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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 02.12.2012, 15:44   #1
männlich Fridolin
 
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Beiträge: 1.026

Standard Sonettenfrust

Wie zwanghaft ist es, ein Sonett zu dichten
und vierzehn Zeilen ins Korsett zu zwängen,
dass sie wie Kletten aneinander hängen!
Ich könnt wahrhaftig auf den Stress verzichten,

das Augenmerk verbohrt darauf zu richten,
dass zwei Quartette sich im Gleichklang drängen
und Zeilen stören nicht mit Überlängen.
So Dichten heißt doch nur die Zeit vernichten!

Wie soll das heute noch ein Mensch begreifen,
wenn ich noch immer diesem Drang erliege,
dass ich Sonette auf die Reihe kriege,
anstatt ihn endlich von mir abzustreifen.

Es raten neuerdings mir Therapeuten,
den Tag mit Schüttelreimen einzuläuten.

Geändert von Fridolin (02.12.2012 um 17:40 Uhr)
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Alt 03.12.2012, 13:49   #2
weiblich Poetibus
 
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Beiträge: 562

Hallo, Fridolin,

genau. Nimm's mit Humor.

Ich sah mich auch irgendwann beinahe "gezwungen", ein paar "form- und regelrechte" Sonette zu schreiben, damit ich in Ruhe gelassen werde. Nach dem Motto: Ja, ich kann's, jetzt könnt ihr mich in Ruhe lassen - und auf geht's zum fröhlichen Variieren. *Lach*

Für mich sind Formen "Mittel zum Zweck", nicht "Selbstzweck" als Form an sich.

Außerdem: Dein Sonett "klingt", und da ein Klinggedicht ja genau das tun sollte, finde ich es prima gelungen.

Zudem ist es so, dass ein Sonett (weia - nun werde ich womöglich zum "Sonett-Banausen"!) eben nicht unbedingt These und Antithese in den Quartetten und Synthese in den Terzetten haben muss, auf "Biegen und Brechen", sozusagen. Es ist gestattet, z. B. auch eine "Erklärung/Ergänzung/Weiterführung" im zweiten Quartett zu verwenden oder das Reimschema in den Terzetten zu variieren und auch, die These in den Quartetten mit Antithese in den Terzetten zu verwenden, somit also auf die Synthese "zu verzichten". Zudem ist es ja meiner Meinung nach so, dass es bei Gedichten Regeln gibt - keine Gesetze mit Gefängnis- und Todesstrafe. Es gibt das petrarkische (italienische Sonett) - das oft als "das klassische" bezeichnet wird, hier stimmt das mit den Regeln, abgesehen davon, dass es eben das petrarkische Sonett ist - und nicht das Sonett; das deutsche Sonett (hier ist z. B. zulässig, statt abba, abba auch abba, cddc als Reimschema zu verwenden); das französische Sonett (mit dem Alexandriner als Versmaß); zwei verschiedene englische Sonette, wo es um eine inhaltliche Steigerung geht, die in einem "heroic couplet" gipfelt, mit 3 Quartetten und dem zweizeiligen couplet (Shakespeare-Sonette werden lediglich damit gleichgesetzt, da sie schlicht "bekannter" sind, aber auch das Spenser-Sonett ist ein englisches Sonett). Etwas, das gibt es tatsächlich nicht: Das klassische Sonett. Tja, und dann ging ja bereits Hugo von Hoffmannsthal andere Wege, Beispiel:


Zitat:
Sonett der Welt

Unser Leiden, unsre Wonnen
Spiegelt uns die Allnatur,
Ewig gilt es unsrer Spur,
Alles wird zum Gleichnisbronnen:

Erstes Grün der frischen Flur,
Mahnst an Neigung, zart begonnen,
Heißes Sengen reifer Sonnen,
Bist der Liebe Abglanz nur!

Schlingt sich um den Baum die Winde,
Denken wir an uns aufs neue,
Sehnen uns nach einer Treue,

Die uns fest und zärtlich binde ...
Und wir fühlen uns verwandt,
Wie wir unser Bild erkannt.
Ein Sonett - im vierhebigen Trochäus. Und wechselnden Kadenzen, die noch dazu im zweiten Quartett in den umarmenden Reimen mit männlichen statt weiblichen Kadenzen enden - und das Reimschema ist auch noch abba, baab, cdd, cee. Na, ich denke mal, dass man nicht behaupten kann, er hätte nichts von Sonetten verstanden. Um dem Ganzen sozusagen die "Krone aufzusetzen" hat er auch noch "Sonnen" auf "Wonnen" gereimt.

