zudem mochte es wohl immer weniger Möglichkeiten gegeben haben, mit anderen, weiter entfernten Städten Handel zu treiben, und so hatte man wohl schließlich auch keinen Grund mehr gesehen, diese eigentlich recht hübschen Häuser fertig zu stellen. Margrit löste sich von der Fliederhecke, hinter welcher sie gerade gestanden hatte und lief nun direkt auf den Platz zu, wo ihre müden Augen endlich die eingezäunten Lagerhallen und ein Büro ausmachen konnten.
Sie musste jetzt nur noch durch das riesige Tor. Doch als sie die Klinke herunterdrückte, merkte sie, das es abgeschlossen war. Sie blickte auf das Schild, auf dem groteskerweise Öffnungszeiten standen und lachte sich selber aus. Das ist die Panik, die mir allmählich den Verstand rauben will, dachte sie. Der Zaun war zu hoch, um einfach darüber zu klettern und noch zu gut im Stande um ihn niederzureißen. Also zurück zu den Häusern oder lieber hier in den Selbstbedienungsladen rein ? Vielleicht war der auch nicht auf ? Egal ... sie musste jetzt irgendwo hin.
Sie lief ein gutes Stück am Zaun vorbei - oder lief sie in Wahrheit gar nicht ? Sie hatte plötzlich das Gefühl, als käme sie überhaupt nicht vorwärts ? Der hohe Zaun sah nämlich immer gleich aus! Sie schwitzte zum Gotterbarmen und versuchte sich einige Dinge einzuprägen, um zu sehen, dass sie sich überhaupt von der Stelle bewegte und stellte fest, dass sie sich wohl doch weiterschleppte und so blickte sie auch ab und an zu den übrigen halb fertigen Häusern hinauf, die rings um den Selbstbedienungsladen, einem Flachbau, standen. Vielleicht sollte sie besser in eine dieser Ruinen verschwinden ? Womöglich suchten die Hajeps in halbfertigen Gebäuden nicht nach Menschen, weil es dort zu gefährlich werden konnte ?
Plötzlich glaubte sie, eine Bewegung oben in dem Hochhaus ohne Dach wahrzunehmen. Ihr Herz zuckte zusammen. Sie blieb stehen. Stimmte das tatsächlich oder hatte sie jetzt Haluncinationen ? Sie kippte – wie immer mit bebenden Fingern - ihre Brille etwas an, um besser sehen zu können und ihr Herz krampfte sich zusammen. Tatsächlich ! Hinter dem schmalen Flurfenster in der sechsten Etage stand eine große Gestalt. Sie schien Margrit mit einem Gerät anzuvisieren. War es ein langes Fernrohr oder ..? Jetzt zog er - es war wohl etwas Männliches ! - sogar seinen Kameraden ans Fenster und er schien ziemlich erregt auf Margrit zu weisen.
Margrit keuchte entsetzt, preschte mit einem riesigen Satz am Selbstbedienungsladen vorbei, und jagte mit rasselndem Atem zum entgegengesetzten Häuserviertel. Mein Gott, war sie fertig, denn etwa eine dreiviertel Stunde war sie inzwischen wieder gerannt. Jetzt schleppte sie sich schneckengleich durch irgendeinen Hinterhof. Vielleicht starb sie ja an Erschöpfung noch ehe man sie hatte ! So etwas sollte schon vorgekommen sein und dann sparte sie sich die ganze Hinrichtung.
Ach, es sah hier zynischerweise alles so idyllisch aus! Die Sonne stand noch ziemlich hoch am Himmel und tauchte das Laub des Hofes in ein goldenes Licht. Helle rhythmische Pfiffe außerhalb des Hofes, rund um dieses Karree, trieben Margrit jedoch in den Schatten und weiter zur nächsten Häuserfront.
Sie waren also auch dort ! Konnte Margrit überhaupt noch den Hof verlassen ? Schmerzensschreie tönten plötzlich irgendwo hinten im Hof. Jemand hatte wohl über den Keller versucht, in diesen zu gelangen und brach nun auf dem Parkplatz unter einem prasselnden Geräusch zusammen.
Margrit hörte kurz danach die typisch heiseren Stimmen der Hajeps und dann schnelle Schritte durch den Hof huschen. Verdammt kamen sie etwa hierher ? Womöglich sah man sie, wenn sie das schützende Dickicht verließ!
Also blieb sie mitten im Busch hocken, wo sie gerade war. Dann tönte weiteres Pfeifen auch aus dem kleinen Garten, der hinter dem Spielplatz direkt an dem Hof grenzte und dann das zu Tode erschrockene Kreischen einer Frau, die nun wohl aus irgendeinem Versteck hervorgezerrt wurde. Margrit glaubte zu hören, dass sich diese mutige Frau wehrte, sehr zum Amüsement der Hajeps. Das konnte man gut an der Tonlage, in der sie auf sie einredeten, erkennen. Jedoch begann sie die Männer bald zu langweilen und schon vernahm Margrit das dumpfe Geräusch heftiger Schläge und Tritte auf einen Menschenkörper. Nun hörte Margrit überraschtes, schmerzerfülltes Stöhnen und schließlich die Frau um Gnade winseln. Margrit wollte sich gerade wieder die Finger in die Ohren stecken – ach, sie kam sich ja so furchtbar feige vor - da wurde es endlich still ! Einige Minuten später vernahm Margrit ein Pfeifen aus der obersten Etage des Mietsblockes direkt gegenüber von ihr und dann auch dort Schreie.
„Nein, nein, neiiiiiiiin... !“ hörte sie einen jungen Mann und dann eine Tür zuschlagen. Es rumpelte ... dann schien es Margrit so, als würden fast gleichzeitig überall in dem gesamten Häuserblock Türen aufgerissen werden. Harte - und zugleich wunderschöne - Männerstimmen erklangen und feste, entschlossene Schritte waren zu hören, aber auch welche, die verzweifelt zum Beispiel die Treppen hinunter oder hinauf hetzten oder durch sämtliche Wohnungen preschten. Es half alles nichts. Ziemlich schnell hatte man jeden Flüchtling gefangen und an Ort und Stelle exekutiert. Einige flehten noch und bettelten, winselten um Erbarmen, aber es wurde ihnen kaum zugehört.
Jetzt sah Margrit, wie im obersten Stock der dritten Etage plötzlich ein Fenster aufgerissen wurde, ein junger, blutüberströmter Mann in zerrissener Kleidung kletterte auf das Fenstersims ... und dann stürzte er sich einfach in die Tiefe. Leblos blieb er unten auf dem Plattenweg liegen.
Zwei breitschultrige Hajeps mit den typischen Spiegelglasbrillen und schnabelartigen Masken im Gesicht blickten kurz danach aus dem Fenster ihm hinterher. Einer der beiden Soldaten, zog seine Waffe – oder was war das für ein Ding ? - und feuerte damit auf die Leiche. Es machte : „Trrrrrrinnnnkzzzz !“ und ein blauroter Feuerstrahl wanderte von oben herunter und dann den ganzen Leichnam entlang. Dampf stieg auf, als der Tote weiß aufzuglühen begann. Immer weiter wurde er von den Hajeps bearbeitet. Sekunden später zeugte nur noch ein Aschehäufchen davon, dass dort einst ein Mensch gelegen hatte. Der Feuerstrahl von oben hatte sich indes in eine schwarze kremige Masse verwandelt die prasselnd auf den kleinen Haufen spritzte und schon war die Asche zu schwerer dunkeler Erde geworden.
Danach waren die Jimaros wieder im Inneren des Hauses verschwunden, wo sie gewiss ihren Kameraden halfen, die makabere Hatz fortzusetzen, was wenig später auch ganz deutlich zu hören war, denn immer wieder entdeckten sie auf`s neue Menschen. Margrit kauerte in dieser Zeit, die ihr endlos lange vorkam, noch immer in ihrem Busch und muckste sich nicht, obwohl ihr sämtliche Glieder schon abgestorben zu sein schienen, denn sie hatte Angst, dass man sie vom Fenster aus vielleicht doch noch entdecken konnte. Gleichzeitig ahnte sie aber auch, was noch kommen würde. nämlich eine genauere Durchsuchung des Hofes, wie die Jimaros das ja erst kürzlich mit der Schule Margrit vorgeführt hatten. Also musste sie sich doch überwinden und irgendwann einmal von hier weg und zwar rechtzeitig. Margrit kroch langsam und vorsichtig, sich nach hinten zurückziehend, ins Freie, die Häuser auf allen Seiten dabei nicht aus den Augen lassend, humpelte über den kleinen Spielplatz, da ihr die Glieder völlig eingeschlafen waren, hievte sich kurzentschlossen über den ziemlich niedrigen Gartenzaun, flitzte an der blutüberströmten Frauenleiche vorbei - komisch, diese Tote hatten sie nicht in einen Humushaufen verwandelt ? - schaute der aber nicht ins Gesicht, - nein, diesen Anblick, wie damals, würde sie nicht noch einmal aushalten - lief quer durch deren Garten, öffnete dort das Tor, das die Hajeps beim Verlassen des Grundstücks nur angelehnt hatten und hastete dann wieder den Bürgersteig entlang an weiteren Gärten und Villen vorbei, einfach irgendwo hin.
Sie ahnte, dass sie zwar wie ein Fisch in der Reuse steckte, doch sie wusste auch, dass sie noch nicht völlig verloren war, solange sie sich nicht aufgab. Sie war aber auch zu dem Resultat gekommen, dass ihr magerer Körper diese Hetzerei nicht mehr lange aushielt. Es hatte keinen Sinn mehr immerzu im Zickzack zu laufen. Sie musste sich entscheiden, endgültig verschnaufen, unbemerkt irgendwo ausruhen. Doch es gab nichts, was ihr sicher genug erschien. Nach ungefähr einer viertel Stunde waren die Hajeps sogar so nahe, dass man von allen Seiten ihre Stimmen, manchmal sogar ihre Schritte hören konnte ! Und plötzlich wurde Margrit klar: Hier war die Stadtmitte! Die Hajeps trafen sich allesamt hier, hatten die Bezirke im Osten, Westen, Norden und Süden gesäubert und freuten sich nun auf das anstehende Ende dieser Hatz.
Margrit schaute zum Himmel hinauf und siehe da ... auch dort oben gab es ein sicheres Zeichen dafür, dass Margrit in das Zentrum der Stadt gelangt war, dort trudelte nämlich der kugelförmige Beobachter der Hajeps, der die ganze Stadt von der Mitte aus kontrolliert hatte. Er verhielt brav nur auf einer Stelle, drehte sich um sich selbst, während er über dem Rathaus schwebte, genau über jenem Wahrzeichen, von welchem aus der mittelalterliche Teil Würzburgs begann. Seine seltsamen Geräusche vermischten sich mit dem Lärm von unten, der beständig lauter wurde. Da war inzwischen ein Wirrwarr von Pfeiftönen zu hören, das bis an die Schmerzgrenze von Margrits Ohren ging. Es gab Hajepgruppen, die plauderten dennoch munter miteinander, wahrscheinlich über die Sender in den Helmen oder sie riefen durch die schnabelartigen Masken einander von weitem etwas zu, sobald sie sich sahen. Im allgemeinen gab man kaum darauf acht, dass man von Menschen gehört werden konnte. Jeder einzelne Hajep war sich wohl völlig seiner Überlegenheit der Menschheit gegenüber und daher Unbesiegbarkeit bewusst und das Töten war vermutlich für die meisten von ihnen eine solch alltägliche Sache wie für die Menschen irgendeine Arbeit. Ja, Margrit hatte den Eindruck, dass man sich sogar, um den letzten Rest Menschen noch zu töten, regelrecht “hochreißen” musste, da das inzwischen wohl allzu langweilig geworden war und man sich eigentlich viel lieber miteinander beschäftigte.
Margrit drückte sich entsetzt, nur ein dünnes, unbelaubtes Büschchen vor sich habend, eng an die Wand eines hübschen Fachwerkhauses, da sie ein Trupp von drei Mann gemütlich hinter sich den Bürgersteig auf der gegenüberliegenden Seite hatte entlang schlendern sehen. Wie immer waren die Schritte dieser Soldaten katzenhaft leichtfüßig, was ziemlich erstaunlich war, da sie stets wadenhohe Stiefel trugen. Sie schleppten Plastik- und Papiertüten aus irgendeinem der wenigen, noch intakt gewesenen Selbstbedienungsläden mit sich, die wohl mit verschiedenen zusammengeraubten Gütern gefüllt waren, denn sie zeigten sich gegenseitig, auch als sie die Markstraße unglücklicherweise in Margrits Richtung überquerten, mit übermütigen Gesten, was sie alles Merkwürdiges und Lustiges erbeutet hatten. Sie neckten einander sogar damit und waren so beschäftigt, dass sie Margrit noch immer nicht gewahrten.
Margrit schlug das Herz trotzdem bis zum Halse, ihre Lippen bebten, als sie sich vorsichtig die Mauer des schönen alten Hauses weiter entlang tastete. Noch waren sie nicht nahe genug um fast über sie zu stolpern !
`Lieber Gott,` dachte sie, `lass mich bitte, bitte, nur noch um diese eine Ecke kommen, dann sehen sie mich wenigstens nicht sofort !`
Vorsichtig ... ganz vorsichtig machte sie einen Schritt und dann noch einen. Ihre Hände krallten sich in Balken, und dann hatte sie es tatsächlich geschafft !
Schei ...äh... Mist ! Sie hörte die drei schon wieder. Wollten die etwa auch um diese Ecke ? Schnell hastete sie weiter, fiel dabei fast hin, so schwach war sie geworden. Sie schob sich noch die nächste Häuserfront entlang und drückte sich dann in den nächsten Eingang eines altertümlichen Mietshauses. Das Blut hämmerte schmerzhaft in den Schläfen, als sie über die Schulter zurückblickte. Hier waren die drei nicht zu sehen, puh ! Gewiss wollen sie geradeaus weiter. Vielleicht ließ sich diese Tür öffnen ? Bei den anderen Häusern hatte sie es ja vergeblich versucht. Es war logo, dass die Menschen fast alle abgeschlossen hatten.
Doch die heiseren Stimmen der drei waren schon wieder zu hören. Margrit spähte zitternd aus dem Eingang heraus. Oh Gott, jetzt sah sie schon den Ersten der drei hünenhaften Hajeps laut schwatzend um die Ecke biegen. Die bunt gemusterte Uniform, die er trug, schien aber nicht gerade sehr gut geeignet zu sein, sich zum Beispiel möglichst ungehindert an Gebüsch und Gras vorbeizuschieben, denn die Ärmel und Hosenbeine, welche mit kostbaren Bändern, Ketten und Schmuckstücken zusammengehalten wurden, waren viel zu weit. Er schaute sich nach den anderen zweien um, hielt ein kleines Teddibärchen in seiner riesigen, schick behandschuhten Pranke, mit dem er jetzt immerzu nach hinten wackelte, als ob es zu ihnen hinüber gerannt käme.
Margrit staunte. Komisch sowas ! Er war damit so beschäftigt, dass er Margrits Kopf hinter der prächtigen Backsteineinfassung des Türrahmens nicht sah. Sie fuhr zurück und keuchte. Sie ließ das Herz toben und riss schließlich die Augen auf. Verdammt, sie lebte ... lebte noch immer ! Wenn jetzt diese gottverdammte Tür nicht aufging, war sie verloren ...oder ? Tränen strömten wieder ihr übers Gesicht( es war wirklich bemerkenswert, wie viel Flüssigkeit so ein Menschenkörper produzieren konnte), als sie sich gegen die Tür warf und ... die gab nach ! Sie schob sich erleichtert in den dunklen, kühlen Hausflur, schloss behutsam die Türe hinter sich.
Hier war es sehr still. Margrit konnte nur ihren eigenen Atem und ihre unsicheren Schritte tapsen hören. Sie lauschte. Nein - das durfte doch nicht wahr sein - die drei kamen tatsächlich hierher ! Margrit spürte plötzlich wieder diesen unwahrscheinlichen Durst.
`Nur noch einmal in diesem Leben etwas trinken !´ dachte sie, denn ihre Zunge klebte am Gaumen, als hätte die jemand dort mit einem Kleber fixiert. George hatte immer behauptet, dass man mit Hajeps reden sollte, aber wie konnte sie das ohne Spucke tun ? Ihre verheulten und von Staub und Schweiß verklebten Augen suchten jetzt den Flur nach einem geeigneten Versteck ab, obwohl sie doch den ganzen Tag schon wusste, dass das im Grunde völlig sinnlos war. Doch nichts war hier, wohinter oder worin man sich hätte verkriechen können.
Was nun ? Die Stufen zum Keller hinab ? Dort unten vor der Türe standen drei Säcke, die wohl aus alten Gardinen genäht und mit Kleidern, warmen Decken und anderem Krimskrams gefüllt worden waren, welche die Bewohner dieses Hauses wohl noch heute Morgen hatten mitnehmen wollen und es sich dann doch anders überlegt hatten. Vielleicht waren ja einer von ihnen groß genug um ... oder lieber die vielen Stufen hinauf und in eine der Wohnungen hinein ? Ganz sicher gab es da bessere Versteckmöglichkeiten !
Inzwischen waren die drei Jimaros leider genau vor der Haustür angelangt. Margrit konnte sehr gut ihre kantigen Umrisse hinter der Milchglasscheibe erkennen. Sie schienen immer noch erheitert über ihre vielen Sachen zu sein, die sie zusammengeklaubt hatten.
Margrit erkannte sogar, dass man sich offensichtlich mühte, eine von Menschen hergestellte Flasche zu öffnen. Oh, stellten die sich dabei dämlich an, denn das dauerte und dauerte ... Margrit atmete ob dieser Beobachtung doch etwas befreiter auf, denn sie konnte wohl den übermütigen Lärm, der dabei gemacht wurde, für sich ausnutzen, und so lief sie schließlich - wenn auch noch immer unschlüssig - die Stufen hinauf bis zur ersten Etage und ruckelte dort an der Tür, doch die gab nicht nach. Jetzt noch höher, vielleicht in den Dachboden? Denn die Kerle konnten jeden Augenblick, nur weil sie vielleicht Lust dazu verspürten, in dieses Haus hineinstürmen ! Gesagt getan, aber diese Türe war genauso fest verriegelt worden !
Also doch nach unten und an der Kellertüre sein Glück versuchen ! Bei Kellertüren wurde das Abschließen vielleicht nicht so genau genommen ! Außerdem konnte man nicht selten von dort aus in den Hof laufen. Mit einem Male knallte es von unten ... Margrits Herz machte vor Entsetzen einen Sprung, denn sicher stammte dieser Knall von der soeben wild aufgerissenen Tür ! Sie lauschte, merkwürdig, sie hörte keinerlei Schritte. Stattdessen vernahm sie überraschte, beinahe tierische Grunzlaute von draußen, dann das Zischen irgendeiner Flüssigkeit, dabei kreischten die drei Hajeps laut und begeistert auf, wie kleine, experimentierfreudige Buben.
Oh Gott ! Margrit seufzte erleichtert. Der Verursacher des unheimlichen Knalls war also nur der Korken irgendeiner Sektflasche gewesen, mit deren Inhalt - du meine Güte, Margrit konnte das kaum glauben - sich nun die Hajeps gegenseitig bespritzten. Sie lauschte, hörte das Geschrei, spähte aber dennoch prüfend und zögerlich von oben über das Geländer. Nein, hier drinnen war wirklich niemand. Sie sah nur die hüpfenden, eleganten Pantherbewegungen hinter der Milchglasscheibe der Tür.
Kopfschüttelnd begann sie die Treppen wieder hinunterzuschleichen. So albern hatte sie sich eigentlich ihren Feind nie vorgestellt, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen !
Es knallte abermals, sie fuhr diesmal gar nicht zusammen, sondern lief sogar zügigen Schrittes an der Haustüre vorbei. Der Sekt der nächsten Flasche spritzte so heftig gegen die Tür, dass diese in ihrem Schloss rumpelte und bebte. Er schoss nun gegen manch ein Knie oder Helm, ergoss sich schließlich auf den Bürgersteig und die ohnehin heiseren Kehlen schrieen solange begeistert um die Wette, bis sie nur noch quieken konnten wie die Wildsäue ! Ja, das war wohl das richtige Wort dafür ! Und dann - plötzlich - wurde es völlig ruhig !
Margrit hielt nun doch etwas den Atem an und inne, unten auf der halben Treppe, die zum Keller führte. Was war nun passiert ? Einer der drei hob die zwei Flaschen langsam und vorsichtig bis zu seinen Brillengläsern an und linste hinein, dann schüttelte er sie energisch, doch die waren und blieben leer, also warf er sie tief enttäuscht weg, einfach hinter sich ins Gras. Prompt stellten alle drei Kerle ihre Tüten vor sich auf den Boden und begannen darin herumzuwühlen.
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Alt 20.03.2005, 12:25   #48
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Standard Kapitel 47

`Aha, sie suchen nach weiteren Flaschen !` dachte Margrit zufrieden. `So habe ich also noch etwas Zeit.` Sie schob sich vorsichtig an den drei Säcken vorbei, die ihr bis zur Hüfte reichten und legte ihre Hand auf die Klinke der Kellertüre. Doch diese hinunter zu drücken wagte sie noch nicht, denn sie fürchtete, dass es dabei laut quietschen könnte.
Endlich hatten die Jimaros die nächste Flasche gefunden, die jedoch kleiner war als die vorherigen und wohl auch einen anderen Verschluss hatte. Diese wanderte nun ziemlich flott von Hand zu Hand, jeder probte sich wieder darin, den für Hajeps wohl recht schwierigen Verschluss zu öffnen. Das sah Margrit an den ausgesprochen komischen Verrenkungen, die dabei gemacht wurden. Es schien ein Kronkorken zu sein, mit dem man sich derart herumplagte und plötzlich hatte man die Bierflasche auf. Schaum schoss dem einen Hajep wohl direkt über die Hand, der deshalb erschrocken aufstöhnte, mit spitzen Fingern schließlich den Handschuh auszog und anschließend ziemlich hysterisch ausschlackerte. Waren die Köpfe der drei noch für einen Moment erschrocken auseinandergefahren, so schoben sie sich nun umso interessierter zusammen und ... Margrits Herz verkrampfte sich ... sie schnüffelten - jawohl, schnüffeln war wirklich die richtige Bezeichnung dafür - ziemlich erregt an der Flasche und dann an dem Handschuh und zwar in einer Weise, wie es eigentlich nur Tiere tun ! Einer von ihnen musste plötzlich schrecklich niesen und diesen Lärm nutzte Margrit wieder für sich aus. Sie drückte die Klinke endlich herunter. Die quietschte zwar nicht, aber die Türe saß noch immer fest im Schloss.
`Abgeschlossen !` dachte Margrit mutlos. `Was jetzt ?` Sie blickte wieder prüfend hoch zur Eingangstür und entdeckte verblüfft, dass sich inzwischen noch ein vierter Jimaro zu den dreien gesellt hatte. Er wurde ziemlich wild begrüßt, denn man stubbste ihm mit den Ellenbogen so derb in die Rippen und Bauch, als hätte man vor, ihn augenblicklich zu damit zu erstechen.
„Fengi, Orbinjak !“ grölten die drei, doch dann flüsterten sie: “Kamto to rugpinon ? “
„Zai krin ! Kor jal en ti et a mestopa ?“ fragte der vierte neugierig und schon hielt man ihm die Bierflasche direkt unter die Nase.
”Prrrrruuuuh!” machte der und schüttelte sich, wieder eher einem Tier ähnlich als irgendetwas menschlichem.
Margrit hatte keine Ahnung, ob dieses Schütteln nun ein Zeichen von Begeisterung war oder viel mehr Ekel zu erkennen geben sollte, aber das konnte ihr egal sein, denn sie begann nun einen der Säcke, die vor der Kellertüre standen, auszuräumen
Der vierte Jimaro staunte. „Funtiii ! Chin a Mudjir ! Wet foro e auka paninon ?“ hörte sie seine heisere Stimme aufgeregt. „ Wona jukon bog ibana ka Rekomp Nireneska !“ flüsterte ein anderer unsicher. Alles schaute sich zuerst nach allen Seiten um, dann nickte man ihm hastig zu. Er entfernte kurz entschlossen - aber erst nachdem, er sich persönlich vergewissert hatte, dass wirklich niemand weiter in der Nähe war - das schnabelförmige Gebilde vom Mund und nahm ein Schlückchen.
„ Bu dendo e kisu !“ krächzte er verdutzt, reichte das Fläschchen weiter und wischte sich, diesmal sehr menschlich, mit dem Handrücken über die Lippen.
Margrit hatte indes über etwas ganz anderes zu staunen. Was so alles in diesen Sack hinein gepasst hatte ! Sie stopfte auch noch das rote Samtkleid, das sie gerade hervorgezerrt hatte, hinter die anderen beiden Säcke. Wenn das so weiter ging, hatte alles bald keinen Platz mehr vor dieser Kellertüre. He, was sie jetzt erfühlte war wohl eine uralte Jeans !
Sie sah, dass inzwischen der nächste Hajep hinter der Türe zögernd an der Flasche schnüffelte, dann aber folgte er schließlich doch - Hajeps waren wohl geradezu wahnsinnig neugierig und konnten keiner Versuchung widerstehen - dem Beispiel seines Kameraden, entfernte ebenfalls einen Teil seiner Maske und kostete.
„Kontriglus plon !“ wisperte er, nahm noch einen Schluck und wollte wohl noch einen nehmen, doch da riss ihm jener Jimaro, der mit seinem breiten muskelbepackten Rücken am nächsten der Türe stand, die Flasche einfach aus der Hand.
„Noi kam rir !“ fauchte der. Diese Bemerkung musste wohl sehr humorig gewesen sein, denn alles grölte und johlte nun.
„Sssst !“ wisperte man plötzlich. „Kuro sanna !“ Die Hajeps schauten sich schuldbewusst nach allen Seiten um.
Offensichtlich war es verboten, von den Gütern der Erdlinge zu naschen, sehr zu Recht, konnte doch etwas davon vergiftet worden sein, oder man hatte ihnen noch nicht erlaubt zu plündern, solange die Stadt nicht vollständig erobert worden war. Vielleicht durfte auch nie die Maske entfernt werden, solange Feinde in Sicht waren, womöglich nicht einmal ein kleiner Teil davon.
„Sahon wona bruk leno daim !“ schlug einer von den vieren ebenso leise vor und dann wurde die Türe mit einem Male weit aufgerissen ! Ein Luftzug wehte dabei hinein. Nicht nur der vorderste der vier Jimaros schaute sich misstrauisch im Hausflur um, auch die drei hinter ihm linsten prüfend über dessen Schulter ins Haus hinein.
„Pla tukut !“ fauchte der vorderste, hob den muskelbepackten Arm und wies mit seiner Pranke zum Keller hinab.
Margrit krampfte sich lautlos in ihrem Sack zusammen, wie etwa ein Embryo. Sie sah durch den Spalt unter ihrer Decke, die sie hatte endlich finden und noch über den Kopf werfen können, zunächst grelles Tageslicht und dann die vier riesengroßen Schatten, welche jetzt die Köpfe schüttelten.“ Denda ! To saschi !“ knurrte einer von ihnen. Gott, Hajeps waren aber mächtig groß. Das hatte sie sonst immer gar nicht glauben wollen. Wohl wirklich über zwei Meter ! Sie keuchte. Der vorderste Kerl musste sich mächtig ducken, um zur Türe hinein zu schauen. Konnte man Margrit etwa bereits vom Eingang aus in diesem Sack versteckt sehen ? Was hatte er eigentlich zu seinen Kameraden gesagt ? Die anderen drei antworteten ihm nun. Man beratschlagte sich kurz. Würde man Margrit gleich, so schön “handlich” wie sie verpackt war, forttragen ? Oder benutzte man erst einmal das kleine Gerät ? Würde Margrit es in wenigen Sekunden furchtbar pfeifen hören ? Es war schwierig, unter solch einer wabbeligen Decke genügend zuerkennen und außerdem wurde es darunter ziemlich heiß.
Was die Hajeps genau gemeint hatten, war nicht mehr zu ersehen. Vielleicht hatten sie auch nur über die großen Säcke gestaunt, die dort unten standen, oder wollten die nachher noch ausräumen, oder vielleicht zunächst überlegt, besser gleich in den Kellerräumen zu verschwinden. Jetzt jedenfalls zwängten sich die vier breitschultrigen Hajeps fast gleichzeitig in den schmalen Hausflur und das geschah mit solch einer Wucht und Hektik, dass Margrit meinte, mindestens zwei von ihnen müssten dabei hinfallen und niedergetrampelt werden, mitsamt ihren Tüten. Doch der fröhliche Lärm wenig später machte Margrit klar, dass sich wohl doch keiner dabei die Knochen gebrochen hatte.
Einer von ihnen nahm nun gründlich die Straße und die gesamte Umgebung in Augenschein, ehe er die Türe, leise summend, mit einem Ring, den er am Mittelfinger über dem schicken Stulpenhandschuh trug und den er gegen das Schloss drückte, einfach verriegelte. Alles brummelte und knurrte zufrieden als er zurückkam. Man lehnte sich gegen die Wand und aneinander und es wanderte die Flasche von Mund zu Mund.
Margrit sah auf diese Lippen und erkannte zu ihrer großen Erleichterung, dass es keinesfalls Tierschnauzen waren, welche die Bierflasche jetzt laut grunzend und schmatzend leerten, sondern Münder, die dem Menschen ähnelten, soweit sie es im dunklen Flur erkennen konnte. Margrits Herz pochte. Wie mochte wohl erst das ganze Gesicht des Feindes aussehen, das leider immer noch hinter dieser grässlichen Maske verborgen war ? Der Feind war also doch irgendwie Mensch ... komisch ! Wie konnte das möglich sein ? Immerhin kamen die Hajeps, wie sie am Tage ihrer Ankunft über ihre Sender den „Erdligen“ mitgeteilt hatten, aus dem Andromedanebel von Raik Hota ... einer Galaxie also, die Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt war. Es war also theoretisch gar nicht möglich, dass sie aussahen, wie ... wie sie halt aussahen ! Außerdem, weshalb hasste dann dieses Volk die Menschen so sehr ? Weshalb wollte es das Ende der Menschen auf Erden herbeiführen ? Warum konnten die Hajeps eine Spezies, die ihnen dermaßen ähnelte, so kaltschnäuzig verachten, dass sie die sogar quälte und folterte ?
Der Feind ähnelte also den Menschen bis auf seine komische Art zu sprechen natürlich und ... naja... dieses fast tierische Gehabe ! Hinzu kam diese verrückte Kleidung ! Einer düsteren Nebelwolke gleich, waberte plötzlich doch all die Panik der letzten Stunden wieder in ihr hoch und sie schwitzte wieder unter ihrer Decke. Sie musterte die seltsamen hornähnlichen Gebilde an diesen muskelbepackten Schultern.
Der eine der vier Hajeps hatte nun einen Apfel in seiner Tüte entdeckt. Alles grunzte deswegen schon wieder verblüfft und als er den herum reichte, wurde der mit zittrigen Fingern sehr aufgeregt von allen Seiten betastetet. Margrit war völlig verdutzt, dass man dermaßen über die glatte runde Form des Apfels und dessen Härte staunte. Schließlich biss der Mutigste von ihnen in den Apfel hinein. Seine Kameraden hielten den Atem an und beobachteten ihn scharf, als er langsam und genießerisch zu kauen begann. Margrit schaute auf die hohen Wangenknochen, des Jimaros, sah, wie sich die Muskeln seiner Kinnladen dabei mahlend hin und her bewegten und fand ihn leider dabei sexy ... verdammt ! Alle warteten erst einmal ab, nachdem er den Brocken hinunter hatte. Als nichts weiter geschah, suchten sie ebenfalls aufgeregt nach Äpfeln in ihren Tüten. Jemand hatte aber ein Stückchen Käse entdeckt, dass er nun stolz empor hielt.
„Hich ? Hich ?“ riefen sie von allen Seiten verdutzt, nachdem sie daran geschnüffelt hatten. Sie berochen das Stückchen Käse immer wieder und begannen sich, deswegen wohlig am ganzen Körper zu schütteln. Ein ziemlich burschikoses Rütteln an der Haustüre ließ jedoch nicht nur die vier Hajeps sondern auch Margrit in ihrem Sack zusammen fahren.
„Pjatgont ?“ tönte es dahinter hervor, der Angesprochene meldete sich unglaublich leise, so leise, dass er anscheinend nicht gehört worden war.
"Pjatgo-ooont !“ brüllte derjenige von draußen umso lauter. “ Kos to mira !“
Wie der Blitz packten die drei Hajeps nun alles wieder in ihre Tüten, schauten suchend umher und dann sausten sie - Margrit blieb das Herz fast stehen - die Kellertreppe hinab. Als Margrit wieder einigermaßen zu sich gekommen war, sah sie, dass es die vier nur bis zur Hälfte die Treppen geschafft und die Tüten dann einfach hinter sich fallen gelassen hatten. Butter, Wurst und Käse rollten nun zu Margrit hinab und blieben direkt vor ihren Füßen liegen. Die vier Jimaros liefen indes ehrerbietig ihrem offensichtlichen Feldwebel entgegen, der bereits die Eingangstüre, wohl ebenfalls mit einem Ring, aufbekommen hatte. Sie verneigten sich vor ihm und Margrit erkannte dabei, dass es wohl derzeit Mode war, trotz der weiten Pumphosen eine Art “Latz” - oder eher „Lendenschurz“ ? – über dem Hintern zu tragen. Und als die Männer wieder gerade dastanden, fragte das Oberhaupt sie aus :
„Jal enne palta erka notore ?“
Alles nickte sehr brav, hielt die Hände immer noch vor der Brust gekreuzt und spähte dabei die Treppen nach oben hinauf.
„Klam ujon ti hiat tumi ruk sio “, erklärte der Feldwebel weiter. „Noi jato mira a tulpont !"
“Der Vorderste der drei nickte wieder.
“Ta guong dedi clerte achtam !“ Der Feldwebel schien dennoch irgendwie misstrauisch zu sein, ob seine Männer auch wirklich gründlich genug nach Menschen gesucht hatten, denn er holte einen kleinen Gegenstand zur Kontrolle aus seiner breiten Schärpe, die er, wie hier jeder, als Gürtel trug und die wohl aus dem selben edlen Stoff gefertigt war wie der Lendenschurz. Es schien ein schmales, stiftförmiges Gerät zu sein, das er nun zwischen Zeigefinger und Daumen hielt. Margrit ahnte, was es war, wollte erschaudern, riss sich aber sofort wieder zusammen, da ja schon durch kleinste Bewegungen die Säcke umfallen konnten, die an ihrem Körper lehnten.
Er streckte nun den Arm mit dem weiten Ärmel aus, hocherhoben, schüttelte das Stäbchen leicht und Margrit schloss ergeben die Augen, denn sie wusste, gleich würde es pfeifen und dann war es mit ihr für immer vorbei. Ob man sie zuvor quälen würde oder hatte man dazu keine Lust mehr, weil ja die Jagd ohnehin zu Ende zu ging? Sie hoffte es, hoffte auf einen kurzen, fast schmerzlosen Tod ! Stattdessen geschah aber etwas völlig Überraschendes. Die Tür wurde von draußen mit einem Male so heftig aufgerissen, dass sie dem Feldwebel direkt ins Kreuz fuhr. Der ließ vor Schmerz den kleinen Stift fallen, welcher gerade das erste klägliche Pfeifen von sich gegeben hatte und nun lag das zierliche Ding stumm auf dem Boden. Der Feldwebel fuhr wütend herum, wollte die Männer anschreien, die nun im Eingang standen, doch die entschuldigten sich schnell und hatten dann viel zu erzählen. Irgendetwas war wohl gerade draußen passiert, womit die Hajeps nicht gerechnet hatten und so schickte man sich an, sofort dieses Gebäude zu verlassen. Allerdings bückte sich der Feldwebel zuvor, um noch schnell sein “Schallgerät“ aufzuheben, doch - Margrit war darüber sehr erstaunt - er bekam es einfach nicht hoch. Er beauftragte nun einen der Soldaten, die herumstanden, damit. Doch auch dieser mühte sich vergeblich das schmale Gerät mit seinen anscheinend steifen Fingern vom Boden zu bekommen. Schließlich ließ man es, wohl weil man in Zeitnot war, einfach an Ort und Stelle liegen und so schnell wie das Trupp in den Flur hineingestürzt war, trampelte es auch wieder hinaus ins Freie, dabei rempelte ein jeder den anderen wüst an wie lebendig gewordene Kleiderschränke. Die Tür fiel ins Schloss und der Feldwebel regte sich - Margrit sah es wieder hinter der Milchglasscheibe - sehr zu Recht, über das ungehobelte und undisziplinierte Gehabe seiner Männer auf. Endlich ließ das Trupp, wohlgeordnet in einer Reihe und in leichtem Trab diesen Häuserblock hinter sich.
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Alt 20.03.2005, 12:26   #49
Doska
 
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Standard Kapitel 48

Margrit blieb erst mal für ein Weilchen regungslos dort wo sie war, konnte kaum fassen, dass sie das alles lebend überstanden hatte. Sie schwitzte zwar noch immer ein bisschen unter ihrer Decke und ihre versteiften Glieder waren inzwischen völlig taub.
´Sie kommen wieder´, dachte sie, ´gewiss - um ihr komisches Pfeifgerät zu holen! Sie werden ihre geraubten Güter wiederhaben wollen !´
Doch es geschah nichts dergleichen. Sie musste feststellen, dass die Hajeps kein Interesse mehr an dem, was sie hier zurückgelassen hatten, zeigten, und darum warf sie die Decke mit plötzlicher Entschlossenheit von sich. Angenehme Kühle umfing sie und sie richtete sich, wenn auch noch immer mit klopfendem Herzen und angehaltenem Atem, wieder auf und begann ihre Glieder, in denen es kribbelte wie in einem wild gewordenen Ameisenhaufen, zu dehnen und zu strecken, und es tat direkt ein kleines bisschen weh und dann kletterte sie, nein, fiel sie fast hinaus aus ihrem Sack. Sie streckte vorsichtig und abwechselnd das eine Bein und dann das andere weit von sich und schüttelte es aus, wobei sie sich am Geländer festhielt und darüber nachgrübelte, wie sie jetzt wohl aus dieser Stadt hinaus kommen konnte, und kam zu dem Schluss, dass es wohl das Beste wäre, genau hier so lange zu bleiben, bis sämtliche Hajeps endlich fort waren. Sie runzelte düster die schmutzige Stirn. Das konnte vielleicht Stunden, ja, eventuell sogar bis zum Abend dauern, wenn die Hajeps vielleicht noch hier ihren Sieg feierten.
Sie sah sich um. Der eine der beiden Säcke war inzwischen direkt vor die Kellertüre gekippt, aber das störte sie nicht. Ziemlich steifbeinig lief sie die Treppe hinauf, immer noch ein wenig ängstlich an den Tüten der Hajeps, die sich ja zum Teil beim Hinabrollen entleert hatten, im großen Bogen vorbei, und als sie oben angelangt war, seufzte sie erleichtert, denn diese Stille, diese himmlische Ruhe, die hier mit einem Male herrschte, war schöner als die beste Musik ! Sie wollte von hier aus noch einmal lauschen, ob sich die Hajeps vielleicht sogar völlig aus der Stadt entfernten, denn sie hörte sie nur noch kaum. Gegebenenfalls wollte sie die Türe sogar öffnen, um nachzuschauen, ob die Hajeps vielleicht nur still und womöglich doch noch ganz in der Nähe waren.
Direkt vor der Eingangstür stoppte sie jedoch mitten im Schritt, denn vor ihren Füßen lag ja das kleine Andenken des Feindes, das Stiftchen. Sie wäre beinahe draufgetreten. Ja, dort lag der tödliche Verräter ... das Pfeifgerät !
´Ha, man hätte Bomben in den Wohnungen für die Hajeps bereithalten sollen !´ dachte Margrit zähneknirschend, während sie sich bückte, um den kleinen Apparat genauer zu betrachten. Sie hielt dabei die Brille ein wenig schräg, kippte sie so wie immer etwas an, um das Ding durch ihre schlechten Gläser besser mustern zu können, doch plötzlich sah sie den Stift nicht mehr, er verschwamm, und stattdessen zogen vor ihrem geistigen Auge noch einmal all die schrecklichen Bilder vorbei, die sie heute hatte mit ansehen müssen. Sie hörte dabei tief in ihrem Inneren auch die Schreie, die vielen Schreie einer hilflosen gequälten Menschheit !
Sie ballte deshalb zornig ihre Hände zu Fäusten, doch sie konnte sich nicht mehr dagegen stemmen. Sie war mit einem Male wieder unendlich traurig geworden. Wo sind Muttsch, meine Kinder, Paul, Annegret, Herbert,
Dieter ? Und der Weinkrampf brach sich Bahn.
´Das sind die Nerven´, dachte sie dabei nur, ´aber lass sie ruhig toben, nach alledem, was du heute erlebt hast.´ Tränen tropften auf die Gläser in ihrer Brille, auf den Boden und auf den Stift. Margrit nahm die Brille ab, um sie mit dem fleckigen Hemdzipfel putzen.
„Wir sollten uns endlich wehren !“ knirschte sie und ihr ganzer Körper bebte. „Derartiges dürfen wir uns nicht mehr gefallen lassen ... nein ... nie mehr ! Nie mehr soll die Menschheit so leiden wie heute ! Ich werde dafür kämpfen, irgendwie, selbst wenn es mir das Leben kosten sollte ! Das verspreche ich mir !“
Margrit war völlig erstaunt über sich selbst. Was war denn jetzt mit ihr passiert ? Wieder zweifelte sie an ihrem Verstand. Jedenfalls weinte sie mit einem Male keine einzige Träne mehr. Sie setzte sich mit fahrigen Fingern die Brille wieder auf, schob sie sich auf der roten und dick geschwollenen Nase zurecht.
´Ich muss den Feind besser kennen lernen!´ dachte sie fest entschlossen und erinnerte sich dabei wieder an Georges Worte. ´Und sicher auch seine Waffen !´
Sie streckte den Arm aus, ihre Hand wanderte hinab, zögernd, Stückchen um Stückchen, Zentimeter um Zentimeter und schließlich betasteten ihre schmalen Finger vorsichtig den hochgefährlichen Stift. Würde er irgendwie auf Menschen reagieren und ein Pfeifen von sich geben ? Nichts dergleichen geschah ! Konnte sie ihn womöglich aufheben, selbst wenn niemand der Jimaros dazu in der Lage gewesen war ? Was mochte wohl mit diesem Stift eigentlich los sein ? Ließ er sich etwa nicht greifen, ähnlich wie Quecksilber, wenn es erst einmal am Boden lag ? Margrit war plötzlich fest entschlossen das auszuprobieren, obwohl der Stift womöglich gerade dabei pfeifen konnte. Fest nahm sie ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und ... siehe da ... schon war er vom Boden hoch und zwar mit größter Leichtigkeit und gab auch kein Tönchen von sich. Konnte er einen Defekt haben ? Margrit wagte nicht, ihn hochzuhalten oder gar zu schütteln, doch sie vermutete, dass er noch völlig intakt sein musste, da sich die Hajeps ja vorhin so emsig bemüht hatten ihn aufzuheben. Warum war es den Hajeps aber nicht gelungen, diesen Stift, den sie selbst doch ohne die geringsten Schwierigkeiten hatte vom Boden aufnehmen können, nicht mehr hochzubekommen ? Konnten sie etwa gar nicht richtig greifen ? Das hatte wirklich so ausgesehen ! Waren die Sehnen an ihren Fingern verkümmert ? Sie schienen doch so sportlich zu sein, überall diese vielen Muskeln, wie passte das zueinander ? Wie passten aber auch ihre geschmeidigen Bewegungen zu ihrem derben, plumpen Gehabe ?
´Hajeps sind sportlich aber ungeschickt !´ durchfuhr es Margrit plötzlich. ´Sie sind tolpatschig ! Weiß der Himmel warum !´
Sie musste plötzlich lachen und erschrak dabei wieder über sich selbst, denn sie konnte, obwohl ihr Lachen leise war, damit einfach nicht mehr aufhören. Ähnlich wie sie vorhin geweint hatte sie nun einen Lachkrampf. Tränen sausten ihr dabei in wilden Sturzbächen über das Gesicht und die Nase tropfte als hätte sie ein Leck, Spucke lief ihr aus dem Mund. Da versuchte sie sich abzulenken, indem sie, den Stift dabei völlig ruhig in ihrer flach vor sich ausgestreckten Hand haltend, die Treppen wieder hinablief. Vielleicht kam sie endlich zur Ruhe, wenn sie ein bisschen in den Tüten stöberte ! Schon allein dieser Gedanke half, denn plötzlich hatte sie unbändigen Hunger und vor allem wieder diesen wahnsinnigen Durst ! Sie wickelte das Stäbchen - sie wusste zwar nicht weshalb sie das tat, aber sie tat es - ganz vorsichtig in ihr einziges und daher schmutziges Taschentuch ein und dann verstaute sie es in ihrer kleinen Tasche aus Kunstleder, die sie stets am Gürtel trug.
Einige Minuten später schnupperte sie selig an der Wurst und dann an dem Käse, der auf der untersten Stufe gelegen hatte. Doch der Durst war größer, denn schon spähte sie suchend nach etwas Trinkbarem in eine der Tüten hinein. Hoffentlich hatten die Hajeps nicht schon alles ausgetrunken ! Gerade als sie den ersten Schluck aus einer kleinen orangefarbenen Safttüte genommen hatte, hörte sie Schritte hinter sich im Keller und dann auch schon, wie die Tür aufgeschlossen wurde.
Zunächst war Margrit wie gelähmt vor Angst, dann hatte sie geglaubt, sich verhört zu haben ... doch als sie über die Schulter zurückblickte, musste sie feststellen, dass sich langsam die Kellertüre öffnete. Es quietschte dabei etwas und zuerst erschien ein schwarzer Fuß im Spalt, aber die Tür konnte glücklicherweise nicht richtig aufgerissen werden, weil ja der umgekippte Kleidersack immer noch davor lag.
Margrit ließ ihre Tüte mitsamt Saft so hastig fallen, dass sich der nicht nur über ihre Hose ergoss und auf die Treppe klatschte, sondern auch noch das nette Stückchen Hartwurst bespritzte, eine Stufe unter ihr. Aber all das machte ihr nichts aus. Sie setzte zu einem gewaltigen, blitzartigen Spurt an ... zögerte dabei jedoch. Sollte sie nun alle Etagen hinauf? Dann kam das Wesen gewiss hinterher! Oder doch gleich raus auf die Straße ... und dann ? Vielleicht den Hajeps in die Arme preschen ? Diese Unentschlossenheit kostete sie wichtige Sekunden!
Der große, dunkel gekleidete Männerkörper schob die Türe trotz Kleidersack mit einem Ruck soweit auf, dass er sich durch den Spalt quetschen konnte. Margrit nahm sich keine Zeit, ihm ins Gesicht zu starren sondern stürmte nun knapp an den Einkaufstüten der Hajeps, an leckerem Käse, Wurst und Butter vorbei, einfach die Kellertreppe hinauf. Oben angekommen, wollte sie die Haustüre aufreißen, als der riesige Kerl sie auch schon von hinten am Kragen gepackt hatte.
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Alt 25.05.2005, 10:29   #50
Doska
 
