Busfahrt

[Aquaria]

„Wem gehört dieser Hund?“ Die Frau keift nun bereits seit sieben Haltestellen, gefühlt sind es sieben Stunden. Bei den ersten Aussetzern ihrer Schimpftiraden hoffte ich noch, dass sie irgendwann aufhören würde. Eine Erste-Hilfe-Strategie, anwendbar auf alle Störgeräusche, man atme durch und sage sich selbst: Locker bleiben, das hört gleich auf… Wenn der Nachbar mit Metalmusik in den Tag startet, zum dritten Mal in einer Stunde ein Zug am Haus vorbei donnert, oder wenn der Wasserhahn tropft: Bleib locker, das hört gleich auf. Und irgendwann hört es auch auf. Nach einer Stunde Duschen, Zähne, Anziehen, Toaster, Weiß-nicht-was stellt der Nachbar den Krach ab und verlässt mit finalem Türknallen endlich seine Wohnung. Nach nur zwanzig Sekunden ist der Zug vorbei und die Menschen im Fernseher finden ihre Stimme wieder. Sogar der Wasserhahn gibt Ruhe, sobald ihn jemand zudreht. Meine Wenigkeit, gut, das ist nicht mehr Erste-Hilfe, sondern der definitiv aufwändigere Plan B.
„Wem gehört dieser Hund?“ Sie steht genau neben dem Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen- Schild und das finde ich nun wieder gut und grinse vor mich hin. Unglücklicherweise sieht sie das, missversteht es natürlich und wittert umgehend ein Ziel. Mich. „Ist das etwa ihr Hund?“ Der dreht keiner den Hahn zu, die will jetzt endlich ein konkretes Ziel haben, am Ende bleibt sonst nur der Hund im Gang. Aber der ist groß und zottelig, mit dem will sie sich nicht anlegen. Über ihre schmierigen Brillengläser hinweg stiert sie mich an. Mein Kopfschütteln ärgert sie. Ich schaue aus dem Fenster. Visuell ist sie jetzt weg, akustisch leider nicht. „Wem gehört dieser Hund? Der liegt im Weg. Unverschämtheit. Sowieso nicht akzeptabel im Bus, rücksichtslos. Wem gehört der Hund!!??“ Noch einmal und es ist mein Hund. Manche Menschen merken nicht, dass sie nerven. Die schon, die hat nur einfach Bock drauf. Nur einem ist der ganze Zirkus egal, dem Hund. Der liegt weiterhin mitten im Gang und schnarcht, hat nur ganz zu Anfang einmal den struppigen Kopf gehoben und dann weiter geschlafen. Die zeternde Frau hält er für belanglos. Seine Strategie geht offenbar auf. Meine nicht. „Wem gehört dieser Hund?“ Mit der Faust hämmere ich mehrfach auf den Will-raus-hier-Knopf. Das wird ein langer Heimweg werden. Mit einem großen Schritt steige ich über das Ungeheuer hinweg und springe durch die aufschwingende Tür, sobald ich glaube hindurchzupassen. Die Frau höre ich immer noch. Offenbar ist sie jetzt kurz vorm Herzkasper: „Unverschämtheit, Dreistigkeit, hab ich doch gewu…“ Flop, die Tür ist zu. Ich bin entkommen und der Bus überholt mich geräuschvoll. Missmutig setze ich mich in Bewegung, hinter mir höre ich ein Trappeln und drehe mich mit einer bösen Ahnung um. Da steht es, das Ungeheuer. Zottelig und noch müde vom Mittagsschläfchen sehen mich neugierige Hundeaugen an. Oh nein. Ich mache ksch ksch oder ähnlich Geistreiches. Könnte er grinsen, würde er es jetzt tun. Klasse, was jetzt? Ich laufe nach Hause, er folgt mir. Wem gehört dieser Hund? Ich weiß es nicht und er weiß es auch nicht. Als ich meine Haustür aufschließe, schreitet er königlich an mir vorbei in die Wohnung. Jetzt habe ich also einen Hund, der in meinem Sessel sitzt und ein Bad vertragen könnte. Der Nudelauflauf von gestern schmeckt uns beiden noch.

[C.Alvarez]

Zitat von Aquaria

Der Nudelauflauf von gestern schmeckt uns beiden noch.

Warum auch nicht

Liebe Aquaria,

ich habe deine Geschichte sehr gern gelesen, mir gefällt dieser ganz nüchterne Stil (cool könnte man sagen), der manchmal mehr transportiert als die Beschreibung von Gefühlen könnte.
Du schreibst sehr authentisch, man ist mittendrin, so echt sind die Bilder, die du malst.
Schöne Geschichte

Lieber Gruss an Dich und den Hund

Corazon

[Ex-pyja8]

hey,

geniale story!
und echt netter stil zu schreiben!

weiter so!

lg pyja!

[Aquaria]

Vielen Dank, freut mich, dass euch die Geschichte gefällt!

Lieber Gruss an Dich und den Hund

Leider eine fiktive story. Aber ich grüß den Hund von Dir in der Fortsetzung, versprochen