Joseph von Eichendorff verwendete verwendete einen identischen und auch dreifache Reime:

Zitat:
Die Altliberalen

Die wilden Wasser, sagt man, hat entbunden
Ein Lehrling einst, vorwitzig und vermessen,
Doch hinterdrein den Zauberspruch vergessen,
Der streng die Elemente hielt gebunden.

Ein tödlich Pulver, sagt man, zu erkunden
Hat einst ein Mönch sich überklug vermessen
Und, als im tiefen Grübeln er gesessen,
Im Zauberdampf den eignen Tod gefunden.

So habt den Zeitgeist ihr gebraut, gemodelt,
Und wie so lustig dann der Brei gebrodelt,
Ihm eure Zaubersprüche zugejodelt.

Und da's nun gärt und schwillt und quillt - was Wunder,
Wenn platzend dieser Hexentopf jetzunder
Euch in die Lüfte sprengt mit allem Plunder!
Johann Wolfgang von Goethe, der nicht selten, so auch hier, mit "unreinen" Reimen arbeitet und hier sowohl den Quartetten mit dem ersten Terzett einen Titel gab und auch noch dem letzten Terzett:

Zitat:
Die Zweifelnden und die Liebenden

Die Zweifelnden

Ihr liebt und schreibt Sonette! Weh der Grille!
Die Kraft des Herzens, sich zu offenbaren,
Soll Reime suchen, sie zusammenpaaren!
Ihr Kinder, glaubt, ohnmächtig bleibt der Wille.

Ganz ungebunden spricht des Herzens Fülle
Sich kaum noch aus: sie mag sich gern bewahren,
Dann Stürmen gleich durch alle Saiten fahren,
Dann wieder senken sich zu Nacht und Stille.

Was quält ihr euch und uns, auf jähem Stege
Nur Schritt vor Schritt den läst'gen Stein zu wälzen,
Der rückwärts lastet, immer neu zu mühen?

Die Liebenden

Im Gegenteil, wir sind auf rechtem Wege!
Das Allerstarrste freudig aufzuschmelzen,
Muss Liebesfeuer allgewaltig glühen.
Rainer Maria Rilke, der hier mit Kreuzreim in den Quartetten arbeitet, den letzten Vers im zweiten Quartett um eine Hebung kürzt und Nachsilben im letzten Terzett "hebt" (oder, je nach Interpretationsart, daktylische Versfüße einfügt), Enjambements verwendet und nicht genug, er hat auch noch vier mal "und" als Versbeginn:
Zitat:

Der Tod der Geliebten


Er wusste nur vom Tod, was alle wissen:
dass er uns nimmt und in das Stumme stößt.
Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,

hinüberglitt zu unbekannten Schatten,
und als er fühlte, dass sie drüben nun
wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten
und ihre Weise wohlzutun:

da wurden ihm die Toten so bekannt,
als wäre er durch sie mit einem jeden
ganz nah verwandt; er ließ die andern reden

und glaubte nicht und nannte jenes Land
das gutgelegene, das immersüße -
Und tastete es ab für ihre Füße.
Georg Trakl schrieb z. B. ein Sonett, das in den Quartetten die umarmenden Reime mit den männlichen Kadenzen versah, er verwendete ebenfalls sogenannte "unreine" Reime (schätzen-setzen) - reimte auch "Wald-malt-kalt-wallt" und "düster-Küster", kurze mit langen Vokalen:

Zitat:
Dezembersonett

2. Fassung

Am Abend ziehen Gaukler durch den Wald,
Auf wunderlichen Wägen, kleinen Rossen.
In Wolken scheint ein goldner Hort verschlossen,
Im dunklen Plan sind Dörfer eingemalt.

Der rote Wind bläht Linnen schwarz und kalt.
Ein Hund verfault, ein Strauch raucht blutbegossen.
Von gelben Schrecken ist das Rohr durchflossen
Und sacht ein Leichenzug zum Friedhof wallt.

Des Greisen Hütte schwindet nah im Grau.
Im Weiher gleißt ein Schein von alten Schätzen.
Die Bauern sich im Krug zum Weine setzen.