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Standard Kapitel 49

Kapitel 9

„Keinen Ton will ich hören,“ zischelte er ihr leise zu, "und nimm sofort die Hand von der Klinke!"
Margrit verharrte schreckensstarr.
„Na, ein bisschen zack ! Mach` schon ... lass` die Klinke doch endlich los !“ knurrte die Stimme hinter ihr. „Oder haben wir plötzlich einen Krampf ?“
Langsam lösten sich ihre bebenden Finger vom Türgriff. Margrits Herz schlug zwar bis hinauf zu den roten Ohren, aber verrückterweise kam ihr diese warme Männerstimme irgendwie bekannt vor!
„Dreh` dich endlich zu mir herum, Margrit !“ forderte er sie auf und sein Griff löste sich von ihr. „Du wirst merken, dass du keine Angst zu haben brauchst !“
Margrit tat mit angehaltenem Atem wie ihr geheißen.
„George ?“ keuchte sie und musterte ihn dabei ungläubig von oben bis unten und auch er betrachtete sie seinerseits, jedoch eher mit einem erschrockenen und mitleidigen Blick.
„Siehst ja furchtbar elend und heruntergekommen aus !“ murmelte er. „Aber das hast du verdient, du schreckliche Diebin du !“ Seine grünen Augen blitzten sie jetzt zornig an. „Mich so zu berauben ! Ha, nicht mal meine Schuhe hattest du mir gelassen. Vielleicht kannst du dir denken, dass du mich dadurch in höchste Lebensgefahr gebracht hast ?“
„In höchste Lebensgefahr ?“ echote Margrit tief betroffen. „Das ist ja entsetzlich ! Hattest du wegen mir etwa viel durchmachen müssen George ?“
Er nickte traurig. „Und ob !“
„ Oh Gott, ist mir plötzlich schlecht !“ Sie hustete, hielt sich den Bauch, würgte sich. „Haben dich die Hajeps etwa ...“ sie wagte nicht weiterzusprechen, stattdessen ging ihr Atem nur noch stoßweise. „Nein, nein!“ keuchte sie schließlich und musterte ihn sorgenvoll. Rein äußerlich war ihm eigentlich nichts Besonderes anzusehen! „S...sssag` dass sie nichts, wenigstens nichts sonderlich Schlimmes mit dir gemacht haben ! Ich ... ich könnte sonst vor lauter Selbstvorwürfen nicht mehr weiter leben. Hörst du ? Oder sind dir die komischen Tro ...na... Trowes begegnet und die ...?“ schon wieder musste sie inne halten. Er sah in diese großen und weit aufgerissenen Augen und dann auf ihren zitternden Mund und musste nun doch ein wenig lächeln.
„Es ehrt dich ein klein wenig, Margrit, dass du dir endlich Sorgen um mich machst. Aber die Trowes sind völlig harmlos.“
„Doch die Hajeps nicht und die haben dich gekriegt, nicht wahr ?“ ächzte sie.
Er nickte noch einmal.
„Oh Gott !“ Sie würgte sich abermals, taumelte zum Geländer und hielt sich daran fest und er genoss das alles mit ganzem Herzen. Dann jedoch riss sie sich mit aller Macht zusammen „ Und ?“ krächzte sie. „Wieso lebst du dann ? Ich dachte nämlich bisher immer, niemand kann Hajeps entkommen ?“ Sie sah ihn scharf an. „He, wieso treffe ich dich eigentlich ausgerechnet hier ? “
Er runzelte die Stirn, machte eine wegwerfende Handbewegung. „ Später, Margrit ! Jetzt haben wir keine Zeit.“
„Keine Zeit ? Du bist richtig sadistisch !“ fauchte sie aufgebracht. „Könntest dich doch kurz fassen ! Weißt du, dass es mich rein verrückt macht, was durch mich alles passiert sein könnte ?“
Er kicherte jetzt ziemlich wild, ja fast hysterisch in sich hinein. „Hättest es dir eben vorher überlegen sollen, Margrit. Ha ! Leide ruhig noch für ein hübsches Weilchen, das ist nur gerecht !“
„Aber du lebst !“ versuchte sie sich jetzt wenigstens damit zu trösten. „He, George, bist du wirklich aus Fleisch und Blut oder habe ich plötzlich nur noch Halluzinationen ?“ Sie schaute wieder prüfend zu ihm hoch. „ Na ja, könnte doch inzwischen sein ?“
„Tja, Margrit, du darfst dich ruhig kneifen ! Überall und ziemlich doll, bitte ! Oder gar ohrfeigen ! Vielleicht wirst du dann wach!“
„Nein, ich weiß etwas anderes! Warte...“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre Arme um seinen Hals, küsste den Verdutzten auf beide Wangen und dann auf die Stirn. „Ja, du bist echt, Danke !“ Sie fiel wieder auf ihre Füße und lächelte zu ihm hinauf.
Seine Raubtieraugen funkelten sie trotzdem sehr finster an „ Na, da würde ich mir nicht so sicher sein, kleine Margrit, denn vielleicht bin ich ja inzwischen ein Pajonit ?“
Sie wich erschrocken vor ihm zurück. „ Im ... im Ernst ? Oh, Gott ?“
„Ja, ja, ja, hab` nur Angst ! Denn im Grunde bin ich ja nur das geworden, wovor dich schon immer dein lieber, dein großartiger Paul gewarnt hatte ? „
„Er ist nicht mehr mein Paul, George !“ Ihr traten ganz automatisch Tränen bei diesem Gedanken in die Augen.
„Ist er etwa ...?“ Nun schaute er doch betroffen drein.
„Nein, er ist nicht getötet worden, George. Hoffentlich jedenfalls !“ Margrit sah zunächst Erleichterung in seinem Gesicht und dann, als sich ihre Blicke trafen, ein kleines, irgendwie hoffnungsfrohes Funkeln in diesen rätselhaften Augen.
„ Soso !“ knurrte er, straffte sich und strich sich das dichte, schwarze Haar aus der Stirn.
„George“, sagte sie deshalb nach kurzer aber scharfer Überlegung. „Du bist weder ein Pajonit noch wirklich gefoltert worden und du entkamst den Hajeps durch eine List ! Los, gib` es zu !“
Für einen Sekundenbruchteil schaute er nun doch ziemlich verblüfft drein, doch dann gab er seinem Gesicht wieder einen harten Ausdruck. „Margrit, du magst zwar eine ausgezeichnete Psychologin sein, aber so gut kann niemand ein Mienenspiel deuten. Verlass` dich nicht allzu sehr darauf. Ich warne dich !“ Und dann versuchte er schnellstens das Gesprächsthema zu wechseln. „He, weißt du eigentlich, dass ich auch bis eben noch an Halluzinationen gedacht habe, denn ich habe fest geglaubt, dich hier nur in fein säuberlich gehackte kleine Stückchen vorzufinden!“
„Und nun bist du sicher schwer enttäuscht, mich nur als ganzes Stück anzutreffen ? Starkes Stück, was ?“
Er verkniff sich ein Grinsen. „Derart böse bin ich dir nun auch wieder nicht. Ehrlich, ich wüsst` nur zu gern, weshalb dich die Hajeps nicht getötet haben ? Sah` nämlich ganz so aus, so laut, wie die hier hineinstürmt sind...“
„Was ? Das hast du gesehen ? Wie denn ?“
” Geheimnis !“
„Komisch ...“, sie machte jetzt ganz kleine, schmale Augen und kam ihm wieder sehr nahe, „ ...diese Bemerkung habe ich doch heute schon einmal von irgendjemandem gehört ? Wer war das doch gleich?“ Sie rieb sich das Kinn.
„Tatsächlich ? Egal ! Keine Zeit zum Nachdenken, Margrit.“ Er machte eine kleine Pause, schluckte wohl jetzt einen Klos hinunter. “Hier der Beweis, dass ich wirklich dachte, dass du ...“, und er holte eine mehrmals gefaltete Papiertüte aus der ziemlich großen Brusttasche seines Hemdes hervor und grinste unbeholfen. „Die ist echt zum Kotzen ! Deshalb hat mich auch niemand bis hierher begleitet.”
„Ach nein ? Wer denn, George ?“
„Na, allesamt !“
Sie seufzte.
„Die hatten ganz einfach Schiss, nicht nur vor deinem ekelhaften Anblick - entschuldige Margrit, aber zermatschte Leichen sehen nun nicht gerade besonders heiß aus - sondern auch vor den Albträumen, die einen noch lange danach heimsuchen.“ Sein Gesicht bekam jetzt einen ungeduldigen Ausdruck. “Na, heraus mit der Sprache, wie hast du`s geschafft, dass du überleben konntest ? ”
Margrit verschränkte die Arme trotzig vor der Brust. „Komisch, ich soll immer alles munter erzählen und du schweigst dich aus ! “
„Komm, Margrit, werde jetzt nicht kleinlich. Das ist einfach wichtig, verstehst du ?“
„Wichtig ? Für wen denn ? Na, schön.“ Sie seufzte abermals. „Ich hab` mich nur in einem der drei Kleidersäcke versteckt. Siehst du, dort ?“ Margrit wies mit ihrem schwarz umrandeten Fingernagel zur Kellertüre. “Der Leere mit der ausgewühlten Wäsche dahinter ist meiner gewesen !“
„Hm, eigentlich keine besonders großartige Idee!“ murmelte er direkt ein bisschen enttäuscht. „Aber offensichtlich gut genug um zu überleben !“ Er warf ihr nun doch einen anerkennenden Blick zu. “Ich staune, dass du Hajeps mit solch einem simplen Trick überlisten konntest.“ Er wendete sich ganz herum und eilte nach kurzer Überlegung die Kellertreppe hinab. Dann begann er einfach die Kleider wieder in den Sack zu stopfen. “Denn Hajeps sollen ja sooo intelligent sein !“ setzte er jetzt knurrig hinzu.
„Das waren die vier wohl auch...“, Margrit beobachtete dabei erstaunt Georges Tun, „...und versoffen !“ Sie kam langsam die Treppe zu ihm hinunter.
„Wie bitte ?“ Er ergriff sich eine dicke Decke, um die wohl auch in dem Sack zu verstauen.
„Versoffen und ziemlich albern. He, warum machst du das alles, George ? ”
„Geht` doch schnell ! Es gibt keine albernen Hajeps, Margrit.” Er hielt inne, nachdem er noch die alte Jeans in den Sack gequetscht hatte und zog die hübschen Augenbrauen hoch. “Unser Feind ist ernst ... sehr ernst sogar !“
„Du meine Güte, bist du vielleicht ordentlich, George ! Nein, der Feind ist wie ein Kind !“ Sie bückte sich und hob den Apfel auf, in welchen der Hajep vorhin gebissen hatte und ihre Finger tasteten die breite Bissspur entlang. “Wir Menschen haben es in Wahrheit mit einem verspielten, beinahe tollpatschigen Feind zu tun ! Er ist auch sehr neugierig ! Das ist es ja gerade, was mich völlig überrascht hat !“ Und sie nahm sich genau jene Stelle vor, in die zuvor der Hajep gebissen hatte. Beinahe andächtig kaute sie nun das kleine Apfelstückchen. Dann stopfte sie sich mit flinken Fingern auch noch eine kleine Milchtüte und etwas Wurst in die ausgeleierten Hosentaschen.
„Tollpatschig !“ wiederholte er ungläubig und lachte kurz und verdrießlich. „He, wenn das die Hajeps hören würden...“, dann wurde er wieder ernst und fragte : „Hattest du noch irgendetwas mit diesem Sack gemacht? Wie stand er da, als du in ihn hineingekrochen bist ?“
„Ich habe mir noch eine Decke über den Kopf gezogen. Wieso ? Ist das so wichtig ?“ Margrit schnupperte an dem Eckchen Käse, das müffelte wirklich richtig schön.
Er ächzte laut und vernehmlich. “Ja, Margrit, sonst würde ich das nicht tun ! Hajeps haben ein geradezu fotographisches Gedächtnis. Sie könnten wiederkommen und dann...“
„Sie sind also noch nicht weg ?“ Margrit biss abwechselnd ein Stück Käse und ein Stück von dem Apfel ab.
„Sehr richtig ! He, du bist gewiss sehr müde gewesen Margrit, richtig ? Vorhin, als sie hier gewesen waren, und daher glaubtest du einen tollpatschigen Feind zu sehen. War es diese Decke hier ?“
Sie nickte und kaute. „Oh, Gott ... fotographisch !“ keuchte sie jetzt und betrachtete dabei sorgenvoll nicht nur den ziemlich gründlich bebissenen Apfelgriebsch, sondern auch den bereits zur Hälfte aufgegessenen Käse.
„Na, so genau sind sie nun auch wieder nicht ! Aber versteck den Griebsch so ein bisschen...“
Er öffnete die Kellertüre. „Los, komm !“
Für einen Moment zögerte sie nun doch, gerade als sie wieder einen Happen Käse und einen großen Schluck Milch aus der Tüte genommen hatte. „Aber was ist mit dem Satteliten ?“ fragte sie etwas undeutlich, da sie kaute.
„Der ist weg !“
„Wirklich ?“ Verdammt, woher wusste er das ? Konnte George vielleicht doch so ein Pajonit sein, dem sie jetzt arglos folgen sollte, aus welchem Grunde auch immer ? Sie schluckte das letzte Stückchen Käse bei diesem Gedanken nun doch ziemlich beklommen hinunter. “George, ...hm... also ...tja !“
„Ja, was ist ?“ fragte er missmutig und sein Zeh wippte ungeduldig in dem schicken Schuh.
Oh Gott, wie sollte sie so etwas formulieren ? Sie nahm daher tief in Gedanken noch einen weiteren großen Schluck Milch.
Er schraubte genervt die Augen nach oben. „ Mensch Margrit, musst du denn dauernd futtern oder trinken ? Was ist mit dir plötzlich los ?“
„George, ich habe tagelang kaum etwas gegessen. Willst du vielleicht auch einen Schluck ?“ Sie hielt ihm die Tüte entgegen, doch ihre Hand zitterte dabei etwas.
„Nein, natürlich nicht ! Lauf doch dann wenigstens weiter !“ schnaufte er zornig. „ Oder soll ich dich einfach hier stehen lassen ? Möchtest du vielleicht dafür sorgen, dass ich später doch noch meine Kotztüte wegen dir gebrauchen kann ?“
Ihr entfuhr ein kurzer Lacher, ziemlich verkrampft, wie sie fand. „Na gut !“ sagte sie ganz wie Tobias. Da hatte er sie auch schon bei den Schultern gepackt und einfach in die düsteren Kellergewölbe vor sich her geschoben. “Und von dem Keller aus willst du dann auf den Hof, richtig ?“ krächzte sie, während er mit einer Hand die Türe hinter sich abschloss und die andere noch immer auf ihrer Schulter liegen ließ.
„Nein !“
„Aber ... was willst du dann hier unten ?“ Verdammt, sie musste ihn irgendwie ablenken, damit sie weglaufen und zum Hof kommen konnte. Hoffentlich gab es hier überhaupt einen Ausgang nach dort !
„Wirst du schon sehen...“ knurrte er jetzt dicht an ihrem Ohr.
„ Aha-ah ! Ich habe trotzdem noch ein paar Fragen dich ?“
„Wer hat sie nicht !“
„Witzbold !“
„Da wir schon mal beim Fragen sind, Margrit, hier entlang bitte, hast du Danox oder irgendwo anders bei dir
versteckt ?“ Er lenkte sie an beiden Schultern einfach nach links. Hu, war`s hier dunkel ?
„Danox ?“ Du lieber Himmel, wo brachte er sie eigentlich hin ? Was machte er, wenn sie stolperte ?
„ Ja !“ Er schob sie einfach weiter in dem schmalen Seitengang. Sie tapste wahnsinnig unsicher voran und er lief ihr geschmeidig wie ein Panther einfach hinterdrein. Warum hatte er kein Licht angeschaltet ? Vielleicht war es ja auch nur kaputt !
„Ist dir denn der Name so unbekannt, Margrit ?“ Er blieb dicht hinter ihr stehen. „Oder trinkst oder futterst du schon wieder irgendetwas ? Man kann das jetzt nicht so richtig sehen. Verdammte Dunkelheit !“ Er hielt sie fest und so musste sie ganz automatisch auch anhalten. Oh Gott, was hatte er plötzlich vor ?
„Nnnnein ?“ piepste sie.
„Na, siehst du !“ Er drehte sie nun mit einem ziemlichen Ruck zu sich herum. Gott sei Dank war sie dabei nicht gestürzt. „Dann antworte doch endlich! Wo ist Danox, Menschenskind !“ Diesmal klang seine Stimme unglaublich kalt und hart.
„Aber George ...äh ... woher soll ausgerechnet ich das wissen ?“ Obwohl sie es nicht wollte, begann ihre Kinnlade dabei doch so ein bisschen zu zittern. Ach, war das peinlich, hoffentlich merkte er das alles nicht.
„Tu nicht so ... so scheinheilig !“ Er knirschte mit den Zähnen, „Aber bitteschön, wenn du es so haben willst!“
Er packte sie beim Kragen und schob sie gegen irgendeine dieser nasskalten, ekelhaften Wände.
“K...können wir nicht Licht machen ?“ piepste sie. Bestimmt würde gleich eine Spinnenwebe auf sie herab fallen.
„Nein, aber dir wird vielleicht gleich eins aufgehen, verdammte Scheiße ! Du weißt nämlich ganz genau, was ich haben will. Die Bombe natürlich !“„
„Die Bom ... Bombe ?“ keuchte sie entsetzt. „Das war eine Bombe ?“
„Aha, jetzt scheint der Verstand endlich zu arbeiten. Du hast dich nämlich damals bei Robert verplappert, denn ich hatte dir diese Wunderwaffe, unsere einzige Chance, die Hajeps doch zu besiegen, damals ja gar nicht gezeigt !“
„Das stimmt, aber...“
„Kein aber, Margrit, Robert hatte nämlich zu jener Zeit, als du bei ihm gewesen warst, noch gar keinen Kontakt mit mir gehabt und daher konnte er auch nicht wissen, dass du mich in Wahrheit bestohlen hattest.“
„Ich wollte dir aber gar nicht so etwas Wichtiges wegnehmen ... obwohl ich bezweifele, dass ausgerechnet eine Bombe überhaupt etwas so wahnsinnig Wichtiges sein kann !“
„Komm, komm, spiel` hier nicht die Unschuldige, was willst du dafür haben ?“
„Quatsch,“ nun wurde sie aber doch ärgerlich, „was sollte ich denn dafür haben wollen ? George, spinnst du vielleicht plötzlich so ein bisschen ?“
„Überhaupt nicht ! Zwar haben Dagmar und Onkel Achim in der Nacht sicherheitshalber in deinen und Muttschs Sachen nach Danox gesucht !“
„Was ? So eine Unverschämtheit !“ fauchte Margrit.
Er schien zu grinsen, aber das konnte sie im Dunkeln schlecht sehen. „He, sogar die Rucksäcke der Kinder hatten sie mehrmals durchgewühlt und ...“
„Also, das ist ja nun ganz besonders verrückt, denn wieso sollten ausgerechnet Kinder so etwas mit sich herumschleppen !“ unterbrach Margrit ihn kopfschüttelnd.
„Warum nicht ? Kinder sind neugierig ! Selbst Munks Körbchen haben sie dabei nicht ausgelassen, aber das Ding nie gefunden. Na ja, weil sie eigentlich immer gedacht hatten, dass ich es noch haben müsste.“
Er machte eine nachdenkliche Pause und sagte dann. „Das hat Paul, nicht wahr ?“
„Nein ! Wieso sollte er ? “
„Puh !“ Er fuhr sich mit der freien Hand schon wieder durchs Haar. „Wäre wohl auch ziemlich schlimm für mich gewesen ... also hast du es doch !“
„George, so begreif` es doch!“ Sie stülpte zum Beweise ihre Hosentaschen und die Taschen ihrer Jacke aus. „Danox ist ziemlich groß, wo sollte ich das Ding sonst noch gelassen haben ? “
„Na, vielleicht hast du`s ja auch irgendwo versteckt ?“
Sie seufzte und dann berichtete sie ihm in kurzen Worten, was damals so alles geschehen war, beschrieb ihm aber auf das Gründlichste genau jene Stelle, wo sie Danox hatte liegen lassen. Nachdem sie geendet hatte, schien er mit den Nerven völlig fertig zu sein, lief mit großen Schritten im düsteren, muffigen Korridor hin und her und murmelte dabei immer wieder. „Und was mach` ich nun ? Was kann man da noch machen, verdammt, verdammt!“ Margrit war ganz überrascht, schien er sogar zu weinen ? Denn sie hörte ein mehrmaliges Schnäuzen. Schließlich trat er gegen die Wände, dabei Unverständliches in sich hinein knurrend, schlug mit der Faust gegen Ziegel und der marode Putz blätterte dabei ab, doch dann hielt er inne, horchte erschrocken, wohl weil er fürchtete, dass man das vielleicht von draußen gehört haben könnte und dann kam er wieder zu Margrit gelaufen.
„ Bist du dir eigentlich im klaren“, fauchte er sie an, “dass du eine wichtige Chance zur Rettung der Menschheit vertan hast, indem du Danox weggeschmissen hast wie ein Stück Müll ?“
Sie nickte und senkte den Kopf. „Es tut mir ja so leid George, aber woher sollte ich denn wissen, dass ausgerechnet dieses kleine Ding solch eine besondere Sache sein soll ? Außerdem, findest du es gut, wenn eine Mutter mit zwei kleinen Kindern eine Bombe mit sich herumträgt ? „
„Du ... du hättest mich nicht zu bestehlen brauchen, Margrit !“ knirschte er.
„George,“ sie sprach etwas nuschelig, da er ihr Kinn plötzlich ziemlich schmerzhaft festhielt, “Paul und ich haben dich damals für einen Mörder gehalten ...“
„Auch noch für einen Mörder, fein ! Das dann wohl eher Paul als du ...“
„Stimmt, aber man musste das wirklich glauben, weil du den Dörfler plötzlich in den Abgrund gestoßen hattest.“
„Oh Gott, den habt ihr also gefunden ?“ wisperte er betroffen und ließ ihr Kinn endlich los. “Aber woher wollt ihr wissen, dass ich ...?“ Er wagte nicht weiter zu sprechen.
„He, du trugst nicht nur seine Uhr am Handgelenk, als wir dich schnarchend vorgefunden haben, sondern warst auch noch im Besitz seiner Schuhe ... es waren also nicht einmal deine Schuhe, über die du dich so aufregst, die wir weggeworfen haben!“
„Die hatte wohl eher Paul weggeschmissen als du, richtig ?“
„Richtig, aber ...“
„Margrit, das hat mich immer getröstet, die Hoffnung, dass nicht du die Schuhe, sondern Paul ...“
„Hasse ihn nicht, denn der eigentliche Gedanke, nämlich der, dich zu beklauen...“, sie schluckte, „... war wirklich meiner gewesen !“
„Du warst das also doch ?“ Schon wieder griff er nach ihrem Kinn doch sie wich ihm aus.
„George, wenn man jemanden für einen Mörder hält, ist man manchmal sogar zu weitaus Schlimmeren fähig. Alles sah doch wirklich danach aus. Das musst du schon zugeben ! Wir wussten damals noch nichts von dem seltsamen Mygistin, das dieser Mann bereits in seinem Körper hatte und an dem er letztendlich auch gestorben war. Und wir wussten auch nicht, wie hoch ansteckend das Zeug ist, mit dem uns die Hajeps jederzeit beschießen können. He, wieso bist du eigentlich damals nicht aufgewacht ?“
Rasch erzählte er ihr, wie er sich betrunken hatte und dass es ein selbstgebrautes Gesöff gewesen wäre.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.05.2005, 10:32   #51
Doska
 
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Standard Kapitel 50

„Aber, wieso musstest du dich eigentlich derart betrinken, George, wenn du eine so hohe Verantwortung mit dir herumtrugst ?“
Da wurde er ein wenig kurzatmig. “Das ... das waren halt die Nerven, Margrit ! Ich ... ich war verzweifelt ! Darf man das nicht sein ? “ Und dann setzte er verdrießlich hinzu. “Ach, das geht dich doch alles gar nichts an !“
„George, es tut mir trotzdem leid, dass ich dich bestohlen habe, und ... das hat mich schon die ganze Zeit sehr belastet und belastet mich noch !“ Sie machte eine kleine Pause, ehe sie fragte: „Kannst du mir nicht endlich
sagen, was die Hajeps damals mit dir gemacht haben und wie du ihnen entkommen bist ? Wir haben nun schon soviel geredet, da macht das winzige bisschen doch wohl auch nicht mehr so viel aus !“
„Du kannst einen vielleicht löchern! “ knurrte er. “Also gut ! Aber nur kurz gefasst !“
Sie nickte aufgeregt.
„Nachdem mich die Hajeps geschnappt hatten, trieben sie mich einen schmalen Bergpfad zum Tal hinunter, wo bereits ein kleines aber geräumiges Trestin auf mich wartete...“ Und dann erzählte ihr auch noch, wie er versucht hatte zu fliehen und wie ihn die Hajeps zur Strafe hatten dafür den Berg hinabrollen lassen. Margrit stöhnte entsetzt und mitleidig, als er ihr seine vielen Wunden beschrieb, die er dadurch erhalten hatte und das tröstete ihn mächtig. „
„Und wollten sie dich anschließend nicht erschießen ?“ keuchte sie.
„ igentlich, ja ... aber da griff ich zu einer List. Ich sagte, ich wüsste, wonach sie wohl suchen würden. Ich könnte ihnen den Weg nach dorthin zeigen, wüsste genau wo es läge!“
„Und dann ?“ fragte Margrit.
„Nahmen sie mich mit. Ich flog ! Margrit, ich saß zum ersten Male in meinem Leben in einem außerirdischen Flugschiff – verdammt !“ Er schlug sich jetzt tief enttäuscht selber auf den Schenkel. “Ich konnte trotzdem diesen Flug überhaupt nicht richtig genießen, denn ich dachte ja immerzu daran, dass bald mein letztes Stündchen kommen würde ! Denn in Wahrheit konnte ich ihnen doch gar nicht zeigen wo Danox liegt !“
„Und dann ?“ ächzte Margrit entsetzt.
„Na, ich ließ sie landen und zwar genau dort, wo Paul damals nicht nur meine Schuhe sondern auch das Dechiffriergerät, welches ich vor einiger Zeit Rekomp Nireneska hatte abluchsen können, in den Abgrund geworfen hatte.“
„Oh Gott ?“ Margrit presste sich die Hand vor dem Mund. „Stimmt, das war uns auch noch passiert ! Ach, das tut mir ja alles so leid, George !“
„Wieso dir? Das war doch Paul gewesen ! Aber in dem Fall war es ganz nützlich für mich. Ich stellte mich nämlich blöd. ´Da ist das Gerät,´ sagte ich zitternd, ´das ihr wohl sucht, aber man hat mich beraubt, es mir gestohlen und dann einfach in diesen Abgrunde geworfen ...´“
„Und ? Haben sie dir geglaubt ?“
„Der Zufall wollte es, dass Rekomp Nireneska in der Nähe war. Den riefen sie an und schon war der da, ebenfalls mit einem Trestin gekommen. Der blickte hinunter und erkannte sofort sein Gerät, denn es trug sein Zeichen, was glücklicherweise sehr schön zu sehen war !“
„Und nun ?“
„Na, man sprach dann noch kurz über die Trowes, die damals von den Loteken gefangen und verhört worden waren und spielte dann noch einmal den genauen Wortlaut der Trowes über ein Bulbajak, ein technisches Übersetzungsgerät, das den gespeichert hatte, ab. Dabei kam heraus, dass sie gesagt hätten, dass nicht Worgulmpf, der Anführer der entlaufenen Sklaven, ein besonders wichtiges Gerät bei sich hätte, sondern ich.
„Und jetzt ?“
„Na, ich fiel vor Nireneska auf die Knie ...“
„Oh, Gott, das war ja richtig verrückt, George !“
„...und ich jammerte und weinte. Das alles wäre nur geschehen, erklärte ich, weil ich die Hajeps damit erforschen, sie belauschen hätte wollen. Ich versprach, dass ich künftig wirklich nie, nie mehr Hajeps bestehlen würde. Aber es überkäme mich eben bei bestimmten Dingen manchmal, lange Finger zu machen, denn ich wäre einfach begeistert von dieser Macht, die uns alle erobert hat. Viele würden zwar sagen, ich wäre verrückt, aber das wäre ich nicht, nein, das solle Rekomp Nireneska nicht denken. Ich wäre wirklich ein Hajepforscher, ich hätte sogar eine eigene Organisation. Viele, ja abertausende würden zu mir gehören und alle würden die Hajeps erforschen wollen. Und dann schrie ich laut ´Denn wir alle liiieben die Hajeps !´ Und dann begann ich - bitte lach` jetzt nicht - seine Stiefel von unten bis oben gierig abzuküssen. Ich klammerte mich schließlich an seine Knie und erklärte dabei, er solle dazu mal meinen Cousin Robert befragen. Es stimme wirklich, dass ganz besonders ich die Hajeps lieben würde !“
„Oh Go – ott !“ Margrit wollte sich vor Lachen ausschütten.
„Du, der war so angewidert, vielleicht sogar erschrocken, dass er mir einen Tritt gab. Ich flog in weitem Bogen, du weißt, Hajeps sind sehr stark, direkt vor Tjufat Diguindis Füße. Er ist der ständige Begleiter unseres Rekompen, weißt du , dessen persönlicher Chasbulak, weil Nireneska für Übersetzungen nicht nur auf technische Hilfsmittel angewiesen sein will, sondern auch auf einen Deuter des Mienenspiels und der Art der Betonung, also wie etwas gesagt wird, Wert legt. Im Gegensatz zu Nireneska schien sich Diguindi schon die ganze Zeit köstlich über mich zu amüsieren, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen, packte mich derb am Arm und zog mich von Nireneska fort, der mich mit einer Tirade wüster Schimpfworte verfolgte. Diguindi gelang es, sich zwischen ihn und mich zu stellen und ihn schließlich nicht nur zu beschwichtigen sondern sogar auch noch Robert anzurufen, der Nireneska dann ausgiebig schildern konnte, wie hoffnungslos wahnsinnig aber harmlos ich im Grunde doch war. Diguindi lieferte mich dann wenig später mit einem kleinen Lai – diesmal genoss ich den Flug – direkt bei Robert ab und Nireneska erklärte ihm dann über das Kontaktgerät, dass er künftig besser viel besser auf mich aufzupassen habe. Tja, liebe Margrit, dafür wird leider an meiner Statt weiterhin der arme Worgulmpf mit seinen Getreuen verfolgt, denn die Hajeps nehmen eben an, dass Slorbunka, dessen bester Freund, sie damals absichtlich auf eine falsche Fährte, nämlich auf mich gelockt hätte, um Worgulmpf zu schonen.
„Sie glauben also, dass Worgulmpf noch immer der Besitzer von äh ... Danox ist ?“
„Sehr Richtig ! Nur wir beide wissen es besser, nicht wahr ? Verdammte Diebin du !“
„Aber du bist auch ein Dieb, nicht viel anders als ich George, da brauchst du dich eigentlich nicht zu beklagen !“
Er nickte. „Schlimm ist nur, dass du auch meinen Cousin bestohlen hast, Margrit... ”
„Ja, das tut mir ebenfalls leid, George !“ beeilte sie sich. „Wirklich ! Oh Gott, diese ganze Sache mit dem Kontaktgerät ... hat dein Cousin etwa später ...“, sie nagte an ihrer Unterlippe, „...deswegen Ärger mit Rekomp Nireneska bekommen ?“
„Das war eigentlich ein defektes Gerät, welches mein Cousin nur deshalb oben ins Bord gelegt hatte, weil er es Diguindi zum Reparieren wiedergeben wollte. Robert hatte inzwischen ein ganz neues und funktionstüchtiges und vergessen, dass es noch immer da oben lag. Es ist wirklich erstaunlich, wie das der Kleine geschafft hat, es doch noch in Gang zu bringen.“
„Tja, er war wirklich nicht ungeschickt, mein kleiner Tobias !“ sagte Margrit voller Stolz und wischte sich dabei eine Träne aus dem Augenwinkel. “Ob ... ob er wohl ...na ja ... ob er wohl noch lebt ?“
„Wohl kaum ! Aber, das war`s eigentlich nicht, worüber ich reden wollte, Margrit. Wo habt ihr das kleine Glasröhrchen gelassen, dass Dagmar extra eingeweckt hatte, damit es nicht einmal die Hajeps finden sollten ?“
„Also ... du meinst ...“, sie schluckte, „Tobias und Muttsch und Julchen, die sind gar nicht mehr am ... ?“
„Margrit, niemand weiß, was mit ihnen passiert ist, aber es ist doch wohl eher anzunehmen, dass sie ...na ja... als dass sie ...!“ Er machte eine kurze Pause und nahm sie dabei in die Arme, da Margrit plötzlich in hoffnungsloser Verzweiflung einfach drauf los weinte. “Denk doch bitte trotzdem darüber nach“, wisperte er ihr ins Ohr, während seine Finger über ihr Haar strichen, „hast du damals vielleicht ein kaputtes Kirschglas am Boden liegen sehen ?“
„Da ... da gab`s kein Kirschglas!“ Sie wischte mit dem Handrücken über ihre Nase.
„Doch, doch , Margrit, und darin hatte ein Glasröhrchen gelegen !“
„Kein Kirschglas, geschweige denn ein Glasröhrchen !“ fauchte sie.
Margrit du flunkerst schon wieder ... und das kann ich wirklich nicht an dir leiden !“ Er stieß sie von sich fort.
„Aber George, weshalb sollte ich dich denn belügen !“ zischelte sie ebenso zornig zurück. „Ich kann mich an so etwas einfach nicht mehr erinnern. Hörst du ! Ich habe heute wirklich viel erlebt, weißt du, vielleicht fällt`s mir später irgendwann einmal ein, dein behämmertes Glasröhrchen, aber vielleicht auch nie ... aber glaube mir, wenn ich jetzt auch nur irgendetwas von solch einem behämmerten Röhrchen wüsste, würde ich`s dir sofort geben, ! He, ist das denn auch schon wieder so verdammt wichtig ?“
„Leider ja !“ ächzte er. „Aber komm“, er packte er sie völlig entnervt bei den Schultern und schob sie wieder vor sich her, „jetzt da entlang bitte.“ Er schob sie diesmal nach rechts.
„Wird ... wird Robert nun wegen diesem Ding Ärger von den Hajeps bekommen ?“ keuchte sie tief betroffen.
„Von den Hajeps wohl nicht...“, knurrte er dicht hinter ihr, „...dann schon eher von den Jisken !“
„Den Jisken ?“ wiederholte sie verdutzt. „Jetzt sag bloß, da gibt es noch ein Volk, das unsere Erde erobert hat.“
„Na, erobert würde ich nicht gerade sagen. Die Jisken haben sich wohl eher eingeschlichen !“
„Eingeschlichen ? He, wo bringst du mich jetzt hin ? Doch zum Hof, nicht wahr ?“ beantwortete sie einfach ihre eigene Frage.
Er ließ sie langsam los. “Dort...“,sagte er und wies stolz mit dem Arm zu dem letzten der kleinen Keller hin, am Ende des Ganges, wo etwas Licht leuchtete, "... wird sich dir unser erstes Geheimnis offenbaren.“
Margrit starrte George verwirrt an, aber sie freute sich, dass es wenigstens ein bisschen heller war.
"Ich kam auf die Idee, die Türe dieses Hauses offen zu lassen...“, erklärte George flüsternd, "...aber erst, nachdem ich lange deinen etwas unruhigen Weg beobachtet hatte. Leider hatte Martin aber die Kellertüre abgeschlossen. Er bricht immer gleich in Panik aus, wenn er auch nur das Wort Hajeps hört, weißt du ?“
„Aha, dann ist Martin also einer deiner abertausend Anhänger ja ?“
„Du bist wie Robert, Margrit. Das kann ich nicht leiden !“
„Aber, wieso konntest du mich beobachten ?
Er lächelte geheimnisvoll. „Meine abertausend Anhänger – hähä - haben dich über unsere Bildschirme bis hierher eilen sehen und ich nahm an, dass du eine offene Tür nutzen würdest. Leider haben die Hajeps diese Chance auch genutzt, jedoch glücklicherweise nicht kapiert, was sich sonst noch so alles in dieser Stadt abspielt.“
„Da spielt sich nämlich immer dein Geheimnis ab, richtig ?“
„Genau !“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie an den vielen mit Gerümpel vollgepackten Kellerräumen vorbei. Schließlich hielt er vor einem ziemlich kleinen Raum an, ergriff sich das Vorhängeschloss, welches die lange und dicke Kette zusammenhielt, die zuvor um einen Pfosten und einen Stab der Gittertüre gewickelt worden war. „Hach, Margrit du kannst wirklich herrlich zynisch sein.“
Trotzdem überkam sie ein mulmiges Gefühl in ihrem Magen. War bei George wirklich noch alles in Ordnung hoch oben in seinem Kopfe ? „B...bist du dir auch sicher, dass es das Richtige ist, was du hier tust, George ?“ fragte sie möglichst ruhig.“ Er antwortete nicht und sie schwieg ebenfalls für einen Moment nachdenklich. „Du willst dir sicher etwas aus diesem Keller holen, richtig ?“
„Nein !“ Er kramte mit verdrießlicher Miene und nach längerem Suchen schließlich einen kleinen Schlüssel aus seiner Jackentasche hervor. „Ha, endlich hab` ich dich !“ fauchte er den Schlüssel an.
Margrit schob sich ihre Brille auf der Nase zurecht und betrachtete ihn mit einem Blick ... na ja, mit diesem gewissen Blick. Er merkte es jedoch nicht.
„He, ich werde dich überraschen ... hoffentlich !“ ächzte er.
„Wieso hoffentlich ?“ fragte sie und ihre Kinnlade zitterte etwas, während sie dabei zusah, wie er aufschloss.
„Na, ich weiß nicht, ob sie dich meine Freunde ...“
„...deine Abertausenden“, warf sie ein wenig nuschelig ein, denn sie nagte dabei an ihrer Unterlippe.
„Sehr richtig !“ knurrte er, „...annehmen werden...“, und dann hatte er das Schloss auf. „Voila, gleich siehst du sie !“
„Aber da ... sind doch nur ein paar alte Möbel !“
„Unsinn, komm` erst mal ` rein!“ sagte er schmunzelnd und riss die Kellertüre, die in allen Scharnieren wackelte, für Margrit weit auf. Er machte eine ungeduldig auffordernde Bewegung mit dem Schlüssel, wohl weil sich Margrit an ihm vorbeischieben und noch vor ihm in den Winzkeller begeben sollte.
”... und wenn ich nicht will ?“ wisperte sie.
„Möchtest du, dass ich vielleicht später doch noch meine Kotztüte ...?“
„Schon gut !“ hauchte sie ziemlich hastig.
„Na also !“ brummte er und lachte, schob sie einfach von hinten mitten ins Ungewisse und für einen Moment hatte sie sogar Angst, er würde draußen bleiben, von außen wieder abschließen, um sie doch noch den Hajeps zu überlassen, aber er zwängte sich ziemlich dicht neben sie, während er durch die Stäbe der Gittertüre fingerte, um von außen abzuschließen. „Ha, wusstest du, dass es sogar bereits blutige Revolutionen gegeben haben soll gegen Scolo? Zarakuma ist gestern mehrmals von unbekannten außerirdischen Flugzeugen angegriffen worden. Das alles, meine liebe Margrit, müssten wir kleinen Menschlein doch irgendwie geschickt für uns ausnutzen können, gelle ?“
„Na ja, wenn du Abertausende zur Verfügung hast ! Aber ich denke, die lieben alle die Hajeps ... autsch !“ Sie rieb sich das Knie, das sie sich an einem der alten, eckigen Stühle gestoßen hatte, die hier einzeln oder aufeinander gestapelt herumstanden. Auf dem höchsten Klamottenberg lag übrigens eine kleine Taschenlampe, die ihnen schon die ganze Zeit entgegen geleuchtet hatte.
„Ach, du alte Zynikerin! Aber lach nur, lach mich ruhig aus ! Das bin ich ja auch von Robert gewohnt ! Ich baue trotzdem auf meine Freunde !“ Er machte eine weitschweifende Bewegung mit den Armen, was bei dieser Enge direkt schon ein Kunststück war. „Sie beschützen mich !“ begann er zu schwärmen. Verdammt, er wies dabei auf einzelne Möbel oder bildete sie sich das nur ein ? „Sie kämpfen mit mir...“, tönte er weiter. Jetzt deutete er zum Beispiel auf einen kleinen, klapperigen Hocker. „Sie umgeben mich wie ein schützender Mantel!“ Entsetzlich, es hatte ihn also wirklich erwischt ! Denn er wies nun sogar mit beiden Armen und sehr großem Stolz auf das Klappbett, das sich direkt vor ihnen befand.
Margrits Herz krampfte sich zusammen, sie schob sich nochmals die Brille auf ihrer Nase zurecht, fieberhaft suchten ihre Augen den kleinen, vollgepackten Kellerraum nach weiteren Personen ab. Nein, sie entdeckte wahrhaftig kein Plätzchen, worin oder wohinter sich auch nur irgendjemand hätte verstecken können. Hier gab es also selbst bei bestem Willen keine weitere Person als George und sie selbst.
„Hm, George, das ist wirklich sehr schön, dieses ... na ja ...Bett ?“ Sie schluckte. Der arme Robert hatte gewiss nicht selten Kummer und Ärger mit George!
„Finde ich auch !“ rief George begeistert. „Habe wirklich lang` danach gesucht, bis ich es endlich gefunden habe!“
Von wegen Hajepforscher, guter Witz. Komisch nur, dass gerade sie darauf hereingefallen war ! Sie hatte doch sonst eine nicht gerade schlechte Menschenkenntnis !
„He, mit einem Bett...“, schwärmte er weiter, „ ...ist es fast wie mit einem Freund ...“
„Ja, ja, George“, piepste sie jetzt überfreundlich.
„Man muss sich auf solch ein Bett verlassen können, Margrit!“
„Richtig, sehr richtig, mein Kleiner, doch reg` dich dabei nicht all zu sehr auf, ja ?“
„Es begleitet einen viele Jahre hindurch...“
„Stimmt, aber...“
„Doch, doch !“ beharrte er.
Es war, wie schon gesagt, hier ziemlich eng, vielleicht weil der Raum kleiner war, als die übrigen, vielleicht auch weil hier mehr Gerümpel war, als sonst überall. Jedenfalls bewegte sich jetzt George direkt auf das Klappbett zu.
Sie folgte ihm. ”Ganz ruhig bleiben, George !“ sagte sie möglichst sanft und streichelte ihm schließlich übers verschwitzte Haar. “Das wird schon !“
„Ja, das hoffe ich doch auch, Margrit !“ knurrte er. “Was meinst du wohl, was ich die ganze Zeit denke ?“
Er war also krankheitseinsichtig, das war schon mal gut ! Sie atmete erleichtert aus und schob sich die Brille auf ihrer Nase zurecht. „Du weißt also ...“, fühlte sie vorsichtig vor, „ ... dass ein Bett in Wahrheit ...?“
„Margrit, auch wenn uns manches hoffnungslos erscheint“, fiel er ihr ins Wort, und er nahm Margrit beim Ellenbogen und zog sie zur Seite, dann klappte er das Bett einfach hinunter, “so sollte man trotzdem nicht aufhören zu glauben!“
Was hatte er nun plötzlich vor ? Margrit errötete. Wollte er etwa an Ort und Stelle mit ihr gleich in diesem Bett...? Nein, nein, sicher wollte nur endlich schlafen, labil wie er war und nach alledem, was er heute erlebt hatte!
Margrit staunte. Es war keine Holzwand mehr hinter diesem Bett, sondern lediglich ein recht stabiles Steingemäuer.
George legte sich jedoch nicht hin, sondern stützte sich nur mit beiden Händen auf die blau karierte Zudecke und flüsterte der Steinwand jetzt wohl irgendetwas Zärtliches zu.
Oh, es stand wirklich ziemlich schlimmer als gedacht um ihn. Sie versuchte ihn abzulenken „Wa–as hast du eben zu der ...naja... Mauer gesagt, George ?“
Ich sagte : „Maden haben einen Faden, über den sie Kräfte laden.“
„Oh Go-ott, George !“ keuchte Margrit mitleidig und stürzte zu ihm hinüber. „Tue lieber das, was du zuerst tun wolltest, ja ? ”
„W...was wollte ich denn zuerst tun ?“ stotterte er verdutzt.
„Na, mit mir ...ach Quatsch, nein, nein... schlafen natürlich !“ Sie klimperte ziemlich nervös mit den Augendeckeln. „Kein so übler Gedanke, sage ich dir ! Du musst dich jetzt endlich ganz, ganz dringend ausruhen, gelle ?“
„Muss ich gar nicht !“ protestierte er.
Das war natürlich typisch, sie seufzte. „Doch, doch, doch !“ Und sie wedelte gemahnend mit dem Zeigefinger dicht vor seiner Nase. “Du weißt, ich habe darin Erfahrung ! ”
Er machte hastige, abwehrende Bewegungen mit den Ellenbogen zu beiden Seiten, da Margrit nun recht zudringlich geworden war, indem sie ihm regelrecht auf den Leib rückte. “He, Margrit !?“ rief er verdutzt und lachte, da sie ihn nicht nur ins Bett geschuppst hatte, sondern weil er auch ziemlich kitzelig war. „Was ist denn nur plötzlich los mit dir, he ? “
Das war natürlich ebenfalls typisch. Er wollte partout nicht liegen bleiben. Ha, den anderen für behämmert halten und es selbst sein. Er begann zu juchzen und zu quietschen wie ein kleines Schweinchen. Oder waren das etwa Angstschreie ? Wahnsinnige gerieten nämlich immer sehr schnell in Panik. Also, ließ sie ihn los und stand lieber wieder auf. Sie brachte ihre Jacke, ihr Hemd wieder in Ordnung, während er keuchend wieder aufstand und begnügte sich neben ihm zu stehen, unterließ es jedoch nicht, mehrmals einladend auf die Zudecke zu klopfen und ihm dabei augenzwinkernd zuzugrinsen. Schon dachte sie, er würde ihr endlich gehorchen, aber er schob nur eines seiner Knie auf das Bett und klopfte, ungefähr im gleichen Rhythmus wie Margrit zuvor auf die Bettdecke, gegen die Wand. Das konnte sie nicht mit ansehen, also hielt sie einfach seine Faust fest.
„Hör`auf !“ sagte sie und versuchte ihrer leider etwas quäkig gewordenen Stimme wenigstens eine feste, energische Tonlage zu geben. Da bewegte sich vor Margrits verblüfftem Gesicht ein kleiner, fast kreisrunder Teil in der Wand, welcher sich schließlich als eine mit Mauersteinen sehr gut getarnte Luke entpuppte, die sich vor der inzwischen neugierig nach vorn gebeugten Margrit aufschob.
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Alt 25.05.2005, 10:37   #52
Doska
 
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Standard Kapitel 51

Stimmen hallten ihnen von unter entgegen und Margrits weit aufgerissene Augen gewahrten im Inneren der Luke, wenn auch nur schemenhaft, eine winzige Kammer, in deren Fußboden sich plötzlich ein kohlschwarzer Schatten zeigte, welcher andeutete, dass dort wie von Geisterhand ebenfalls ein Loch entstanden war. Es dauerte nicht lange, da flackerten in diesem Loch Lichter auf. Oh, dort schien es aber reichlich tief hinunter zu gehen ! Dann schepperte und schurrte es, irgend etwas wurde wohl hochgeschoben, schließlich zeigte sich das gut erhaltene Oberteil einer alten Aluleiter, zwar zunächst nur in der Öffnung des Fußbodens der kleinen Kammer, aber dann auch in der Luke des Kellers.
Margrit hörte ein leises Quietschen und zwar immer wieder in kurzen, gleichmäßigen Abständen. Die Leiter bebte in diesem Rhythmus mit und nun erschien ein recht igeliger Haarschopf im Loch am Boden der Kammer, der immer noch von unten beleuchtet wurde und zwei kräftige Männerfäuste umfasten nacheinander die Seiten der Leiter. Ein wuchtiger, gedrungener Oberkörper folgte und muskulöse Arme. Der Mann, welcher jetzt fast die ganze Winzkammer ausfüllte, hielt den Kopf gesenkt, blickte auf die Sprossen hinab, stieg schließlich auch noch die letzten hoch und dann spähte ein markantes, jedoch ordentlich rasiertes Gesicht hinaus aus der Luke. Dieses mochte wohl um die vierzig Jahre alt sein, aber Margrit konnte schon seit langem das Alter ihrer Mitmenschen nicht mehr richtig einschätzen, da der Krieg die meisten rapide hatte altern lassen. Graue, von vielen tiefen Falten umgebene Augen musterten Margrit mit einiger Überraschung aber auch etwas Abscheu, denn Margrit sah wirklich furchtbar heruntergekommen aus.
„Oh ...äh ...Hallo !“ grüßte Margrit höflich.
„Tzississis !“ murmelte der Mann (sollte das sein Gruß gewesen sein ? ) und wich etwas von der Luke zurück, so dass man auch seinen Oberkörper sehen konnte, der in ein dunkelbraunes, gepflegtes Hemd gehüllt war. Er schien irgendwie verdrießlich zu sein, denn er runzelte die ohnehin stark gefurchte Stirn. „Da haben wir sie also, die von dir so viel Gepriesene, George?”
„Das hier ist Margrit, ja !“ erwiderte George.
„Sieht`n bisschen merkwürdig aus, nich ? ” Der Mann betrachte sie abermals skeptisch.
„Tja, äh, dagegen kann ich wohl nichts machen !“ Margrit hob wie entschuldigend die mageren Schultern etwas an und ließ sie sogleich wieder fallen. Der Blick des Mannes war fast blitzartig wieder zu George gegangen.
„Lebt Sie also doch?” stellte der fest. „He, George, haben aber mächtig lang` auf euch warten müssen ! Haben uns schon Sorgen gemacht ! Musstest du deine Margrit denn erst freischießen oder was?“
„Es ist nicht meine Margrit.“ George wurde tiefrot und Margrit ebenfalls. “Äh, darf ich vorstellen, Martin!“ erklärte George und wies mit einer knappen Geste auf diesen.
”Ach, das ist also der, welcher mir die Kellertüre einfach abgeschlossen hatte ?“ knurrte Margrit und dieser errötete nun auch automatisch.
„Und so ist der immer!“ fuhr George fort. „Merke dir dabei: Meckern ist typisch für Martin ! Man könnte sogar eine sehr gute Abkürzung für ihn erfinden, nämlich : MM = Martin Meckerer ! ”
Martin wurde noch röter. “Ha, erst viel zu spät kommen und dann noch frech werden !“ fauchte er.
„So, Margrit”, meinte George weiter, doch dann betrachtete er Margrit plötzlich nachdenklich und rieb sich dabei das gepflegte Kinn. „Eine ziemlich hohe Leiter hinabzusteigen traust du dir doch wohl zu, oder ? “
Margrit schluckte. “Einen anderen Weg gibt es nicht ?“
„Moment, Moment!” Martin machte abwehrende Handbewegungen und sich selbst dabei noch breiter in seiner Kammer. „Hat die Dame nun die ...äh... George, du weißt schon... bei sich oder nicht ? Eher kommt sie mir nämlich nicht hier hinein.“
Margrits Augen weiteten sich erstaunt. „W...was soll ich ...?“ Sie hielt inne, denn Georges Fuß trat ziemlich derb nach ihrem Zeh.
”Aber, Martin!“ ergriff George für Margrit einfach das Wort. „Das ist doch erst einmal unwichtig...“
„Nein, oh nein, oh nein !“ protestierte der. „Das ist schon sehr wichtig!“
„Unsinn ! Lass` doch diese arme, verstörte Frau bitte sofort hinunter und sich bei uns ausruhen, dann sehen wir weiter, okay ?“
„Richtig, ausruhen ist immer gut !“ warf Margrit ein.
„Nix ist hier okay !“ Martin wedelte wieder mit seinen breiten Händen so heftig herum als wären das zwei kleine Propeller.
„Werde jetzt nicht penibel, ja ?“ zischelte George.
” Ja, zu penibel ist nicht gut”, bekräftige Margrit schon wieder. “Da gibt es zum Beispiel psychische Erkrankungen die...“
„Und wir sind schließlich in Not !“
„He, diese ganze Stadt hier“, Martin machte eine weitschweifende Bewegung so gut es ging, „war in Not und ist es vielleicht noch ! Wenn es danach gehen würde, hätten wir heute alle aber auch wirklich ALLE durch diese Luke hindurchklettern lassen müssen! „
„Ja, warum denn eigentlich nicht ?“ fragte Margrit einfach weiter.
„Nicht nur durch diese Luke !“ verbesserte George Martin. “Es gibt viele solcher Luken in dieser Stadt !“
„Ach, tatsächlich ?“ erkundigte sich Margrit verwundert.
„Doch kaum ein Bewohner dieser Stadt wusste je davon !“
„Wir verrieten nichts ! Sind wir deshalb schlechte Leute ? ”
„Ja, das seid ihr !“ schimpfte Margrit, begriff aber, dass man trotzdem nicht auf sie hören würde.
Martin machte nur eine wegwerfende Handbewegung Richtung Margrit. „Also los, George, erst die Bezahlung, oder das verdreckte und verlauste Ding kommt mir hier nicht runter !“
„Martin, Margrit wird uns noch recht nützlich sein, das kannst du mir glauben !“
„Das ich nicht lache ! Wie denn ? Die ist doch schwächlich gebaut !“
Margrit blickte auf ihre dürren Oberarme.
”Wird also niemals richtig kämpfen können ! Nie, sage ich dir, nie wird aus DER eine tüchtige Guerilla!“
Margrit schob sich mit zitterigen Fingern ihre Brille auf der Nase zurecht. „Äh, was soll ich doch gleich werden?“ keuchte sie erschrocken.
„Na, eine Guerilla ! Margrit unterbrich uns bitte nicht andauernd, ja ?”
„He, und ich wette mit dir, dass die noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hat!” fuhr Martin weiter fort.
„Na, in der Hand gehalten schon...“, warf Margrit nachdenklich ein.
„Außerdem trägt sie eine Brille, scheint keine ruhige Hand zu haben und geduldig ist sie auch nicht, eher vorlaut und geschwätzig!“
„Ich bin überhaupt nicht vorlaut!“ protestierte Margrit. ” Nur manchmal ein bisschen laut!“ räumte sie ein.
„Wir brauchen keine nutzlosen Fresser !“ machte Martin einfach weiter. „Können ja selbst kaum leben ! Das Weib muss also bezahlen, bevor es durch diese Luke darf !“
„Was meint der eigentlich immerzu mit bezahl ... ?“ Margrit kam nicht weiter, da sie schon wieder einen Tritt bekommen hatte.
„Sie hat aber besondere Gaben, die uns vielleicht eines Tages sehr nutzen könnten !“
„Besondere Gaben !“ ächzte Martin sarkastisch.
„Habe ich die denn wirklich ?“ fragte Margrit unglaublich leise.
„Dass ich nicht lache !“ brüllte Martin. „George, bei dir funktioniert doch nichts außer dein sogenanntes gutes Herz ! Daher siehst du praktisch in jedem Menschen irgendetwas Besonderes! Denk` dabei nur an diese Kleine, diese niedliche Blonde, na ja, unsere Gesine, die ist uns doch heute nur noch eine Last !”
„War halt Pech !“ gestand George kleinlaut ein.
„Kein Pech !“ tobte Martin weiter. “Bist nur tickhaft. Wirst immer schlimmer, mein Kerlchen. Dein verdammter Idealismus bringt uns noch eines Tages alle um ! “
„He, lassen wir sie zurück, könnte sie uns womöglich verraten !“ erklärte George jetzt triumphierend.
„Genau !“ bestätigte Margrit.
„ So, meinst du ?“ Martin sprach nicht weiter, nur seine Augen funkelten jetzt zu Margrit hinüber und zwar ziemlich kalt.
George sah diesen Blick und erbleichte. “Das ist doch nicht dein Ernst ! Du willst ...“, er brach ab, schluckte und Margrit schluckte ebenfalls, „... sie doch etwa nicht .. ?“ Sein letztes Wort war in einem unverständlichen Flüstern untergegangen, doch Margrits Herz schlug trotzdem bis zum Halse.
Martin nickte cool und ohne zu zögern.
„Du tötest Menschen ?“ wiederholte George seine zuvor geflüsterten Worte endlich laut. „Du wirst auch immer schlimmer.”
„Stimmt !“ ächzte Margrit und schluckte abermals.
Martin zuckte geringschätzig die wuchtigen Schultern. “Warum nicht ?“ erklärte er knapp. „Ich habe es schon oft getan, ohne dass du es je bemerkt hättest, mein Kleiner, aber nur, wenn es nötig war.“
„Wenn du es für nötig hieltest !“ korrigierte ihn George zähneknirschend.
„Kann schon sein ! Aber wenn du diese ausgesprochen mickerige Person einfach hier einschleust, könnte es großen Ärger geben, George ! Denk` an unsere Abmachung, denk` auch an unseren Präsidenten ! Du hast es der gesamten Organisation versprochen. Nur deswegen haben wir so manches für dich getan ! Du kannst diesen dürren Knochenhaufen nicht retten, wenn wir es nicht wollen ! Auch später nicht ! Also, wo ist nun diese ...die sogenannte Wunderwaffe?“ Er brach ab und wartete.
„Also die Wunder... ”, Margrits Satz konnte wieder nicht enden, da sie plötzlich Georges Ellenbogen dicht an ihren Rippen spürte.
„Selbstverständlich hat sie mir die bereits gegeben“, George klopfte sich stolz auf jene dicke Stelle seines Hemdes, von der Margrit wusste, dass es da nur eine riesige, aufgeblähte Kotztüte gab und sonst weiter nichts. “Aber ich finde es trotzdem mies von dir, so sehr darauf zu pochen!“
„Zeig` her !“ verlangte Martin und streckte den kräftigen Arm aus seiner Luke. „Bin neugierig ! Sieht diese großartige Waffe denn wirklich ganz so aus wie wir sie von den vielen Fotos und Filmen her kennen ? Oder ist sie doch ein bisschen anders ? ” ungeduldig griff er nach Georges Hemd.
Dieser konnte gerade noch ausweichen. “Bist du verrückt?“ keuchte der. “Nachher fällt sie dir noch herunter ! Nein, mein Bester. Deine Neugierde musst du schon bezähmen. Erst wenn wir daheim sind, werde ich sie zeigen! So war es abgemacht. Du bist nicht unser Präsident, nicht einmal Feldwebel unserer Einheit !“
Martin wollte zwar an diese offensichtliche Tatsache nicht so recht heran, das zeigte sein Mienenspiel auch ganz deutlich, doch dann fügte er sich und warf George das Ende eines festen Seils zu, das schon die ganze Zeit hinter ihm von der Decke der kleinen Kammer herab gehangen hatte. Während er die Leiter wieder hinabstieg, brummelte er aber trotzdem leise vor sich hin : „Na, da bin ich ja mal gespannt, was so alles mit dir und ihr passieren wird, wenn sich herausstellen sollte, dass du doch gelogen hast, verdammtes Weichei !“
George schien diese Bemerkung nicht gehört zu haben. Er schlug sich nur mehrmals mit dem Seil, das am Ende eine Schlaufe hatte, in die offene Handfläche und grinste recht seltsam, wie Margrit fand, vor sich hin. Margrit horchte indes in die Stille hinein. Das Quietschen der Leiter mischte sich nämlich, während Martin hinabstieg, mit ziemlich aufgeregten Männer- und Frauenstimmen, die irgendwo von unten hinaufhallten. Margrit meinte sogar, wenn sie sich konzentrierte, einige Worte, manchmal sogar Sätze, verstehen zu können, obwohl nicht übertrieben laut gesprochen wurde.
„He Martin, was is´ oben los gewesen ?“ hörte Margrit jetzt eine ziemlich helle Frauenstimme.
„Is´ mir Wurst !“ grunzte Martin einfach hinunter.
„Aber Martin, wir haben so lange gewartet, da muss doch oben etwas passiert sein ?“ hakte nun eine andere, recht energische Frauenstimme nach.
„ He, was hab` ich eben gesagt ?“ knurrte Martin nun erst recht aufgebracht. „Ich hab` gesagt, dass mir das ganze scheißegal is´, verdammt noch mal !“ und er blieb dann wohl für einen Moment auf der Leiter stehen. Was er machte, konnte man nicht sehen, aber die Leiter quietschte nicht mehr. War er etwa schon unten angekommen?
„Warum hat dir Martin dieses Seil gegeben, George ?“ fragte Margrit nun sehr leise und nachdenklich.
„Siehst du diese Schlaufe hier, Margrit ? ” antwortete George. Na, immerhin hatte er endlich aufgehört damit herumzuspielen. Sie nickte und schaute zu, wie er aufstand und sich mit dem Seil zum Fußende des Klappbettes begab und dann einen ziemlich großen Haken aus Metall hinter der Matratze hervorschob.
„Der ist fest verankert mit dem Bett. Ich werde die Öse über den Haken stülpen. Im Inneren der Luke ...“, er wies dabei mit einer knappen Bewegung hinter sich, „...befindet sich ein besonderer Mechanismus mit einer Kurbel. Es erfordert viel Kraft, Geschick und vor allem Erfahrung, nicht nur solch ein großes Bett von der anderen Seite her, also von innen, hochzubekommen und vernünftig einzuklappen, auch die Luken, die aus schwerem Metall sind, müssen ebenfalls von innen manuell verschlossen werden und dann muss ich noch so einiges anderes tun.“ Er brach ab und schaute ihr fest in die Augen. “Weißt du , das kann ich dir jetzt alles nicht auch noch erklären. Aber dass wir hier alle schnellstens aus dieser Stadt verschwinden müssen, möglichst ohne Spuren zu hinterlassen, ist dir wohl klar! Darum möchte ich, dass du noch vor mir durch diese Luke kriechst und dann die Leiter hinabsteigst. Erst wenn auch du hinunter bist, werde ich dir folgen, sobald mir das möglich ist !“
Margrit schüttelte den Kopf. “Aber das ist zu gefährlich !“
„Das Leben ist immer lebensgefährlich!“ murrte er. „Also, was fürchtest du ? Ach so, wohl die Leiter ! Nein, keine Angst, du wirst schon nicht hinabfallen. Es ist noch niemand, der ...“
„Das meinte ich nicht, George. Dieser Martin ist uns absolut nicht grün ! Noch haben wir die Möglichkeit einfach abzuhauen ! Wir müssen hier nicht unbedingt hinunter, George !“
Er seufzte. „Margrit, denkst du, das weiß ich nicht ? Aber wo willst du denn sonst hin ?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung !“
„Na siehst du, es bleibt uns doch keine andere Möglichkeit als innerhalb dieser Organisation weiterzuleben !“
„Aber was werden diese Leute mit uns tun, wenn sie erfahren, dass weder du noch ich ...?“
George konnte nicht antworten, denn plötzlich vernahmen sie eine weitere Stimme von unten - sie gehörte wohl einem ausgesprochen temperamentvollem Mann - ziemlich laut bis nach oben tönen. „Komm, komm, Martin, wir wissen zwar nicht, welche Laus dir mal wieder über die Leber gelaufen ist, aber du hast uns vernünftig zu antworten.“
„Heiko hat recht !“ fielen die übrigen Guerillas ziemlich verärgert mit ein. „Also endlich heraus mit der Sprache. Hat George mit den Hajeps kämpfen müssen, die in dieses Haus eingedrungen waren ?“
„Ha, kämpfen, deeer ?“ grunzte Martin nun ziemlich geringschätzig und die Leiter quietschte wieder, also hatte er noch immer keinen festen Boden unter den Füßen. „Gut, George kann sich prügeln“, räumte er ein, „aber, habt ihr je seine Pistole woanders gesehen als in seinem Gürtel ?“ Er machte eine kleine Pause und sagte dann so halb nach oben. „ Man könnte ihn daher auch gut G. Z. nennen, nämlich George Zauderich ! Hä, hä, hä ! “
Und wieder schien Martins launige Bemerkung George nicht sonderlich zu kratzen. Er grinste abermals nur so ein bisschen vor sich hin, während er Margrit ein Zeichen - ziemlich ungeduldig, wie sie fand - gab , nun endlich über das Bett zur Luke zu krabbeln. Martin war zwar noch immer nicht ganz von der Leiter hinunter, aber er hatte indes einen ziemlichen Lacherfolg mit seiner Bemerkung gehabt. Zu seinem Verdruss wurde er danach trotzdem weiter ausgefragt.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.05.2005, 10:41   #53
Doska
 
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Standard Kapitel 52

“Ist George verletzt ? Hatte die Frau tatsächlich Danox bei sich ? “ konnte man nun aus dem Stimmengewirr heraus hören.
“...die Frau tot, oder uns nur wieder weggelaufen ?“
„... haben es langsam satt, dauernd hinter ihr her zu sein !“ Dieser letzte Satz war allerdings gleich mehrmals zu hören gewesen. Margrit spähte unsicher zum Rand der Luke. Die Leiter bebte nicht mehr und man vernahm, nachdem Martin wohl das Vokabular für Schimpfworte für einen Moment ausgegangen war, nicht nur seine Schritte über Gestein, sondern auch die der anderen Guerillas und konnte sich daher sehr gut vorstellen, wie sie Martin nun neugierig bedrängten.
“Hat dir George Danox gegeben ?“ konnte Margrit wieder aus dem undeutlichem Gemurmel herausfiltern.
„He, wie sieht denn so `ne Wunderwaffe wirklich aus ?“ übertönte fast gleichzeitig die kräftige Männerstimme, alle anderen.
„Sehr richtig Heiko !“ knurrte die Meute und geduldig. „Martin, soll`s endlich hervor holen.”
Und dann rief wieder irgendjemand ziemlich laut dazwischen „He Martin, wirst du uns wohl das Ding endlich zeigen ?“
„Ja, ich möchte auch mal so ne Waffe in der Hand halten, Martin.!“ bettelte wieder die helle Mädchenstimme.
„Ausgerechnet du, Gesine ?“ fauchte es von irgendwo her. „Da bin ich doch wohl zuverlässiger, mir mal Danox selber anzusehen!“
“Kommt, kommt,“ empörte sich jetzt die dunkele Frauenstimme. „Was meinst ihr wohl, was wir hier alle wollen ?“
„Sehr richtig !“ schimpften jetzt auch einige Männer. „Denkt wohl, wir haben hier aus Jux stundenlang gewartet, was?“
„Oh Gott“, ächzte Margrit betroffen, „meinst du tatsächlich, dass ich als erste von uns beiden hinunter soll ? Du, die werden mich zerfleischen. Sie werden mich von der Leiter abernten wie einen Apfel ...und sollten sie mich noch für eine Sekunde am Leben lassen, was soll ich dann in dieser Sekunde überhaupt sagen ? Soll ich ihnen sagen : Ja , der George, der kommt hinter mir, aber der hat keine Bombe für euch, nur eine wunderhübsche Kotztüte ?“
“Hach, Margrit, ich liebe deinen Sarkasmus ! Aber nun bist du schon so weit bis zur Luke gekrabbelt, da kannst du wohl auch noch wagen, deinen süßen Hintern durch die Luke zu schwingen und die langen Läuferchen auf die Sprossen der Leiter zu stellen! He, notfalls kannst du ja mit denen treten, falls sie angriffslustig werden sollten !“
„Also, zum tausendsten Mal, verdammt !“ brüllte Martin währenddessen gegen alle Unruhe an. „Ich hab` diese ganze Scheiße nicht bei mir ! Kapiert ? He, he-eeeh ? Was is´ denn nu los ? Weg mit euren unegalen Fettfingern, sage ich ! Weg von meinem Alabasterkööörper ! Schei ...werdet ihr wohl aufhören mich so dämlich zu betaschen ? Bin ich denn eine Schwuchtel ? Also ihr wollt wohl erst einmal sehen, wie das ist , wenn diese Knospe hier aufgeht, was ?“
Indes hatte sich Margrit auf dem Bett herumgedreht und war mit den Beinen zuerst – wenn auch zitterig - durch die Luke geklettert. Ängstlich hielt sie sich zu beiden Seiten an deren Rand fest. „George ich verlasse mich jetzt darauf, dass diese Wildkatzen mir nicht gleich die Kleider vom Leibe reißen werden, um darin nach Danox zu wühlen !“
„Du musst dich eben behaupten, Margrit, wenn du eine echte Guerilla werden willst !“ Er zwinkerte ihr zu und holte dann sein Kontaktgerät aus einer kleinen Tasche, die er an seinem Gürtel hatte, direkt neben einer winzigen, jedoch ziemlich gut gepflegten Handfeuerwaffe.
„Wollte ich das denn je werden ?“ fragte sie sich leise und blickte dabei an der Leiter vorbei. Diese stand in einem schmalen Schacht, der etwa sechs Meter nach unten führte.
„Wer viel fragt kriegt viel Antwort, Margrit !“ Er wählte eine Nummer.
„Hä, hä, George, stell dir vor, ich kann deinen Humor im Augenblick irgendwie nicht richtig genießen!“
Für etwa drei weitere Meter schien die Leiter nicht mehr von Wänden umgeben zu sein, sondern völlig frei irgendwo in einem Tunnelgewölbe zu stehen.
„Ist halt Galgenhumor, Margrit !“ Und dann hatte er wohl jemanden am Telefon, denn sie hörte ihn : „ Hallo, Karlchen ! Na wie sieht`s denn jetzt aus ?“
„Hui, das macht mir aber Mut !“ zischelte sie trotzdem zornig zu ihm zurück und so laut, dass er es hören musste. Zwar war es hier oben ziemlich dunkel, weil hier auch nur eine kleine Funzel in einer Ecke der Kammer stand, direkt neben dem Läufer, der zum Teil an der zweiten Luke befestigt worden war und das ergab nur spärliches Licht. Aber die Guerillas hatten eine große und weit leuchtende Laterne tief unten auf den Steinboden gestellt, welche wirklich jede Sprosse der Leiter ziemlich gut erhellte. Man konnte eigentlich nicht daneben treten.
„He, das hättest du uns auch gleich sagen können, Martin“, hörte man jetzt wieder die helle, sehr enttäuschte Jungmädchenstimme aus der Tiefe und Margrit konnte dabei sogar die Hand der jungen Frau und dann den dicken Ärmel von deren Jacke unter sich sehen, “dass die Hajeps unsere Waffe der Frau längst geklaut haben.“
„Und wer redet hier mal wieder großartig vom Stehlen, ausgerechnet unsere Gesine !“ fauchte Martin. Auch ihn sah Margrit ganz kurz direkt neben der Leiter stehen und hatte dabei gleich entdecken können, dass eine kleine Glatze an seinem struppigen Hinterkopf schimmerte.
“He, wo ist denn nun George ?“ fragte die dunkele Männerstimme und eine große, ziemlich kräftige Gestalt war danach ebenfalls nur zum Teil neben der Leiter zu erkennen. „Der wird nämlich Danox bei sich haben !“ Danach klang alles schon wieder reichlich wild und durcheinander.
„Mein Gott, diese Unruhe und vor allem die Lautstärke !“ wehrte Martin weiter ab. Margrit sah ihn mit seinen Armen nach allen Seiten rudern. “So wartet doch mal endlich nur eine Sekunde ab, ja ? “
„Sekunde ist gut ! “ fauchte es wütend aus der Menge.
„Aber Martin, gewartet haben wir doch wohl heute inzwischen lange genug !“
„Sehr richtig und dafür ...“, tönte jemand aus der Meute.
“He, da fällt mir etwas ein“, hallte es weiter bis zu Margrit. „Wir klettern einfach hoch und schauen nach!“
„Wartet, ich glaub`, ich hab vorhin einen Schatten da oben gesehen !“ Das Mädchen mit der dicken Jacke und den langen blonden Haaren lief wieder zur Leiter und schaute hinauf. Margrit brach in Schweiß aus. Sie war schon vier Sprossen hinabgestiegen und zwar mauseleise. Hier oben war es dunkel, also konnte das Mädchen Margrit nicht entdecken - hoffentlich ! Doch Margrit war ein anderer, wirklich sehr verrückter Gedanke gekommen, denn sie hatte eben die Türe vom kleinen Kellerraum rasseln und dann quietschen hören, als wäre die ganz kurz geöffnet und dann geschlossen worden. Was war, wenn George Margrit gar nicht mehr hinterher kam ? Margrit konnte ihn nicht dazu zwingen, oder ? Unsicher schob sie sich darum die Brille auf der Nase zurecht und blickte knapp über den Rand der Luke. Ein eisiger Schreck durchfuhr sie. Sie taumelte und wäre dabei beinahe von der Leiter gefallen, denn George war wirklich nicht mehr da ! Sie brauchte sich nicht sonderlich auf ihr gutes Gehör zu konzentrieren, um nun seine durch die Kellergewölbe fortflitzenden Schritte zu vernehmen. Was hatte George vor ? Warum schloss er jetzt auch noch oben die Türe auf ?
„He George, bist du`s ? “ rief das Mädchen indes von unten und setzte tief enttäuscht hinzu : „Du Martin, der is´ nich´ mehr da !“
Margrit überlegte, wenn sie weiter hinunter kletterte, würde man das jetzt bestimmt auch von unten recht gut bemerken. „
“Huhuuu, Geo-orge ?“ trällerte jetzt die Frau mit der dunklen Stimme, dicht neben der Leiter. „Komm endlich und ...“
„Schschscht... zum Kuckuck mit euch !“ fauchte Martin entnervt und zog beide Frauen ziemlich grob von der Leiter weg und Margrit atmete erleichtert aus. „Gleich werden hier Hajeps aufkreuzen, nur weil ihr Arschbacken so laut gewesen seid. Er lebt, kapiert ? Na ja, und diese elende Tussi auch !“
„Sie leben, Gott sei Dank !“Ausrufe der Erleichterung waren zu hören.
Diesen Moment des Abgelenktseins und des allgemeinen Lärms nutzte Margrit für sich aus, indem sie nun ziemlich zügig hinabstieg, die Zähne dabei aufeinander gepresst und peinlich genau auf jede einzelne Sprosse achtend.
„Ja, hocken nur im Bett und zieren sich noch ein bisschen !“ keifte Martin unten weiter.
Komisch, Margrit hatte jetzt das Gefühl, als würde die Leiter plötzlich in einem völlig anderen Rhythmus beben. Zuvor schien es auch noch im Kellerraum und danach in der Kammer irgendwie gepoltert und gerumpelt zu haben.
„Beide im Bett?“ hörte Margrit dann wieder von unten. “Ha, ha, ha !“
Oh Gott! Viel schneller als Margrit gedacht hatte, war sie hinunter gekommen. Wenn die Guerillas nun in den Schacht spähten, konnten sie gewiss Margrits zerfledderte Turnschuhe und ihre Hängehosen von unten aus recht gut sehen. Doch es spähte komischerweise keiner mehr in diesen Schacht. Die Meute war nämlich wieder ziemlich wild miteinander am Plappern, denn man war sich uneins, ob nun einer trotzdem hinaufklettern sollte oder nicht.
“Ist denn auch wirklich nichts weiter passiert ?“ meldete sich trotzdem wieder die dunkle, kräftige Männerstimme skeptisch. Der große Kerl stand jetzt mit dem Rücken zur Leiter. Margrit sah sein schulterlanges, dunkelblondes Haar, das wohl von einem roten Stirnband aus dem Gesicht gehalten wurde. Er trug an einem Lederriemen über der linken Schulter ein schweres Maschinengewehr.
„Kann ich nicht garantieren !“ brummte Martin, ebenso dicht neben der Leiter stehend. „Alt genug sind die beiden ja und könnten deshalb in diesem Bett doch so ein bisschen miteinander ...na, ihr wisst schon ...“
Einige kicherten nun doch, andere grummelten weiter.
„Nein, nein“, grunzte jetzt Martin vollständig entnervt, „es ist denen nichts weiter passiert, als dass sie inzwischen in Tjufate umgewandelt worden sind.“ Und er entfernte sich dabei wieder für ein gutes Stück von dem Schacht. „Tja, ja ...“, er gab seiner Stimme einen traurigen Klang, „...wohl, damit die Hajeps endlich herauskriegen können, wo sich die letzten Menschlein noch versteckt haben könnten.“
Von einen Moment auf den anderen war ihm etwas geglückt, was er heute schon die ganze Zeit vergeblich angestrebt hatte, nämlich, diesen grässlich-quirligen Gesprächslärm in totales Schweigen zu verwandeln. Alle Münder waren zu. Die Menge schien Martin wohl völlig entsetzt anzustarren.
„Sehr humorig, wirklich!“ donnerte stattdessen eine kühne Männerstimme durch die knisternde Stille. Sie kam aus dem Schacht. „Aber dieser Scherz scheint mir wirklich einer von der allerübelsten Sorte zu sein, Martin !“
„George !“ rief alles wie erlöst und die Menge brach in regelrechten Jubel aus. Margrit blinzelte ebenfalls zutiefst erleichtert nach oben in den Schacht, wo sie im Dämmerlicht seine große Gestalt zu erkennen glaubte. Seltsamerweise trug er dicht an seinem Körper gepresst irgendetwas schweres, was er sich auch noch zum Teil einfach über die Schulter geworfen hatte. Mit was und vor allem warum hatte er sich plötzlich so schwer bepackt ? Du meine Güte, wenn er jetzt nur ein bisschen aus dem Gleichgewicht kam ? Beim Hinunterklettern ließ Margrit darum einige Sprossen aus um ihm schleunigst Platz zu machen. Dabei war sie wohl abgerutscht, ihre Finger fanden nicht schnell genug Halt und schon sauste sie hilflos der Tiefe entgegen. Das alles war so blitzartig gegangen, dass sie nicht einmal Zeit gehabt hatte dabei einen Angstschrei auszustoßen.
Die meisten der Guerillas waren, kaum dass sie etwas hinabrauschen gehört hatten erst einmal vor Schreck auseinander gefahren. Nur einer von ihnen, der kräftige, große Kerl mit dem langen Haar und dem roten Stirnband war Muts genug gewesen, Margrit geistesgegenwärtig aufzufangen. Er schaute nun ziemlich verdutzt auf das, was er da in den muskelbepackten Armen hielt.
Margrit lächelte ihm sehr dankbar zu : „Hallo !“ sagte sie leise und er grinste ein wenig unsicher zurück. „Willkommen bei den Maden !“ brummte er und Margrit erkannte dabei jene dunkele Stimme wieder, die sie schon die ganze Zeit gehört hatte. „Und du willst eine Guerilla werden ?“ bemerkte er sehr verwundert weiter. „Bist ja ein Fliegengewicht, nur Haut und Knochen ! “ Er ließ sie – so vorsichtig, als könne sie dabei zerbrechen - vor sich auf den Boden.
Margrit schwankte ein wenig. Sie schaute sich um. Sie befand sich in einem mächtigen Tunnelgewölbe. Die Wände glänzten feucht und wirkten irgendwie vermodert. Abwasser schaukelte nur einige Meter vor den – Margrit
schätzte , es wären ungefähr zwanzig – Guerillas wie ein breites, silbernes Tuch dahin und machte einige Meter weiter weg eine Kurve, wo hinter einer verschnörkelten Säule, die das alte Fundament stützte, Licht schimmerte. Hinter Margrit verzweigte sich der große Tunnel, der wohl bereits im späten Mittelalter erbaut worden war und damals vielleicht schon den Menschen als letzte Zuflucht gedient hatte, in drei schmalere Gänge, von denen der eine nur mit kleinen Funzeln ebenfalls recht schwach beleuchtet war, die anderen hingegen sogar in totale Dunkelheit hineinführten. Margrit fühlte sich nach alledem, was sie durchgemacht hatte, plötzlich erschöpft und irgendwie krank, aber sie spürte auch ganz genau, wie alle Augen auf ihr ruhten.
„Tja, die ist wirklich sehr zart !“ rief endlich jemand aus der Menge und hob seine Laterne, damit alle Margrit genauer in Augenschein nehmen konnten. „Aber vielleicht kann man sie hochpäppeln ?“
„Weiß nicht ! Das soll Margrit sein ?“ meldete sich nun auch ein anderer ziemlich skeptisch, der genau wie dieser ein Maschinengewehr über der linken Schulter trug .
„He, wir haben dich draußen über unsere Monitoren mit den Hajeps herumturnen sehen. Du warst genial !“ rief plötzlich die Frau mit der dunklen Stimme, die Margrit auch schon so oft gehört hatte, richtig begeistert. Sie hatte kurzes, schwarzes Haar und trug ebenfalls ein rotes Stirnband. “Bist fünf Stunden lang fast immer nur gelaufen, und das bei dieser körperlichen Verfassung ! Und dann diese Todesangst ! Obwohl du so einiges hattest mit ansehen müssen, bist du eigentlich immer ziemlich ruhig geblieben. Wir wissen nämlich, dass es furchtbar schwierig ist, einen klaren Kopf zu behalten, wenn einem Hajeps hinterher sind.“
„Wirklich, ich muss mich Renates Meinung anschließen ! “ brummte jetzt auch ein stämmiger Mann, der außer zweier Handfeuerwaffen und einem breiten Patronengürtel gleich mehrere Handgranaten am Körper trug. „Du hast immer genau im richtigen Moment Haken geschlagen oder plötzlich kehrt gemacht, wenn es erforderlich war!“
„Ja, woher hast du nur solche Instinkte ?“ bemerkte nun auch ein Mädchen mit langen roten Haaren.
„Du solltest wissen, dass wir Maden Menschen mit psychologischem Gespür ganz dringend suchen !“ meldete sich nun von hinten ein ganz junger Kerl, der eine Axt über der Schulter trug. „Wir brauchen sie nämlich immer dann, wenn wir einfach nicht mehr weiter wissen ! Und wir wissen oft nicht mehr weiter, nicht wahr, Dirkilein?“ Er gab seinem Kameraden, der für diese Verhältnisse ebenfalls erstaunlich gut bewaffnet war, mit dem Ellenbogen einige `Knuffis´ und dieser gackerte gleich drauf los, nickte dabei aber zustimmend.
Da quietschte es plötzlich wieder im Schacht und dann sauste abermals etwas hinab und zwar haarscharf an Margrit und ihrem Retter vorbei. Margrit musterte stirnrunzelnd den notgelandeten Beutel mit Obst, denn gleich mehrere Äpfel waren dabei rausgerollt und lagen nun auf den feucht glänzenden Steinen. Offensichtlich war der Beutel George entglitten. So vollgepackt wie George war, schaffte er es kaum die Leiter hinunter. Margrit konnte ihn heute einfach nicht mehr begreifen. Hatte er ihr nicht vorhin noch laut und deutlich gesagt, dass die Hajeps ein fotografisches Gedächtnis hätten ? Er war es doch gewesen, der ihr geraten hatte, alles möglichst so liegen zu lassen wie es war. Hatte er nicht sogar deswegen den einen Wäschesack selber aufgestockt, in dem sie sich vorhin versteckt gehalten hatte ?
Sämtliche Laternen strahlten nicht nur zunächst den Beutel neugierig an, sondern auch von unten die langen Beine. Hose und Schuhe waren allen bekannt, so wie das kräftige Hinterteil, das sich jetzt zeigte. Auch brauchte der schwarze Schatten unten niemanden, der ihm half. Man merkte ihm an, dass ihm hier alles längst zur Gewohnheit geworden war, denn er sprang trotz schweren Gepäcks wie ein Panther einfach in die Tiefe.
„George, George !“ rief schon wieder alles aufgeregt und strömte ihm entgegen. Nur Martin tapste etwas zögerlich hinter drein. „He, nichts für ungut mit dem kleinen Witzchen von vorhin, ja ?“ brummte er ziemlich schuldbewusst, nachdem er sich einen Weg durch die wilde Meute gebahnt hatte. Er hatte nun beide Hände so erhoben, als würde er sich George ergeben. „Wollt` doch nur diesen ganzen Haufen Hosenschisser für all das Gesummse so`n bisschen bestrafen ! Is` mir ja auch für einen Moment geglückt. Das musst du schon zugeben ! Aber hast schon Recht ! Sowas sagt man nicht. Nicht einmal zum Scherz !“
George hatte keine Zeit mehr zu antworten, denn von allen Seiten wurde er bedrängt, redete die Meute auf ihn ein, stellte sie ihm Fragen. Er hielt sich deshalb lachend die Hände an die Ohren. Aber dann legte er kameradschaftlich seinen kräftigen Arm um Martin, zwinkerte ihm verzeihend zu und drückte ihn, ganz zuvor Margrits Retter, kurz an sich, wie es eben nur mit diesen vielen Beuteln ging.
“He, was willst du mit all diesen Sachen, George ?“ rief schon wieder jemand aus der Menge. George schmunzelte geheimnisvoll und dann ließ er beinahe feierlich einen Beutel nach dem anderen – es waren im ganzen sieben - inmitten der Menge auf die schlierigen Steine gleiten.
„Sind ... sind die etwa alle für uns ?“ fragte das Mädchen mit der hellen Stimme neugierig und kam etwas näher.
Margrit, die neben George stand, schob sich ihre Brille auf der Nase zurecht, denn sie glaubte plötzlich an ihrem Verstand zweifeln zu müssen, weil sie ausgerechnet jene junge Mutter in diesem Mädchen wiederzuerkennen meinte, welche ihr schon heute Vormittag die Satteliten der Außerirdischen erklärt hatte, gerade als die Stadt von den Hajeps angegriffen worden war. Aber wo hatte diese Frau dann ihr Baby ? Margrits Blicke huschten suchend umher, doch sie konnte selbst bei bestem Willen hier nirgends ein kleines Kind entdecken.
Inzwischen hatte George mit lustigen Sprüchen zuerst Heiko -wie Margrits Retter von allen genannt wurde- ermuntert, in einen der Säcke reinzugreifen. Oh, wie johlte die Menge, als der langhaarige Bär plötzlich eine Flasche Bier in seiner Pranke hielt. George konnte wirklich sehr witzig reden, Margrit war ganz erstaunt, denn schon hatte er die Meute auf diese Weise ermuntert, endlich die Beutel zu plündern. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Jubelnd, ja, eigentlich kreischend, machten sie sich über die Säcke her.
„Guckt mal, was der George uns aber auch alles mitgebracht hat ...“
„Wirklich ?“ hörte Margrit.
„Hm , lecker !“ vernahm sie immer wieder und : „Oh Gott, Äpfel ! “
„Willst du mal hier reinbeißen, Heidrun ?“
„Oh, verda-aaammt! Ja, das schmeckt aber auch ganz gut !“
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Alt 25.05.2005, 10:42   #54
Doska
 