Ein Knabe gleitet scheu zu einer Frau.
Ein Mönch verblaßt im Dunkel sanft und düster.
Ein kahler Baum ist eines Schläfers Küster.
Amüsiert und mit größtem Verständnis gelesen!

Freundlichen Gruß,

Poetibus

Geändert von Poetibus (03.12.2012 um 16:15 Uhr)
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Alt 03.12.2012, 17:09   #3
männlich Nöck
 
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Hallo Fridolin,

ein Sonett kann entzücken, aber wohl nicht, wenn es unter Zwang geschrieben wurde.

Poetibus hat uns eine gelungene Abhandlung zukommen lassen, die finde ich sehr aufschlussreich. So riesengroß ist der Zwang dann ja gar nicht mehr - oder?

Gruß ... Nöck
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Alt 03.12.2012, 17:44   #4
männlich Fridolin
 
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Hallo Poetibus,

ich glaube, ich habe das schon mal erwähnt: Auf Sonette bin ich aufmerksam geworden, als ich mal eines in Schüttelreimen las. Dann habe ich das mal probiert, und siehe da, es ging. Inzwischen sind schon mehrere in dieser Art entstanden. Aber auch mit dem Sonett und seiner Geschichte habe ich mich befasst und im Laufe der Zeit sicher mehrere hundert gelesen und studiert. Die tradierte Formenstrenge hat schon viele Autoren gereizt, das Sonett in Sonettenform karikierend aufs Korn zu nehmen. Ich denke da vor allem an Robert Gernhardt, Lothar Klünner und Klaus M. Rarisch.

LG Fridolin
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Alt 03.12.2012, 20:59   #5
männlich Nöck
 
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Darf ich denn auch noch auf ein kleines Feedback hoffen oder denkst du, lieber Fridolin: "Störe meine Kreise nicht"?

Gruß ... Nöck
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Alt 03.12.2012, 21:47   #6
männlich Fridolin
 
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Zitat:
Zitat von Nöck Beitrag anzeigen
Darf ich denn auch noch auf ein kleines Feedback hoffen oder denkst du, lieber Fridolin: "Störe meine Kreise nicht"?

Gruß ... Nöck
Sorry, Nöck, hab dich leider übersehen, Poetibus hat soviel geschrieben. Aber sei herzlich bedankt fürs Lesen und Kommentieren.

LG Fridolin
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Alt 04.12.2012, 00:20   #7
weiblich Rosenblüte
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Ach ja, lieber Fridolin, mit den Sonetten habe ich auch so meine liebe Not. Beruhigend, dass es anderen Dichtern auch so geht.

Zitat:
Wie gerne wollte ich Sonette dichten,
gewebt aus Worten, warm wie Sonnenstrahlen,
aus Silben, reinlich eingegrenzt in Zahlen,
umarmend reimend Weises euch berichten.

Zermartere das Hirn mir, doch mitnichten
folgt mein Gedankengang den Idealen,
schreib mir die Finger blutig, leide Qualen
und schmeiß in den Papierkorb die Geschichten.

Des Nachts wälz ich mich hin und her im Bette,
das Herz schlägt bis zum Hals in meinem Busen,
ach, wenn ich doch nur Eingebungen hätte!

Ich wünsche mir so sehr, dass man mich rette,
da küssen plötzlich mich im Traum drei Musen,
und morgen früh schreib ich euch drei Sonette!
Mitfühlenden Gruß
Rosenblüte
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Alt 04.12.2012, 08:49   #8
männlich Ex-Bane
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Beiträge: 366

Es ist doch stets interessant, mitzuerleben, wie Personen einander nicht verstehen und aneinander vorbeireden. Eitelkeit macht es möglich.

Bane
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Alt 09.12.2012, 20:07   #9
männlich Nöck
 
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Zitat:
Zitat von Rosenblüte Beitrag anzeigen
Ach ja, lieber Fridolin, mit den Sonetten habe ich auch so meine liebe Not. Beruhigend, dass es anderen Dichtern auch so geht.



Mitfühlenden Gruß
Rosenblüte
Es geht anderen Dichtern ebenso, keine Frage! Aber es ist immer wieder eine Herausforderung, es endlich zu packen.

Liebe Grüße
Nöck
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