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Standard Kapitel 53

Das Eigenartige daran war, das fand jedenfalls Margrit, dass niemand fragte, woher George eigentlich diese ganzen Genüsse bekommen hatte. Selbst Margrits Retter wendete sich ohne jede Hemmung den Beuteln zu, ja, er wühlte darin herum wie ein Verrückter. Da George, genau wie Margrit, nur dabei zuschaute, einen Apfel hatte er sich allerdings genommen, ergriff sie sich einfach dessen Hand. Er sah ihr erstaunt in`s Gesicht, während er vor sich hin kaute. Da es so laut geblieben war, machte sie ihm mit Zeichensprache deutlich, ob er sie nicht ein kleines Stück von dieser wilden Meute weg führen könnte ? Er nickte und dann liefen sie an dem schimmernden Abwasserstrom vorbei um die Kurve. Hinter der Säule machten sie halt, weil es dort ruhiger war und sie miteinander reden konnten, doch noch ehe Margrit auch nur den Mund öffnen konnte, hörte sie genau aus jenem Teil des Tunnelgewölbes, das sie gerade verlassen hatten.
„He, was is`n hier los ? “ Zwei stämmige Kerle waren nämlich dort gerade aus einem der Seitentunnel zum Vorschein gekommen. Es wurde danach wesentlich stiller. Margrit lugte daher um die Säule herum und sah zu ihrem Erstaunen, dass diese Männer sich mit allerlei technischen Gerätschaften abmühten, an denen sie offensichtlich schwer zu schleppen hatten. „Findet hier plötzlich ne heiße Fete statt, oder was ?“ Sie waren stehen geblieben und musterten jetzt ärgerlich und neidisch die Meute, die immer noch unten am Schacht stand, in Säcken wühlte und munter irgendetwas in sich hinein futterte. „He, warum sagt uns denn hier keiner Bescheid?“ weitere Männer, ja sogar Frauen, waren nun ebenfalls aus dem beleuchteten Tunnel herbei gekommen. Einige von ihnen hatten gleich mehrere Kopfhörer um den Hals und ebenfalls recht altertümliche Monitore und andere technische Apparaturen mit beträchtlichem Gewicht in den Armen. Sie stellten ihre Sachen ab, stemmten die Fäuste in die Hüften und schüttelten verwirrt ihre Köpfe, weil schon wieder alles lachte und jubelte und weil sogar Martins Stimme völlig im Trubel unterging.
„Wo kommen denn plötzlich diese vielen technischen Geräte her ? “ fragte Margrit verdutzt und schaute über ihre Schulter hinauf in Georges Gesicht. Der biss in alles Ruhe noch ein Stückchen von seinem Apfel ab.
“Aus unserem Kontrollraum“, erklärte er kauend. „Weißt du, lange Jahre haben wir unter dieser Stadt unsere Zentrale gehabt. Wir brauchten ein Plätzchen, von dem die Hajeps denken sollten, diese elektrischen Wellen sind noch von den alten Radios und anderen Geräten der Menschen dieser Stadt. Denn du weißt ja, eine einzige Radiostation oberhalb der Erde durfte ja jedes Land eigentlich behalten, damit uns die Außerirdischen auch darüber erreichen können, wenn sie uns mal etwas mitzuteilen haben.“
Margrit nickte. „Und nun zieht ihr um ?“
„Richtig ! Gott sei Dank haben wir jetzt Zeit genug dazu und müssen nicht alles stehen und liegen lassen !“
Margrit sah jetzt, dass einer der Guerillas, welche die Geräte geschleppt hatten, sich nun einen Weg durch die Menge gebahnt hatte, um zu sehen, was da los war und er kam nun mit einem großen Stück Käse in der Hand zurück, das er sich dabei erkämpft hatte
„Schade, das Bier is´ schon alle !“ brüllte er. „Sind ja die reinsten Gierschlunte, sage ich euch.“ Er gab jedem ein Eckchen ab.
„Ich verstehe nur nicht, weshalb ihr so laut seid !“ wisperte Margrit George zu. „Und auch nicht , warum du diese Beutel...“ Sie brach ab und sagte dann : „Die gehören doch den Hajeps !“
„Nein, den Menschen !“ protestierte er.
„Aber George, die Hajeps werden wiederkommen und dann ?“
„Margrit, sicher hast du gesehen, dass ich vorhin mit Karlchen telefoniert habe, richtig ?“
„Von Karlchen weiß ich zwar nichts, aber trotzdem richtig !“
„Dazu solltest du wissen, dass jeder von uns einen besonderen Job hat. Somit ist Karlchen ein Beobachter. Er ist sogar einer unserer besten Beobachter und deswegen habe ich ihn angerufen und der hat mir mitgeteilt, dass sämtliche Hajeps inzwischen die Stadt verlassen mussten, weil immer mehr jiskische Jäger Zarakuma, den Regierungssitz unserer Feinde, attackieren würden !“ George schmunzelte jetzt richtig schadenfroh.
„Aha, und weil sämtliche Hajeps sich eine Schlacht mit den Jisken um Zarakuma liefern, hast du dir plötzlich gedacht: lenk` die Meute doch erst einmal ab und zwar mit diesen Beuteln hier.“
George nickte und seine Augen leuchteten.
„He, das hast du wirklich gut gemacht George. Doch jetzt sind deine Freunde mehr oder weniger voll gefressen und was machst du nun ?“
„Na, im Augenblick helfen sie Bert, siehst du? “ Margrit nickte und sah mit Erstaunen , wie jetzt wirklich jeder mit anpackte. Die Guerillas gingen oder kamen schwer bepackt aus jenem Tunnel, der erleuchtet war. „He, vielleicht fällt ja mal Margrit zur Abwechslung eine kleine List ein ?“
„Ganz bestimmt nicht, George. Denn ich kenne hier ja kaum jemanden und weiß daher auch nicht, wie ich mit denen umgehen soll ! Es tröstet mich nur, dass sie mir vorhin nicht allzu feindlich begegnet sind !“
„Sie bewundern dich, Margrit. Du bist zäh, du bist sportlich, du bist ganz schön abgebrüht!“
„Geoorge ?“ knurrte Margrit völlig fassungslos und drehte sich dabei wieder vollends zu ihm herum . „Ich mag vielleicht alles mögliche sein, aber abgebrüht bin ich nun wirklich nicht !“
„Doch, doch ! Und ich glaube schon, dass wir dich sehr brauchen werden , Margrit !“
„Aber, als was ?“
„Nun, du bist Psychologin, nicht wahr ?“
„Bin ich und jetzt ?“
„Hat die Meute denn nicht auch über dein besonderes Gespür für Gefahren geredet ?“
„Ja, das haben sie, aber das ist doch alles Quatsch, George !“
„Jeder hier in unserem Kreis hat eine besondere Aufgabe, Margrit, und deine wird höchst wahrscheinlich die eines Profilers sein ...“
„Wie das ?“ Sie kicherte verstohlen. „Ich kann mir so etwas Komisches gar nicht vorstellen ? Werde ich ganz alleine irgendwo sitzen oder ...“
„Nein, du wirst nicht alleine sein sondern mit einem weiteren Profiler zusammen arbeiten. Nämlich mit mir !“
Margrit schob sich ihre Brille auf der Nase zurecht. „Waas ... hast du doch gleich gesagt ?“ Sie blickte mit großen Augen zu ihm hinauf. „Du bist in Wahrheit gar kein Hajepforscher sondern auch ein Psycholog ...äh ... so ein Profiler?“
In diesem Moment knallte es ganz erheblich hinten in den Tunnelgewölben. Die gewaltige Explosion ließ Steine und Putz hinunter prasseln, zusätzlich polterte es bedenklich im Schacht. Die Guerillas schrieen gellend auf, umgeben von dichtem Staub ließen sie die Sachen stehen und zogen ihre Waffen.
„Doch die Hajeps ?“ stotterte Margrit entsetzt.
„Ich ... ich kann mir das jetzt auch nicht erklären !“ keuchte George . Er hatte ebenfalls seine Waffe gezogen „ Aber komm ...wir müssen hier weg !“
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Alt 03.07.2005, 12:14   #55
Doska
 
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Standard Kapitel 54

Kapitel 10


Es rumpelte noch ein bisschen, hier und da fielen weitere Steine hinab und dann herrschte wieder völlige
Stille. Staubwolken krochen gemächlich aus den Gängen hervor. Die Untergrundkämpfer hielten den Atem an, warteten, denn sie hörten ein seltsames Geräusch. Es klang fast so wie ein Husten oder Niesen, begleitet von unverständlichen Flüchen und dann leise das Tapsen von Schritten. Es schien von nur einem einzigen Wesen herzurühren und kam aus genau jenem Seitentunnel, in welchem bis eben noch die Funkzentrale der Guerillas gewesen war. Die Schritte näherten sich und manch eine Hand, die Gewehr oder Revolver hielt, begann deshalb sogar ein wenig zu zittern. Die Augen der Guerillas, die eben noch zu kleinen, gefährlichen Schlitzen zusammen gekniffen waren, weiteten sich erstaunt, als ein total eingestaubter Mann mit rotem Mundtuch hustend und prustend zum Vorschein kam.
„Verdammte Scheiße, Eberhardt, bist du denn wahnsinnig, du Idiot ?“ schrie Martin fassungslos mitten in die Stille hinein und alles lachte. Der Mann zog sich mit verdrießlicher Miene das Tuch von der Nase und band es sich um die Stirn.
“Ha, jetzt groß meckern, dabei hast du mir eben noch gesagt, dass ich die Büroräume und die Zentrale sprengen soll“, verteidigte er sich, „sobald das Wichtigste ausgeräumt ist ! He, wir haben bereits das Wichtigste ausgeräumt und alles, was du wolltest, gesprengt und nun ist das auch schon wieder verkehrt ! “
„Hrrrgh !“ Martin klatschte sich gegen die Stirn und schüttelte anschließend den Kopf . „Du verstehst aber auch immer nur Bahnhof !“ Er steckte endlich seinen Revolver in den Gürtel zurück und schritt auf Eberhardt zu, und auch die übrigen Untergrundkämpfer verstauten ihre Waffen oder schulterten die Gewehre und kamen aus ihren Verstecken.
„Tja, eigentlich hätten wir uns alle das Ganze denken können“, sagte George mit schuldbewusster Miene und warf dabei einen Blick auf die noch immer zitternde Margrit neben sich, die sich schutzsuchend an seine breite Brust gelehnt hatte, „denn Martin hatte heute schon den ganzen Tag von diesen Sprengungen gefaselt, aber wir sind inzwischen richtige Hajep-Allergiker geworden und reagieren deshalb hysterisch !“
„Du wusstest also davon ?“ Margrit schaute nun mit großen, empörtem Augen zu ihm empor. „Warum hast du mich nicht vorgewarnt ? Du meine Güte, ich habe mich zu Tode erschrocken !“
„Entschuldige, Margrit.“ Er strich ihr sacht über das staubige Haar. „Ich bin überhaupt nicht mehr dazu gekommen, daran zu denken.“
„Schön für dich !“ erklärte sie eingeschnappt.
„Ich meinte natürlich, dass du erst dann sprengen sollst, wenn wir hier alle hinaus sind“, schnauzte Martin indes mit Eberhardt weiter. „Was glaubst du, was sich nun in diesen uralten Gängen und Abwassersystemen so alles tun wird, hä ? Tja, ich weiß gar nicht, ob wir es je lebendig hier wieder hinaus schaffen werden ! “
Hatte sich Eberhardt auch zunächst beschimpfen lassen und sogar dabei nachdenklich den Kopf gesenkt, so wurde er jetzt richtig wütend. „Das könnte dir so passen, Martin, was ?“ knurrte er, holte dabei ein Taschentuch hervor und schnaubte die Nase gründlich aus vom Staub. „Dass ich hier als Einziger unter höchster Lebensgefahr sprenge und ihr alle längst im Trockenen sitzt ! Nee, nee, das ist bei mir nicht drin.“ Seine Hand bebte vor Zorn als er das Taschentuch wieder wegpackte. „Entweder wir riskieren hier gemeinsam Kopf und Kragen oder ich lass` gleich alles sein !“
Nach kurzer Beratschlagung entschlossen sich die etwa vierzig Untergrundkämpfer, Margrit und George dabei mitgezählt, dazu, die Möbel und die vielen anderen wichtigen Sachen durch die unterirdischen Gänge erst einmal ins Freie zu schleppen und abzuwarten, was schon von alleine durch diese Explosion so nach und nach einstürzen und in sich zusammen fallen würde. Erst dann wollten zwölf Männer noch einmal zurückgehen und den unterirdischen Tunneln den Rest geben. Die völlig geschwächte Margrit und die übrigen neunundzwanzig Guerillas sollten jedoch schon vorher heimkehren. Erkan, Daniel, Jussuf, Marika und einige andere warteten nämlich bereits in `Jambos`, zusammengebastelten Jeeps, und ebensolchen gebastelten kleinen Transportern oder Lastern bereits auf sie. Dass die elf Männer, zu denen auch George gehörte, noch einmal in die Tunnel zurück wollten und sich solch einer Gefahr aussetzen wollten, nur für den Fall, dass die Hajeps wiederkämen und irgendwelche Reste von einer Untergrundorganisation sehen könnten, begriff Margrit nicht so ganz, und so musste George ihr doch so einiges erklären, obwohl sie sich sehr beeilten. Margrit trug dabei einige wichtige Aktenordner und Kisten mit Disketten und George einen altertümlichen PC
„Es gibt insgesamt vier Ausgänge, Margrit“, rief er ihr dabei zu, „und zwar in alle Himmelsrichtungen. Sie führen unterirdisch, also unter Wiesen, Wäldern und Hügeln hindurch bis nach Eibelstadt. „Das könnten die Hajeps dabei herauskriegen. Deswegen ist es wichtig, dass wir alles, was wir hier aufgebaut, haben mithilfe von kleineren Sprengungen zerstören, bevor sie wiederkommen !“
„Kommen sie denn wieder ?“ hakte Margrit skeptisch nach und keuchte, da die Kisten sehr schwer waren.
„Garantiert ! Das ist nämlich die Belohnung der Soldaten für die Eroberung einer Stadt, dass sie diese auch plündern dürfen ! “
„Ach, erst dann dürfen sie ?“
„Richtig, es sind sogar Howane(Wissenschaftler) dabei. Hajeps sind sehr neugierig und wollen das Leben der Menschen erforschen, weißt du ?“
„Verstehe, und dabei habt ihr Angst, dass sie auch die Kellerräume inspizieren und alles herausfinden könnten.“
„Genau, sie haben nämlich, wie soll ich das beschreiben, hochempfindliche Detektoren, mit denen sie herausfinden könnten, ob eine Stadt zum Beispiel untertunnelt ist oder nicht !“
„Schrecklich, das alles !“ ächzte Margrit. “Aber kann sich die Erde nicht durch diese vielen Sprengungen plötzlich senken oder so ?“
„Eberhard, Kyusho und Sandra sind eigentlich wahre Meister ihres Fachs. Sie werden nur sehr kleine Sprengungen machen, sodass nichts mehr von unseren Räumen und Anlagen zu sehen sein wird und somit auch keine Erosionen stattfinden können. Es soll alles so wirken, als wäre der altertümliche Bau so nach und nach von ganz alleine eingestürzt.“ Und dann erklärte George ihr noch, wie hoch und wie robust die Abwasseranlagen wären und wie lange man zu laufen hätte, bis man ins Freie käme. Er berichtete ihr auch, dass die uralten Abzweigungen und Geheimgänge unter dieser Stadt den Bewohnern schon immer völlig unbekannt waren und nur sehr wenige darüber Bescheid gewusst hätten, die nun zur Organisation der Maden gehören würden. Trotz aller Anstrengung und Hetze geriet er darüber sogar ins Plaudern, ja, er wurde regelrecht schwärmerisch und stolz und vielleicht war er auch nur glücklich, mit Margrit endlich über seine Organisation sprechen zu können, nichts mehr vor ihr geheim halten zu müssen. Er lobte und pries zum Beispiel einige seiner Kameraden, zählte auf, wer derzeit Bekanntes bei den Maden mitmachte und Margrit war überrascht, als sie die Namen hörte, denn einige davon waren sehr berühmte Persönlichkeiten und so kam er auch auf den Oberkommandierenden der gesamten Organisationen, auf Günter Arendt zu sprechen und seine Augen leuchteten begeistert im Lampenlicht, als er dessen Ruhe, Kampfgeist und Organisationstalent zu schildern begann.
Währenddessen schleppten seine Kameraden mit schlafwandlerischer Sicherheit auf schmalsten Wegen die schweren Sachen dicht an ihnen und dem Abwasserstrom vorbei. Margrit war sehr schwach und konnte ihnen kaum folgen, doch die Angst, von irgendeinem herabfallenden Gesteinsbrocken erschlagen zu werden, verlieh ihr schier Flügel. George schien hingegen Nerven wie Drahtseile zu haben, er passte sich nicht nur Margrits langsamen Schritt an, er zählte ihr sogar sämtliche Organisationen in aller Ruhe mit Namen auf, die noch zu den Maden gehörten und wie viele Mitglieder das insgesamt sein würden. Als er schließlich auf die unterschiedlichen Waffen und Munitionen zu sprechen kam, die den Menschen dieser Erde wohl noch zur Verfügung stünden, war Margrit so müde und erschöpft, dass sie kaum noch etwas davon bei sich speichern konnte, außerdem wurde sie immer taumeliger, da ihr, ohne dass sie es wollte, die Augen zeitweilig zuklappten und sie konnte ihre Bewegungen nicht mehr so richtig koordinieren. Die Kisten in ihren Armen waren dabei immer schwerer geworden. Schließlich hatte sie den Eindruck, sie schleppte Blei und besonders, wenn es in die Kurve ging, hatte sie Sorge ins Abwasser zu stürzen. Ausgerechnet bei so einer Kurve entdeckte sie wieder das junge Mädchen mit den langen, blonden Haaren, welches Margrit bereits zu kennen glaubte. Zwar hatte es Margrit auch kurz anfixiert, dabei einen kleinen Blick zurück über die Schulter geworfen, dann war es aber sofort wieder schneller gelaufen, um die Meute einzuholen. Es hatte drei offensichtlich sehr schwere Kisten zu schleppen und kam daher ähnlich mühselig vorwärts wie Margrit. Immer wenn sie außer Sichtweite war, stellte sie die Kisten kurz ab, bog ihr Kreuz durch und rieb sich die Hände.
„He, wo hast du denn dein Baby gelassen ?“ meldete sich Margrit trotzdem plötzlich.
Das Mädchen fuhr zusammen, dann machte es nur ein trotziges Gesicht, hob wortlos die Kisten auf, um wieder zu den anderen zu flüchten.
„Mensch, lauf doch nicht weg ! Bitte !“
„Lass sie doch !“ sagte George.
„Aber ich kenne dieses Mädchen !“ erklärte Margrit aufgeregt. „Sollte ich mich denn so irren ? Es ist die junge Mutter, die mir heute Morgen begegnet ist, gerade als die Hajeps begonnen hatten, die Stadt anzugreifen. Sie ist in den Westen gelaufen. Genau in jene Richtung, aus welcher der erste Angriff erfolgte und ...aber ich verstehe nicht, wo ist ihr Kind ?“
„Sieh` mal !“ George wies mit dem Kinn auf den Menschenstrom vor ihnen, der sich durch die Tunnel schlängelte, ähnlich einem Wurm mit vielen Beinchen. „Ich weiß nicht, wie gut deine Brille ist, aber von hier aus müsstest du das Kind sehen. Renate, die energische Frau mit der dunklen Stimme und den kurzen, schwarzen Haaren, die mit dem Stirnband, hat es schon die ganze Zeit auf den Armen. Erstaunlich!“ George lachte. „Es schläft trotz des Lärms, den wir leider machen. Tja, es ist eben ein echtes Rebellenkind!“
„Und du meinst, das ist die wirkliche Mutter ?“
George nickte.
„Und wo war das Baby die ganze Zeit vorher ? Ich habe es nie gesehen ?“
„Da hat es in der Zentrale gepennt. Tja, leider passiert es manchmal, auch wenn die meisten Menschen inzwischen wegen dem ganzen Stress oder aus welchen Gründen auch immer unfruchtbar geworden sind, dass solch ein kleines Engelchen geboren wird. Gesine war nur, als sie dir begegnet ist, gerade mit Irmchen - so nennen wir unseren Schützling - in der Stadt, um ihm ein wärmeres Jäckchen zu besorgen. Wir haben alle nicht mit diesem Überfall gerechnet, weißt du ! Obwohl, na ja, wir schon diese Möglichkeit in Betracht hätten ziehen sollen, denn Hajeps bekommen so manches heraus ...“
„Ach, und was haben sie heraus bekommen ?“
„Die Sache mit den Trowes, dass wir die hier erwartet haben...!“
„Oh Gott, die armen Menschen, die werden bestimmt vor Schreck gekreischt haben, als sie denen in`s Gesicht geschaut haben. So wie du sie mir beschrieben hast, nutzt wohl selbst die beste Verkleidung bei denen nichts.“
„Oh, es gibt ganz hervorragende Verkleidungen, Margrit...“
„So ? Da bin ich mal gespannt !“
„Als behelmte Motorradfahrer zum Beispiel ! Und das ist gar nicht mal so auffällig.“
„Doch, sieben behelmte ...“
„Keine sieben Margrit, die Hälfte davon hatte sich in den Anhängern von nur zwei Motorrädern versteckt.“
„Ach, so !“
„Du weißt, die meisten Menschen fahren heutzutage Rad oder Motorrad !“
„Aber mit Helm ?“
„Es gibt auch welche, die noch diese herrlichen alten Helme haben, ja !“
„Stimmt, eigentlich gar nicht mal eine so schlechte Idee ...“
„Das fanden wir auch. Wir wollten Worgulmpf, seinen Freunden und seiner Familie weiterhelfen. Sie sollten bei uns einen festen Unterschlupf haben...“
„Wow, echte Außerirdische als Untergrundkämpfer!“ Margrit verzog skeptisch das Gesicht.
„Warum nicht ? Wir sind nicht rassistisch ! Das hätte uns sogar recht gut getan, glaube ich ! Wir hätten womöglich durch die Auskünfte der Trowes so einiges mehr über Hajeps erfahren. Aber Worgulmpf und seine Getreuen haben leider unsere Eingänge im Westen der Stadt nicht gefunden oder nicht mehr erreicht. Niemand weiß, was passiert ist. Hoffentlich haben die Hajeps sie nicht erwischt. Das einzige, was einen dabei trotzdem noch trösten könnte, ist die Gewissheit, dass sie damit noch lange nicht Danox bekommen haben.“
„Und euch erschüttert dabei gar nicht, dass durch diese Idee, also, dass die Trowes erst in der Stadt eure Geheimgänge nutzen dürfen, so viele Menschen getötet worden sind ? Auch ihr habt einen großen Schaden davon, denn ihr musstet eure Zentrale und nun auch noch sämtliche Geheimgänge unter dieser Stadt sprengen, euch immer weiter zurück ziehen. Sage mir nicht, dass du das gut findest, George, denn das glaube ich dir nicht!“
“Selbstverständlich finden wir das sehr traurig, Margrit ...“
„Aha !“
„Aber die Hajeps hätten ohnehin diese Stadt entvölkert und die Menschen vernichtet. Genügend Gerüchte gingen ja bereits herum. Hajeps mögen keine Menschen so dicht in ihrer Nähe, vor allem nicht so viele. Aber es kamen immer mehr und mehr und zunächst hat mich es schon gewundert, dass Scolo so lange ruhig blieb.“
„Weshalb habt ihr eigentlich keine unterirdischen Gänge in den Wäldern oder sonst woanders. Warum ausgerechnet in einer Stadt ?“
Hajeps haben Jilkis, winzige Erkundungsflugzeuge oder wie du gesehen hast Satteliten, welche mit großer Leichtigkeit selbst durch dichtestes Geäst der Wälder segeln können. Sie können manchmal sogar von oben sämtliche Häuser einer Stadt durchleuchten, nur bis in den Keller hinein, das vermögen sie noch nicht.
Darum sind Berge, das Erdreich, tiefe Seen und hohe Häuser stets ein guter Schutz für uns gewesen.“
„Also, war es nur möglich in dieser Stadt ...?“
„Sehr richtig. Jedenfalls haben wir wegen der Trowes über versteckte Kameras die wichtigsten Zentren der Stadt schon seit gestern Abend beobachtet. Gesine macht sich nun wohl Gewissensbisse, dass sie dich nicht schon heute Morgen mitgeschleppt hat in unseren westlichen Tunnel. Sie hätte dir damit sehr viel Angst und Leid ersparen können. Aber ich habe sie getröstet, habe ihr gesagt, dass sie dir letztendlich doch das Leben gerettet hätte, denn sie hat uns erst durch eine genaue Beschreibung deiner Person auf dich aufmerksam gemacht.“
„Ach, und warum ?“
„Na, sie hat sich über deine überhebliche Art dermaßen geärgert, dass sie sich erst einmal Luft bei uns machen musste...“
„Ach, und dabei fiel dir auf, dass diese Beschreibung auf mich zutreffen könnte ?“
„Genau ! Denn woher sollte ich sonst wissen, dass ausgerechnet du gerade heute durch Würzburg schleichen würdest.“
„George, ich werde schneller machen, um mich bei Gesine zu bedanken“, sagte Margrit aufgeregt.
„Nein, das war doch nur Zufall !“ Er schüttelte den Kopf. “Warum solltest du dich bei ihr bedanken ? Gesine ist außerdem, na, wie soll ich es sagen, ein wenig eigenartig. Ja, das ist wohl das richtige Wort. Lebt zwar schon ein paar Jahre bei uns, aber das hat sie nicht verändert. Weißt du, ich habe sie noch als halbes Kind hier eingeschleust und das haben sie mir alle übel genommen, weil ...“, er verzog sein Gesicht ziemlich betreten, „...weil ...na ja ...Gesine klaut ! Wäre nicht weiter schlimm, wenn sie für uns zum Beispiel die Hajeps oder Loteken beklauen würde, aber ...!“
„Sie beklaut euch ?“ vollendete sie seinen Satz.
Er nickte. „Dabei ist sie selber todunglücklich darüber...“
„Willst du damit etwa andeuten, dass sie ein Fall für Psychologen wäre ?“
„Nein, das war keine versteckte Ermunterung, dass du bei uns gleich eine Praxis einrichten sollst !“ Er kicherte verstohlen. „Du wirst, glaube ich, genug anderes bei uns zu tun bekommen, so dass du gar keine Zeit für solche Dinge haben wirst.“
„Ich bin auch nicht scharf darauf !“ keuchte Margrit erschöpft.
Wenig später geschah genau das, was sie schon die ganze Zeit befürchtet hatte. Margrit stürzte zwar nicht ins Abwasser aber sie trat in ein tiefes Loch, was sich mitten im Wege befand, weil sie es nicht hatte sehen können, da sie ja die großen Kisten in den Armen trug. Sie stolperte also, ließ dabei die Kisten fallen, schlug lang hin und sich die Nase an einem Balken blutig, der dazu diente, die Tunneldecke zu stützen. Als sie sich wieder aufrichtete und nach ihrer Brille suchte, die Disketten hatten sich überall auf dem glitschigen Boden verteilt, kam George, der vorgelaufen war, weil er noch etwas wichtiges mit Martin zu besprechen hatte, zu ihr zurück.
„Oh, Margrit !“ rief er besorgt. “Verdammt, wir hätten dich warnen sollen. Wir kennen nämlich alle diese Stelle, die noch repariert werden sollte. Scheiße, das tut mir ja so leid ...“
„Und mir erst !“ murrte Margrit. Sie hatte endlich ihre Brille gefunden und gerade festgestellt, dass eines der
Gläser einen riesigen Sprung erhalten hatte. Er hatte seinen PC einfach mitten im Gang stehen gelassen und ihr ein Taschentuch gereicht. „Verdammt, deine Nase sieht ja echt böse aus ! Ist sie gebrochen ? Soll ich mal nachfühlen ob ?“
„Untersteh dich !“ fauchte sie.
„Blutet aber stark. Willst du noch ein Taschentuch ?“
Sie nickte.
„Wirst du überhaupt deine Brille wieder aufsetzen können ? Schwillt ja mächtig an !“
Sie brauchte noch weitere drei Taschentücher und die Brille saß völlig schief auf dem dicken und blau angelaufenen Nasenrücken. Selbst die Augenbraue hatte etwas bei dem Sturz abbekommen. George half ihr, die Disketten wieder einzusammeln und hoffte dabei, dass nichts davon ins Abwasser gekommen war.
„Ich werde dir eine Kiste abnehmen !“ sagte er. “Du bist völlig fertig und kannst in diesem Zustand nicht so viel tragen !“
„Nein !“ fauchte sie trotzig.
Er lachte. „Eine echte Guerilla, aber dennoch solltest du nicht übertreiben, Margrit. Du kannst uns in den nächsten Tagen noch genügend deine Zähigkeit unter Beweis stellen !“
Ehe sie noch weiter protestieren konnte, hatte er schon die Kiste irgendwie auf den PC bugsiert. Das sah ziemlich halsbrecherisch aus, aber er balancierte trotzdem alles mit großer Kraft und nicht weniger Geschick durch die schmalen Tunnel. Margrit hatte große Mühe, ihm in diesem schnellen Tempo mit der einen Kiste in den Armen zu folgen. Oh, hier stank es jetzt entsetzlich. Ratten und Ungeziefer flitzten außerdem schnell über die schmierigen Steine, liefen ihnen manchmal fast über die Füße. Gott sei Dank sah Margrit wegen ihrer kaputten Brille nicht allzu viel davon. Verschiedene für Margrit undefinierbare Dinge tauchten im trüben Wasser auf und verschwanden wieder, brachten Margrit auf die seltsamsten, nicht gerade ´magenfreundlichsten´ Gedanken. Ab und an baumelte auch eine fette Spinne direkt vor ihrem Gesicht und zog sich eiligst an ihrem Faden wieder hinauf, und manchmal hatte Margrit das Gefühl, als plumpse etwas feuchtes, krümeliges oder insektenartiges von der runden, nassen, moosüberwachsenen Decke in den Kragen ihres Hemdes, ihr direkt in den Nacken. Sie schüttelte dann heftig ihre beiden von Muskelkater gepeinigten Schultern und konnte nicht verhindern, dass ihr auch noch ein Schauer den ebenfalls schmerzenden Rücken hinablief.
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Alt 03.07.2005, 12:16   #56
Doska
 
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Standard Kapitel 55

„Warum nennt Ihr Euch ´Maden´?“ fragte sie schließlich ablenkenderweise die kleine Gruppe, als sie die endlich wieder einmal eingeholt hatte. „Ihr lebt doch gar nicht wie die Maden im Speck ?“ Sie ließ ihren Blick über die zwar starken, jedoch nicht gerade reichlich ernährten Gestalten wandern, die sie begleiteten. Martin war, mit einer Petroleumlampe in der Hand, ein gutes Stück vorausgelaufen und sah sich gemeinsam mit zweien seiner Kameraden aufmerksam in der Kanalisation um. Er schien jeden Weg genau zu kennen und winkte nun, sich zu beeilen.
“Doch!“ beantwortete schließlich Jutta Margrits Frage, während ein kleiner Lastenaufzug Margrits und Georges Gepäck gerade nach oben hievte und sie währenddessen die klammen Metallstiegen an der schlecht verputzten Wand der Kanalisation hinaufkletterten. “Denn wir ´Maden´ haben den sichersten Platz, den man sich denken kann. Nur wenige unserer weltweit verzweigten Organisationen sitzen so sicher wie wir.“
Als Margrit vom Tageslicht geblendet George hinterher ins Freie taumelte, schob man sie hastig zu einem der ´Jambos´, jenen aus unterschiedlichsten und verrücktesten Teilen zusammengesetzten Autos ohne Verdeck. Der Fremde, der hinter dem Steuer saß, betrachtete Margrit erstaunt, dann skeptisch und schließlich grüßte er alle,
während George Margrit half, in den viel zu hohen ´Jambo´ zu klettern.
„Ach, komm doch mit !“ bettelte Margrit leise. Er schüttelte den Kopf. „Aber was soll ich ihnen sagen, wenn sie nach Danox fragen ?“
„Erklär`s ihnen so, wie ich es getan habe. Das müssen sie einsehen !“
Er knallte die Tür hinter ihr zu. Der Motor brummte ziemlich laut auf. „Und wenn nicht ?“ Sie schaute sich von hier oben ängstlich nach allen Seiten um.
„Mach dir doch nicht immer solche Sorgen, Margrit”, brüllte er gegen den Lärm an.
„He, deinen Optimismus müsste ich haben !“ sagte sie und hustet dabei, denn der Auspuff gab eine stinkige Riesenwolke ab, die der Wind ihr und dem Fahrer direkt in die Nase wehte. “Habt ihr denn keine Angst, dass ihr bei diesem Unternehmen in die Luft fliegt ?“
„Ach, Margrit, merk` dir doch endlich mal dieses nette Sätzchen. Wie heißt es doch gleich ? Na-ah ? He, du bist doch sonst so für Lebensweisheiten ...“
„Leben ist immer lebensgefährlich !“ sagten sie jetzt beide fast gleichzeitig und dann lachten sie.
Wenig später hatte Margrit den winkenden George und seine Freunde hinter sich gelassen.

#

Mit großem Erstaunen bemerkte sie etwa eine Stunde danach, sie hatte diese Stunde so fest wie eine Tote geschlafen, dass man sie in ein anscheinend verlassenes, an den meisten Stellen sogar zerstörtes Städtchen gebracht hatte. Kaum jemand schien mehr dort zu leben. Die Fensterscheiben in den Häusern und kleineren Mietsblöcken waren wie überall meist zerschlagen und die Türen hingen weit geöffnet in den Scharnieren und knarrten, sobald der Wind sie bewegte. Umzäunungen waren niedergerissen, keine Kuh graste mehr auf den Wiesen, kein Hahnenschrei erklang aus den halb verrotteten Hühnerställen. Die Dächer der Häuser waren zum Teil sehr beschädigt und die Hundehütten so leer wie die offen stehenden Garagen, Stallungen, Schuppen, Heuschober und Kornspeicher. Fernsehschüsseln oder -antennen lagen meistenteils abgeknickt auf dem Boden herum. Ein Traktor stand noch auf dem Feld und zwar so, als wenn man erst gestern von dessen Sitz geklettert wäre. Doch aus seinem rissigen Sattel wuchs Moos, und das Unkraut des Feldes ringelte sich bereits um Scharniere, Messer und den Motor. Alles sah so beklemmend und erbärmlich aus, dass Margrit für einen Augenblick Tränen in die Augen hatte. Was war das für ein furchtbarer Ort ? Warum brachte man sie nur in diese gottverlassene Gegend ? Was hatte man mit ihr vor ?
Hielt man sie etwa für eine Spionin und wollte sie hier nur ungestört verhören ? Erkan, so hieß der Fahrer, war inzwischen aus dem Jambo geklettert und streckte ihr nun grinsend von unten seine breite Pranke entgegen, um ihr das Hinausklettern zu erleichtern. Sie zögerte, denn sie sah, wie sich ein weiterer Mann mit dunklem Kinnbart aus einem der halbzerfallenen Häuser ihnen gemächlich näherte. Er trug unter seinem weiten, grauen Cape mehrere Patronengürtel und zwei Revolver und seine Füße steckten in hohen, beschmutzten Stiefeln.
„Naaa ? Nicht gerade ein angenehmer Ort was ?“ rief ihr Erkan von unten zu und hielt ihr immer noch die Hand entgegen. „Aber keine Angst !“
"Angst ?“ wiederholte sie gedehnt, merkte aber, dass ihr Herz hektischer zu klopfen begann. “Kenne ich nicht!” erklärte Margrit viel zu leise.
„Wenn du keine Angst hast, warum springst du dann nicht einfach zu mir hinab ?“ fragte Erkan.
Da hatte er eigentlich recht. Margrit fragte sich das jetzt auch. Kleine, stechend schwarze Augen unter viel zu buschigen Brauen blitzten zu Margrit hinauf. Der Bärtige war neben seinen türkischen Freund getreten.
„Das ist also unser neues Mitglied ?“ brummte der skeptisch und dann lachte er und ließ seine wenigen Zähne sehen. „Hat die sich vorher etwa mit irgendjemandem herumgeprügelt oder was ? Ihr Gesicht ist ja völlig schief!“
Erkan senkte die Hand, die er Margrit immer noch entgegengestreckt hatte. „Keine Ahnung, was passiert ist.“ murrte er. „Mir hat sie nichts erzählt, nur gepennt. Aber sie bezahlt ja wohl recht anständig für ihre Mitgliedschaft. Weißt ja, wir bekommen so`ne Art Wunderwaffe dafür. Na ja, ich persönlich halte nicht viel davon, aber George hat wohl einen besonderen Draht zu Günther, kann ihn immer selbst zum größten Scheiß überreden, denn was sollen wir mit einem Gerät, mit dem selbst die Hajeps nicht mehr klar kamen. Wir können kaum die einfachsten Waffen unserer Feinde nachbauen und nun das ? Nee, nee ! Damit könnte der mir nicht kommen. Na ja, wir sind halt nur die Kleinen und haben darüber nicht zu entscheiden, was Wladislaw ?“ Er gab dem Bärtigen einen kameradschaftlichen Stupps und dieser grinste und dann wendete sich Erkan wieder Margrit zu. „Na los!“ fauchte er. „Wird die Dame wohl gütigst von da hinunterklettern oder soll ich sie drin sitzen lassen!“ und er streckte ihr nun gleich beide Arme entgegen.
„Hier ist also Eibelstadt ?“ stotterte Margrit, während sie zu Erkan hinunter hüpfte. “Ich - öh - hätte gar nicht gedacht, dass es so ... hm - naja - BESTENS erhalten ist dieses Städtchen ja nun nicht mehr !“
“Gut beobachtet !“ erklärte Erkan spitz und lachte sarkastisch. „Aber es ist schon sechs ganze Jährchen her, seit Hajeps...“ er blickte sich traurig um.
„Und dennoch soll dieser Ort sicher sein ?“ hakte Margrit ungläubig nach.
„Es ist einer der sichersten Orte überhaupt!“ erklärte jetzt Wladislaw.
„Und er wird vielleicht eines Tages auch der gefährlichste für die Hajeps sein !“ fügte Erkan noch hinzu und seine stoppeligen Wangenmuskeln zuckten.
Wladislaw führte Margrit erst einmal durch den kleinen Ort und erzählte ihr dabei einiges über die Entstehung Zarakumas. Die Hajeps kamen damals, kurz nachdem sie in Deutschland gelandet waren, nicht nur nach Eibelstadt, sie vertrieben und ermordeten die Menschen auch in den umliegenden Städtchen und Dörfern und machten sogar viele Städte dem Erdboden gleich, darunter so große Städte wie Stuttgart und Heilbronn.
Ein riesiges Gebiet wurde nämlich für Zarakuma gebraucht, vom Odenwald im Norden bis zur Schwäbischen Alb im Süden, von Pforzheim im Westen bis nach Aalen im Osten. Kein menschliches Haus durfte mehr dort stehen, Straßen und Brücken verschwanden, ja selbst der Boden wurde aufgerissen und die unterirdischen Kanalisationen und Stromnetze völlig zerstört und wie Gedärme der Erde entnommen. Mit gewaltigen, Insekten sehr ähnlich aussehenden, Bulldozern und anderen seltsamen Maschinen, die an Größe schier einander übertreffen zu wollen schienen, wurden Ygonen(Umzäunungen) gebaut. Die Menschen konnten damals noch kilometerweit spüren wie das Erdreich erbebte, wenn diese schweren Maschinen zu den Arbeiten in Zarakuma herandonnerten. Aber es wurde auch von der Luft aus gearbeitet. Riesige Tristine, ähnlich wie Libellen, verharrten schwebend über dem gewaltigen Bauplatz, ließen schwere Lasten behutsam vom Himmel zu Boden gleiten oder rammten wuchtige Rohre gleich viele Meter tief in den Boden.
Innerhalb des Waigolins(Wohngebiet) entstand in einem Wahnsinnstempo ein großer Zuando(Raumhafen) und wenig später ´Jink ba rina´, die erste Terrassenstadt Zarakumas. Bereits in wenigen Jahren war dann Zarakuma zu einem gewaltigen, exklusiven Wohngebiet herangewachsen. Die Wohnkomplexe waren ineinander verschachtelt, miteinander verbunden und hatten doch einsamen RUHEZONEN. Zu üppigen Gärten führten schmale Wege und Brücken hinauf. Glitzernde Wasserfälle über verwunschenen Grotten plätscherten in märchenhaft angelegte Täler hinab, mündeten in glasklare Seen.
Bald waren jedoch die Ygonen so geschickt gesichert, dass kein Mensch mehr etwas über Zarakuma in Erfahrung bringen konnte. Dafür lernten die Leute plötzlich Hajeps von einer noch schlechteren Seite kennen, denn man schickte sich nun an, die Umgebung von Zarakuma gründlicher von Menschen zu säubern. Allerdings schonte man dabei die Natur ganz besonders. Menschliche Gebäude wurden also nicht völlig zerstört, sondern nur auf natürliche Weise unbewohnbar gemacht und dazu fiel den Hajeps erstaunlich viel ein. Man spritzte seltsame Flüssigkeiten über Mauergestein, damit es sich im Laufe der Jahre zersetzen sollte. Hajeps mussten böse Erfahrungen mit ihren eigenen Waffen gemacht haben, denn anders war ihr besonnenes Verhalten nicht zu erklären. Dadurch konnten aber auch viele Menschen entkommen, was sonst eigentlich gar nicht möglich gewesen wäre.
Dennoch sparte Wladislaw, als er davon Margrit erzählte, all das Gräuliche nicht aus, was er noch hatte mit ansehen müssen. Er ging dabei so sehr ins Detail, dass Margrit schlecht wurde und sie sich auf eine Bank im abendlichem Sonnenschein setzen und ausruhen musste. Nachdem ihr Ute ein Glas Wasser gereicht und sie Angela, Doris, Beate, Kasim und José gemeinschaftlich für ein Weilchen skeptisch angeglotzt hatten, rang sich Wladislaw, nach einigen an Margrit gerichteten Fragen, schließlich doch durch, sie in eines der Häuser zu führen, das noch einigermaßen gut im Stande zu sein schien. Überrascht stellte sie fest, dass der alte Küchenschrank im Keller in Wahrheit der Haupteingang zu den unterirdischen Wohnungen der Maden war. Ein handbetriebener Fahrstuhl führte hinunter, aber es sollte auch noch Leitern für den Notfall geben. Es war ein ehemaliges Kohlebergwerk, welches die Rebellen mit viel Geschick und Fleiß in wirklich gemütliche Flure und Zimmer umgestaltet hatten. Es gab hier einfach alles : Duschen, Kamine, gepflegte Toiletten, Aufenthaltsräume, unzählige Schlafzimmer, Essräume, eine Großküche, Vorratsräume, Kleiderkammern, sogar eine Bar und natürlich Lagehallen für die Waffen und unterirdische Parkplätze. Die Organisation hatte zunächst nur ´Menschen gegen Hajeps´ geheißen. Die Tunnel waren überall weiter gebaut worden, oft bis zum nächsten Dorf oder zur nächsten Stadt. Alte Gänge, Bergwerke, Kanalisationen, einstige unterirdische Kriegsanlagen, Bunker und Atombunker waren dafür genutzt und zum Teil wohnlich hergerichtet worden. Überall in der Welt hatte dieses Beispiel inzwischen Schule gemacht. Nur wussten relativ wenig Menschen oberhalb der Erde davon. Lediglich, wer das Glück hatte, zu jenen Organisationen zu gehören, durfte unbeschadet tief unter der Erde leben.
So auch Margrit. Zwar durfte sie erst einmal nur für eine einzige Nacht bleiben, dennoch genoss sie den Frischeduft ihres auf das Gründlichste gewaschenen Körpers und ihres mit einem ´Kopflauskiller´ gespülten Haares und außerdem den herrlichen Nachgeschmack nach langer Zeit geputzter Zähne. Und dann kam noch dieses wunderbare Gefühl hinzu, endlich schön geschnittene Finger- und Fußnägel zu haben. Oh, es war auch ein köstliches Gefühl, das nach Waschmittel duftende und völlig insektenfreie Nachthemd auf der nackten Haut zu spüren. Außerdem war es hier wunderbar warm, weil die Heizungen gut funktionierten und sie fühlte sich wie neugeboren, sich in eine weiche unverlauste Decke einrollen zu dürfen. Unter ihr knisterte das frische Stroh und so schlief sofort ein.
Dennoch sollten sie Albträume plagen, in denen plötzlich Pfeifstäbchen zu trällern begonnen hatte und woraufhin natürlich Hajeps, begleitet von mächtigen Explosionen, überall in den unterirdischen Tunneln erschienen, bei denen Margrit auch noch die unerträglichen Schreie sterbender Menschen hörte und schließlich viele wackelige Leitern hinunterhetzte, die Hajeps natürlich immer knapp hinter ihr her. Zum Schluss stand sie dann meist entweder auf einem Balkon oder kletterte über irgendein Dach und ein Raumschiff näherte sich von oben. In solchen Momenten wurde sie schweißgebadet wach und fragte sich ob sie wohl laut geschrien hatte, denn das wäre ihr sehr peinlich gewesen. Aber dann schlief sie sofort wieder ein. Schließlich kamen die Träume, in welchen sie nach ihren Kindern und nach ihrer Mutter suchte und zwischendurch rief sie nach Paul.
„Julchen ?“ ächzte sie am Morgen, als sie von Renate geweckt wurde. Margrit fuhr hoch.
„Bin ich nicht !“ Renate lachte.
„Ach, du bist`s, Renate !“ Margrit rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sie war noch völlig benommen vom schlechten Schlafen und sämtliche Knochen taten ihr weh. „He, was macht dein Baby ?“
„Dem geht`s gut. Irmchen ist bereits wach und hat schon ihr Frühstück hinter sich.“
„Sehr schön, oh Gott, ich hatte auch Kinder, weißt du, und die ...!“
„Erzähl`s mir ein andermal, jetzt ist keine Zeit, Margrit. Entschuldige, aber du musst schnell machen ! Günther Arendt, der ist unser Oberbefehlshaber und ...“
„Sag` mal, ist das etwa unser alter Bundeskanzler, den die Hajeps damals eingesetzt haben ?“ fiel ihr Margrit einfach ins Wort.
„Ja, Margrit und der ...“
„Donnerwetter, der lebt also doch ...“
„Aber natürlich, was dachtet ihr denn ? Dachtest du, unser Volk ist inzwischen ohne Regierung ?“
Margrit nickte.
„Aber er ist ganz gewiss keine Marionette Scolos, was sich die Hajeps vielleicht so denken. Er kämpft für die Menschheit, weißt du, auch wenn er das bisher nur im Untergrund tun konnte. Und er ist gerade mit fünf seiner Berater und einer kleinen Leibstandarte zu uns gekommen“, erzählte Renate weiter und war sehr aufgeregt. „Er hat vor, bei den Maden zu frühstücken und würde sich sehr freuen, wenn du ihm dabei Gesellschaft leisten könntest.“
„Oh Gott ? Ausgerechnet ich soll ihm Gesellschaft leisten ? “ Margrit war entsetzt. Gewiss erwartete dieser Kanzler, dass sie ihm die Wunderwaffe zeigte. „Wo ist George ?“
Renate zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung ! Mach` dich nur schleunigst fertig, ja ? Der Kanzler wartet nämlich nicht gerne. Wir werden dir dein Bett machen und deine Sachen in den Schrank hängen, während du duschst, okay ?“
Margrit dachte kurz nach. Hatte sie eigentlich irgendwelche besonderen Werte bei sich ? Immer noch war sie ein wenig wirr im Kopfe, hatte sie die schrecklichen Albträume vor Augen. Da fielen ihr die Pfeifstäbchen ein, mit welchen die Hajeps sie im Träume verfolgt hatten. Ja, sie hatte eines davon gestern aufgehoben und in ihrer Gürteltasche verstaut. Oh, Gott, wenn die Hajeps nun das komische Stäbchen gestern mit Absicht hatten fallen lassen, vielleicht weil sie wussten, dass Margrit sich versteckt hatte und es später aufheben würde ? Vielleicht hatten sie ja auch gewusst, dass George sich hinter der Kellertüre ebenfalls verborgen hielt und es war in Wirklichkeit ein Sender mit dem man womöglich herausfinden konnte, wo die gesamte Untergrundorganisation der Menschen verborgen war und Margrit hatte ahnungslos diesen Sender bis hier nach unten geschmuggelt ? Margrit wurde bei diesem Gedanken heiß und kalt. Was sollte sie tun ? All ihre Sorge Renate mitteilen und ihr diesen Sender übergeben ? Was würde man mit ihr machen, wenn ihre schlimmen Befürchtungen womöglich zutrafen ? Nein, sie wollte leben. Zumindest so lange, bis sicher war, dass wirklich niemand aus ihrer Familie lebte. Sie brauchte Mut und Kraft, um nach ihren Kindern, nach ihrer Mutter zu suchen. Darum wollte sie einfach an so etwas Schrecklichem nicht mehr länger festhalten. Ja, vielleicht war es sogar wirklich nur so ein Pfeifstäbchen mit welchem man Lebewesen – vielleicht sogar Hajeps – aufspüren konnte und insofern sogar ganz nützlich für die Maden und vielleicht heute sogar noch eine Chance, auch wenn dieses Ding sicher nicht mit Danox zu vergleichen war, für ein rettenden Plätzchen in dieser Organisation. Weitere wichtige Dinge fielen ihrem erschöpften Gehirn nicht ein.
„Okay !“ sagte sie darum, ergriff sich die Gürteltasche, in welche sie gestern das Stäbchen gepackt hatte, frische Kleindung, die man ihr schon gestern Abend hingelegt hatte und ein Handtuch und verschwand damit aus dem Zimmer, um zu den Duschräumen zu laufen. Oh Gott, in ihrer Nase hatte sie nur ein dumpfes Gefühl, sie war noch immer dick angeschwollen und noch immer hatte sie Muskelkater. Sie bewegte den Kopf hin und her, um die Nackenmuskulatur zu entspannen, dabei sah sie aus dem Augenwinkel, dass zwar Beate Margrits Zimmer verlassen hatte, dafür aber Gesine in ihr Zimmer schlich.
´Moment !´ dachte sie skeptisch. ´Jetzt zurücklaufen oder nicht ?´
Wieder sah sie keinen wirklichen Grund und machte stattdessen die Tür zu den Duschräumen auf.
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Alt 03.07.2005, 12:18   #57
Doska
 
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Standard Kapitel 56

Nach etwa einer halben Stunde folgte Margrit frisch angekleidet aber mit weichen Knien Rita, einer stämmigen Mittdreißigerin südländischen Typs, durch die mit wunderbaren Blumenmustern bemalten und hübsch beleuchteten Tunnelgewölbe. Was würde man mit Margrit machen, wenn man womöglich herausbekam, dass das Pfeifstäbchen ein Sender war ?
Schließlich wurde an eine Tür geklopft. Ob jemand dahinter geantwortet hatte oder nicht ? Margrit hatte nichts gehört. Jedenfalls öffnete Rita einfach, schob sich an Margrit vorbei und lief in den erstaunlich wohnlich und nostalgisch eingerichteten Raum. Man konnte, wenn man wollte, sogar Salon zu ihm sagen und er war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das beste Zimmer, was die Maden zu bieten hatten, und das sie ihrem Oberkommandierenden für das Frühstück opferten, der jetzt wohl irgendwie zwischen jenen fünf Männern dort hinten saß, die um einen Tisch und somit auch um die kleine Vase mit Herbstblumen herum Platz genommen hatten. Etwas weiter weg von diesen Herrschaften, die im übrigen ziemlich aufgeregt miteinander plauderten, Margrit keines Blickes würdigend und sich wie schwarze Scherenschnitte vor einer rot beleuchtete Bar abhoben, war ein uralter Billardtisch zu sehen, hinten links in der Ecke. Daneben war ein weiterer Eingang, verhangen mit einem bodenlangen Tuch, ebenfalls in Rot, hinter welchem gerade Rita verschwand, wohl um in der Küche zu helfen.
Links und rechts mit dem Rücken zur Wand standen jeweils in einer Ecke drei Wachen – oder konnte man dazu Bodyguards sagen? Aber dafür sahen sie viel zu wüst aus! Sie waren so starr, dass sie Seeräuberpuppen aus dem Wachsfigurenkabinett ähnelten. Ein adrett gekleidetes, rundliches Mädchen mit kurzen braunen Haaren stellte gerade einen Korb mit Brot auf den Tisch. Sie hatte wohl gerade Margrit entdeckt und beugte sich darum zu einem der vier Herren herab, der im übrigen eine Brille mit goldfarbenem Drahtbügel trug und gegenüber den anderen Männern ziemlich schmächtig wirkte, und wies Richtung Tür.
Das Tischgespräch ebbte ein wenig ab, der Mann schien Margrit durch seine funkelnde Brille scharf anzuvisieren, und Margrit konnte von ihrem Platz aus erkennen, dass die übrigen Männer erst Überraschung anzeigten, doch dann ebenfalls sehr gründlich Margrit in Augenschein nahmen, dabei einander und diesem Mann Verschiedenes mitteilend, was wohl Margrits Person betraf und kaum etwas Gutes war, denn man blickte zwischen fassungslosem Kopfschütteln immer wieder zu ihr hin, manch einer grinste jetzt, andere lachten sogar lauthals auf.
Margrit spürte, wie ihr heiß und kalt wurde, sie zupfte an ihrer mit einem großen Pflaster zugeklebten Nase herum. Ach, sie hatte es eigentlich schon immer kaum ertragen können, wenn sich allseits Augenpaare an ihr festkrallten und dazu noch Dinge über sie gesprochen wurden, die sie nicht verstehen konnte. Sie hatte nun, zwar unauffällig aber gewiss ebenso scharf, die Männer am Tisch beobachtet und irgendeine innere Stimme sagte ihr, dass es nicht gut war, diesen Herren ihre große Verlegenheit weiter zu offenbaren, wenngleich sie spürte, wie heiß ihre Wangen bereits geworden waren und wie sich das Pflaster auf ihrer Nase lockerte. Sie musste diesen spöttischen Musterungen ruhig, ja fast stolz begegnen und so ging sie festen Schrittes und in betont aufrechter Haltung mitten hinein in diesen vornehmen Salon.
Alles erstarrte überrascht. Spontan waren das Gekicher, die zynischen Dialoge und kleinen Witzchen unterbrochen. Stattdessen tauchte ringsum ein zwar stummes, jedoch herablassendes Gegrinse auf. Margrit war dieses Verhalten ein Rätsel. Warum begegnete man ihr so feindlich ? Man kannte sie doch noch gar nicht ! Irgendjemand musste diesen Herren nicht gerade Bestes über sie erzählt haben. Dieser ´Jemand´ konnten zwar auch viele sein, aber sie wusste, dass zum Beispiel Martin eine ganz besondere Abneigung gegen sie hegte. Aber auch Erkan und Wladislaw mochten Margrit nicht besonders. Zudem waren ihr Beates feindliche Blicke nicht entgangen, die hinter der Bar stand. Ach, sie wollte jetzt nicht ihre kostbare Zeit mit irgendwelchen Verdächtigungen vertun. Und so lächelte Margrit ihrerseits den Herrschaften am Tisch ruhig und freundlich zu. Dadurch sprang leider das ohnehin schlecht sitzende Pflaster zum Teil von ihrer Nase, blieb nur an einer Stelle kleben und rollte sich empor. Schon brach der ganze Tisch wieder in Lachen aus. Margrit versuchte, das Pflaster wieder fest anzudrücken. Sie nickte trotzdem weiterhin grüßend dem Tisch zu, sich die allergrößte Mühe gebend, auf keinen Fall zu erröten. Doch es wurden keine Zeichen der Erwiderung gegeben, stattdessen hörte sie plötzlich das typische Schurren von Stühlen über dem hübsch gefliesten Boden und zu Margrits Überraschung erhoben sich die Männer, wenn auch ziemlich steif, einer nach dem anderen lief um den Tisch herum und schritt auf Margrit zu, wohl um sie zu begrüßen oder...?
Die kräftige Frau mit den kurzen, braunen Haaren hatte indes ein schweres Tablett mit den dampfenden Kaffeekannen, auf die Theke abgestellt und die sechs Bodyguards mucksten sich noch immer nicht. Nur Renates und eine Männerstimme waren leise hinter dem Vorhang zu hören.
Margrit fetzte das Pflaster entgültig von ihrer Nase und verstaute es in ihrer Hosentasche, als die sechs Männer schließlich vor ihr stoppten. Welcher von denen war nun der Oberkommandierende ? Sicher der mit der Glitzerbrille, oder ?
Einen Günther konnte man beileibe nicht so ohne weiteres herausfinden, denn alle waren gleichermaßen adrett und sauber angezogen, dufteten auch gleichermaßen nach irgendwelchen Wässerchen oder Parfüms und hatten auch das gleichermaßen aufgesetzte Grinsen im ansonsten ausdruckslosem Gesicht. Sie waren gewiss nicht hässlich zu nennen, schienen weder alt noch zu jung, ihre Körper hatten auch keinerlei Speck angesetzt, was in diesen schlechten Zeiten bei so hohen Führungspositionen durchaus hätte möglich sein können. Ganz im Gegenteil schien alles an ihnen ziemlich durchtrainiert. Doch die vier hatten etwas an sich, wogegen insbesondere Margrit eine seltsame Abneigung hegte. Sie wirkten nämlich unglaublich kernig und kantig, waren halt so richtige knallharte Burschen, wie man im Volksmund sagt, eben Männer mit eisenharter Disziplin. Fast alle hatten Schmisse, wulstige Heldennarben, im wettergegerbten Gesicht. Ihre Brustkörbe waren allesamt irgendwie aufgeplustert wie bei balzenden Hähnen, doch sie balzten keineswegs um Margrit herum, starrten sie nur stumm an, das eckige Kinn dabei kampfeslustig vorgereckt, die Augen abschätzend zusammengekniffen. Leider bekam Margrit doch Herzklopfen. Die guten Vorsätze waren eben dahin, denn jeder dieser Männer überragte sie an Größe und Kraft. Sie wirkte wie ein mickriger Strohhalm zwischen stacheligen Kakteen, doch noch immer zeigte sie rein äußerlich glücklicherweise keine Spur von Angst. Ihr Blick wanderte, obwohl sie keine Spucke mehr im Mund hatte, sogar betont ruhig von einem verkniffenen Augenpaar zum anderen. Noch näher rückten die Kakteen, doch Margrit schaute sie nur weiterhin völlig offen an. Das imponierte keineswegs. Ein kaltes Lächeln nach dem anderen wanderte nur wieder über schmale, in sich zurückgezogene Lippen.
´Das sind also auch Menschen, Menschen ohne jedes Gefühl !´ analysierte Margrits aufgepeitschtes Hirn. ´Männer ohne Erbarmen, Männer, die dieser furchtbare Krieg einfach gemacht hat. Doch was haben sie vor ? Bestimmt alles außer etwas Friedliches und Liebes´, dachte Margrit noch und dann wurde ihr plötzlich schlecht. Aus gutem Grund, denn was würden diese Kerle mit ihr anstellen, wenn sie herausbekamen, dass sie Danox gar nicht besaß ? Ehe sie jedoch in die Knie sackte, erkannte sie, Gott sei Dank, plötzlich ein ganz bestimmtes Gesicht im rötlichen Dämmerlicht wieder.
´George ?´ durchfuhr es sie hoffnungsfroh aber auch ziemlich atemlos. Gütiger Gott ! Er war es tatsächlich, war der lange schlaksige Kerl, der plötzlich hinter dem Vorhang dicht neben der Dame mit den Kurzhaarschnitt zum Vorschein kam. Er salutierte den Männern zu und quetschte sich dann an dieser so gut es ging vorbei. Die fuhr herum, hätte beinahe den Kaffe verschüttet, so sehr hatte sie sich über George erschreckt.
„Hallo, George ! Da sind Sie ja endlich ! Na, Erfolg gehabt oder haben Sie ihren Cousin noch immer nicht
erreicht ?“ rief ihm der drahtige Kerl mit der Goldbrille schon von weitem zu.
„Habe leider immer noch keinen Kontakt bekommen können, Herr Generalfeldmarschall und mache mir Sorgen, ob ihm etwas passiert sein könnte !“
„Sorgen können Sie sich auch später noch machen. Kommen sie erst einmal her.“ Er wurde mit einer ziemlich ungeduldigen Handbewegung herbeigewinkt und dazu angehalten, die Herrschaften und Margrit in kurzen Worten einander vorzustellen. Dabei wurde Margrits Hand von schrundigen Pranken dermaßen herzhaft gedrückt, dass sie das Gefühl überkam, ihre Finger würden zu ´Mus´ verarbeitet. Aber noch während sie ihre Hand in dezenter Weise ausschüttelte, um wieder Leben hineinzubekommen, wurden die Namen und die dazugehörigen oder erworbenen Titel im Eiltempo heruntergerasselt, aber immerhin bekam Margrit auf diesem Wege mit, dass tatsächlich das schmalschulterige Kerlchen mit der Drahtbrille jener Günther war, von welchem die gesamte Organisation offensichtlich weltweit schwärmte, der Stratege also, welcher es sogar mit Scolo aufnehmen konnte. Margrit schluckte, aber nachdem man ihr einen Platz direkt neben George angeboten hatte - es war wirklich erstaunlich, wie viele Menschen um solch einen kleinen Tisch passen konnten – ging es ihr gleich wieder besser.
Günther durchbrach das Schweigen, das für einen kurzen Moment geherrscht hatte, da nicht nur endlich Kaffeekännchen auf dem Tisch drapiert wurden, sondern auch alles übrige, was sonst noch zu solch einem prächtigen Frühstück gehörte(nein, es gab natürlich schon lange kein Büffet mehr aber die Form des Frühstücks war für diese schlimmen Zeiten wirklich luxuriös, denn Besseres gab es einfach nicht: echten Kaffe, echten Käse, ja sogar ein Einweckgläschen feinster Leberwurst. Hinzu kam noch die exklusive Beleuchtung in Form einer kleinen Kerze aus Bienenwachs !)
´Oh Gott, welch eine Verschwendung !´ dachte Margrit dabei nur. ´Welch eine Pracht ! Aber für den Generalfeldmarschall war ja nur das Beste gut genug.´
„Sie wollen also Soldat werden, Margrit ...wie war doch gleich der Name ?“ sagte er mit leiser und behaglicher Stimme und packte sich sogleich nicht nur ein dunkles Scheibchen Brot, sondern auch noch ein weißes auf den hübschen Teller.
„Schramm !“ sagte sie. „Und ich bin Pazifist !“ Margrit nahm sich dabei ebenfalls gleich zwei Scheiben.
Günther krauste die schmalen Brauen und sah Margrit mit seinen kleinen wasserblauen Augen wieder sehr scharf an. „Sie scheinen Humor zu haben, Schramm ! Aber was glauben Sie, was sie hier tun werden ? Etwa die Hajeps am Kinn kraulen ?“
„Kein schlechter Vorschlag. Aber den haben Sie gemacht. Hätte ich ihnen gar nicht zugetraut, wirklich !“ Margrit nahm sich noch eine dritte Scheibe.
Ein jeder hielt mitten im Streichen seines Brotes mit Butter oder Leberwurst inne, räusperte sich erschrocken, warf verstohlene Blicke auf den Chef. Dieser hielt sich erstaunlich wacker, bereitete erst mal in Ruhe seine beiden Stullen mit Butter vor und sagte dann sehr deutlich : „Wenn Sie Pazifist sind, dann haben Sie hier nichts zu suchen, Schramm ! Besser noch, sie gehen gleich nach Zarakuma und zwar mit weißer Friedensfahne. Vielleicht herrscht dort Frauenknappheit in den Puffs und die nehmen sich deshalb sogar hässliche alte Fregatten für ihre Sado-Spielchen vor, wer weiß ? “ Er nahm sich nun eine große Scheibe Käse, legte die ziemlich exakt auf sein dunkles Brot, und erst dann griff er nochmals über den Tisch, um nach dem Glas Leberwurst zu hangeln. „Wir sind Soldaten ! Was glauben Sie denn, was wir hier sonst anderes sind ? Etwa ein Massagesalon?“ Alles kicherte und warf Margrit verschmitzte Blicke zu. Günther kam leider nicht so recht an das Gläschen heran und so sprang fast der halbe Tisch auf, um ihm zu helfen.
„Auch eine Rettungsstation ... könnte das vielleicht sein !“ bemerkte Margrit etwas stotterig. “Ich würde dann Verletzten und Kranken helfen !“ Und sie nahm das Leberwurstglas, das direkt vor ihrer Nase gestanden hatte und begann einfach ihr Brot mit Leberwurst zu bestreichen. ”Hm ... scheint lecker zu sein !“ sagte sie dabei und alles machte große Augen. „Wirklich, ich sage ja immer, niemand sollte etwas tun, was ihm völlig widerstrebt, nur weil er anderen gefallen will !“
Manch einer hustete, und dann ruhten sämtliche Blicke abermals fragend auf Günther, der nun sein Brot noch mit einer schmalen Scheibe Schinken belegte. Günther musste wohl sehr an sich halten, denn er hatte dabei einen roten Kopf und auch die Halsschlagader war mächtig angeschwollen, doch dann sagte er leise und irgendwie ähnlich wie zu einem Kind : „Kranke und Verletzte haben bei uns nichts zu suchen. He, was haben Sie mit ihrer Nase gemacht, Schramm ! Ha, und ihre Brille, die sieht ja vielleicht aus ... zum Gotterbarmen ! Erklären Sie mir bloß nicht, das diese Beschädigungen von einem dieser Glibberwesen, diesen Hajeps resultieren würde, die Sie gestern noch geküsst hätten ! Dann würde ich nämlich ernstlich böse werden ! “ Er grinste, dann biss er in seine Stulle hinein.
„Ach, ich bin nur über ein Loch im Boden gestolpert und ...“
„Oho, was für eine prächtige Guerilla !“ fiel er ihr höhnisch ins Wort. “Stolpert womöglich später auch über Löcher, wenn sie sich mal anschleichen muss !“ Und dann kaute er auffallend langsam.
„Und außerdem glaube ich, dass Hajeps nicht glibberig sind“, vollendete Margrit einfach ihren Satz und dann wollte sie sich auch noch die zweite Stulle mit Leberwurst bestreichen. “Unser Feind scheint nicht nur eine ähnliche Haut wie wir zu haben, sondern auch ein Nervensystem, das nicht viel anders als das unserige ist. Hajeps sind verspielt, neugierig und vernasch...“ weiter kam sie nicht, denn George hatte Margrit einfach Leberwurst samt Messer weggenommen.
”Das genügt !“ wisperte George zweideutig und strich sich dabei selber die Wurst auf`s Brot. „Selbstverständlich ist Frau Schramm geschickt“, sprach George laut einfach für Margrit weiter. „Jeder von uns wäre in dieses Loch getappt, so übermüdet und bei dieser schlechten Beleuchtung und mit einer großen Kiste in den Händen. Auch will Frau Schramm trotz ihrer pazifistischen Weltanschauung zu unserer Organisation gehören !“ Und er nahm einen Happen von seinem Leberwurstbrot und zermalmte diesen ziemlich hektisch. “Und sollte sie vielleicht heute nicht so ganz die richtige Wortwahl treffen, so dürfen wir nicht vergessen“, Georges Fuß fuhr unter den Tisch, bis hin zu Margrits frisch polierten Zehen, „was diese Frau gestern so alles hat durchmachen müssen.”
„Hm ... na ja, das stimmt !“ bestätigte Margrit immer noch verdrießlich und erhielt noch einen zusätzlichen Knuffi gegen ihre schicken Söckchen.
“Solche Erlebnisse können mitunter“, erklärte George weiter, „sogar manch einen gestandenen Haudegen ziemlich wirr machen...“
„Stimmt auch !“ sagte Margrit, doch ihre Miene war nicht viel freundlicher geworden.
Günther Arendt nickte. Zu Margrits Erstaunen erschien er bei diesem Gesprächsthema betroffen. Seine Finger strichen nervös das ziemlich gelichtete Haar aus der gefurchten Stirn, unglaublich leise meinte er dann : „Viele Menschen werden sogar wahnsinnig durch solche Ereignisse. Sie verkraften nicht, was sie haben mit ansehen müssen ... oh, es ist ein grauenhafter und hoffnungsloser Krieg!“ Er brach ab, legte die beiden gepflegten Hände ratlos vor sich auf den Tisch, je rechts und links neben seinen Teller und erst jetzt sah Margrit, wie furchtbar abgearbeitet diese Hände waren. Ohne Frage schonte dieser Mann keineswegs sich selbst. Günther Arendt sagte gar nichts mehr, war nur noch tief in Gedanken und deshalb ergriff George einfach wieder das Wort.
“Sie können also davon überzeugt sein“, brachte er nach kurzem Zögern hervor, „dass wir mit Margrit einen guten Fang gemacht haben. Ich weiß, dass sie hocherfreut sein wird, alle Befehle entgegen zu nehmen, endlich Mitglied unserer kampferprobten Organisation sein zu dürfen!”
„Soooh ?“ Der Mann betrachtete Margrit wieder über seinen Brillenrand hinweg, eine Braue dabei hochgezogen. „Sie ist also hocherfreut ... hm ?“ Die Braue zuckte bedenklich. “Merkwürdig, äußerst merkwürdig sogar...“, brummte er und wischte sich über die kräftige Nase, „...ist das ja schon, denn sie schaut mir überhaupt nicht danach aus!”
„Meinen Sie damit etwa Frau Schramms komische herabhängende Mundwinkel? ” fragte George geistesgegenwärtig und nahm noch einen Bissen.
Günther nickte langsam gleich zweimal.
„Die htte sie schon immer ...wir wissen ja ... Gene !“ erklärte George malmend. “Sowas erbt man halt ! ”
„Ha, ja – ha“, lachte Günther erleichtert. Margrit war diesmal ganz überrascht, dass er auch das konnte. „Sowas glaub` ich Ihnen gerne, Soldat George, damit könnten Sie durchaus Recht haben ! Sehen Sie...“, er nahm seine Brille ab, „...sich nur meine gewaltige, gekrümmte Nase an ... Erbe meines Großvaters, was sagen Sie nun ?”
George sagte lieber nichts, nickte aber, wenn auch zögernd.
„Und wissen Sie was ?“ teilte Günther, ohne weiter auf Antwort zu warten, einfach mit. ”Diese Nase ist zwar nicht schön, aber...“, schon wieder staunte Margrit, weil Günther mit einem Male richtig leutselig geworden war, “... mein Großvater hatte auch wunderbare Charaktereigenschaften, knallhart war er, sehr sportlich, der reinste Aufreißertyp, ein echter Haudegen, immer allen andern voraus. Alles, was er von sich selbst verlangte erwartetet er natürlich auch von anderen. Da gab es keine Ausnahme. Weicheier kamen bei dem einfach nicht durch. Die fielen schlicht“, er kicherte hämisch, „...durch`s Sieb !“ Er warf Margrit einen unmissverständlichen Blick zu, während er sich mit der Serviette die schmalen Lippen abtupfte. „Das ist durchaus richtig, denn nur die Stärksten sollten überleben ! Das war ja unser Fehler, dass diese Menschheit immer viel zu sehr von Weicheiern durchsetzt war ... Margrit, sind Sie stark ?“
„Wohl nicht ? “ fragte sie sich selbst und daher sehr leise und goss aus ihrem Kännchen wieder Kaffe nach.
„Doch das ist sie !“ protestierte George. “Sie haben die Filme von ihr ja gesehen, wie sie ...“
„Ruhe ! Verteidigen Sie diese Frau nicht immer ! Frau Schramm, nur die Starken können heutzutage überleben, nur die könnten später gesunde Nachkommen zeugen.“ Günther Arendt nahm nun ebenfalls einen großen Schluck von seinem Kaffe und wischte sich danach erneut mit seiner Serviette über den strichförmigen Mund. “Sonst gehen wir unter, selbst wenn es uns eines Tages glücken sollte, die Hajeps von dieser Erde zu vertreiben.“
„Meinen sie wirklich ?“ fragte Margrit ein wenig zu spitz.
„Natürlich ! Schramm, grinsen Sie nicht ! Haben Sie denn bereits gesunde Nachkommen ? Alt genug, um Kinder zu gekommen, sind Sie ja schließlich ! Und mit den Verhütungsmitteln steht es ja derzeit nicht gerade besonders gut !“
„Nein !“erwiderte sie abermals, kaute auf dem letzten Kanten ihres Brotes herum. “Ich kann keine Kinder bekommen!“ Tränen traten dabei in ihre Augen, doch die schluckte sie tapfer gemeinschaftlich mit dem Kanten hinunter.
„Aha !“ machte Günther und hielt sich die Serviette jetzt gänzlich vor den Mund. „Genfehler ?“
Margrit nickte beklommen.
„Aber Margrit hat...“, beeilte sich George.
„Ruhe ! Verdammt!“ Günther Arendt schlug jetzt so heftig mit der Faust auf den Tisch, dass das hübsche Geschirr schepperte und seine Leute zusammenfuhren. „George, begreife das doch endlich mal! Wir brauchen starke, kämpferische Leute !” Günther lehnte sich seufzend zurück in seinem Polsterstuhl und fragte Margrit dann leise: „Welchen Beruf übten Sie zuletzt aus ?“
„Ich war Lehrerin an einer Grundschule und... „
„LEHRERIN !“ echote Günther entgeistert.
Alles prustete los.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.07.2005, 12:20   #58
Doska
 
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Standard Kapitel 57

„Wieso, was ist daran so lächerlich ?“ fragte sie.
„Schramm, wir brauchen keine Lehrer sondern Profiler.“
„Frau Schramm ist außerdem Psychologin !“ meldete sich George. Er hatte inzwischen vor Aufregung einen knallroten Kopf bekommen.
Margrit hatte nun eine weitere Lachsalve erwartet, aber stattdessen war es unglaublich still geworden ! Alle Augen waren wieder auf Günther gerichtet. Doch der war gerade dabei, wieder nach dem Gläschen Leberwurst zu hangeln, schnell wie ein Piranha schnappte er diesmal zu, und dann schmierte er sich leise ächzend die dritte Stulle, endlich mit Leberwurst. Schließlich knurrte er: ”Ich hasse eigentlich Psychologen !“
„Ach, und warum ?” hakte Margrit nach.
Seine Begleiter schauten ebenso erstaunt drein.
Günther strich die Leberwurst nun auch noch auf dem Kanten fein säuberlich glatt und legte dann das Messer beiseite. “Na, diese Psychofritzen haben doch stets das Kranke, das Schwache unterstützt, ja, sogar verteidigt und irgendwie jeder ist bei denen krank. He, was sagen Sie als Psychotante eigentlich zu unserem Feind, na ? “ fragte er völlig unvermittelt und nahm dabei gleich drei Hapser von seiner Stulle und kaute mit vollen Backen.
„Was sollte ich denn zu dem sagen ?“ fragte Margrit folgerichtig zurück, und spitzte die Lippen, um ihre Tasse leer zu trinken.
George gab Margrit zur Abwechslung einen Knuffi in die Rippen. Die Röte in seinem Gesicht hatte sich zwar gelegt, aber seine beiden Ohren leuchteten noch in dieser nicht gerade unauffälligen Farbe.
„Antworten Sie mir plötzlich immer mit einer Gegenfrage ?“ schnauzte Günther wieder los, doch Margrit zuckte mit keiner Wimper. “Na los ... los !“ Er machte eine aufgeregte, aber auch ziemlich fahrige Handbewegung in ihre Richtung. „Ich will ihre Meinung, also so ein komisches Gutachten von Ihnen, über die ... äh ... Psyche der Haj ...“ Er konnte plötzlich nicht mehr weiter, lachte nur wie eine Ziege meckernd in sich hinein. „Also, welch einen Dachschaden haben denn die Hajeps ihrer Meinung nach !“
Margrit trank ihre Tasse völlig leer und schaute dann Günther nachdenklich ins spitze Gesicht. „Sie sind zu kriegerisch !“ sagte sie sehr ernst.
„Wer ? Ich oder die ?“ keuchte er betroffen.
„Sie auch !“
„Also, Sie meinen jetzt die Hajeps ?“ rief er erleichtert.
„Richtig, die meinte ich zuerst !“
George hielt sich zwar die Hände über die roten Ohren, doch seine Mundwinkel zuckten nervös.
„Ich will hören, ob die Hajeps in ihren Augen irgendwie krank sind. Das will ich hören.“ knurrte Günther.
„Ja, sie sind sogar sehr krank“, erwiderte sie. „Sie tun mir leid, denn sie können noch nicht einmal untereinander Frieden halten !“
„Sie tun dir Leid ?“ brüllte Günther fassungslos und für einen Moment hatte Margrit das Gefühl, als wolle er ihr dafür eine saftige Ohrfeige geben. Aber dann beruhigte er sich erstaunlicherweise auch diesmal wieder, wendete sich George zu und sagte: „Tja, so habe ich mir eigentlich unsere Profiler nicht vorgestellt. Man sollte diese Psychotussi für etwas anderes einsetzen. Vielleicht für die seelische Reinigung unserer Waffen ?“
George schluckte und ließ seine Ohren endlich los. „Das wohl gerade nicht“, keuchte er. „Sie hat weitaus bessere Gaben, die wir auch nutzen sollten !“
„So-oh ! Ich kenne momentan nur zwei. Nämlich Frau Schramms Hang zum unsinnigen Fressen und den zu Frechheiten. Welchen hat sie denn noch ?“
„Sie hört sehr gut !“
„Ha, ha, wie witzig ! Etwa wie ein Hund auf`s Wort ?“
George räusperte sich, um seiner Stimme einen festeren Klang zu geben. „Ihr Gehör ist so gut, dass selbst Nireneska diese Frau haben wollte.“
Das schien irgendwie zu helfen, denn Günther schwieg, schien etwas nachdenklicher geworden zusein.
„Vielleicht könnten wir mit unserem außerirdischen Feind besser klar kommen“, sagte Margrit mitten in diese Stille hinein, “wenn wir versuchen würden, ihn endlich gründlicher zu durchschauen ?“ Und sie nahm sich eine Scheibe Wurst und verspeiste die einfach ohne Brot.
„Und Sie meinen, da Sie solch eine Psychodingens sind, dass Sie das könnten ?“ Günther nahm sich ebenfalls eine Scheibe, einfach nur, um die auch eine ohne Brot zu verspeisen.
„Wenn Sie mir die Chance geben würden, könnte ich Ihnen das vielleicht beweisen !“ erwiderte Margrit und leckte sich die Fingerspitzen sauber.
„Nun ja, eigentlich würde ich Ihnen lieber keine Chance geben, Schramm, wenn ich ehrlich bin, aber General Mudak, General Klausen, General Bräuer und General Schmidt, er wies jeweils nach den Betreffenden zu beiden Seiten, halten reichlich viel von Profilern ! Ja, sie meinen sogar, dass ohne Menschen mit psychologischem Gespür in diesem Kampf gar nichts mehr zu gewinnen ist.“ Er wollte seine Fingerspitzen ebenfalls ablecken, stoppte aber und beließ es damit, sich die Hände mit der Serviette zu reinigen. „Psychologisch denkende Menschen sollen ja nicht nur unbewusst beeinflussen können und nicht nur eine scharfe Beobachtungsgabe haben ...“ Günther wollte nun nach der Fleischgabel greifen, um sich noch eine Scheibe zu holen, aber da hatte sie Margrit schon in den Fingern und packte ihm das letzte Scheibchen Rotwurst, das er hatte haben wollen, auf die dritte Stulle, „...durch welche sie vieles voraussehen“, ächzte er nun verdutzt.
„Meinen Sie etwa, die sind auch reaktionsschnell ?“ Margrit lächelte verschmitzt.
Er grinste zurück und nickte anerkennend. „Aber wie dem es auch sein sollte, Schramm. Ich muss Sie ohnehin nehmen, denn es wurde viel für sie bezahlt.“ Er machte eine kleine Pause, ehe er weiter speiste und Margrit musste sehr an sich halten, um nicht überrascht drein zu schauen. Was war passiert ? Wer hatte hier für Margrit etwas bezahlt ?
Margrit spielte verwirrt mit ihrer leeren Tasse und dem ebenso leeren Kaffeekännchen herum, damit ihr Günther nicht ins Gesicht schauen konnte, doch die Dame mit dem flotten Kurzhaarschnitt nahm ihr einfach beides weg.
Günther Arendt genoss sichtlich Margrits Unsicherheit. „He, he, nun haben Sie sich verraten ! Sind wohl gespannt, was ? Ja, ein bisschen psychologisches Gespür habe ich auch. Tja, Soldat Margrit, ein solcher wollen Sie doch hoffentlich werden, oder ? “
George behielt seinen Hacken auf Margrits Zeh und darum sagte sie diesmal nichts.
„Denn es ist unbedingt wichtig, dass jeder von uns, ob nun mit pazifistischer Weltanschauung oder sonst welcher, doch bei höchster Gefahr die Waffe ziehen und auch einigermaßen gut treffen kann, denn direkt unter dem Hals haben die Hajeps eine empfindliche Stelle, auf die wir alle trainiert sind. Es ist unserem Feind nämlich nicht geglückt, eine völlig kugelsichere, in sich geschlossene Kleidung zu entwickeln, da er ziemlich häufig den schweren Helm abnehmen muss – aus welchem Grunde auch immer !“
„Und trotzdem hat man nie das Gesicht des Feindes gesehen ?“ hakte Margrit etwas ungläubig nach. “Und wenn er getötet worden ist, hat da nie jemand nachgeschaut, wer oder was unser Feind eigentlich ist ?“
„Aber sicher, Frau Schramm ...“
„Und ? Was hat sich daraus ergeben ?“
„Nichts !“
„Nichts ?“ rief sie verdutzt.
„Hajeps lösen sich, sofort wenn sie getötet worden sind, in Humus auf“, erklärte Günther Arendt fast traurig. „Ich weiß auch nicht, wie die das machen. Glauben Sie, Frau Schramm, dass Sie ohne Warnung schießen werden, wenn der Feind ihnen gegenüber steht und gerade seine Waffe ziehen will, um auf Sie zu feuern ?“
Margrit zögerte, doch dann nickte sie zu Georges Erstaunen. “In diesem Falle wohl ja ?“ sagte sie ziemlich kleinlaut.
„Das war sehr ehrlich. Würden sie das gleiche tun, wenn irgendeiner von uns von Hajeps bedroht würde ?“
Margrit schluckte. „Wohl auch !“ sagte sie dann.
„Na sehen Sie, das beruhigt mich. Also haben Sie doch Verstand ! Sie sollten wissen, dass jeder, der neu hinzu kommt, sofort einen Grundkurs im Umgang mit Handfeuerwaffen, Gewehr und Granaten zu absolvieren hat ! Auch später sind jeden Tag mindestens drei Trainingsstunden für den Ernstfall zu leisten. Werden Sie das alles tun ?“
„Ja, das werde ich !“
„He, he, ich werde immer zufriedener !“ rief er erleichtert aus. Er lehnte sich nun richtig behaglich in seinem Stuhl zurück. „Dann kann ich ihnen ja endlich mein Geheimnis verraten: George konnte mich heute Morgen vor dem Frühstück abfangen und mir gesagt, dass er mir Danox nicht anbieten könne, was mich ehrlich gesagt nicht sonderlich enttäuscht hat,“ er machte eine wegwerfende Handbewegung, „denn ich halte nicht viel von diesem Ding. Niemand konnte es bisher in Gang setzen, nicht einmal unser Feind. He, ich weiß gar nicht mal, weshalb man den dummen Kasten auf diese Erde gebracht hat. Dafür bot er mir etwas sehr viel Praktischeres für ihre Aufnahme in unsere Vereinigung an. George hat mir das Ding gezeigt und ...”
„W...welches Ding?“ wisperte Margrit verdutzt. “Sie tastete dabei automatisch nach dem komischen Pfeifstäbchen in ihrer Gürteltasche, aber es schien dort noch immer zu sein.
„Warten Sie doch erst einmal ab !“ schimpfte Günther. „Können Sie einen denn nie ausreden lassen ?“
George nickte leise ächzend und Margrit warf ihm deshalb einen ihrer finstersten Blicke zu.
„George hat mir das Ding also gezeigt, und ich bin der Meinung, genau das könnte uns endlich helfen“, jubelte Günther und setzte sich wieder gerade hin. „ So gut sind wir bisher noch nie bezahlt worden. Ich habe zum ersten Male wirklich Hoffnung ! Das muss ich ihnen sagen!“ Er lachte erleichtert auf und wischte sich verstohlen über die Nase. „Aus diesem Grund sind Sie bei den Maden aufgenommen, ganz gleich, als was Sie nun für uns arbeiten wollen. Doch nicht allein diese wirklich gute Bezahlung ist dafür verantwortlich und auch nicht ihr sicherlich hervorragendes Gehör, sondern ... diese Furchtlosigkeit. Dieses forsche, kesse Gehabe, Schramm ...das gefällt mir an ihnen! Außerdem haben Sie für ganze fünf Stunden die Hajeps an der Nase herumgeführt und am Ende sogar überlistet ! Sie sehen also, ich bin gut über Sie informiert. Außerdem brauchen wir Profiler, die erkennen können, was Scolo, dieses außerirdische Gehirn, wohl als nächstes vorhaben könnte. Wir haben bereits die Sender unserer Feinde angezapft und ihre Sprache gelernt, doch wir verstehen viele Begriffe einfach nicht, wohl weil wir solche Dinge gar nicht kennen gelernt haben. Die Aufgabe der Profiler ist nun, uns Menschen auch Dinge erklärbarer zu machen, die uns eigentlich völlig artfremd sind. Sehen Sie, und aus diesem Grunde bin ich eigentlich extra hierher gekommen, weil wir es uns nämlich ganz besonders genau überlegen müssen, wen wir noch als Profiler in der Sache Scolo für uns arbeiten lassen wollen.” Er wandte sich nun abwechselnd zu beiden Seiten an seine Berater. „Seid ihr mit dieser – ich gebe zu, etwas merkwürdigen - Wahl zufrieden ?“ fragte er. Sämtliche wettergegerbten Gesichter nickten grinsend. Margrit war ganz überrascht, dass Günther sich plötzlich erhob und mit ihm gleich alle anderen.
”Wo ... wollen Sie etwa schon gehen ?“ stotterte sie verwirrt.
„Auf gute Zusammenarbeit, Margrit !“ Er drückte ihre Hand zum Abschied wieder ziemlich schmerzhaft, wie Margrit fand und alle folgten seinem Beispiel.
„Was hast du ihnen gegeben ?“ fragte Margrit.
George grinste geheimnisvoll. „Erinnerst du dich an ein kleines Fläschchen, das in verschiedenen Farben
schimmerte, sobald man es ins Licht hielt ? Sah ein bisschen aus wie Nagellack !“
„Oh Gott, mein Nagellackfläschchen ?“ Sie krauste empört die Stirn. “George, hast du etwa in meinem Zimmer gestöbert?“
„Erstens ist es gar kein Nagellack und zweitens nicht deiner“, fauchte er. „Es gehörte Robert und drittens habe ich nicht in deinem Zimmer gestöbert, sondern Gesine. Die hatte nämlich gerade dein Zimmer verlassen, als ich heute Morgen vorbei kam, und da sah ich das Fläschchen in ihrer Hand und erkannte es sofort wieder. Du glaubst ja gar nicht, wie es in meinem Herzen gejubelt hat.“
„Und da hat sie es dir gebeben ?“
„ Na ja, gegeben wäre vielleicht ein bisschen zuviel gesagt!“ Er zog feixend die Schultern hoch. “Ich habe ein bisschen nachgeholfen, damit sie es mir gab ! Jedenfalls war ich daraufhin wie erlöst, weil ich wusste, wie ich dir hier endlich deinen Platz erkaufen kann.“
„Aber George, wieso könnt ihr so etwas Komisches gebrauchen? Und das soll sogar besser als Danox sein ? Ich meine, es ist doch so ein seltsames Ding bei welchem man nicht einmal weiß, wo eigentlich oben und wo unten ist ?“
„In dieser Flasche befindet sich ein geheimnisvolles Serum, Margrit. Mein Cousin bekam dieses Mittel von den Jisken, den Erzfeinden der Hajeps. Alles, was Robert über die Hajeps erfährt, leitet er nicht nur an die Jisken weiter. Er hat auch schon Einiges für sie getan. Wenn du etwas von Attentaten auf die Hajeps gehört hast, Margrit, dann kannst du dir sicher sein, dass nicht nur die Jisken, sondern auch mein Cousin dabei die Hände im Spiel hatte.“
„Oh Gott ?“ ächzte sie betroffen.
„Dennoch ist er nicht deren Sympathisant. Er ist auch nicht sonderlich mit den Loteken verbandelt, für die er auch manchmal etwas tut. Robert arbeitet in Wahrheit für die Menschen, für unsere Organisation !”
„Er ist also ein Doppel - nein sogar ein dreifacher Spion ?“ keuchte Margrit entgeistert.
„Sehr richtig und ein Dieb !“
„Hatte etwa dein Bruder dieses Serum für die Menschen gestohlen ?“
„Nein, das haben die ihm freiwillig gegeben, für einige seiner Dienste – sozusagen als Lohn! Sie wollen den Hajeps noch nicht zu nahe kommen, weißt du, da wohl noch nicht genügend von ihnen auf dieser Erde sind.“
„Aber sie haben doch Zarakuma angegriffen? Das ist aber komisch !“
„Es war niemand von ihnen in diesen Flugzeugen, Margrit, nur Iskune ... also Roboter !“
„Sehr schlau ! Und was wollte nun Robert mit diesem äh ... Lohn machen ?“
„Nun, um dieses Serum in Umlauf zu bringen, hätten die Jisken direkten Kontakt mit den Hajeps aufnehmen müssen. Und das wollen sie nicht...“
„Verständlicherweise. Und die Loteken auch nicht, richtig ?“
„Sehr richtig, Margrit !“
„Und dafür sind ihnen die blöden Menschen gut genug ...?“
„Ebenfalls richtig. Sie denken, wir Menschen haben nichts mehr zu verlieren und damit haben sie Recht !“
„Oh Gott, und wer soll nun dieses Mittel nach Scolo – da wollt ihr es doch sicher einschmuggeln – bringen ?“
„Darüber zerbrechen wir uns im Augenblick noch nicht den Kopf, Margrit. Vorab müssen wir doch erst einmal wissen, wie man das Serum überhaupt einsetzen muss und was es überhaupt ist und vor allem ... wie bekommt man das Fläschchen überhaupt auf ?“
„Darum hast du also mit deinem Cousin schon seit heute Morgen Kontakt aufgenommen ?“
„Ich will nicht nur wegen dieses Serums Kontakt mit ihm. Wir sprechen uns täglich ! Doch schon seit einer Woche erreiche ich ihn nicht mehr. Das macht mir Sorgen.“ Er schwieg für einen Moment und seine Augen glänzten dabei feucht. „Na egal,“ er gab sich einen Ruck. „Wir sollten uns erst einmal darüber freuen, dass du es geschafft hast bei uns zu bleiben, Margrit!“ Er stand auf und gab ihr einen zarten Kuss auf die Wange.
„Das hast doch du geschafft, George !“ Sie erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl auf und gab ihm einfach einen kleinen Kuss zurück. Doch dann blieb auch sie nachdenklich stehen. „Oh Gott ! Und Roberts Onkel hatte auch diesen Trowes irgendein Versteck gegeben, richtig ?“
„Nein, das war Robert. Er hatte sie unter einem unserer Forellenteiche versteckt. So lange, bis die Hajeps und auch ihr fort ward.“
Sie schob ihren Stuhl zurück an den Tisch. „Oh Gott, ich schäme mich für meine Kinder, den armen Robert so zu bestehlen !“ Sie schüttelte traurig und verärgert den Kopf.
„Wer weiß“, er hielt beklommen den Atem an. “Vielleicht war das in diesem Falle sogar gut, Margrit !“
„Was meinst du damit, George ?“
„Ach, unwichtig !“ Und wieder riss er sich zusammen. „He, Margrit, willst du dir nicht von mir endlich unser ganzes unterirdisches Netz zeigen lassen ?”
„George, zögere keinen Augenblick, sonst sterbe ich noch vor Neugierde !“
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.07.2005, 12:23   #59
Doska
 
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Standard Kapitel 58

Natürlich legte sie erst einmal ihre Gürteltasche in ihrem Zimmer ab, denn sie traute dem merkwürdigen kleinen Stäbchen nicht. Falls das Ding etwas an die Hajeps verraten konnte, so sollte nicht noch mehr preisgegeben werden. Freilich hatte sie Sorge, dass sie schon wieder bestohlen werden konnte, denn es gab keinen Schlüssel zu ihrer Tür. Schlüssel waren nämlich Luxus und wurden nur bei Gefahr ausgeteilt. Doch letztendlich war sie zufrieden mit ihrer Entscheidung. Margrit war schließlich sehr überrascht, dass die Besichtigung der gesamte Organisation den ganzen Tag in Anspruch nehmen sollte. Auf diese Weise erfuhr sie, dass nicht nur die Maden, welche am allernächsten von Zarakuma ihre Geheimgänge hatten, sondern auch neun weitere Organisationen sich ringförmig um das riesige Wohngebiet verteilten. Es hatte eine Ausdehnung von 100 km in nordsüdlicher und 60 km in westöstlicher Richtung und beherbergte ca. fünfundzwanzig Millionen Einwohner. Diese kleineren Organisationen trugen alle die Namen von Insekten. Zum Beispiel gab es da die Asseln, die Ameisen, die Schaben, die Mistkäfer, die Schnecken usw. Das hatte eine symbolische Bedeutung, denn man empfand die Hajeps zwar als Goliath, sich selbst hingegen nicht einmal als David. Insekten jedoch – so hoffte man – würden von Hajeps kaum beachtet, konnten aber auch sehr gefährlich werden. Die meisten dieser kleinen Organisationen – sie bestanden meist aus ungefähr siebzig Leuten - verstanden sich untereinander gut. Es gab aber auch bisweilen Streitereien, welche nicht einmal die „Headman“ – so wurden die Oberhäupter der verschiedenen Organisationen genannt - zu schlichten in der Lage waren, so dass Günther Arendt und seine Berater oft erst anreisen und als Richter über die verschiedenen Probleme entscheiden mussten. Überall in der Welt gab es solche unterirdischen Netze und sie drapierten sich besonders dicht um strategisch wichtige Gebiete des außerirdischen Feindes. Dieser schien bisher noch nichts von der anschleichenden Gefahr bemerkt zu haben. Zu sehr war er bereits in Schwierigkeiten mit seiner eigenen Spezies und seinem Erzfeind und daher meistenteils nur damit beschäftigt, die Menschheit oberhalb der Erde auszurotten, oft wohl nur aus dem Grunde, endlich mehr Ruhe zu haben. Jede kleine Untergrundorganisation war also Teil einer großen Gesamtheit, die sich für einen letzten gewaltigen Krieg gegen die Hajeps ausrüstete. Besonderen Kontakt hatten die Menschen Europas dabei mit den ehemaligen USA, England und Russland. So war es nicht verwunderlich, dass sogar Russen, Engländer und Amerikaner sich inmitten der Organisationen - besonders um Scolo herum - befanden. Leider war es den Menschen noch immer nicht geglückt, zumindest einige der Waffen des Feindes fehlerfrei nachzubauen, da diese meist aus Biomaterial bestanden und sich nach einiger Zeit in Humus auflösten.
Nachdem Margrit also während eines ganzen Tages die unterirdischen Behausungen kennen gelernt und Georges Erklärungen dazu gehört hatte, fühlte sie sich so beruhigt und beschützt, wie schon seit etlichen Jahren nicht mehr. Gern hätte sie der gesamten Menschheit eine solch sicher Unterkunft gewünscht, aber es war leider nicht genügend Platz vorhanden. In all diesen Tunneln und Gängen waren nur Auserwählte, die dort in Ruhe schlafen und Nahrung beschaffen konnten. Margrit gefielen manchmal die Praktiken nicht, die zum Beispiel die Maden anwandten, um für möglichst viele Kampfgenossen Nahrung zu holen. Sie tauschten zwar mit den Bauern, aber weit unter dem üblichen Handelspreis, denn sie schüchterten die Menschen oft durch protziges Gehabe mit ihren Waffen ein, und Margrit glaubte, wenn die Maden von ihren Beutezügen zurückkamen und stolz mit ihren auf geradezu märchenhafte Weise erhandelten Gütern prahlten, dass dies nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
Anfangs hatte sie sich deshalb geweigert, auch nur etwas von diesen Nahrungsmitteln anzunehmen, später jedoch war der Hunger zu groß gewesen und sie hatte nachgegeben. Waffen und Munition waren das Allerwichtigtste ! Dafür wurde gearbeitet, gehandelt, gestritten ! In einer Welt, in der es keine Polizei mehr gab, war jeder, der eine Waffe hatte, ein kleiner König. Waffen sicherten nicht nur die Position innerhalb der Rangordnung der Menschen, sondern auch die Nahrung, das kommende Dach über dem Kopf und noch weiteres mehr. Dass noch Menschen in den wenigen erhaltenen Häusern Eibelstadts lebten und manchmal jemand sie besuchte, schien die Hajeps, wenn sie zum Beispiel mit ihren Trestinen darüber flogen, nicht sonderlich zu stören. Sie hatten ihr Augenmerk vor allen Dingen in die Ferne gerichtet, die Nähe interessierte sie schon lange nicht mehr. Die paar Menschen welche, ihre altertümlichen Waffen trugen, forderten kaum ihren Unmut heraus, wurde wohl eher als verständlich angesehen.
Die Maden waren aber, weil ihre unterirdischen Gänge dicht an Zarakuma grenzten, mit den besten Hajep-Geräten, die sie sich stahlen, und besonderen Apparaten ausgerüstet. Es gab Räume mit stromerzeugenden Aggregaten, komplizierte Sendegeräte, manche von ihnen hajeptischer Herkunft, Computern und überall Sichtgeräte, verbunden mit Periskopen, mit denen man, ähnlich wie bei U-Booten, sehen konnte, was oberhalb der Erde geschah. Richtige Zimmer gab es unterhalb Eibelstadts, mit Betten, Tischen Schreibtischen und Stühlen für die Mächtigen. Die unteren Mitglieder und neu Hinzugekommenen mussten sich leider nur mit Strohsäcken, Matten und Decken auf dem Boden begnügen. Meist hatten sich fünf bis sechs Leute einen Raum zu teilen. Die Arbeit war hart, jeder hatte seine Aufgabe innerhalb seiner Gruppe und die lief nach ganz bestimmten Richtlinien ab.
Margrit arbeitete wegen ihrer guten Deutschkenntnisse zum einen als Wladilaws Sekretärin, zum anderen, wegen ihrer guten Ohren, als Analysator von Geräuschen bei George mit, vor allen Dingen, um die Hajeps in Zarakuma zu belauschen.
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Die erste Woche bei den Maden verging sehr schnell und war sehr anstrengend, da Margrit sich außer mit den Arbeiten, die sie zu tun hatte, noch damit abmühte, möglichst schnell die hajeptische Sprache zu erlernen und zudem dabei immer wieder eine Stunde oder mehr für die Suche nach ihren Familienmitgliedern oberhalb der Erde und vor allem ganz in der Nähe der Stadt, verwendete. Besonders George sah das nicht gerne. Er fand Margrits Unternehmungen gefährlich, weil die Hajeps oft noch nach der Eroberung einer Stadt auf Beutezügen unterwegs waren und er folgte ihr deshalb nicht selten heimlich, was sie sehr ärgerte.
„Meinst du denn, ich bin ein Baby ?“ fauchte sie ihn eines Tages deswegen an. „Und könnte nicht auf mich selbst aufpassen ? Guck, hier ist der Patronengürtel, da die zwei Revolver. Ich habe sogar eine Handgranate und ein Messer dabei ! Bist du nun mit mir zufrieden ?“
Er lachte verlegen. „Immerhin bekommst du schnell heraus, wer dir folgt !“
„Tja- ha, und das trotz dieses schlechten Brillenglases, dass man mir so einfach verpasst hat, nur weil das alte diesen kleinen Sprung gehabt hatte ...“
„Ach, Margrit, der war gar nicht winzig klein und du sahst außerdem damit richtig bescheuert aus. Entschuldige!“
„Ist mir doch Wurst, wie ich ausschaue ! Hauptsache, ich kann gucken ! Das hier sind nicht die richtigen Dioptrien, die ich brauche !“
„Meckere nicht, ungefähr haut`s doch hin. Ich habe gestaunt, wie gut du trotzdem zielen und feuern kannst. Erstaunlich, mein kleiner Pazifist, du bist ein Talent !“
„Ha, erwischt ! Du hast mir also auch noch dabei zugeschaut, schöne Bescherung !“
„Warum nicht ? Ich freue mich, wie gut mein Schützling sich inzwischen gemausert hat ! Ist das ein Verbrechen? Und habe keine Lust, dich doch noch an die Hajeps zu verlieren.“
„Ach, muss ich doof sein !“ Sie klatschte sich verärgert gegen die Stirn.
„Nein, jedem von uns könnte das passieren. Ich will dir auch gar nicht mehr ausreden, nach deiner Familie zu suchen.“
„Na endlich, wenigstens das !“ seufzte sie erleichtert.
„Es geht dir dabei wohl so wie mir“, sagte er nachdenklich. „Ich kann und will mich nicht damit abfinden, dass mein Cousin, mein Onkel, meine Tante, meine beste Freundin, ... von den Hajeps ...“, er brach ab, senkte den Kopf, konnte plötzlich nicht mehr weiter, wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
„Oh George ?“ rief sie leise und erschrocken, dann nahm sie ihn in die Arme. „Meinst du wirklich, dass ...“
Er nickte und seine Augen wurden dabei trüb.
„Aber es muss doch nicht stimmen !“ Sie streichelte ihm die Schulter.
Sein Mund zuckte mehrmals unbeholfen, ehe er die Worte formen konnte. „Doch ! Alle sagen es!“ Und er legte den Kopf schwer, sehr schwer plötzlich auf ihre Schulter.
„Ja und ?“ knurrte sie kriegerisch. “Du musst das nicht glauben !“ Und sie drückte ihn fest an sich.
„Ach Margrit“, krächzte er heiser, „es soll doch Beweise geben, die ... und die vier waren meine Familie, weißt du ? Ich ... ich bin bei ihnen aufgewachsen ! Verdammt, ich hasse Nireneska !“ zischelte er zwischen den Zähnen hervor und plötzlich fing er hilflos an zu weinen. „Er hat mir alles genommen, was ich habe ! Und darum will ich dich nicht auch noch an Nireneska, diese Bestie verlieren, verstehst du ? “
Sie strich ihm tröstend über das dichte schwarze Haar und seine mächtigen Schultern zuckten und bebten, während laut und verzweifelt all seinen Schmerz aus sich hinaus schluchzte.
„Oh, Go–ott !“ keuchte er schließlich. „Ich bin vielleicht ein Guerilla ! Das ganze ist mir ja so peinlich !“
„Warum ?“ Sie sah ihm ebenso verweint ins Gesicht. „Auf diese Weise hast du doch endlich dafür gesorgt, dass ich nicht mehr so ein Kotzbrocken bin.“
„Ach, das bist du ja gar nicht !“
„Doch, doch, ich war ganz schlimm ! Ich weiß es !“ Sie wischte ihm die letzte Träne aus dem Augenwinkel.
„Weißt du, Margrit, was ich jetzt tun werde ?“
Sie schüttelte den Kopf und wischte dann auch an ihren Augen herum.
„Ich werde meinen Eid brechen !“
„Welchen ...was ? He, ich brauche dich George ! Du musst dir etwas einfallen lassen, damit mich der blöde Nireneska beim Suchen nicht stören kann !“
„Ja, ich werde meinen Eid brechen !“ keuchte er trotzdem weiter und seine Stimme klang sehr aufgeregt. „Nur dieses einzige Mal ! Denn ich sehe einfach nicht mehr ein, weitere Menschen, die mir wichtig sind, wegen dieser Organisation elendig sterben zu lassen.“ Er schnäuzte seine Nase jetzt recht energisch in einem seiner blütenweißen Taschentücher aus.
“Ich verstehe zwar immer noch nicht, was du meinst, George“, sagte sie ziemlich verwirrt, „aber du wirst schon Recht haben !“
„Habe ich auch ! Warum sollte es nur mir, bekannten Politikern und anderen wenigen Privilegierten gegeben sein, in der Nähe Zarakumas die letzten Versteckmöglichkeiten vor unserem Feind zu nutzen ? Ich werde dir heute sämtliche Möglichkeiten, die ich kenne, zeigen - leider sind es nicht viele - die du nur bei Gefahr nutzen solltest ! Du musst mir aber versprechen, selbst wenn es dir noch so schwer fallen sollte, diese an niemanden weiter zu verraten ! Wirst du darüber schweigen können, Margrit ? Sonst ...“, er schluckte, „... bin ich dran !“
Und wieder stellte sie sich auf die Zehenspitzen und schlang dabei ihre Arme ganz fest um ihn.
„Du bist ein wunderbarer Mensch, George. Aber, was denkst du von mir ?“ wisperte sie ihm ins Ohr. „Meinst du denn, ich werde dich in eine solche Gefahr bringen ? He, ich werde so geschwätzig sein wie ein Stein !“ Sie küsste ihn auf die Nasenspitze, wendete sich von ihm ab, lief einige Schritte von ihm fort, aber dann winkte sie ihm zu. „Na, los ! Worauf wartest du ? Fang` endlich damit an!“
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Alt 03.07.2005, 12:24   #60
Doska
 
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Standard Kapitel 59

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„Kor wan ango rina ?“ fragte George.
„Mo rina wan Margrit Schramm“, erwiderte sie. „Dandu kor wan ango rina ?“
„George de Mesá. Dandu nor kos to ?“
„Noi kal ae lumanti. Dandu nor kos to ?“
„Noi kal a hajep !“
Margrit prustete los. “Nein George, damit kannst du mich nun wirklich nicht mehr anschmieren. Aber was heißt eigentlich Lumanti ganz genau übersetzt ?“
„Was soll`s schon heißen ? Mensch natürlich oder Erdling oder weiß ich was ? Als solche werden wir jedenfalls immer bezeichnet, wenn die Hajeps über uns reden.“
„Aber guck mal, die größte Stadt in Zarakuma heißt zum Beispiel ´Jink ba rina´. Und das kann man sehr gut übersetzen mit jink gleich Stadt, ba gleich ohne und rina gleich Name. Also: Stadt ohne Namen !“
„Ja und ?“ Er zuckte mit den Schultern. „Es muss doch nicht immer alles irgendeine besondere Bedeutung haben. Bei uns heißen die Leute doch auch bloß Fritz oder Susanne und so weiter. Ganz ohne einen besonderen
Grund.“
„Aber lumant heißt auch Licht George ?“
„Licht ?“ Er schaute ziemlich verdutzt drein.
„Suki wona lumant ! Mmachen wir Licht ! Und Tes Lumanti tai Hajeps ! » sagte sie stolz.
„Das Licht der Hajeps !“ krächzte er amüsiert. “So ein Quatsch !“ Er wollte sich ausschütten vor Lachen. „Woher hast du denn das ?“
„Aus unserem neuestem geklauten hajeptischen Chasbulak !“
„Du musst dich verhört haben, Margrit, denn die Sprache ist nicht so einfach, da wir nichts Schriftliches haben und viele Worte einfach zusammengezogen werden.“ Er machte eine kleine Pause und sagte dann: „Da wir schon mal dabei sind. Du musst genau genommen eigentlich alles so aussprechen: Kor wanangorina ? Und Morinawan George dandunor kosto ? Noikala Lumanti ! Außerdem ist es vielleicht nicht ganz unwichtig, dass die Hajeps weder ein „ü“ noch ein „ ä“ noch „ ö “ aussprechen können. Woran das liegt, wissen wir nicht. Und du musst immer daran denken, stets die Umlaute, wenn sie am Ende stehen und mit keinem weiterem Wort zusammengezogen werden können, schärfer zu betonen. Das klingt dann etwa so: “Kor wanangoriná ? Noikalá Lumantí. Dandunor kostó ?“
„Noikalaé Lumantí !“ sagte Margrit und tippte sich dabei an die magere Brust.
„Sehr gut, Margrit !“ Georges Funktelefon klingelte und so wurde die kleine Nachhilfestunde unterbrochen. „Aber Renate, was hast du denn erwartet!“ schimpfte er, nachdem er für ein Weilchen zugehört hatte. „Das habe ich dir doch gleich gesagt. Du kannst mit denen doch nicht verhandeln. Die wollen immer alles vom Lebendigen. Verdammt, die Fahrt bis dort hin hättest du dir wirklich sparen können. Nimm den ganzen Kram wieder mit und versuche ihn woanders einzutauschen. He, selbst der Pomadenmaxe ist nicht so. Mutiger Kerl übrigens, denn der hält es noch immer in der Stadt aus. Wie ? Ja, hast Recht ! He, ich schäme mich manchmal wirklich, dass ausgerechnet diese Leute zu unserer Organisation gehör...“ George machte nun ein missmutiges Gesicht, weil Margrit ihn am Ärmel zupfte. Sie war sehr aufgeregt. „He, George“, plapperte sie einfach dazwischen, „ich habe eben die neuesten Nachrichten der Hajeps abgehört und ...“, sie nahm die Kopfhörer von den Ohren, “... das musst du dir unbedingt anhören...“
„Warte mal einen Moment, Renate“, knurrte George immer noch verdrießlich übers Funktelefon. “Margrit, ich glaube nicht, dass gerade du mit deinen geringen Kenntnissen ...“
„Darum sollst du es dir ja gerade anhören, George ... es ist immer wieder das selbe Wort, was die Hajeps gebrauchen und sie sind dabei sehr aufgeregt. Eben sagte einer zum Beispiel: ´Cronn minko ta Agol !´ Oder heißt das eher ´Cronn minkotagol´ ?“
Sie schloss nachdenklich die Augen und warf den Kopf zurück in den Nacken, während sich George die Kopfhörer umlegte und lauschte. “Bei den zwei ersten Worten bin ich mir nicht sicher, aber ich meine, das Letzte ganz deutlich als ´Agol´ verstanden zu haben?“ sagte sie. „Was könnte dieses ´Agol´ nur bedeuten, George ?“
„Schscht !“ machte er. „Sei ruhig, sonst kann ich gar nichts verstehen. Ja, Renate, so warte doch noch einen Augenblick !“ schimpfte er auch Richtung Funktelefon. Schließlich zuckte George die Schultern. “Keine Ahnung, was die Hajeps plötzlich haben. Vielleicht ist das ein riesiger Computer, ein zentrales, technisches Supergehirn sozusagen, oder ein wichtiger Stoff, den sie brauchen.“ Er gab Margrit die Kopfhörer zurück. „Ein Nahrungsmittel vielleicht oder...”
Er kam mit seiner Aufzählung nicht zu Ende, da plötzlich hinter ihm die angelehnte Tür aufgerissen wurde. Das Stoppelgesicht dahinter wirkte völlig aufgelöst. „He, ihr beiden, ich hab` jetzt was für euch, was euch völlig vom Hocker hauen wird !“
„Ja, Karlchen, ich weiß, es ist Mittagszeit und wir können endlich Schluss machen !“ murrte George, während er sich wieder seinem Funktelefon zuwendete. “Renate, weißt du was, ich glaube, du kannst das Zeug vielleicht recht gut an die Motten verhökern. Die haben womöglich solche Sachen noch nicht. Du fährst nur eine viertel Stunde und ... was ? Wen haben Erkan und Wladislaw gerade gefunden ? “
„Der ... der ignoriert mich einfach !“ empörte sich Karl.
„Hat ein wichtiges Gespräch, Karlchen. Kannst mir ja mitteilen, was du zu sagen hast. He, lass mich raten ! Du hast erfahren, dass die Hajeps in Wahrheit Echsen sind und zwar feuerspeiende, richtig ?“
Karlchen grinste und schüttelte den Kopf.
„Na dann sind`s eben Insekten !“
Wieder ein Kopfschütteln.
„Oder anderes blutsaugendes Getier ! Endlich wissen wir`s !”
„Ja und ?“ empörte sich George indessen. „Aber Renate, selbst wenn dieser Kerl einer der letzten Überlebenden ist ... schleppt den mir hier nicht an ! Fieber hin, Fieber her ...“, George wurde immer ärgerlicher, während er Renates Wortschwall lauschte. „Du brauchst ihn mir nicht zu beschreiben, Renate“, fauchte er, dabei bemerkte Margrit, dass er nicht nur blass im Gesicht geworden war, sondern dass er auch einen ziemlich schuldbewussten Ausdruck angenommen hatte. „Mich interessiert der Kerl nicht !“ schimpfte er verzweifelt, trotzdem hörte er merkwürdigerweise weiter zu. „Ganz erhebliche Verletzungen? Was heißt hier, er tut euch Leid?“ keuchte er und wich dabei Margrits Blicken aus. „Ja und ? Warum helfen? Lasst den Kerl liegen wo er ist. Sind wir denn Samariter ?“
„He, Geo–orge ?“ Margrit zupfte ihn abermals am Ärmel, doch er versuchte sie abzuschütteln. „Wen haben Renate, Erkan und Wladimir doch gleich gefunden ? Wie heißt er ?“ Margrit wurde ganz aufgeregt. „Ich meine, wie sieht er aus ? Hat er ihnen noch seinen Namen nennen können ?“ Sie schluckte und Tränen traten in ihre Augen. „ Ka. ... kann er sprechen?“
„Also, jetzt wird aber der Hund in der Pfanne verrückt !“ knurrte Karl entrüstet und stemmte vor lauter Empörung die Fäuste in die Hüften. „Ihr seid Profiler und habt die Pflicht, wichtige Neuigkeiten entgegen zu nehmen. Was ist mit euch los, he ?“
„Oh George, wie ... wie heißt dieser Kerl ?“ krächzte sie, sie hatte vor lauter Aufregung keine Spucke mehr im Mund. „Bitte, bitte, unterbrich dieses Gespräch nicht. Sag` es mir ja –ah ?“
„Nein !“ fauchte George und Schweißperlen standen dabei auf seiner Stirn.
„Gut, auch wenn ihr`s nicht hören wollt, so werde ich doch meine Pflicht und Schuldigkeit tun und es euch einfach mitteilen !“ schimpfte indes Karlchen. „Er ist gelandet ! Fertig !“
”Wer ?“ riefen George und Margrit völlig fassungslos und ein bisschen verärgert. „Mach doch nicht immer gleich ein derartiges ´Tam Tam´ aus jeder Sache !“
„Tam Tam ?“ knurrte Karl. „Ich sehe schon, die tollen, großartigen Profiler wissen diesmal wirklich nichts ! Wirklich nicht zu fassen !“ knurrte er „Na ja, wenigstens bin ich euch dadurch endlich mal über. Also gut, ich sage nur noch einmal laut und deutlich Agol ist auf unserer Erde gelandet !“ Er grinste. „Na–ah ?“
Die beiden schauten trotzdem nicht schlauer drein.
„He, Agol, ähnelt doch wohl etwas Agoul Moices oder ? Aber ich bitte dich, George, gerade du dürftest doch jetzt nicht mehr so begriffsstutzig sein ! Macht`s jetzt endlich ´Klick´ ?“
„Nein, du Spinner, vielleicht wirst du mal deutlicher ? Warte mal einen Moment, Renate ... Karlchen hat uns anscheinend etwas Brandneues mitzuteilen ! “
„He, wer ist denn hier als Spinner bekannt ? Doch wohl eher du als ich !“ fauchte Karl verdrießlich. „Du mit deinen ewigen himmlischen Heerscharen und so weiter! Alle haben dich deshalb ausgelacht. Jetzt sind sie natürlich still.“ Er machte eine kleine feierliche Pause und sagte dann sehr langsam und so, als ob er jedes Wort dabei auskosten würde: „Denn es hat sich bewahrheitet ! Pasua, die Macht - George, es ist die Intelligenz, auf welche auch wir Menschen gewartet haben ! - ist endlich gemeinsam mit ihrem Gottkönig oder was es auch immer ist, überraschend in Cidudat, dem früheren New York, gelandet, und zwar in dem Park vor Ganganar, dem Palast, den sich die Hajeps dort gebaut haben. Dazu einige prächtige Schiffe aus seiner gewaltigen Flotte, die ihn begleitet hatte.“
Karl lachte schon wieder, als er ihre verdutzten Gesichter sah.
„Staunt nicht so dämlich ... es ist tatsächlich wahr !“
„George, gibst du mir das Funktelefon ?“ piepste Margrit völlig abgelenkt.
„Nein !“ fauchte der und entriss es ihr noch im letzten Moment.
„Wie geht Renates Nummer ?“
„Fein, wie ihr mir zuhört !“ Karlchen knallte wütend seine Türe zu. “Aber vielleicht könnte das ein kleines bisschen wichtig für die Menschheit werden ?“ hörte man dahinter.
„Pah, was soll sich dadurch schon großartig verändern !“ fauchte George.
„Das musst gerade du sagen, was ?“ hörte man wieder hinter der Tür und dann war Karlchen schon wieder mit seinen Kollegen über die Sender im Gespräch.
„Du ... du hast es einfach ausgemacht ?“ stotterte Margrit völlig fassungslos.
„Das ist mein Funktelefon, Margrit !“
Wieder sprang die Tür hinter ihnen auf und die beiden fuhren deshalb zusammen. „Er ... er lebt nicht mehr!” stammelte Karlchen völlig fassungslos und wischte sich den Schweiß. Er hatte den Hörer in der Hand und auf laut gestellt, so dass man die aufgeregten Stimmen hajeptischer Nachrichtensprecher daraus hören konnte.
„W...wer ?“ krächzten George und Margrit entgeistert.
„Na, wer wohl, ihr Idioten ! Hört zu, ich übersetze, natürlich nur so ungefähr ...“, räumte er ein. „Kaum war die Rampe seines Luxusschiffes, einer gewaltigen, wunderbaren Jacht, ausgefahren worden, da zerfetzte eine Explosion es völlig ... PENG ! Weg war alles ! Auch die ebenfalls gelandeten fünf Jachten und die sechs Kriegsschiffe!“ Karl machte eine heftige Handbewegung in der Luft. „Und zwar, noch ehe die Begrüßungsrede gehalten worden war.“ Er horchte angespannt weiter.
„Oh Gott !“entfuhr es dabei Margrit.
„Vielleicht im wahren Sinne des Wortes !“ Karl kicherte, während er weiter zuhörte. „Doch sollte Agol tatsächlich etwas Göttliches an sich haben, hat er dieses Attentat überlebt, denn Götter sind ja bekanntlich unsterblich. Ich glaube eher, dass er Hajep ist, wie jeder andere seines Volkes und dass sie sterben können, wissen wir schon !“ Er hörte angespannt weiter zu und so fragte George: „Du ... du glaubst, dass ...hm... er ... also dieses Wesen ... tot ist ?“
„He, wie will jemand eine solche Explosion überleben ? Das alles soll außerordentlich gewaltig gewesen sein. Erst diese übergroße Festlichkeit. Man muss sich sehr beeilt haben, das müsst ihr euch mal vorstellen. Die vielen, vielen Leute die da zusammengekommen waren, darunter sehr wichtige, ranghohe Persönlichkeiten unseres feindlichen Systems, und dann ...WUMM... und weg ist er ! Ein gigantischer Trümmerhaufen wirbelt, nein, tobt stattdessen umher, verletzt viele Zuschauer, die meisten tödlich. Es soll die reinste Katastrophe gewesen sein, glaubt`s mir ... für die Hajeps, diesmal nicht für uns Menschen !“ Er kicherte schadenfroh. „Gott sei Dank ! Im wahren Sinne des Wortes !“
„Und die anderen Schiffe ... ich meine die Flotte, die ihn begeleitet hatte. Was war nun mit der passiert ?“ fragte Margrit. „Etwa auch alle zerstört ?”
„Zum Teil schon. Es gab ein furchtbares Durcheinander. Halb verkohlte Körper oder auch nur Körperteile wurden später überall von Robotern oder Lanusken, das sind ihre Krankenpfleger, eingesammelt, aber auch Verletzte mit schweren Verbrennungen. Viele Hajeps waren apathisch, wurden, wie Puppen einfach in die Krankenwagen gehoben. Manche schrieen auch in einem fort hysterisch herum, hielten sich die Hände über die Gesichter und rannten wild umher ! Wirklich, die gebärden sich wie wir ! Wie Menschen!”
„Aber...“, George schluckte. „Menschen tragen wohl keine Schuld an diesem Attentat ?“
„Wohl nicht ! He, George, da müssen wir wirklich auf dem Laufenden bleiben. Es wird immer schlimmer mit den Kämpfen der Hajeps untereinander. Wirklich, unser Günther hat darin völlig Recht. Der schlimmste Feind der Hajeps sind inzwischen Hajeps !“
Nun mussten alle drei doch schallend lachend.
„Und wie steht es nun mit Paul ?“ fragte Margrit, kaum dass Karlchen wieder in seinem Zimmer verschwunden war.
„P...Paul ?“ George wurde käseweiß im Gesicht. „Es ist nicht ...“
„Lüge nicht, ich weiß, dass er der Verletzte ist, den Renate gefunden hat, George. Ich habe sehr gute Ohren und...“
„Ich habe nie versprochen, dass wir uns auch noch um Paul bemühen werden!“ zischelte er aufgebracht. „Und das habe ich dir schon ein paar MAL gesagt. Wir können nach deiner Familie suchen, aber versorgen werden wir sie nicht “
„Warum denn nicht ? Er ist doch auch nur Mensch.“
„Deer und Mensch ?“ Georges Stimme wurde unangemessen laut und klang so unbeherrscht wie Margrit es eigentlich noch nie bei diesem an sich ruhigen Kerl erlebt hatte. “Der ist doch kein richtiger Mensch“, schnaufte er, „nur ein maßloser Egoist ist der, wie er im Buche steht, weiter nichts. Überheblich und rücksichtslos und nur dann zart besaitet, wenn es um seine eigene Person geht. Hast du mir nicht erst kürzlich erzählt, dass er dich wegen eines jungen Mädchens verlassen hat und wie furchtbar du darüber geweint hast ? “
„Ich bin eben ein Weichei!“ kicherte sie. „Günther hat darin ganz Recht !“
„Aber, wie ist es dir nur möglich, an einem solchen Kerl wie Paul zu hängen, der deine inneren Werte so wenig schätzt, dass er dich wegen einer kurzen und oberflächlichen Bekanntschaft verlassen kann ? Wirklich Margrit, dieser Mann hat keinen Wert für uns. Er ist labil und so etwas können wir hier nicht gebrauchen !“
„George?“ Margrit packte ihn beim Kinn und drehte sein von ihr fortgewandtes Gesicht langsam zu sich. „So wie heute hast du dich noch nie über ihn aufgeregt. Schau mir endlich in die Augen George“, keuchte sie atemlos. ”Du willst ihm nur deshalb nicht helfen, weil du Angst hast, ich könnte mich auf`s neue an ihn hängen, wie eine Klette !“
George öffnete erstaunt seine Augen und ein dunkles Rot überzog langsam sein Gesicht. Verärgert riss er schließlich sein Kinn aus ihren schmalen Fingern und sah mit zusammen gepressten Lippen zu Boden.
„Bitte, George !“ Margrit legte sacht die Hand auf sein Knie.
„Sage mir ... wo ist er ?“ Tränen traten wieder in ihre Augen. „Versteh doch, ich muss sofort zu ihm hin, wenn er Fieber hat ! He, wir waren so viele Jahre zusammen, so etwas verbindet, so etwas kann nicht von heute auf Morgen vergessen sein. Außerdem glaube ich, dass man sich ändern kann, wenn man nur wirklich will. Paul ist in Wahrheit ein guter Mensch. Er weiß es nur selber nicht !“
Er schob unwirsch ihre Hand von seinem Knie. “Das würde ich dir gerne glauben Margrit, nur ist leider jeder in deinen Augen in Wahrheit gut.“
„Das ist er auch!“ erklärte sie aufgebracht und mit funkelndem Blick. “Jeder ist wertvoll und wichtig für dieses Leben, nur leider sind sich nur wenige dessen bewusst und darum handelt kaum einer danach!“ Sie legte wieder ihre Hand auf sein Knie.
Diesmal lachte er leise in sich hinein, zumal er ihre Finger jetzt nicht mehr so einfach von seinem Knie hinunter bekam. “Du hättest irgendetwas anderes Verrücktes werden sollen, aber nicht Guerilla, Margrit. Vielleicht hohe Priesterin, weise Frau oder ...“
„Tobias will schon weiser Mann werden, also kommt das für mich nicht mehr in Frage ...“
„Na, dann so etwas Ähnliches, Margrit, das wäre besser für dich gewesen“, stichelte er dennoch.
„Lach nicht ! Los, los, heraus mit der Sprache, wo ist Paul, sonst werde ich vielleicht Hexe und wünsche dir noch Rheuma in dein Knie ?“ krächzte sie, während sie sein Knie massierte.
„Aha“, stöhnte er, “jetzt kommt die zweite Taktik. Nach wüsten Drohungen will mich jetzt wohl die Hexe umgarnen, was ?“ Er stand einfach auf und wendete ihr den Rücken zu.
Sie kam ihm hinterher. „George“, sagte sie jetzt sehr ernst, „selbst wenn du ihn hasst, so musst du doch über deinen Schatten springen ... du kannst das. Ich weiß es ! Du bist mir ein wirklich guter, ein treuer Freund, nicht wahr ? Du willst doch nicht haben, dass ich unglücklich werde, oder ? George, bitte, drehe dich wieder zu mir um, damit ich in deine herrlichen grünen Raubtieraugen sehen kann und helfe mir!“
Langsam, ganz langsam wandte er sich zu ihr um. Er sah gesenkten Hauptes auf sie hinab, nahm sie dann sanft bei den Schultern und drückte sie mit einem traurigen Seufzer an sich.
"Gut, wir werden zu ihm fahren !“ kam es fast tonlos über seine trockenen Lippen. “Ich kann dich verstehen, weil auch ich meine Familie verloren habe und darum werde dir zur Seite stehen und ...“, er schluckte, „... wir werden versuchen ihn retten, aber ...“, er sah ihr nun finster in die Augen, „...ein Guerilla wird der mir nicht ! Wirst du ihm auch verschweigen können, wer du inzwischen geworden bist ?“
„Aber George, du weißt doch, ich bin so geschwätzig wie ein Stein !“
„Wir wollen es hoffen !“
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Alt 17.07.2005, 10:49   #61
Doska
 
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Standard Kapitel 60

Kapitel 11

Bereits während der Fahrt, sie benutzten hierfür wieder einen kleinen, jeepähnlichen Jambo, hatte Margrit sich bei George Erkundigungen über Pauls Gesundheitszustand eingeholt. Diese waren nicht besonders gut ausgefallen. Zwar hatte George versucht, Margrit zu beruhigen, indem er ihr erklärt hatte, dass Pauls Verletzungen nicht so lebensgefährlich seien, wie es rein äußerlich den Anschein hätte, dennoch bestätigte wenig später Pauls Anblick Margrits schlimmsten Befürchtungen !
Paul lag zwar in einem aus Brettern provisorisch herstellten Bett unter sauberen Decken, aber er war völlig erschöpft. Er hatte die erste Zeit nur geschlafen. Fast sein ganzer Körper schien mit Verbänden umwickelt zu sein. Wundsekrete schimmerten daraus hervor. Sein Gesicht war aschgrau, blutverkrustet und verschmutzt, denn man hatte ihn nur notdürftig waschen können. Die Haare standen ihm fettig und staubig vom Kopf ab. Seine schönen braunen Augen lagen in tiefen Höhlen und waren ohne jeden Glanz, aber er erkannte Margrit sofort, kaum, dass sie die Tür der kleinen Kammer im Dachboden der Kneipe, in welche man ihn gebettet hatte, geöffnet hatte. Er war sehr überrascht, Margrit wiederzusehen. Immer wieder musste er ihre Hände ergreifen und sie betasten, um zu erfassen, dass Margrit auch Wirklichkeit war, dann schlief er sofort wieder ein.
Obwohl Paul eine robuste Natur zu haben schien, wollte er nicht so recht gesunden. Selbst nach drei Tagen senkte sich das lebensgefährliche Fieber kaum und er konnte nur wenig Nahrung zu sich nehmen. Margrit kam jeden Tag, nicht nur, um nach ihm zu schauen. Wenngleich Paul inzwischen völlig ausgemergelt war, da er die vielen Tage der Flucht nicht so gut überstanden hatte wie Margrit, war er Margrit trotzdem zu schwer, um ihn hoch zu heben, zu wenden, und ihm frische Verbände anzulegen. Darum kam immer jemand mit. Mal war es Renate, Rita oder Erkan und manchmal auch Wladislaw. Dem Wirt der kleinen Kneipe wollten sie keine Arbeit machen. Es genügte, wenn er Paul das Essen brachte und nach ihm schaute. Margrit war ganz gerührt über diese Hilfsbereitschaft, bekam sie doch auf diesem Wege ein ganz anderes Bild über die Untergrundkämpfer. Die kleine Kammer, in der Paul seine Unterkunft hatte, war nicht ungemütlich. Ein Ofen in der Ecke unter dem Fenster böllerte friedlich vor sich hin und gab Wärme ab. Hier stand sogar ein Stuhl. Gott sei Dank konnte Paul endlich etwas reden, nachdem Margrit ihm die Lippen mit Wasser benetzt hatte. Obwohl er sich schonen sollte, hatte er inzwischen, nach fünf Tagen der Ruhe, das Bedürfnis, restlos alles los zuwerden, was ihm damals passiert war.
Ilona hatte mit einem Male Sehnsucht nach Herbert, Annegret und Dieterchen gehabt, gewusst, dass diese in Würzburg eine neue Bleibe bekommen hatten und gehofft, sie dort anzutreffen. Es hatte nichts geholfen, dass Paul immer wieder versuchte, ihr diese verrückte Idee auszureden. Schließlich waren sie den langen Weg bis nach Würzburg gewandert und hatten schneller als damals Margrit über die Megaphone, die überall an den wichtigsten Straßenecken von den Menschen montiert worden waren, erfahren, dass Hajeps die Stadt überfallen würden und sich daher einer Menschengruppe angeschlossen, der die Flucht aus Würzburg noch rechtzeitig gelang. Sie waren gemeinschaftlich mit dieser Gruppe etwa eine Woche gewandert, um zur nächsten Stadt zu kommen. Doch gerade als Ilona sich für einen kurzen Augenblick von Paul löste, um im anliegenden Wäldchen ihre Notdurft zu verrichten, waren plötzlich Soldaten in Paul völlig unbekannten Uniformen über sie hergefallen, die nun mit Ilona ein mörderisches Spielchen begannen.
An dieser Stelle hatte Paul inne halten. „Verzeih mir Margrit, bitte verzeih...“, stammelte er wie ein Kind. „Aber ich liebe meine Ilona noch immer, kann sie nicht vergessen, denn sie war so unvorstellbar schön, weißt du ? Wie eine Fee aus dem Märchenbuch. Ich... ich habe sie geliebt wie noch keinen Menschen zuvor. Verstehst du ?“ Margrit hatte genickt und ihm so lange tröstend über das Haar gestreichelt, bis er zum Weitererzählen in der Lage war.
Paul und einige Männer und Frauen aus der sie begleitenden Gruppe hatten schließlich versucht Ilona zu helfen und mutig den Kampf mit den Fremden aufgenommen, da es nur zwei Außerirdische gewesen waren und sie selbst elf Menschen. Dennoch hatte es ein fürchterliches Blutbad gegeben, bei dem ausschließlich Menschenblut geflossen war. Selbst die, welche nicht mitgekämpft hatten, verloren später ihr Leben. Auch an dieser Stelle musste Paul wieder inne halten und nach Atem ringen. Er stand noch sehr unter Schock.
„Sie... sie war ein Traum, meine kleine Ilona, verstehst du!“ krächzte er schon wieder. „Aber ich habe sie nicht beschützt, habe mich tot gestellt, weil es so schrecklich war, statt mit ihr zu sterben. Ich habe versagt, ja ! Das... das verzeihe ich mir nie!“
„Aber Paul“, Margrit nahm ihn tröstend in ihre Arme. „Du konntest deine Ilona doch gar nicht verteidigen. Dir waren buchstäblich die Hände gebunden, hörst du ?“ Sie wiegte ihn vorsichtig in ihren Armen wie eine Mutter ihr verletztes Kind. „Verkrampfe dich doch nicht so. Du bist nicht feige gewesen. Du hast doch versucht sie zu retten und um sie gekämpft. Du warst später nur gelähmt vor Angst. Das kann vorkommen und ist durchaus verständlich. Vergib dir endlich und werde wieder gesund, denn das ist wichtig ! Wir ... wir brauchen dich nämlich alle und ... neue Menschen warten auf dich !“
Da warf Paul plötzlich seinen schmerzenden Körper zu Margrit herum, barg sein Gesicht in deren Schoß und weinte laut und hemmungslos all sein Elend hinaus. Dann dämmerte er ein und fiel in einen tiefen festen Schlaf.

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Zwei Tage später war er völlig fieberfrei und entwickelte einen gesunden Appetit. Es war gut, dass man ihn in einem der wenigen noch intakten Dörfer in der Nähe Zarakumas untergebracht hatte. So konnte sich immer jemand aus der Dorfgemeinschaft um ihn kümmern und ein Arzt, der dort ansässig war, nach ihm schauen. Dennoch erschien Margrit jeden Tag, sehr zum Verdruss von George.
„Musst du denn andauernd dort hin ? Paul liegt nicht mehr im Sterben und du hast hier Aufgaben, Margrit !“ schimpfte er. „Es wird Zeit, dass er sich von dir entwöhnt, denn du gehörst nun zu uns und kannst später nicht mit ihm weiterziehen. Es sollte von nun an nur Rita oder mal Renate bei ihm erscheinen. Das muss ihm genügen.“
Aber Margrit gehorchte ihm nicht. Immer wieder schaffte sie es, jemanden aus der Reihe der Untergrundkämpfer zu überreden, wenn die gerade in der Nähe des kleinen Dörfchens zu tun hatten, sie mitzunehmen. So hatte Paul ihr dann eines Tages sein ganzes schreckliches Erlebnis bis zu Ende erzählt.
Ein alter Mann, der sich hinter einem der Hügel versteckt gehalten hatte, war Augenzeuge dieses Massakers gewesen und hatte entdeckt, dass Paul sich nur tot gestellt hatte um zu überleben. Gott sei Dank hatten die Jisken – den Namen dieses Volkes erfuhr Paul durch den alten Mann - die Leichen nicht in Humus verwandelt. Vielleicht, weil sie sich durch die hajeptischen Flieger gestört gefühlt hatten, die immer wieder über sie hinweg geflogen waren ? Vielleicht aber auch, weil Jisken dieses Verfahren noch gar nicht kennen oder gar keinen Wert darauf legen? Jedenfalls waren sie ziemlich schnell wieder weg und so schleppte der alte Mann den schweren Paul mit geradezu übermenschlicher Kraft Richtung Straße, da Paul ohnmächtig geworden war. Er konnte ihm zwar nicht helfen, aber wenig später begegnete er Erkan und Wladislaw, die gerade unterwegs gewesen waren um Renate abzuholen. Der Alte hatte den Jambo angehalten und die beiden um Hilfe gebeten. Renate, Erkan und Wladislaw brachten Paul dann nach Randersacker, wo auch jener Arzt lebte, er ihn versorgte. Margrit kannte ihn, da er in Wahrheit, wie so einige aus dem Dorf, schon lange zu den Untergrundkämpfern gehörte.
„Weißt du, ich verstehe das noch immer nicht, wie plötzlich aus dem nichts zwei Soldaten eines weiteren außerirdischen Volkes auftauchen konnten !“ stammelte Paul schließlich. „Ich denke, hier ist hajeptisches Gebiet! Wieso lässt sich das unser ...äh...“
„Undasubo Sotam-Sogi ?“ half sie ihm.
„Richtig! Also dieser Sotam-Sogi das so einfach gefallen ?“
„Es sind nicht die paar Jisken, Paul, sondern wohl inzwischen recht viele, die sich auf unserer Erde angesiedelt haben !“
„Und...?“ Paul schluckte. „Worum geht es hier eigentlich ? Ich denke die Loteken sind die Feinde der Hajeps! Man blickt da nie richtig durch, findest du nicht ? Oh, ich glaube, kaum jemand von uns Menschen wird das wohl je richtig begreifen...”
„Ach, das ist alles gar nicht mal so kompliziert“, beruhigte Margrit Paul. „Wir Menschen sind nur von den Hajeps inzwischen dermaßen eingeschüchtert worden, dass wir glauben, selbst das Verhalten unserer Feinde mit unseren anscheinend wenigen geistigen Gaben nicht mehr erfassen zu können.“
Paul schluckte abermals. „Du ... du ... redest schon fast den gleichen Brei daher wie dieser George, weißt du das?“ Margrit musste sich Mühe geben, nicht zu grinsen, denn er hatte ja so recht.
„He, da fällt mir ein, habe ich mich eigentlich schon genügend bei George entschuldigt ?“
„Ja, das hast du und zwar immer wieder, wenn er nur hier war“, bestätigte sie.
Paul seufzte erleichtert.
Margrit konnte Paul ja nicht sagen, dass George gerade wegen Pauls stets langem und tränenreichen Entschuldigungsgefasel so genervt war, dass er schon gar nicht mehr ins Haus kam, wenn er Margrit abholte.
”Paul“, sagte Margrit leise und strich ihm dabei das verschwitzte Haar aus der Stirn. ”Ich habe eben inzwischen mehr Einblicke in viele Dinge gekriegt! Das ist alles ! Aber ich muss George Recht geben. Wir Menschen sind etwas zu ängstlich geworden.!”
„Na, dann erkläre mir doch endlich, was hier los ist ? Warum zum Beispiel haben die Hajeps erst die anderen kleinen Städte und dann Würzburg auf so umständliche Weise überfallen ... hm ? “
„Also...“, begann Margrit und machte ein angespanntes Gesicht. „Die Sache sieht folgenderweise aus : Sklaven haben den Hajeps eine Art Wunderwaffe geklaut. Die hat sogar einen Namen. Nämlich Danox !“
„He, wenn es solch eine großartige Waffe ist, weshalb lassen sich die Hajeps so etwas überhaupt klauen ?“
„Sie müssen sich wohl erst jetzt bewusst geworden sein, was es überhaupt ist und wollen also diese Waffe unbedingt zurück.“
„Wieso kannten die Hajeps die Funktionen ihrer eigenen Waffe nicht ? Haben sie die denn nicht selber erfunden?“
„Es ist eine ihrer vielen Kriegsbeuten, Paul !“
„Aha-ah ! Nun wird mir alles schon etwas klarer. Sie selbst haben also irgendjemandem das Ding geklaut ?“
„Hajeps brüsten sich damit, die größten Räuber des Weltraums zu sein !“
„Diese Beute stammt aber nicht von uns ?“
„Jedoch aus unserer Galaxie, Paul...“
„Und darum nahmen sie das Ding auf ihrer Reise bis zu unserer Erde einfach mit, richtig ?“
„Richtig, und natürlich auch noch manches andere, was sie sonst noch unterwegs erbeutet hatten.“
„Und nun sind diese Weltraumräuber empört, dass sie selbst beraubt wurden ?“
„Genau !“
„Und diese Sklaven rücken die Beute wohl nicht mehr heraus ?“
„Äh, ...tja...hm... ja !“ Konnte sie Paul sagen, dass sie selbst für einige Zeit Besitzer dieses geheimnisvollen Dinges gewesen waren ? Wohl nicht ! Sein Gesundheitszustand ließ das wohl kaum zu. „Die Trowes, so heißen diese Sklaven, wurden deshalb die ganze Zeit gejagt, wollten sich in Würzburg verstecken und da...“
„Da haben sich die Hajeps gleich alle Menschen vorgeknöpft, weil sie sowieso die Menschheit reduzieren wollten, wieder richtig ?“
„Wieder richtig. Es waren ihnen einfach zu viele, die in ihr Gebiet geströmt sind, vertrieben von den Loteken, die ihre Gebiete von Menschen säubern wollten.“
„Fein !“ sagte Paul sarkastisch. „Und wer sind nun die Loteken ? „
Margrit erzählte ihm alles was sie damals durch Robert und auch was sie neues durch die Maden erfahren hatte.
„Lotek heißt übersetzt frei, weißt du ?“ erklärte sie und gab ihm dabei etwas zu trinken. “Die Loteken wollen irgendwann einmal frei von technischen Dingen sein und zurück zur Natur. Sie stammen von den ´Ensilen´ ab, einem einstigen Eliteheer der Hajeps, das sich über die Jahre verselbständigte und letztendlich die Macht über Hajeptoan, dem Heimatplaneten der Hajeps wollte. Dieser Aufstand gegen die Regierung wurde durch die ´Muraks´, einer speziellen Leibgarde Pasuas blutig niedergeschlagen und die Reste des einstigen rebellischen Heeres sollten zunächst eigentlich alleine die Erde besiedeln, damit die Hajeps auf Hajeptoan endlich Ruhe vor ihnen haben konnten. Doch den übrigen Hajeps, welche die Loteken zur Erde gebracht hatten, gefiel es hier auch und nun sind immer mehr von ihnen gekommen und die Loteken kämpfen jetzt darum, dass die Erde ihnen gehören soll.“
„Und wir haben da gar nichts mitzureden ?“
Margrit nickte. „Man übersieht eigentlich die Menschen, was womöglich recht günstig für uns werden könnte...“
„Was meinst du denn mit günstig ?“ fragte er verwirrt. „Wir armen Menschlein sind doch immer die angeschmierten, oder ?“
Margrit wurde ein wenig rot im Gesicht vor Verlegenheit. Sie hatte Angst sich zu verraten und deshalb stand sie auf und lief zum Fenster, um hinaus zu schauen, damit Paul ihr Gesicht nicht mehr sah. Da entdeckte sie George, wie der mit ziemlich missmutiger Miene durchs Gartentor herein kam, wohl um Margrit abzuholen.
„Und was ist nun mit den Jisken ?“ fragte Paul inzwischen weiter. „Die sehen übrigens, wenn man von ihren Uniformen und Helmen mal ganz absieht, gar nicht so viel anders aus als Hajeps. He, was will nun dieses Volk hier, Margrit ?“ wiederholte er ungeduldig.
„Als die Hajeps noch mit den Loteken eine Einheit bildeten“, sagte sie vom Fenster aus, „waren die Jisken ihre Erzfeinde.“ Sie winkte George zu, dass er ins Haus kommen sollte und lächelte freundlich, doch der grinste keinesfalls zurück, sondern wies nur stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr.
„Also schon immer ?“
„Sehr wahrscheinlich. Jisken leben in der selben Galaxie und in ziemlicher Nähe der Hajeps. Irgendetwas müssen sich sowohl die Jisken als auch die Hajeps geleistet haben, dass sie einander dermaßen hassen. Jedenfalls wünschen beide Völker einander mit tiefster Inbrunst den Untergang. Vor etwa einer Woche haben sie Zarakuma attackiert und seit einigen Tagen versuchen die Jisken, nun die Loteken auf ihre Seite zu ziehen, wohl um gemeinschaftlich die Hajeps von der Erde zu vertreiben. Ob ihnen das gelingen wird ?“ fragte Margrit mehr sich selbst als Paul. Dann winkte sie abermals George zu, doch der war einfach draußen stehen geblieben und schüttelte nur den Kopf.
„Aber warum wurde meine Ilona ... so furchtbar brutal...“, Paul konnte wieder nicht weiter sprechen, da Tränen ihm den Hals zuschnürten.
„Das waren sicher von Zarakuma vertriebene Jisken, womöglich die letzten Überlebenden einer Crew, deren Kampfflugzeug abgeschossen worden war. Die hatten daher eine Heidenwut und darum... ! Tja, diese furchtbare Brutalität scheinen wohl alle drei Völker gleichermaßen drauf zu haben!“ erwiderte Margrit ziemlich tonlos und zog die Mundwinkel herab. “Viele sagen, das ist ihnen angeboren. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass restlos alle Außerirdischen so veranlagt sind.“ Sie sah, dass George draußen auf und ab lief.
„Unverbesserliche Träumerin, du.“ Paul wischte sich mit seiner breiten, klobigen Hand die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ach, du hast dich ja gar nicht verändert. Ich hingegen würde von heute an sofort jeden töten, selbst wenn der auch nur halbwegs wie ein Außerirdischer aussieht, glaubst du mir das ?“ Paul zog sich dabei die dünne Decke etwas höher an sein Kinn, denn ihm fror.
„Hass zu verspüren ist weiter keine Kunst, Paul. Aber ich kann dich verstehen, nach alledem, was du erlebt hast. Vielleicht...“, instinktiv tastete sie dabei nach dem Revolver, den sie immer unter ihrer weiten Jacke trug, so als müsse sie sich vergewissern, ob der noch da war, “...werde ich eines Tages auch so denken, Paul !“ sagte sie nachdenklich und wendete sich wieder vom Fenster ab.
„Das ist nett, dass du das einräumst, Margrit.“ Paul versuchte selber nach dem Wasserkrug zu greifen, der auf dem Tischchen neben seinem Bett stand und es gelang ihm. Er nahm einen großen Schluck, denn er war jetzt dauernd durstig. „Aber jetzt will ich auf etwas anderes hinaus. Du hast dir inzwischen nicht nur ein ziemlich großes Wissen über unseren Feind erarbeitet. Du informierst mich auch noch über die Jisken, einem Volk, was eigentlich niemand von uns Menschen so recht kennt. He, woher weist du plötzlich soviel ? Und hübsch bist du geworden.“ Er betrachtete sie zärtlich. “Deine Augen funkeln und dein Haar glänzt wie Seide und du bist immer so gepflegt, ganz wie dieser...“
„George ?“ Sie lachte, wurde dann aber wieder ernst, denn sie wollte ihn heute darauf vorbereiten. „Das ist kein Zufall, Paul !“
„Das ist kein... ? “ Plötzlich musste Paul husten, denn er hatte sich verschluckt. Das tat furchtbar weh und deshalb dauerte es ein Weilchen, bis er sich davon erholte. “Du gehörst jetzt zu ihm, nicht wahr ?“ fragte er schließlich käseweiß im Gesicht und mit feucht glänzenden Augen. „Du ... du wirst mich sobald es mir besser geht, verlassen richtig ?“ Erschöpft fiel er in die Kissen zurück und schlief sofort ein. Margrit lief hinunter zu George und machte sich Gewissensbisse.
„Wie lange soll das denn noch gehen, Margrit !“ schimpfte George wenig später, als sie neben ihm im Jambo Platz genommen hatte. “Der Kerl wird schließlich gesund sein, dir hinterher schleichen und auf diese Weise erfahren, was du inzwischen geworden bist.“
„Ach, lass das nur meine Sorge sein, George !“ fauchte sie zurück.
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Alt 17.07.2005, 10:53   #62
Doska
 
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Standard Kapitel 61

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Am nächsten Tag blickte Paul sich in dem Haus, deren untere Räume einst als kleine Dorfkneipe gedient hatten, vorsichtig nach allen Seiten um, während Margrit ihn stützte und er die ersten Schritte machte.
„He, hier wäre eigentlich genügend Platz auch für zwei.“
„Paul, versuch`s nicht, du weißt ja, ich habe schon ein Dach über dem Kopf.“
„Und dort wo du bist, geht es dir gut, nicht wahr ?“ fragte er leise.
„Ja!“ wisperte sie ebenso tonlos wie er.
„Ich weiß nicht, was du jetzt noch mit diesem Kerl willst ?“ hörte sie wenig später Georges energische Stimme neben sich. „Der kann doch noch immer nicht darüber hinwegkommen, dass er seine Ilona auf ewig verloren hat.“
„Aber George, meinst du denn, ich will mit dem noch etwas anfangen ?“ sagte sie ebenso energisch wie er. Komisch, Georges Bemerkung hatte ihr doch einen kleinen Stich ins Herz versetzt. Hatte er das beabsichtigt ? Sie blickte zu ihm hinüber, forschte in seinem Gesicht. Es war völlig ausdruckslos.
Eines Tages, als George wieder einmal Margrit abgeholt hatte und die Mittagsonne ihnen warm ins Genick brannte, sagte George langsam aber sachlich: „So geht das nicht weiter, Margrit. Was glaubst du wohl, wie teuer uns Maden dieser Paul inzwischen kommt ?“
„Wieso, ich denke, einige von uns speisen doch ohnehin immer in dieser Kneipe, wenn sie in der Nähe zu tun
haben ?“
„Ja, meinst du denn, das ist umsonst ?“
„Ich denke, der Wirt gehört zu den Maden ?“
„Gehört er auch, wie fast das halbe Dorf. Die meisten von uns gehen doch ihren angestammten Berufen nach, solange in diesem Gebiet alles einigermaßen in Takt bleibt. Die Hajeps haben zwar schon vieles davon zerstört, aber das meiste steht und funktioniert hier immer noch. Deshalb nutzen wir das aus. Zum Beispiel den Rauch, welchen unsere Wohnungen unter der Erde produzieren, lenken wir über lange Rohre in einige Häuser der letzten Städte, Fabriken und Dörfer. Rottenburg hat zum Beispiel auch ein paar Leute, die in diesen Häuschen leben, Hühner züchten und Kühe haben. Auf den Wiesen stehen Zelte und Wohnwagen. Wir haben dort unsere Entlüftungsschächte oder es wird Rauch hinaus gelenkt oder Radiowellen werden von dort empfangen.“
„Das ist wirklich listig, George !“
„Nur ist es nicht für die Ewigkeit, Margrit. Immer wieder müssen wir unsere Stützpunkte abbauen und umziehen. Die Lebensqualität lässt merklich nach und...“
„Aber im Gegensatz zu den übrigen Menschen habt ihr es doch gut !“ warf sie ein.
„Das ist richtig. Aber wir sind viele und die Lebensmittel werden immer knapper. Du musst für Paul endlich bezahlen, doch ich frage mich die ganze Zeit, womit ? Du hast ja nichts, was du für ihn hergeben könntest, außer deiner Arbeitskraft, und die reicht nur für dein Essen und deine Kleidung, also für dich selber aus. Darum muss...“, er hob die Schultern hilflos an, konnte aber dabei kaum ein ziemlich gemeines Lächeln nterdrücken, wie Margrit fand, “... dein Paul von hier endlich weg ! Besonders Martin hat etwas gegen unnötige Schmarotzer einzuwenden !“

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„Dies wird Pauls letzter Tag bei uns !“ erklärte tatsächlich Martin wenig später ebenso bärbeißig.
„Sehr richtig !“ bestätigte auch Erkan und sogar Renate meinte: „Wir sind lange genug ungewöhnlich mitleidig gewesen, Margrit, das musst du schon zugeben !“
„Und das auch nur aus dem Grunde, weil du bereits einige gute Dienste geleistet hast !“ erklärte nun auch Martin.
„Paul könnte aber einen guten Guerilla abgeben, wenn er wieder gesund ist...“, warf Margrit aufgeregt ein.
„Mag sein, aber er ist zu alt !“ widersprach Martin.
„Und wir sind genug Leute !“ meldete sich auch Renate.
„Er ist aber sehr vital“, klärte Margrit, hartnäckig, wie sie nun einmal war, trotzdem alle auf, „schießt gut, ist sehr kämpferisch, kann hervorragende Geschäfte mit Leuten machen und besitzt ein recht passables technisches Geschick.!“
„Wir können nicht alle Menschen durchfüttern, Margrit !“ protestierte George. “Der soll froh sein, dass er mit dem Leben davon gekommen ist !“
„Ich werde für Pauls Platz in dieser Gemeinschaft bezahlen!“ sagte Margrit jetzt und ihr Herz pochte vor lauter Aufregung.
„Ach, und womit?“ rief alles neugierig, beinahe feixend.
Margrit holte mit feierlicher Miene aber ein wenig beklommen das kleine Pfeifstäbchen aus ihrer Gürteltasche hervor.
„Oh, ein Tulpont!“ rief alles verdutzt.
„Woher hast du das her ?“ Margrit legte es in Renates geöffnete Hand
„Seit damals, als die Hajeps mich zu fangen versuchten!“ erklärte Margrit.
„Nun, wir werden sehen, ob Günther damit einverstanden sein wird !“ erklärte Martin trotzdem ziemlich kühl.
George sagte dazu gar nichts. Er wendete sich nur ab.

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Günther Arendt war gerade in der Nähe gewesen und so hatte Margrit Glück, gleich mit ihm darüber sprechen zu können. Sie war sehr ehrlich und hatte, als sie ihm das Tulpont zeigte, auch ihre Bedenken mitgeteilt.
„Nein“, sagte er, während er ihr in die großen verängstigten Augen schaute. „Das ist kein geheimer Sender, über welchen die Hajeps Spuren verfolgen.“ Er schmunzelte bei diesem Gedanken. „Diese Außerirdischen sind ja auch sehr mit sich selbst beschäftigt und rechnen uns keine besondere Gefährlichkeit zu. Deshalb lassen sie sich wohl auch mit unserer Ausrottung sehr viel Zeit. Freilich auch aus dem Grunde, da sie Seuchen durch die vielen Toten fürchten. Es ist schwer, wirklich jeden Menschen einzeln zu Humus zu verarbeiten, vor allem, wenn er sich verkrochen hat oder in irgendeinem Gewässer versunken ist, und ein besseres Verfahren als die Kompostierung von einzelnen Leichen kennen sie nicht. Dennoch werden wir das Stäbchen sehr genau untersuchen und...“, er blickte Margrit mit einem Male ziemlich respektvoll an, „Schramm, das war wirklich sehr mutig, so etwas zu erwähnen, erstaunlich mutig auch, solch ein Ding einfach aufzuheben und einzupacken. Ich glaube, das hätten in solch einer Situation nur wenige getan.“ Sein herbes Gesicht leuchtete jetzt richtig freundlich. „Ich muss sagen, Ihre ganze furchtlose Art gefällt mir, können wir gebrauchen, denn Sie glauben ja gar nicht, welche hysterischen Profiler uns bisher schon begegnet sind. Aus jeder Kleinigkeit machen die schon etwas Gefährliches. So etwas kann völlig falsche Reaktionen bei uns auslösen und dann ... sind wir futsch !“ Er schaute nun sehr traurig drein, dann aber gab er sich wieder einen Ruck. „Es ist also ein Bekannter von Ihnen ... hm ... soso ! He, Sie haben Glück. Wir sind gerade mit einem Forschungsprojekt beschäftigt, welche das hochempfindliche Sendesystem dieser Stäbchen stören soll und somit können wir es ganz gut gebrauchen.“ Er schmunzelte. „Ihr Paul darf zu uns gehören, aber nur unter zwei Bedingungen. Die erste dabei ist : Er muss auch irgendwelche Gaben haben, die wir für unsere Organisation nutzen können. Die zweite : Er findet selbst heraus, wer wir sind, denn ganz blöde darf er einfach nicht sein, verstehen Sie ? Allerdings würden wir Sie einen Kopf kürzer machen, wenn Sie ihm dabei helfen sollten !”

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„Paul ... Paul, immer nur Paul !“ murrte George.
„Ich verstehe nicht, dass du nicht mitfreuen kannst, George. Du hast keinen Grund, Paul dermaßen zu hassen, denn er hat sich bei dir schon zigmal entschuldigt. Was soll er noch tun, George ? Etwa dir die Zehen einzeln abküssen ?“
„Vielleicht ?“ schon wieder grinste George so richtig gehässig. “Nein, die Wahrheit ist, dass du darüber deine Arbeit vernachlässigst...“
„Ach, ist ja gar nicht wahr !“ schimpfte Margrit zurück.
„Doch, doch, du kannst von Glück reden, dass unser lieber Günther das noch gar nicht bemerkt hat...“
„Ach, spinn doch nicht `rum. Was soll ich denn hier großartig vernachlässigt haben. Na los, sag mir, was!“ brüllte Margrit, nun erst recht wütend, und daher sehr laut.
George war genauso zornig und darum fiel ihm das Denken irgendwie schwer. „Na, zum Beispiel gestern“, sagte er nach einiger Überlegung. „Weißt du noch, was uns da überhaupt mitgeteilt worden ist ? Es war etwas sehr Wichtiges und es hat dich überhaupt nicht bewegt ! “
„Meinst du etwa die komischen Botschaften aus den hajeptischen Sendern ?“
„Siehst du, du findest solch eine Nachricht nur komisch, das ist es !“
„He, was soll denn daran schon so Aufregendes sein, George ?“
„Na, vielleicht könnte so etwas wichtig werden, wichtig für die gesamte Menschheit ?“
„Mein Gott, du immer mit deiner Menschheit !“ Sie seufzte genervt. „Da werden vor etwa vierzehn Tagen über Zarakuma eigentlich wie sonst immer, wenn die Hajeps es eilig haben, etwa zwölf Gepäckstücke an kleinen Bagnuis, einer Art Fallschirm, baumelnd, von einem Trestin aus abgeworfen, welches von fünfzehn Lais begleitet wird. Das Trestine wird nur einen Sekundenbruchteil nach diesem Abwurf praktisch aus dem Nichts heraus einfach beschossen. Noch während das Trestine schwer getroffen das Weite sucht und schließlich außerhalb Zarakumas zur Erde niederstürzt, feuern die fünfzehn Lais Staubnebel auf das Nichts, das inzwischen auch die langsam hinunter schwebenden Gepäckstücke unter Beschuss genommen hat. Ein unbekanntes Flugzeug kommt inmitten der Staubwolke zum Vorschein, das von den Türmen des Palastes aus sofort ebenfalls abgeschossen wird. He, und das ist nun schon für euch alle eine Sensation ?“
„Es befand sich ja in Wahrheit ein ganz besonders Gepäck unter all diesen Kisten, Margrit. Die kleinste Kiste enthielt...“
„Ich weiß, ich weiß“, Margrit wedelte genervt mit der Hand, „ihr meintet gestern noch, darin hätte sich Agol verborgen, der große König, das Gottwesen, der Herrscher, das Gehirn Pasuas.“ Sie kicherte in sich hinein.
„Und weiter?“ fragte er stirnrunzelnd.
„Und weiter geht`s so : Ihr meintet auch noch, das Luxusschiff in den ehemaligen Vereinigten Staaten wäre nur eine Attrappe gewesen. Es schwebe mit seiner gesamten Flotte noch völlig unbeschädigt irgendwo im All. Aber Agol, der Held, der Tolle, wäre natürlich schon lange umgestiegen. Er habe den Moment der Explosion seines scheinbaren Luxusschiffes für sich ausgenutzt, um seine Feinde – und die hat er anscheinend reichlich – von sich abzulenken und punktgenau zur gleichen Zeit mitten in Scolo, der Hauptzentrale des hajeptischen Systems, zu landen. Was natürlich wegen eben dieses weiteren Attentats eine totale Unruhe in und um Zarakuma ausgelöst hätte ! Außerdem hätte es wohl niemand von den außerirdischen Kerlen erwartet, dass er es schaffen würde, lebend und sogar völlig unverletzt die Erde zu betreten ! Das ist nun schon etwa vierzehn Tage her. Eberhardt war zu diesem Zeitpunkt dicht bei Zarakuma unterwegs gewesen und hat sogar Fotos davon machen können, die er uns gestern erst gezeigt hat. Er und die Nachrichten der Hajeps haben das also gestern noch einmal bestätigt!“
„Donnerwetter, du weißt ja alles!“ Georges Stimme klang nun doch ein wenig kleinlaut. „Und das findest du nun nicht weltbewegend ?“ hakte er sich zum Trost einfach daran fest.
„Stimmt, denn das muss doch ein recht armseliges Oberhaupt sein, wenn es nur eng zusammengerollt in einer winzigen Kiste sein Volk besuchen kann. He, das muss ja noch nicht einmal Paul !“ rief sie lachend aus. “Weißt du eigentlich, dass Paul schon so gut laufen kann, das er es ganz alleine bis zum Arzt schafft ? Und neulich, da hat Paul...“ Margrit brach ab, denn George hielt sich bereits die Ohren zu.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.07.2005, 10:55   #63
Doska
 
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Standard Kapitel 62

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Wochen vergingen und schließlich war Paul sogar so gesund, dass er Randersacker verlassen und kleinere Aufgaben für die Menschen, die ihn gepflegt hatten, erledigen konnte. Da er nicht nur ein guter Mechaniker sondern auch ein sehr guter Fahrer war, der sogar LKW lenken konnte, brauchte man ihn auch für kleinere Fahrten in die Umgebung, zum Beispiel, wenn Erkan oder Wladislaw gerade mal keine Zeit hatten.
Eines Tages kam er sehr verwirrt zurück und besonders Margrit gegenüber tat er geheimnisvoll, griente halb freudig halb unsicher vor sich hin und war so nachdenklich, dass er sich beim spärlichen gemeinschaftlichen Abendbrot in der Kneipe ausnahmsweise nicht das größte Stück nahm.
"Ich muss dir etwas sagen“, wisperte er schließlich, nachdem Martin, José, Faik, Zhan Shao, Rita und Jutta nacheinander den Tisch verlassen hatten und er sich nur noch allein mit Margrit in der Küche der alten Dorfkneipe befand. „Oder nein!“ stammelte er. “Besser, ich sage zuerst nichts und gebe es dir einfach!“ Er stand auf, lief ein wenig schwankend um den Tisch, blieb vor Margrit stehen und holte dann mit feierlicher Miene etwas aus der Innentasche seiner Jacke hervor.
„Hier ist es !“ Er grinste über beide Backen, als er Margrit ein etwa handgroßes, rechteckiges, weißes Stückchen Papier in die Hand drückte. “Behalte es von nun an immer bei dir !“
Sie lächelte ebenfalls, jedoch ziemlich verwundert. „Was ... was soll denn das, Paul ?“ stotterte sie.
„Guck dir`s doch an !“ Er wanderte wieder um den Tisch, zurück zu seinem Stuhl, auf den er sich zufrieden plumpsen ließ. „Warum schaust du denn gar nicht auf das Foto?" Er faltete abwartend die Hände über seinen Bauch.
„Ein Foto - ach so !“ Sie wollte es umdrehen. Er hatte es ihr wohl absichtlich verkehrt in die Hand gelegt. Da stutzte sie, denn dort stand etwas in einer ausgesprochen krakeligen Kinderhandschrift geschrieben. Eine Nachricht, wohl nur zwei Worte und die auch noch quer und unterschiedlich groß über`s ganze Papier, also kaum lesbar ! Und dann war da noch eine Zeichnung oder so etwas Ähnliches. Margrit versuchte zu enträtseln, um was es bei dieser komischen, mit einem grünen, wohl abgebrochenen Buntstift gemalten Zusammenballung von Karos ging. Daher drehte und wendete sie das Stückchen Papier für ein Weilchen kopfschüttelnd nach allen Richtungen und plötzlich erkannte sie, dass es eine Decke war, mit einer anscheinend fetten Katze darauf, dann verschwamm alles vor ihren Augen, nämlich in einem Tränenschleier.
“Julchen !“ krächzte sie und mühte sich den Nebel wegzuklimpern. ”Ich erkenne jetzt auch diese Krakel !“Sie räusperte sich, denn Ihre Stimme war nicht mehr ganz funktionstüchtig. „Sie ... sie hat erst kürzlich einige Worte schreiben gelernt ! Ich ... wo ... woher hast du bloß dieses Foto ?“
Er schwieg.
„Muttchen, die Kinder müssen es damals also auf der Flucht verloren haben“, folgerte sie.
„Nein, Julchen hat es mir heute persönlich gegeben !“ erklärte Paul knapp und um seine Mundwinkel zuckte es schon wieder.
„Wie ?“ keuchte sie eine Spur zu heftig. „Äh ...Paul ...hm... also...“, ein paar Falten gruben sich in ihre Stirn und dann holte sie tief Atem. „K ... kannst du bitte noch einmal wiederholen, was du eben gesagt hast?“
„Warum ?“fragte er scheinbar ahnungslos.
Sie mühte sich, mit so ruhiger Stimme weiterzusprechen wie er. „Weil ...es könnte ja sein, dass du etwas ganz anderes gesagt hast, als ich eben zu hören gemeint habe ?“ Sie schob sich ihre Brille auf der Nase zurecht.
„Nichts leichter als das !“ Paul konnte jetzt nur noch mit allergrößter Mühe sein frohes Lachen unterdrücken. „Julchen hat mir bestellt, dass sie allesamt, also einschließlich Mutsch, Tobi und Munk da wären und hat mir zum Beweis dieses alte Foto gegeben, auf dem du und ich mit deinen Kindern abgebildet sind, als sie noch kleiner waren. Mit den besten Wünschen, hat Julchen gesagt, und ein dickes Küsschen für Mama !“ Nun konnte er nicht mehr an sich halten, sein typisches Reifenluftgelächter zischte lautstark aus ihm heraus und dabei kamen überraschenderweise auch Tränen, liefen verstohlen dem starken Mann über die hohen Wangenknochen. Seine breiten Pranken hatten viel zu tun, um ständig die schimmernden Bahnen aus dem noch immer etwas blassem Gesicht zu fegen.
Margrit starrte Paul für ein Weilchen nur stumm an, immer noch ungläubig, denn sie konnte nicht fassen, was eben gesagt worden war. Sie hatte Angst, aus diesem Traum plötzlich zu erwachen, denn ganz sicher war es wieder nur so ein Traum ... oder ? Sie blinzelte vorsichtig, denn es irritierte Margrit sehr, dass ausgerechnet Paul lachen und weinen zugleich konnte. Wenn das die Wahrheit war, die sie gerade vor Augen hatte, dann schien er wohl den Schock über den brutalen Mord an seiner Freundin verwunden zu haben! Nein, sie hatte wirklich eine derartige Freude noch nie bei ihm erlebt. Wenn ansonsten immer burschikose Männer plötzlich herzzerreißend ihre Tränen fließen lassen, können Zuschauer meist nicht anders, sie weinen mit einem Male mit ! Und so schluchzte Margrit, freilich auch ohne es zu wollen, ungebührlich laut auf, ganz wie ein Kind und dann sprang sie von ihrem Stuhl, lief zu Paul hinüber und fiel in dessen ausgebreitete Arme. Aber, es war zu blödsinnig, statt sich dadurch zu beruhigen, weinten beide nun erst recht um die Wette. Ihre Körper bebten sogar, so sehr waren sie erschüttert und ihr herzzerreißendes Geheule tönte auch noch aus dem Haus heraus. Aber das störte die beiden nicht.
Erst als der Tränenfluss einigermaßen abebbte, konnte Margrit stammeln : „Aber wie ... wie war das möglich ? Verstehst du das, Paul ? ”
Er schüttelte sein zerstruwweltes Haar.
“Sie fuhren doch mit dem Bus...“, Margrit verstaute das nasse Taschentuch tief in ihrer Hose, “...in rasender Schnelligkeit zum Stadtrand. Und dann habe ich die Trestine der Hajeps genau aus dieser Richtung gehört, die fast gleichzeitig dort gelandet waren. Jeder hat mir später erzählt, dass niemand das darauffolgende Massaker überlebt haben konnte ! Wie ... wie haben das dann ausgerechnet meine drei fertiggebracht ? ”
„Es waren vier, Margrit !“unterbrach Paul sie und hielt ihr mit seinen klobigen Fingern, die entsprechende Zahl entgegen. “Vergiss nicht das wichtigste Familienmitglied !“
„Munk ?“ Margrit kicherte wieder und schon lachte er mit. „Nun, Tiere lassen Hajeps immer am Leben, Paul !“
„Ach so ! Stimmt ja ! ” Er machte ein verlegenes Gesicht. ”Bin ich sehr dumm ?“
„Ach Quatsch ! Aber, dass Menschen“, keuchte sie aufgeregt, „bei einer Massenhinrichtung durch Hajeps mit dem Leben davonkommen ! Das ist wirklich äußerst ungewöhnlich !“
„Margrit, vielleicht waren sie gar nicht anwesend, als diese Exekutionen stattfanden ?“ gab er zu bedenken. “Sie haben sich vielleicht zuvor versteckt... „
„Wo denn? Etwa im Bus ? Die wurden doch angehalten und später angezündet, mein Lieber !“
„Oder sie haben sich tot gestellt“, er schluckte, „so wie damals ich ? “
„Könnte sein“, murmelte sie angespannt, „aber gleich alle drei ?“
Paul zuckte nur stumm mit den Schultern.
„Hm, hat dir Julchen etwas davon erzählt ? Hast du sie gefragt ? ”
„Nein !“schreckte er hoch, tief aus seinen Gedanken. „Komisch, mir ist gar nicht eingefallen, mich danach zu erkundigen! Habe mich nur still vor mich hin gefreut und zwar ganz unbändig! Tja, dein Paul ist vielleicht ein dummer Hund. Schlimm nicht ?“
„Aber nein!“ schniefte sie schon wieder, und küsste ihn mitten auf die rote Nase. „Du bist nicht dumm ... sondern der süßeste und gescheiteste Mann dieser Erde, denn es ist ja wirklich das Wichtigste, dass sie leben! ” Ihre Tränen tropften schon wieder auf seine Jacke und daher nahm sie Abstand. “Hui“, keuchte sie und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. “Das war eine wirklich gewaltige Überraschung, die du mir heute bereitet hast !“
„Nicht wahr ?“ schnurrte er zufrieden und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Sie sprang auf und ordnete ihre Kleidung, dann betrachtete sie kopfschüttelnd ihr verheultes Gesicht in einem kleinen Taschenspiegel. Paul hatte sich ebenfalls erhoben, schaute auch einmal hinein und lachte schallend, als er sich sah.
Während Margrit sich das Haar bürstete, murmelte sie. “Weißt du, wir werden diese freudige Nachricht am besten gleich allen mitteilen.”
„Meinst du denn, die freuen sich tatsächlich darüber ?“ bemerkte er skeptisch. ”Schau!“ Er machte eine weitschweifende Handbewegung durch den Raum des kleinen Häuschens. „Niemand von diesen Leuten ist zu uns neugierig hereingetreten, obwohl wir doch laut genug gewesen sind.“
„Das stimmt!” Sie nickte mit einem Klos im Halse. „Aber ich werde schon dafür sorgen ! Bin zwar heute gemeinsam mit Li Ping mit dem Küchendienst dran. Doch das Geschirr kann mal warten !”
„Oh nein !“ Er packte sie plötzlich. “Was meinst du wohl, warum ich solange gewartet habe, bis alle vom Tisch aufgestanden sind ? „
„Nein, keine Ahnung !“ ächzte sie erstaunt. “Aber lass endlich meine Hand mit dem Spiegel los!“
„Ach so ... ja ! Tschuldige ! Bin heute etwas durcheinander !“ Paul war sehr ernst geworden.
Margrit verstaute den Spiegel wieder in ihrer Jacke, während sie Paul stirnrunzelnd betrachtete. “Also, schieß
los !“ knurrte sie. „Was gibt`s denn Bedenkliches ?“
“Na ja, am besten ist es wohl, wenn du dir noch einmal Julchens schriftliche Bemühungen vor Augen führst. Was stand dort geschrieben ? Weißt du es noch ? Oder musst du das Foto wieder hervorkramen ?“
„Das brauche ich nicht ! Dort stand : Wir spinnen !“ Wobei das Wort Spinnen vielleicht auch am Anfang ein großer Buchstabe hatte sein sollen. Bei Julchen weiß man es nie so genau !“
„Ich glaube, dass es ein großer Anfangsbuchstabe war, Margrit. Ich möchte sagen, ich bin mir sogar dessen sicher !“ Er räusperte sich und zog sich die viel zu lockere Hose etwas höher. "Es war nämlich alles ganz merkwürdig ! Wie du weißt, fuhr ich heute Heinz, Ümit, Zhan Shao und Renate mit einem großen Jambo zur Nahrungsbeschaffung, diesmal zum alten Wenzler Hof. Man brauchte mich plötzlich nicht und da die Rickenwalder Schenke in der Nähe lag, und ich wie du weißt gern mal ein Bierchen trinke, spazierte ich einfach dorthin. Natürlich wusste ich, dass die Rickenwalder Schenke keine richtige Rickenwalder Schenke mehr sein konnte, dazu ist ja alles viel zu kaputt, aber ich hoffte, dass ich so unter der Hand ... na ja du weißt ja, was man dann in solch einem Falle immer so macht. Ich bekam auch tatsächlich mein Bier, war sündhaft teuer übrigens, und noch etwas ... nämlich einen Eindruck!"
„Einen Eindruck ?“ echote Margrit erstaunt.
„Jawohl, einen Eindruck !“ bestätigte er energisch. “Nämlich, wie eine Untergrundorganisation funktioniert."
„ Eine Un...Untergrundorganisation !“ stotterte Margrit und bekam heiße Ohren. “Öh ... aber wie kommst du denn darauf ?“
„Meine liebe Margrit, mich halten hier zwar alle für ein bisschen dämlich, vielleicht bin ich es auch, aber... "
„Nicht alle, Paul !“ fiel sie ihm ins Wort. “Es ist nur George, der ...äh... der dich nicht sonderlich schätzt."
„...mich hasst ! Wolltest du wohl eher sagen."
„Aber Martin mag dich inzwischen !“ warf sie hastig ein. “Er ist sogar sehr mit deinen Arbeiten zufrieden!"
„Ja, das weiß ich!“ knurrte er. “Das hat er auch schon mehrmals zum Ausdruck gebracht. Dennoch, Margrit, sage ich dir...“, er zwirbelte an dem einen Ende seines etwas zu langgewordenen Oberlippenbartes nervös herum, “... ist hier etwas faul ... oberfaul sogar ! Dein Paul hat nämlich, ob du es glauben willst oder nicht, manchmal geradezu detektivische Veranlagungen, die in wichtigen Augenblicken zielsicher zutage treten!"
„Und was hast du entdeckt ?“ fragte sie und versuchte möglichst arglos dreinzuschauen.
„In der Nähe des Wenzelhofes einen unterirdischen Tunnel ! Ach, was sage ich, nicht nur einen, mehrere davon ... und weißt du, wer mich versehentlich zu diesen Tunneln gebracht hat ?“
„Julchen ?“ ächzte sie.
„Genau !“ Er strahlte. “Julchen half nämlich in dieser Rickenwalder Schenke, die ja recht entlegen von diesem Dorf hier ist, ein wenig aus. Kaum, dass sie mich von weitem sah, wollte sie natürlich zu mir hin und mit mir sprechen, doch der Wirt, der gleichzeitig wohl auch ein Schwarzhändler ist, denn ohne schwarz kann ja heutzutage eine Kneipe nicht mehr existieren, hielt ihr plötzlich den Mund zu und schleppte sie in die Küche.“
„Du meine Güte !“ quietschte Margrit wirklich entsetzt. “Das arme Kind !“
„Ach !“ Paul machte eine abwertende Handbewegung. “Das war gar nicht so schlimm!“ Und er sah, dass sich Margrits Brustkorb mit einem leisen Seufzer wieder senkte, denn sie atmete erleichtert aus.
„Man wollte ihr nichts tun“, fuhr er beschwichtigend fort, “hatte lediglich Angst, dass sie plaudert ! Julchen war aber pfiffig, manchmal glaube ich, dass sie tatsächlich Indianer werden wird...“, bemerkte Paul fast ehrfürchtig.
"...oder Psychologin!“ fügte Margrit stolz hinzu.
Er nickte ergriffen. „Sie ließ nämlich vorher dieses Foto in einen leeren Papierkorb fallen, der neben der Theke stand. Selbstverständlich tat ich so, als hätte ich von Julchens Verschleppung nichts bemerkt und nachdem man mich ausgiebig beobachtet hatte, beruhigte man sich allmählich. Wenig später ließ ich mein Taschentuch gleichsam in den besagten Papierkorb segeln, schaute nach einem Weilchen erstaunt drein, suchte in meinen Taschen, blickte in den Papierkorb, grinste, bückte mich und hob klammheimlich das Foto mitsamt Taschentuch auf.“
„Also ... du warst wirklich großartig, Paul“, murmelte Margrit wirklich gerührt, “wenn ich das mal so sagen darf!“
„Du darfst, du darfst !“ erwiderte er möglichst lässig. “Aber es kommt noch besser, meine liebe Margrit, viel besser sogar ! Wenig später, als ich zum Gehöft zurückwollte, schlich ich kurz um die Rickenwalder Schenke herum und wen sah ich da?“
„Etwa Julchen ?“ stieß Margrit mit angehaltenem Atem hervor.
Paul sah Margrit nun so gebieterisch an wie ein stadtbekannter Detektiv und nickte auch mit entsprechender Würde. „Genau !“ brummte er. „Ich sah plötzlich Julchen um die Ecke des alten Kuhstalls huschen. Sie winkte mir zu. Natürlich folgte ich ihr nicht gleich, schaute mich um, so nach allen Seiten, weißt du, und dann schlich ich ihr hinterher. Zuerst umarmte sie mich, fragte nach dir und ich gab ihr Auskunft und dann, stell dir vor, zog sie mich am Arm zu sich hinunter und gab mir einen Kuss ! Mir ... dem Paul ! Und dann bestellte sie mir all das, was ich dir vorhin gesagt habe !“
„Ja, ja, Julchen kann auch manchmal nett sein !“ gab Margrit zufrieden zu.
Er nickte ebenso zufrieden. “Und stell dir vor, das Kind konnte sich sogar kurz fassen und das war gut, denn plötzlich vernahm ich eine harte Frauenstimme, die sie rief.
„Du liebes bisschen, was wollte denn die ?“ Margrit misstraute nämlich dieser komischen Organisation, denn sie hatte noch nie von der gehört.
„Na ja, Gott sei Dank hat sie uns beide nicht mehr zusammen gesehen. Ich schob mich also an der Holzwand des Schuppens entlang und beobachtete die Frau, die mit Julchen zur rückwärtigen Häuserfront der Kneipe ging. Sie liefen durch die Hintertüre, weißt du, die sie glücklicherweise nicht abgeschlossen hatten, denn ich folgte ihnen wenig später bis in den Keller, wo lauter Bier- und Weinfässer gelagert waren."
„Lauter Bier- und Weinfässer ?“ wiederholte Margrit mit großen Augen. „Und die waren alle voll ? “
„Keine Ahnung ! Jedenfalls blieben sie vor einem dieser Fässer stehen und sagten - Moment, hier habe ich es aufgeschrieben...“, Paul kramte einen kleinen zerknitterten Zettel hervor, “...Spinnen kann man nicht entrinnen, da sie dichte Netze spinnen. Hübscher Spruch nicht ? Und siehe da...“, er verstaute den Zettel triumphierend, "... der Deckel dieses waagerecht gelagerten Fasses öffnete sich wie eine kleine Tür.“
„Wie eine Tür ?“ wiederholte Margrit nun so arglos wie nur irgend möglich und klimperte nervös mit ihren Augenlidern.
„Tja, ich weiß, dass man es kaum glauben kann, aber stell dir vor, dahinter war ein Gang !“
„Ach ?“ Sie mühte sich, nicht rot zu werden.
„Ja, ja !“ Er lachte stolz. “Es ist ganz klar, dass dich eine solche Nachricht verwundern muss, weil du immer so arglos an Leute herangehst, aber auch wir Menschen sind zu einigem Listenreichen fähig, Margrit. Auf der gegenüber liegenden Seite, hinter einem der recht großen Fässer verborgen, sah ich dann, dass die beiden eine Leiter hinabstiegen. Ich reckte mich noch ein bisschen empor und...“
„Du... du hast dich sogar gereckt ?“ unterbrach ihn Margrit.
„Hmm“, er warf sich in die Brust. “Musste ich doch, obwohl ich zugeben muss, dass das wirklich nicht ungefährlich war, denn der kleinste Laut, das feinste Geräusch... "
"...hätte dich verraten ?"
„Genau !“ Er räusperte sich. “Und just dadurch sah ich den besagten Tunnel, der in weitere unterirdische Gewölbe führte und von dort liefen ihnen Menschen entgegen.“ Paul sah nun richtig kriegerisch drein. „Und nun kommt der Knalleffekt, meine Liebe! Ich behaupte nämlich hiermit steif und fest, erlaube mir sozusagen die Frechheit zu sagen, dass auch unterhalb dieses Rottenburgs, zu welchem ich Erkan, Renate, Wladislaw und all die anderen die vielen Tage habe fahren müssen, genau die gleichen Gewölbe sind wie dort und als Versteck einer geheimen Organisation dienen. Und die Leute, meine liebe Margrit, die heute Abend wieder gemeinsam mit uns gespeist haben, gehören dazu, wie noch viele andere! Und vor allem ... auch dein lieber George ! Tja, das muss ich leider sagen ! “
„Aach ?“ krächzte sie und konnte dabei kaum ein Grinsen unterdrücken. “Und wie kommst du darauf ?“
Er seufzte laut und vernehmlich. “Ganz einfach, dieser George und all diese Männer hier benehmen sich schlichtweg danach! Du musst vorsichtiger sein, Margrit“, wisperte er ihr nun ins Ohr, „wesentlich vorsichtiger, denn hier ist einiges mysteriös ! "
„Myster... mysteriös ? Warum ? “ „
Er seufzte abermals. „Natürlich ! Wenn nicht sogar...“, er stockte und seine Miene wurde sorgenvoll, "... gefährlich!“ Er betrachtete Margrit nun so wie ein Vater sein hilfloses Kind.
„Ach, ich hab` ja dich ! “ keuchte sie, denn das Lachen saß ihr jetzt wirklich sehr im Halse. “Aber wie kommst du darauf, dass in Rottenburg etwas sein muss, das mit dieser Untergrundorganisation gleichzusetzen ist ?“
Sein Blick wurde wieder sehr lehrmeisterlich. “Na hör mal! Es gibt dort nur wenige erhaltene Häuser und die hinein laufen schier endlos viele Leute. Also, was meinst du wohl, wo diese Leute alle so bleiben?"
„K...keine Ahnung ?“ stotterte sie und dabei hilflos mit den Achseln zuckend. “Weißt du`s?“
„In unterirdischen Tunneln natürlich, mein Schäfchen, wo sonst ? He, ich sage dir, dass ich auch bald herausgefunden haben werde, wo die diversen Eingänge liegen, denn diese Leute wissen ja nicht, dass ich weiß, was sie wissen, was ich nicht wissen soll ! “
Da prusteten plötzlich beide los. Ja, sie lachten schier um die Wette.
Es braucht wohl nur am Rande erwähnt zu werden, dass Paul noch am selben Abend sehr zum Missfallen von George in die Gemeinschaft der Maden aufgenommen wurde.
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Alt 17.07.2005, 10:58   #64
Doska
 
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Standard Kapitel 63

#

Leider stellte sich heraus, dass die Maden schon seit einiger Zeit mit den Spinnen regelrecht verfeindet waren.
Man besprach wirklich nur das Wichtigste, was besprochen werden musste. Selbst die Parole war geändert worden. Schuld daran waren Streitigkeiten über bestimmte Gebiete gewesen, bei denen die jeweilige Gruppe das Recht besaß sich Nahrung zu verschaffen. Die Spinnen behaupteten, Maden wären in ihr Territorium eingedrungen und hätten Abgaben aus ihren Bauern gepresst, was Martin, Erkan, Süleyman, Zhan Shao, Renate, José und Wladislaw, welche für die Nahrungsbeschaffung zuständig waren, natürlich heftig abgestritten hatten. Wie dem auch war, Margrit hatte vor, trotz aller Proteste - besonders Martin und Wladislaw hatten Einwände dagegen erhoben - die Spinnen zu besuchen.
Während der Hinfahrt verhandelte Margrit schon mal mit George, der sie als Einziger begleitete, weil die Spinnen nur noch mit ihm sprechen wollten, um einen Platz bei den Maden für ihre Familie. Entrüstet musste sie schon wieder feststellen, dass die Maden ganz und gar nicht kinderfreundlich waren und für ältere Leute hatten sie erst recht nichts übrig. Hingegen waren Katzen ihnen sehr willkommen, wegen der Ratten, die sich nicht selten in den Tunneln einnisteten. George fand es daher gut, wenn Margrits Familie einfach bei den Spinnen blieb und Margrit diese nur ab und an besuchte.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen !“ fauchte sie darum wütend, während er den Jambo in eine Kurve lenkte. „Gerade du hast doch heute übers Telefon heraus bekommen, wie mies meine Familie von denen in all diesen Tagen behandelt worden ist. Sie haben sich nur zweimal in vier Wochen waschen dürfen und das nicht einmal mit Seife. Sie schlafen nur auf dünnen Decken auf dem kalten Boden. Meine Kinder müssen – da sie so klein sind - einen schmalen Tunnel bis zu einer von Farn und Gras überwachsenen Halle graben, die ein wenig außerhalb Zarakumas liegt und in der die Hajeps ihre Waffenbestände lagern und meine Mutter muss trotz ihrer Gliederschmerzen mit einer Karre all die Erde wegschaffen, die meine Kinder hervorholen und noch dazu spät abends bei schlechtem Licht Kleider flicken. He, sie bekommen dafür nur eine Scheibe Brot und einen Krug Wasser, als Tagesration !“
„Ja und ? Reicht doch!“ murrte George. „Sollen froh sein, dass sie noch am Leben sind !“
„Also gut !“ krächzte sie und schnürte sich dabei das Kopftuch enger, da ihr in diesem offenen Jambo bei dem Wind ständig die Haare ins Gesicht geweht wurden. “Wenn ihr meine Familie nicht haben wollt, dann gehe eben
ich ! Ich wechsle zu den Spinnen über, hörst du, George ?“
Georges Lippen wurden zu einem schmalen, harten Strich. Er blinzelte in das grelle Sonnenlicht, während er den Wagen über die unzähligen Schlaglöcher der halb zerstörten Straße hüpfen ließ.
„Kannst du nicht antworten ?“ knurrte sie nach einer Weile des Schweigens.
„Warum sollte ich das nicht können ?“ gab er leise und ruhig zurück. „Aber mir liegen nun mal nicht Wiederholungen. Habe ich dir nicht bereits zigmal erklärt, dass Kinder kaum Untergrundkämpfer sein können ? Wir sind keine Herberge, die Menschen einen sicheren Unterschlupf bieten können, sondern ein Geheimbund, dem du angehörst, Margrit, verwechsele das nicht ! Notfalls musst du zur Waffe greifen. Vor allen Dingen darfst du unter keinen Umständen etwas verraten. Und das ist nun mal bei Kindern nicht sicher. Auch wenn du mir weismachen willst, dass Julchen wie ein Indianer schweigen kann !“ Er lächelte nun doch.
„Aber die Spinnen...", stotterte Margrit, "... die sind doch auch ein solcher Geheimbund, gehören sogar eurer großen Bewegung Menschen gegen Hajeps an und haben dennoch meine Mutter und die Kinder bei sich aufgenommen. Ja, sogar den Kater !”
Er lachte kurz und hart, während er den Jeep einfach über eine Wiese steuerte. „Die Spinnen spinnen eben
wirklich !“ knurrte er. “Mike, Headman dieser Gruppe hat echt - entschuldige Margrit - eine Macke, denn damit gefährdet er uns alle ! Früher war der nicht so ! Ich weiß auch nicht woran das liegt, dass er derart leichtsinnig geworden ist. Ich glaube kaum, dass diese Sache unserem Günther Arendt zu Ohren gekommen ist ! Und das scheinen mir noch nicht einmal die einzigen Kinder zu sein, die er bei sich beherbergt.“
„Ja, für Kinderarbeit ! Und...“, sie schluckte, „...was macht der hinterher mit denen, George, wenn diese Arbeiten erledigt sind ?“
George warf einen schnellen Seitenblick auf Margrit und schüttelte den Kopf „ Nein, Margrit, ein solcher Unmensch ist er nun auch wieder nicht ! “
„Und was ist, wenn die Hajeps meine Kinder bei den Grabungen erwischen ?“
Da wurde er doch etwas nachdenklicher. „Ach, das werden sie schon nicht !“
„Ja, das sagst du so einfach !“ ächzte sie.

#

Margrit wurde wenig später gemeinsam mit George von einem bärtigen und etwas nach Schweiß stinkenden Guerilla zu ihrer Familie geführt.
„Du Tobi, du Tobi, du –hu ?“ rief Julchen ihrem Bruder zu und gab ihm einen Knuffi mit dem Ellenbogen, denn sie hatte Margrit und George als erste mitten in der Türe der kleinen Kammer stehen sehen. „Du ... da sind die ... und der George is´ auch da ! Na und sie ... unsere Mams !“
„Ganz ohne Sch... ?“ Tobias verlor den Knopf, den er gerade hatte annähen wollen, denn immer wenn die Hajeps gerade in der Lagerhalle beschäftigt waren, durften sie nicht graben und mussten stattdessen in den unterirdischen Behausungen ihrer Oma beim Ausbessern von Kleidung helfen. “Mamms ?“ kreischte er. Dann nuckelte er mit bedenklicher Miene an der Unterlippe, während er George musterte. „Du bist lieb, stümms ?“
George schaute verdutzt drein.
„Auch so ein lieber Hajep wie der Diguindi, gaaanz bestümmt, stümms ?“
„Diguindi ?“ wiederholte George, immer noch nicht klüger geworden.
Und dann sprangen sie alle drei nacheinander auf und fielen Margrit und auch so ein bisschen George in die Arme. Margrit war entsetzt, wie unterernährt, schmutzig und krank sie aussahen und sofort versprach sie ihnen : „Ich hole euch hier `raus, alles klar ?“
George schluckte, als die Kinder und Muttsch zu erzählen begannen, was inzwischen so alles geschehen war und wie sehr sie in dieser Zeit gelitten hätten. Julchen und Muttsch ließen dabei auch nicht aus, dass sie geschlagen wurden, zum Beispiel, wenn die Kinder mit den Grabungen oder Muttsch mit den Näharbeiten nicht schnell genug vorankamen und Tobias musste schließlich seinen Rücken zeigen, obwohl ihm das sehr peinlich war, der grün und blau schimmerte und von blutigen, noch immer geschwollenen Striemen übersäht war. Aus dem Augenwinkel bemerkte Margrit, wie Georges Gesichtszüge dabei zu entgleisen drohten, aber er riss sich sehr schnell wieder zusammen. Obwohl Margrit tief erschüttert war, konnte sie doch nicht umhin, ihre Familie danach zu fragen, wie sie dazu gekommen war, für die Spinnen arbeiten zu müssen.
“Na, zunächst wollten wir nach Reichenberg!“ berichtete Muttchen.
„Ach und weshalb ?“ fragte Margrit. „Andere Dörfer liegen doch viel näher ?“
„Na, weil das ein Dorf ist, dass für die Hajeps arbeitet und daher höchst wahrscheinlich nie von ihnen angegriffen wird!“ erklärte Muttchen weiter.
„Oh Gott !“ entfuhr es Margrit entsetzt und auch George konnte nicht verhindern, nun doch ein bisschen verblüfft dreinzuschauen. “Wir dachten, die wären immer neutral ?“ krächzte Margrit. “Woher wusstet ihr denn so genau, dass...?“
„Von Diguindi...!“
„Diguindi ?“ riefen George und Margrit fast zur gleichen Zeit
„Richtig ! Also, die Spinnen waren gerade mit einem Jambo zu ihnen unterwegs und ...“
„Also wussten die Spinnen zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, dass die Bewohner von Reichenberg für die Hajeps arbeiten ?“ fiel Margrit ihrer Mutter einfach ins Wort.
„Wieder richtig !“ Muttchen nickte. „Mike hielt also an. Wir waren darüber ganz verwundert, denn er musterte uns drei plötzlich so komisch und über den Kater, der uns die ganze Zeit folgte, lachte er schallend ! Er fragte uns, wohin wir denn wollten. Na ja, und wir gaben ihm darüber Auskunft und erklärten, wie erschöpft wir inzwischen wären. Und dann lud er uns einfach ein, in seinem Jambo Platz zu nehmen. Er würde uns dorthin bringen, da er den gleichen Weg habe. Natürlich freuten wir uns und dann fragte er, genau wie ihr, weshalb wir denn ausgerechnet bis nach Reichenberg wollten ? Und so erzählten wir ihm alles nacheinander. Was soll ich sagen, plötzlich machte der kehrt. Er war wütend und verstört und erst wollte er uns rausschmeißen, aber da grinste er mit einem Male wieder so komisch und fuhr uns dann zu unserer Überraschung einfach zu den Spinnen. Da würde es uns gut gehen, hatte er noch bemerkt. Tja und den Rest kennt ihr ja !“ Muttchen machte dabei ein trauriges Gesicht.
„Wir werden euch da `rausholen !“ versicherte Margrit abermals und drückte dabei zärtlich und fest Muttschs abgearbeitete Hände.
„Ganz ohne Sch ...äh... also in echt jetzt ?“ fragte Tobias unsicher und nuckelte schon wieder an seiner Unterlippe.
„Ganz, ganz, wirklich Tobias !“
„Wie kannst du nur etwas versprechen!“ wisperte George wenig später Margrit schnell ins Ohr, kaum dass Tobias vom Boden aufgestanden war, auf welchem sie gerade gesessen hatten, um sich eine Decke zu holen.. „...was du nicht einzuhalten vermagst ?“
„Ich werde das einhalten, George !“ zischelte sie ihrerseits einfach zurück.
„Ttzississ, wie denn ?“ Er schüttelte verärgert den Kopf.
„Was besprecht ihr gerade ?“ erkundigte sich Muttchen arglos, da sie nicht besonders gute Ohren hatte.
„Ach, wir fragen uns nur, wie ihr es damals geschafft habt, den Hajeps zu entkommen ?“ log Margrit einfach und auch George machte deshalb eine erleichterte Miene.
„Wir sind ihnen nicht entkommen.“ Muttsch hatte plötzlich Tränen in den Augen. „Sie nahmen uns gefangen! Oh, das ganze war furchtbar! Es war schrecklich und ich kann mich darüber nicht näher äußern, weil Julchen dann wieder diese schrecklichen Albträume bekommt ...auch Tobias kann dann nicht...“
„Aber ihr lebt doch ?“ warf Margrit einfach ein. „He, wie konnte das passieren, dass ihr...?“
„Das war Diguindi!“ krächzte Tobias begeistert, der nun mit seiner Decke zurück gekommen war. Oh, was war diese Decke dreckig ! Sie stank nach Schweiß und Urin. Dennoch drückte Tobias den durchlöcherten Lappen beinahe zärtlich an sein spitzes, graues Gesichtchen und seine Augen strahlten, einfach nur, weil wieder mal von Diguindi gesprochen wurde.“ Er ist ein guter Hajep, ganz ohne Scheiß ...öh... Tschuldigung... ganz in echt, meine ich !“
„Ja, da hat er recht, der Tobi !“ Julchen klatschte begeistert in beide Händchen. “Und wenn ich groß bin und Indianer geworden bin, heirate ich vielleicht den ...den Dikindi ! Aber da ...da muss er mir erst mal zeigen, wie er aussieht ! Und wenn er hässlich is ... der Dinkindi...“, Julchen verzog nun doch so ein bisschen das Gesicht, “...dann heirate ich den Dikindi eben nich !“ sagte sie fest entschlossen.
„Aber er wird mein Freund !“ erklärte nun auch Tobias. „Auch wenn der vielleicht keine Nase hat ...oder...“, Tobias schluckte bei diesem Gedanken, „...vielleicht ...na ja... so einen Spünnenkopf mit vielen ...upps... Beulen, wird der doch noch mein Freund !“
„Meiner auch, so !“ Julchen reckte sich tapfer in die Höhe und Tobias wickelte sich endlich in die ekelhafte Decke ein, denn ihm fror.
„Aber, was ist nun so damals passiert ?“ hakte Margrit trotzdem nach, denn sie war sehr neugierig geworden. Dabei wendete sie sich ganz besonders an Muttsch, denn die konnte, wenn auch sehr ausführlich, am allerbesten erzählen.
„Doch das Grauliche lass` ich dabei aus, ja ?“ behielt sich Muttchen vor und dann begann sie endlich. Alles nickte und so erfuhren Margrit und George zum ersten Male, dass es auch andere Hajeps gab. „Diguindi sagte uns dann, wohin wir uns wenden sollten“, endete Muttsch. „Er kann sehr gut Deutsch sprechen, wisst ihr? Und ich muss sagen, dass ein Wahnsinnsmut dazu gehört, trotz höchster Gefahr einfach sein Herz sprechen zu lassen. He, George ? Willst du nicht weiter zuhören ? He, wohin gehst du ?“
„Öh, ich will nur etwas mit Mike besprechen ! “ Trotzdem blieb er mitten in der Tür mit gesenktem Kopf stehen „Tja“, bemerkte er plötzlich und war sehr nachdenklich geworden. „Wisst ihr, dieser Diguindi hat mir wohl damals auch das Leben gerettet, alleine hätte ich das wohl nie...“
„Und ?“ fiel ihm Muttchen ins Wort. „He, sicher bist du ihm dankbar dafür, oder ?“ krächzte Muttchen begeistert.
„Ja, so is er, der ... der Dikindi !“ jubelte auch Julchen.
„Siehst du, Mamms hat Recht. Es gibt auch gute Hajeps, ganz ohne Sch...!“
„Habe ich nie abgestritten!“ verteidigte sich George. “Aber die meisten sind brutal und...“
„Geo-orge ?“ gemahnte ihn Muttchen und blickte dabei besorgt auf die Kinder. “Fast jeden Tag erleben wir hier die reinste Hölle und das alles nur durch Menschen !“ Sie schluckte. „Es mag sich zwar seltsam für dich anhören, aber bei all diesem Elend hielt uns nur eines aufrecht, nämlich der Glaube daran, dass es wenigstens etwas Gutes auf dieser weiten Erde gibt...“, sie kämpfte nun mit den Tränen und auch die Augen der Kinder schimmerten dabei feucht. “Nämlich Diguindi“, schniefte sie, „ausgerechnet ein Hajep !“
Da wandte sich George um und lief fort.
Für etwa eine halbe Stunde unterhielten sie sich noch, denn mehr Besuchszeit war Margrit nicht eingeräumt worden, dann kam wieder ein tränenreicher Abschied.
„Was willst du mit dieser Decke !“ knurrte George wenig später Margrit an.
„Was sollte ich denn damit wollen, George ?“ Sie legte den stinkigen, zusammengerollten Lappen hinter sich auf die Sitze des Jambos. “Denke mal ein bisschen darüber nach !“
„Ah, ich seh` schon“, murrte er. „Du hast deine schöne, gute Jacke einfach gegen diese dämliche Decke eingetauscht !“
„Die habe ich nicht eingetauscht, George, sondern nur zum Pfand dagelassen !“
„Als Pfand?“ Er lachte jetzt ziemlich hysterisch wie Margrit fand. „Gegen diesen alten Lappen ? Also ich finde, Mike wird immer unmöglicher !“ Er schüttelte verärgert den Kopf. „Lass mich das Ding mal anschauen, denn noch sind wir nicht losgefahren!“ Er griff mit einer recht fahrigen Bewegung nach hinten.
„N...nnicht George, wickele die Decke nicht auf...“
„Warum nicht ?“ knurrte er, zornesrot im Gesicht.
„Tobias hat doch darin ein Geschenk für mich eingewickelt und das ist winzig klein. Wenn das dabei zu Boden fällt, finde ich es bestimmt in diesem riesengroßen Jambo nicht mehr wieder, verstehst du ? Und dann würde er darüber gewiss noch trauriger werden als er ohnehin schon ist !“
„Okay, okay !“ knurrte er und fuhr dabei so heftig an, dass Margrit nach hinten in ihren Sitz fiel. „Du allein musst letztendlich wissen was du da machst !“
Sie fuhren wieder über eine sehr schlechte Straße und daher wurde Margrit gründlich durchgerüttelt, während sie sich das Kopftuch umlegte. “Willst du wissen, was er mir geschenkt hat ?“ Sie machte eine verekeltes Gesicht.
„Nein !“
„Ach komm, in Wahrheit bist du neugierig. Also, er hat mir den Flutschi mitgegeben !“ Sie kicherte verwirrt. „Na ja, zuerst wusste ich nicht was das ist! Ich habe ihn gefragt, doch er tat sehr geheimnisvoll und hat es mir nicht verraten und ich durfte auch nicht dabei zuschauen, während er es in diese Decke einwickelte. Er sagte nur: Bei dir ist er am sichersten, Mamms und ich will, dass er auch mal umher fliegen darf. Wir sind gefangen, aber er soll frei sein ! Sag`s niemandem weiter...“
„...ganz ohne Scheiß, Mamms !“ vollendete George einfach Margrits Satz und lachte dabei leise in sich hinein. „Richtig ? Das hat er doch sicher auch noch hinzu gesetzt !“
„Sehr richtig George ! Aber dieser Flutschi kann bestimmt nicht mehr fliegen, weil er schon lange ... na ja, es ist nicht gerade etwas sehr Appetitliches, was er mir da mitgegeben hat, George!“
„Sooh ? Hört sich ja mächtig spannend an!“
„Kinder sammeln ja manchmal die verrücktesten Dinge, weißt du...“
„Entschuldige ihn nicht immer wieder. Was ist es ?“
„Na, eigentlich ... also ich darf´s mir erst anschauen, wenn ich zu Hause bin. Aber ich weiß jetzt schon, dass es ein alter, verfaulter ...puh, ich hasse Käfer... ist, den er schon sehr lange ...igitt... mit sich herumschleppt ! Muttsch hat`s mir nämlich verraten, gerade als die Kinder miteinander beschäftigt waren. Sie hat mich vereidigt, dass ich diesen Fl... also Flutschi auf keinen Fall wegschmeißen soll. Die Kinder würden das alte Ding sehr ernst nehmen und jeden Tag darüber sprechen.“ Sie kicherte nun auch. „Stell dir vor, Julchen behauptet, der würde sogar seine ...na ja...“, Margrit musste sich nun doch so ein kleines bisschen bei diesem Gedanken würgen, “...langen, haarigen Beine ausstrecken, wenn man ihn hinter den Ohren...“, sie lachte nun lauthals los, „...oder am Bauch kraulen würde !“
„So ein kleines, winziges Ding kraulen ?“ krächzte George und lachte dann auch. Doch dann wurde er wieder ernst, sehr ernst sogar. „Weißt du, Margrit, was wir jetzt tun werden ?“ sagte er fest entschlossen. “Wir fahren nach Randersacker.“
„Na schön, aber warum ?“
„Um drei Strohmatratzen zu holen, natürlich !“
„Ah, bekommen wir Gäste ?“
„Nein, darauf wird nur später eine alte Dame mit ihren Enkeln schlafen und natürlich ein ausgesprochen fetter Kater! Sollte mal abspecken, das Tier !“
„George ?“ kreischte Margrit. „Hast du etwa deine Meinung geändert ? “ Und sie wollte ihm dabei um den Hals fallen.
„He he, ich fahre hier einen Jambo“, protestierte der. „Willst du das wohl lassen, du kleine Hexe, du ?“
„Deswegen also wolltest du so dringend mit Mike sprechen. Du hast mit ihm verhandelt, richtig ?“
Er nickte schmunzelnd.
„Und, was hat der gesagt ?“
„Hat natürlich Schwierigkeiten gemacht. Das sind gute Arbeitskräfte, die ich dann verliere, hat der frech behauptet. He, als ob kleine Kinder und alte Menschen zu solch einer Arbeit benutzt werden dürften!“ George machte ein finsteres Gesicht.
„Und dann ?“
„Nun, schließlich konnte ich ihn doch ein wenig umstimmen, diesen ...diesen brutalen Ausbeuter !“ George knirschte dabei mit den Zähnen. „Ich sagte, dass wir ihm dafür etwas bezahlen würden und da räumte er plötzlich ein, dass er noch einmal darüber nachdenken würde. Wir sollen in zwei Tagen wiederkommen.“
„Das ist gut, dann kann ich ja auch Tobi die frisch gewaschene Decke zurückbringen!“ Sie hielt nachdenklich inne und sagte dann: „George, wie soll ich mich nur für deinen großen Einsatz bedanken ?“
„He, das brauchst du gar nicht ! Bedanke dich einfach im Stillen bei Diguindi. Als deine Mutter diese Geschichte von ihm erzählte, wurde mir klar, dass man sich sehr wohl auch einen Außerirdischen zum Vorbild nehmen könnte, selbst wenn es...“, er schluckte, denn er leider musste er dabei wieder mal an Robert, den Onkel und seine treue Freundin denken, die er alle durch die Hajeps verloren hatte und dann räusperte er sich fest entschlossen, „...also, selbst wenn das Gute mitten im Bösen sitzt !“
Tränen liefen nun beiden übers Gesicht.
„Wird Mike viel für meine Familie verlangen ?“ krächzte Margrit schließlich.
„Pah, die Welt wird`s schon nicht sein ! “ George wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und dann blinzelte er tapfer in das Sonnenlicht hinein.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.08.2005, 16:40   #65
Doska
 
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Standard Kapitel 64

Kapitel 12

„George, ich stehe tief in deiner Schuld“, bekannte Margrit spät abends, nachdem sie Tobias Decke einfach neben sich auf den Boden ihres kleinen ZimCDPhens geworfen hatte. “Wie kann ich das nur alles wieder gut machen?“
„Gar nicht, Margrit!“ Er lehnte die Strohmatratzen – leider hatte er nur zwei bekommen – vorsichtig gegen die Wand. „Du weißt doch, was ich vorhin zu dir gesagt habe, na?“ Er wollte sich davon stehlen, doch Margrit hielt ihn am Ärmel fest.
“Nein, nein, so einfach kommst du mir nicht weg“, wisperte sie. „Los, sag es mir endlich. Wie viel hast für diese Matratzen löhnen müssen?“
„Geheimnis! Du hast ja Renate beim Rüben sortieren geholfen, das genügt!“ Er grinste . „Mach dir bitte darüber keinen Kopf! Wir wissen doch, dass du im Augenblick knapp bist, da du kaum eine Prämie von uns erhalten konntest.“
„Werde ich auch nie bekommen, George“, knurrte sie nun ziemlich feindlich, „denn ich beklaue keine armseligen Menschen, mache keine krummen Dinger mit Hilflosen und so!“
„Margrit, genauso eingestellt war ich doch anfangs auch.“ Er nahm sie begütigend in den Arm, aber sie machte sich stirnrunzelnd von ihm frei. „Habe immer großartige Sprüche geklopft“, erklärte er trotzdem weiter. „Menschen sollten sich ändern, habe ich gesagt, Vorbilder für die Hajeps sein! Ich wäre Pazifist, also auch kein Pirat, der armselige...“, er hielt inne und seufzte. „Aber heute ... heute räubere ich eben zusammen, was ich nur kann, egal von wem und...„, er schluckte. „Mal ehrlich, Margrit, es würde uns nur halb so gut gehen, würden wir das nicht tun. Selbst du lebst ganz gut davon, obwohl du dich in solchen Momenten immer ausschließt, gib es endlich zu!“
Margrit blinzelte betroffen zu ihm hinauf, denn er hatte ja so recht. Sie schwieg für einen Moment und krächzte schließlich: „Dann würde ich mich lieber ins reiche Zarakuma einschleichen und dort den Feind bestehlen!“
„Sehr heroisch!“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte sie aus.
„Doch das würde ich tun!“ beharrte sie, wurde aber knallrot im Gesicht.
„Dann tu`s doch!“ lachte er weiter.
„Fordere mich dazu nicht heraus, George!“ Sie bückte sich, um die Decke aufzuwickeln, auch aus dem Grunde, damit das Haar über ihre Wangen fiel und er ihre Röte nicht sehen konnte.
„Margrit“, keuchte er, nachdem er sich einigermaßen beruhigt, dabei die Lachtränen aus den Augenwinkeln gewischt und die Nase geschnäuzt hatte. „Sich ganz dicht in die Nähe Zarakumas zu begeben, das haben noch nicht einmal die Mutigsten von uns gewagt und nun sich auch dort noch hinein mogeln zu wollen, das ... das ist einfach
verrückt!“ Er begann schon wieder zu kichern.
„Aber das wäre doch nur zu gerecht!“ konterte sie trotzdem. „Die Hajeps sind reich. Nur ihnen haben wir Menschen all das Elend zu verdanken. Sie sind es doch, die...“, dann brach sie ab. „He, ob wohl so spät abends noch jemand in der Waschküche sein wird?“ fragte sie jetzt völlig übergangslos.
„Weiß ich es?“ George hob mürrisch, die muskelbepackten Schultern an, denn er meinte plötzlich, Pauls Hemd über der Stuhllehne entdeckt zu haben.
„So eine zerfranste Decke!“ Margrit schüttelte den Kopf. „Na, ob die eine Wäsche überhaupt aushält, oder muss ich sie erst einmal flicken?“
„Er ist wieder bei dir zu Gast, richtig?“ überging George einfach ihre Frage, während er auf den Stuhl zuschritt, der direkt neben ihrer Schlafstätte stand.
„Wer?“ fragte sie geistesabwesend zurück. Es war schrecklich, Tobias Decke war so verdreckt, dass es mächtig staubte, während sie die Decke - bei zweien der Zipfel gepackt – einfach von oben aufrollte. Zu spät rügte sie sich dafür, denn ihr war dabei Tobias Käfer in den Sinn gekommen. Wo würde der nun hingekrümelt sein?
„Schitt, verdamm...!“ Das zweite Wort war ihr buchstäblich im Halse stecken geblieben, denn mit großen Augen starrte sie nun auf das, was aus der Decke hervorgeflutscht war.
„Lenk` hier nicht ab!“ George umkreiste mit großen Schritten den Stuhl. „Das bisschen Staub wirst du wohl noch vertragen können, oder?“ Er hustete, während er sehr gründlich die Ärmel des gestreiften Hemdes, welche zu beiden Seiten des Stuhls hinabhingen, musterte. “Es sind ziemlich kurze Ärmel!“ befand er dabei.
„Oh Gott! Oh Go–ott?“ ächzte sie und ihr Herz begann wie rasend zu schlagen. Das in Erdfarben getönte, etwa handgroße Ding war nämlich wie von selber losgesaust, als habe es vor, sich in dieser Ecke des Zimmers zu verkrauchen. Nun verharrte es völlig regungslos.
„Mach doch nicht immer gleich so einen Wind!“ murrte er und zupfte dabei an dem Kragen des Hemdes herum.
„Es ist halt so, dass diese Decke völlig im Ar ...äh ... ´Tschuldigung ... Eimer ist, aber du willst es mir ja nicht glauben!“
„Doch, das glaube ich dir ja, aber...“ Gott sei Dank war das seltsame Ding völlig geräuschlos gewesen. Oder konnte es auch durch den Schwung mit der Decke bis nach dort hinten geschleudert worden sein?
„Was ...aber?“ brummte er und hob nun auch das Hemd etwas bei den Schultern an. “Es ist übrigens kein
Damenhemd!“ stellte er weiter fest.
„Was du nicht sagst!“ keuchte sie, klemmte sich die Stinkedecke einfach unter den Arm und näherte sich zögernden Fußes dem komischen Gerät.
„Sehr richtig! Das sehe ich nämlich an den Knöpfen! Bei der Frau sind die nämlich auf der rechten Seite und beim Mann auf der linken oder...?“ Er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Oder war das eher umgekehrt?“
„Scheint aber mächtig wichtig zu sein, was, George?“ Sie schlich vorsichtig weiter.
„Ha, da nutzt auch kein schleichen, Margrit...“
Margrit fuhr ertappt zusammen.
„...denn es ist wirklich Pauls Hemd!“ sagte George jetzt mit fester Stimme.
Sie atmete erleichtert aus. “Und woher willst du das wissen?“ Margrit versuchte so ruhig wie möglich zu klingen und verstellte mit ihrem Rücken George erst einmal die Sicht auf das Ding. Es sah eigentlich völlig harmlos aus, wie es da so lag! Und es war völlig verstaubt. Wer nicht wusste, wie es in sauberen Zustand ausgesehen hatte, konnte es auch gut für irgend einen unbedeutenden Felsbrocken halten. Wer aber genauer hinschaute konnte an ihm trotz der Dreckschicht schon die verräterischen Zeichen aufspüren. Du lieber Himmel, das war`s also, was Tobias schon die ganze Zeit mit ´Flutschi´ gemeint hatte. Das musste ihr entsetztes Gehirn erst einmal verarbeiten.
„Na, dieses Hemd ist gestreift!“ erklärte George, hob das Hemd abermals hoch und wedelte damit hin und her.
„Es gibt viele gestreifte Hemden!“ erinnerte sie ihn vorsichtig und mühte sich dabei, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Verdammt, was machte sie nun mit diesem Ding, konnte man es überhaupt ungestraft anfassen? Tobias war also damals nicht artig gewesen, hatte ihr nicht gehorcht und schon immer in Wahrheit mit gar keinem Käfer herumgespielt. Obwohl das Ding so ein bisschen diese Form hatte. Margrit schüttelte sich bei diesem Gedanken.
„Brauchst gar nicht so unschuldig mit deinen Schultern zu zucken“, schnaufte George, sich zum ersten Male nach ihr umschauend und Margrits Knie zitterten deshalb, “denn hier ist ein Fleck!“ Er zupfte jetzt mit ziemlich bedauerlicher Miene an dem rechten Hemdkragen herum.
„Welcher Fleck?“ fragte sie und warf dabei mit möglichst ausdrucksloser Miene einfach die Decke auf das Ding.
„Na, der Suppenfleck!“
„Es gibt vermutlich auch etliche gestreifte Hemden mit Suppenflecken, George!“ Sie brach in Schweiß aus, weil sie sich plötzlich der vielen Situationen bewusst wurde in welchen Tobias ihr dies und jenes Wunderliche über diese `Bombe´ geschildert hatte. Was da alles hätte passieren können! Sie kam sich zwar lächerlich vor, aber bei diesen Gedanken verstellte sie dem ´Ding´ gleich mal mit ihren Füßen den Weg. Na ja, es konnte ja sein, dass es vorhatte, von hier einfach wegzusausen?
„Ich verstehe nicht, weshalb du verleugnen willst, dass er wieder bei dir gewesen ist, Margrit!“ platzte es nun endgültig aus George heraus und er näherte sich ihr dabei von hinten. Margrits Gedanken begannen deshalb zu jagen. Würde er etwa fragen, weshalb sie den dreckigen Lappen einfach in diese Ecke geworfen hatte? Sie musste sich eine kleine Lüge dafür ausdenken. Margrit nagte an der Unterlippe. Oder sollte sie sich ihm ruhig anvertrauen? Und plötzlich wurde ihre Angst von aufkeimender Freude übertüncht, denn diese ganze Geschichte mit Danox hatte ja auch sein gutes! He, man konnte ja das Ding den Spinnen als Bezahlung anbieten? Doch dann verwarf sie den Einfall sogleich. Besser nicht, denn sollten die Spinnen eines Tages tatsächlich dazu in der Lage sein, das Geheimnis, welches Danox umgab, zu lüften, würden sie damit gewiss nichts Gutes tun! Also müsste man diese Waffe lieber Günther Arendt übergeben, damit der ihre Familie aufnahm? Da packte sie George auch schon bei den Schultern. „Hach, tu doch nicht so, als ob du in dieser Ecke nach irgend etwas suchen würdest!“ Sein heißer Atem strich über ihre feinen Nackenhärchen. „Du willst ja nur nicht haben, dass man deine Röte sehen kann, die dir dabei ins Gesicht gestiegen ist, richtig?“
„Richtig!“ log Margrit einfach. Es fieberte nun mächtig in ihr. Konnte sie George trauen? Sollte sie ihm ihr Geheimnis preisgeben? Er hatte ja völliges Vertrauen zu Günther Arendt. Würde er dem gleich alles weiter erzählen? Wie stand sie eigentlich selbst zu Günther? Ihre Lippen wurden zu einem schmalen, nachdenklichen Strich.
Schon hatte er sie zu sich herum gerissen. Beide starrten sich an, suchten die innere Aufruhr, welche in ihnen tobte wie ein Heer wilder Geister tunlichst vor einander zu verbergen, doch die Augen waren Verräter. Auch konnten ihre Körper das leise Schnaufen kaum unterdrücken.
„Was verbirgst du vor mir!“ keuchte er schließlich.
„Ga ... gar nichts!“ stieß sie möglichst arglos hervor und für einen Moment hatte sie Sorge, er würde dabei das gleiche meinen wie sie, aber er machte keinerlei Anstalten etwa skeptisch über ihre Schulter zu linsen, was ihm bei seiner Größe wohl ein Leichtes gewesen wäre oder nach ihrer Decke zu fragen.
Er knurrte stattdessen nur: „Warum kannst du nicht offen dazu stehen, Margrit?“ und seine schönen Augen funkelten sie zornig an.
„Zu was?“ Ihre Wimpern flatterten unruhig auf und nieder.
„Hach, das weißt du ganz genau!“ Er hielt sie jetzt so eisern fest, dass ihre Schultern richtig schmerzten und daher versuchte sie sich von ihm zu befreien. “Ge-orge“, quengelte sie, „du ... du tust mir weh!“ Aber bis auf seine zuckenden Wangenmuskeln bewegte sich eigentlich an ihm nichts. „He, was meinst du“, fragte sie wieder einmal völlig übergangslos, „kann man zu Günther Vertrauen haben?“
Verblüfft lockerte er den Griff. „Du ... du meinst, es ... es ist Günters?“ Das letzte Wort schien er verschluckt zu haben, denn es kam nichts mehr aus seinem Hals. Doch dann riss er sich meisterhaft zusammen, stieß aber trotzdem recht heiser hervor: „Na ja, der ist zwar schon etwas älter...“, er versuchte seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben, „du ja eigentlich auch! Hm ... vielleicht gerade deshalb für dich interessant? Also, der Kerl hat ja schon Charisma, aber ...äh... hätt` ich eigentlich nicht von dir gedacht!“ Er hustete, da er sich plötzlich an seiner eigenen Spucke verschluckt hatte.
„George, he Ge-orge?” Sie klopfte ihm auf den Rücken. „Wovon redest du eigentlich?“
„Na, von seinem...!“ krächzte er und wies dabei zum Stuhl, wo es immer noch lag.
„Hemd?“ keuchte sie, denn sie hatte plötzlich Mühe nicht in ein prustende Lachen auszubrechen.
„Ja, genau!“ Er nickte langsam und sah mit solchen verzweifelten Kinderaugen auf seine großen Füße hinab, dass sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn zu geben.
„Oh, du großer dummer Junge, du!“ flüsterte sie ihm dabei leise und zärtlich ins Ohr. Aber als sie wieder fest auf den Füßen stand, kicherte sie hinter den vorgehaltenen Händen doch.
Reichlich durcheinander verließ er daraufhin ihr Zimmer.

#

In der darauf folgenden Nacht hatte Margrit einen ganz widerlichen Traum. Obwohl Margrit Danox - nach einigem Ringen mit sich selbst - in das Schubfach ihres einzigen Schrankes gelegt hatte, schob sich dieses plötzlich von ganz alleine auf. Ein langes, haariges Bein war für Margrit zu sehen gewesen, welches das Fach wohl von innen her aufgeschoben hatte. Und wenig später hatten sich dann, nachdem Margrit erst nach ihrer Brille und dann nach einer Tasse gesucht hatte, um in diese gegebenenfalls hineinkotzen zu können, sogar zwei Fühler hinter dem Rand des Schubfaches gezeigt, welche halb transparent und immer länger geworden waren, wohl um das Fach und danach den Schrank von außen und allen Seiten abzutasten. Margrit hatte zwar von ihrem Bett aus um Hilfe rufen wollen, es sich dann aber doch noch anders überlegt und lediglich die Zudecke bis zu ihren Augen und über ihre Ohren hochgezogen. Schließlich hatte sich das Ding auf seinen sämtlichen Beinen erhoben. Sie waren tatsächlich haarig ...iiiihgitt! Julchen hatte ja so Recht! Und es waren im ganzen acht, und das Ding war damit in aller Ruhe erst bis zur Hälfte über den Rand des Schubfaches geklettert und hatte sich dann von dort einfach zu Boden fallen lassen. Na ja, mit dem Fliegen stand`s wohl nicht so gut. Tobias übertrieb ja immer so ein kleines bisschen. Dabei hatte es richtig gescheppert, als würde Metall auf Gestein prallen, was ja auch tatsächlich der Fall war, nur mit dem Unterschied, dass Metall eigentlich nicht selbsttätig denken konnte. Danox hingegen schien erst einmal gründlich zu überlegen, was er als nächstes tun wollte und bewegte daher für etwa fünf Minuten nichts weiter als abwechselnd den einen und dann den anderen Fühler, was bei Margrit heftige Zitteranfälle auslöste. Aber er schien weder ihr Bett noch sie selbst wahrzunehmen und auch ihr heftiges Keuchen nicht zu hören. War er also taub und blind zugleich?
Dann aber kam wieder Bewegung in das ´Ding´. Es trippelte nämlich immer dicht an der Mauer des kleinen ZimCDPhens entlang, ignorierte Margrit weiterhin völlig, blieb aber in jeder Ecke für einen Moment stehen und - tja, konnte man das Schnüffeln nennen? Es hörte sich jedenfalls für Margrit so an, auch wenn es ganz leise war! - beschnüffelte jede Ecke. Schließlich blieb es vor der Türe stehen. Seine Fühler dehnten, reckten sich wie etwas gummiartiges hinauf bis zur Klinke.
„Halt!“ wisperte Margrit zu ihrer eigenen Überraschung und schlug sich dafür sogleich erschrocken auf den Mund.
Aber es war nichts weiter passiert als dass das eine der hautähnlichen, spitzen Öhrchen ziemlich blitzartig in Margrits Richtung herumgefahren war, sich dann aber wieder zur Tür zurückgedreht hatte. Also konnte es doch hören! Aber was hatte es vor? Margrit kippte ihre Brille etwas an, damit sie besser sehen konnte. Verdammt, sicher wollte Danox die Klinke mit seinen Fühlern hinunter drücken, um die unterirdischen Behausungen für immer zu verlassen. Aber warum? Wollte er wieder zu Tobias zurück oder fühlte er sich nur eingesperrt und hatte vor, endlich frei zu sein? Wenn er sich geschickt genug anstellte, würde ihm das heute noch ganz gewiss gelingen, denn die meisten Türen gingen nicht abzuschließen. Zu groß war die Sorge der Menschen, die wertvollen Schlüssel zu verlieren, welche man deshalb nur bei Lebensgefahr ausgehändigt bekam.
„Tu`s nicht!“ wisperte sie abermals. Doch diesmal reagierte das Ding überhaupt nicht. Margrit dachte scharf nach. Auch wenn sie sich vor Danox grauste, war sie sich im Klaren, dass er auf keinen Fall von hier verschwinden durfte. Aber sie getraute sich nicht, aufzustehen, ihn einfach zu packen, denn sie hatte Angst, dass er – da er nun so schrecklich lebendig geworden war - sich heftig wehren würde. Da kam ihr ein Gedanke. Die Hersteller von Danox sollten ja Außerirdische gewesen sein. Was war, wenn dieses einst von Hajeps eroberte Volk genau wir alle übrigen Völker ferner Planeten ein und dieselbe oder zumindest eine ähnliche Sprache benutzte, um zum Beispiel untereinander Handel zu betreiben? Ähnlich wie es lange Zeit mit Hilfe von Englisch auf der Erde üblich gewesen war?
Sie fasste sich ein Herz und probierte es einfach: „ Amar, Danox!“ raunte sie ihm diesmal zu, aber nichts passierte! Der Fühler blieb weiterhin um die Klinge geschlungen „Kesto bagsui el!“ probierte sie weiter und ihr Herz klopfte. Hoffentlich betonte sie alles richtig! Kein Ohr zuckte. Angestrengt dachte sie über weitere Vokabeln nach. „To banis dendo nesa!“ keuchte sie weiter. Danox regte sich zwar weiterhin nicht, aber er drückte auch nicht die Klinke herunter. “Noi kal ae lumanti dendo ae hajepa!” sagte sie jetzt langsam und sehr deutlich. “Moa Kinder...“, sie schluckte, dann das Wort dafür kannte niemand und darum hatte sie es ihm einfach in ihrer Sprache mitgeteilt, „Kinder ha Julchen dandu Tobi ...Tobias! Wona ferai tur!” bettelte Margrit jetzt und dann hielt sie nur noch den Atem an. Da geschah das Wunder! Schlaff und sehr zart fiel der krakenähnliche Fühler von der Klinge herunter, zog sich wieder zu einer manierlichen Länge von etwa fünf Zentimetern zusammen und dann drehte sich das ganze Ding zu Margrit herum. Zwei größere rote und zwei kleinere blaue Lämpchen leuchteten an dessen Kopfe auf, während es Margrit anvisierte. Margrit ließ die Zudecke fallen, damit sie Danox so als ganzes Stück sehen konnte und dann überwand sie allen Ekel und streckte - wenn auch ein wenig zitterig - die Hand nach ihm aus. „Jelsi to ir me?“ fragte sie ihn.
Da kam das etwa siebzehn Zentimeter lange und zehn Zentimeter breite, kernförmige Ding auf sie zu gekrabbelt und zart, ja, fast zärtlich berührten die Fühlerchen Margrits Hand. Ein schnüffelndes Geräusch ertönte dabei aus der röhrenförmigen Spitze mitten in diesem lilafarbenen Metallgesicht. Unter dem Rüssel öffnete sich ein spitzes Mäulchen und ein Ring hornartiger Zähne begann an ihren Fingernägeln spielerisch zu knabbern. Das kitzelte seltsam und ihr wurde doch ein wenig heiß und zugleich kalt.
„Padra dendo!“ keuchte sie unsicher. Sofort hörte das Wesen damit auf. Da begann sie Danox - ganz wie Julchen es geraten hatte - zwischen seinen Öhrchen zu kraulen, genau dort wo eine ziemlich weiche und reichlich zerknautschte Gummifläche war und wo einige Härchen büschelförmig wuchsen. Dabei entdeckte sie, dass das eine der beiden roten Augen nicht mehr richtig in seiner Metallfassung saß. Die kleine Glühbirne hing ziemlich erbärmlich an seinem Kopfe herum. Ha, sie würde die demnächst dort wieder fest schrauben, denn sie hatte mit einem Male sämtliche Angst vor Danox verloren.
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Alt 01.08.2005, 16:43   #66
Doska
 
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Standard Kapitel 65

Am nächsten Morgen fand Margrit Danox wieder sehr ordentlich in einem Schubfach unter zwei Handtüchern liegend vor. Verdammt, hatte sie etwa doch alles nur geträumt? Oder lebte das Ding nur in solch einen verdrehten Schlaf- und Wachrhythmus wie eine Fledermaus? Sie wartete gespannt auf weitere Lebenszeichen - oder sollte man eher dazu sagen Funktionen? - von Danox, aber den ganzen Tag über muckste sich das kleine Wesen nicht.
Dann aber nachts! Nun ja, für eine Weile wirkte Margrit deshalb auf alle Guerillas ziemlich unausgeschlafen. Aber sie hütete sich, den wahren Grund zu nennen und täuschte stattdessen Kränklichkeiten vor. Später jedoch konnte sie trotz der Flugübungen, Wanderschaften (er öffnete dazu immer selbsttätig Margrits Türe und verschloss sie wieder, um anschließend durch die unterirdischen Flure zu sausen) und unzähligen Selbstgespräche von Danox (es waren meist Gurgel- und Blubbergeräusche) ziemlich gut durchpennen. Ja, sie duldete es schließlich sogar, dass Danox meist gegen Morgen bei ihr am Fußende eindruseln durfte. Das kleine Wesen hatte bald sämtliche Flure und Zimmer der ´Maden´ erkundet, alle Schläfer eingehend beschnüffelt und mit seinen Fühlern, die er schier endlos ausdehnen konnte - Margrit hatte Danox zunächst sicherheitshalber dabei beobachtet - vorsichtig betastet. Außerdem besaß es ein hervorragendes Gehör. Es konnte Personen schon von weitem ausmachen und sogar voneinander unterscheiden, wenn sie durch die unterirdischen Flure Richtung Margrits Zimmer gelaufen kamen. So war sie nie überrascht, wenn jemand plötzlich zu ihr hereinstürmte, was gar nicht mal so selten vorkam, denn sowohl Renate als auch Birgit, ja, sogar Rita waren recht mitteilsam. Sie brauchte sich dabei keinesfalls zu sorgen, dass sie Danox entdeckten, denn es konnte sich hervorragend verstecken. Manchmal warnte es sogar Margrit, indem es Worte der hajeptischen Sprache zu imitieren versuchte, was ihm allerdings mit seinen komischen, gummiähnlichen Stimmbändern und metallenem Kehlkopf nur recht stümperhaft gelang. Waren es erst Julchen und Tobias gewesen, so vertraute das Wesen nun ausschließlich Margrit. Deshalb konnte sie Danox sogar unbesorgt ins Freie laufen lassen, wo sich das Ding vom Mondlicht seine Energien holte. Außerdem hatte es anscheinend Spaß daran, sich von Margrit dressieren zu lassen wie ein kleines Äffchen, obwohl es durchaus seinen eigenen Kopf haben konnte. Es reagierte inzwischen dermaßen gut auf kurze knappe Befehle in hajeptischer Sprache, dass Margrit manchmal richtig mulmig wurde. Zweifelsohne war Danox ein hochgefährliches Ding, denn wenn es tatsächlich eine Bombe war, konnte man diese sehr gut auch aus weitester Entfernung leise flüsternd zu mancherlei abkommandieren. Man brauchte dazu keinen Sender, denn Danox Gehör bestand aus einem besonderem hochempfindlichem Biomaterial, weshalb das Ding die Ohren immer einziehen musste, sobald es ihm zu laut wurde. So war es zum Beispiel möglich, das seltsame Wesen wegen seiner geringen Größe und seiner Fähigkeit, sich selbsttätig gut verstecken zu können, in irgend ein beliebiges Haus schleichen zu lassen, um dort später mit Hilfe eines kurzen Befehls alles in die Luft zu sprengen. Danox konnte seinerseits mit seinem Befehlshaber Kontakt aufnehmen, indem das Ding mit Hilfe seiner Fühler in dessen Richtung sehr feine Schwingungen auslöste, die einen bestimmten Druck auf dessen Trommelfell erzeugten. Es ertönte dann bei demjenigen ein sehr hoher Pfeifton als Warnsignal, zum Beispiel, wenn Danox die Anordnungen nicht befolgen und sich stattdessen verstecken musste und ein tiefes Brummen, wenn alles gelang! Wie groß mochte wohl die Gewalt dieser Bombe sein, wenn selbst Hajeps davor Respekt hatten? Das Ding musste sich über Jahre hinweg tot gestellt und so fremden Wissenschaftlern vorgespielt haben, an ihm wäre nichts Besonderes, es sei nur irgendeines der obligatorischen hochtechnischen Geräte, die auch sonst immer benutzt würden. Ach, es war schon reichlich tückisch, etwas so mörderisches in solch ein kleines, niedliches Ding hinein zu packen. Danox hatte sich damals für Julchen und Tobias entschieden, wohl weil sie so arglos gewesen waren und nun für Margrit, weil sie in seiner Sprache ihm mehrmals versichert hatte, kein Hajep, sondern lediglich eine Lumanti, ein Mensch zu sein. Einerseits hatte Margrit jeden Tag aufs neue Angst, dass sie versehendlich den geheimen Befehl für Danox Explosion auslösen könnte, andererseits war sie froh, dass diese schreckliche Last endlich den Händen kleiner Kinder entnommen worden war. Außerdem tröstete Margrit die Gewissheit, dass sie wohl etwas sehr Bedeutungsvolles als Vertreter der gesamten Menschheit dieser Erde besaß, was man vermutlich wirklich eines Tages gegen den Feind einsetzen konnte. Nur, wem sollte sie diese etwas schwierige Neuigkeit mitteilen? Wer würde, wenn er erst einmal Danox Geheimnis kannte, es auch im richtigen Moment, oder wenn diese Explosion sogar für den gesamten Planeten zu gefährlich sein sollte, es zumindest als Drohung geschickt einsetzen?
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Lesezeichen für Das Licht der Hajeps




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