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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 22.07.2023, 23:12   #1
weiblich Ottilie
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 341

Standard Ich weiß, dass ich sie hasse

I. Der Held, das soll der Führer sein

Die Masse ist berechenbar
zumeist, mein ich, recht selten:
Noch träge eben, kleinlaut, schwach,
schreit sie jetzt nach dem Helden.

Der Held, das soll der Führer sein:
Mit starker Hand soll richten
er alles, was da schief, krumm, fremd.
Man rühmt ihn in Gedichten,

obwohl es ihn noch gar nicht gibt!
Doch: man hat ihn erschaffen.
Zumindest als ein Ideal,
und man fängt an zu gaffen.

So gafft die Masse stieren Blicks
auf jeden Jahrmarktsreigen.
Und hofft, dass sich vorm Stadttor bald
der Messi-As wird zeigen.

Die Masse wartet, schimpft und schwätzt,
wälzt sich im eig’nen Leiden.
Da schreit ein Irrer: Seht den Mann
da auf dem Esel reiten!

Es wenden aller Augen sich
zu jenem fremden Reiter.
Der hat sich einfach nur verirrt,
weiß eigentlich nicht weiter.

Der Reiter ist ein armer Wicht,
sein Esel: krude Worte
von Glück und Heimat und Freiheit.
Sie öffnen ihm die Pforte!

Sie lassen diesen Sprachjongleur
in ihre Stadt eindringen!
Der Wahn, der greift sehr schnell um sich:
Man will ihm Opfer bringen!

Man wirft sich vor ihm in den Staub,
bereit, des Esels Hufe
zu spüren auf der eignen Brust,
und sei’s beim letzten Rufe.

Man leckt ihm von den staub’gen Zehn
den Dreck und Schweiß in Gänze,
auch steigt der Preis im ganzen Land
für alte Eselsschwänze.

Der Reiter, der gefällt sich sehr
in seiner Heldenpose.
Huldvoll und lächelnd segnet er
der ganzen Masse Chose.

Und biegt dann ab, hin zum Palast.
Da wird er sich einnisten!
Er ist der Held, der Messi-As,
zeitlos und ohne Fristen.

So zieht er ein ins Edelheim.
Beginnt dann zu regieren.
Er hat noch keinen echten Plan.
Doch will er sich nicht zieren.

Nicht zieren will er sich vorm Volk.
Will glänzen mit Ansagen.
Es wäre allerdings auch schön,
man würd‘ nicht soviel fragen.

Man fragt ihn dennoch dies und das.
Er weiß keine Antworten.
So fängt er aus Verlegenheit
die Frager an zu morden.

Es sind wohl seiner Opfer viel,
vielleicht sogar Millionen.
Er weiß nur eins: Er darf niemals
die Gegner friedvoll schonen.

Er schont die Gegner niemals nicht,
nicht mal seine Genossen.
Und bald schon fühlt er sich gottgleich
und hat sein Herz geschlossen.

Sehr offen bleibt sein Sinn jedoch
für junge Mädchen, Frauen,
und er ergötzt sich tausendfach
im Fleisch. Es ist ein Grauen.

Dann wird er alt, stirbt eines Tags.
Sie tragen ihn zu Grabe.
Das Volk, es weint und trauert sehr.
Es zeigt Gefühlsgehabe.

Um zu vergessen ihn zunächst.
Es gibt ja einen Neuen!
Ein neuer König ist schon da.
Er wird das Volk erfreuen!

Der Neue macht den Alten schlecht.
Der war nur ein Verbrecher!
Er werde sein, der‘s besser macht.
Er werde sein der Rächer!

Der Rächer all der Armen und
der Witwen und der Kinder!
All der Beladenen wohl auch
und sicher aller Sünder.

Dem Neuen nun gelingt es nicht:
Die Not wird immer größer.
Die Menschen in dem weiten Land,
sie werden wütend, böser.

So stürmen sie dann den Palast.
Und haben ihn erschlagen
und heimlich, still und leise dann
des Nachts weit fortgetragen.

Sie trugen ihn zur Deponie,
wo Sondermüll man sammelt.
Wo das, was von ihm übrig blieb,
seitdem nun dort vergammelt.


II. Die Wiederauferstehung des Helden

So kam und starb ein Zweiter doch,
um Neuem Platz zu machen.
Es ist ein ew’ges Wechselspiel,
man könnte drüber lachen.

Wenn wer nun denkt: der erste da
mit all den fiesen Volten,
wäre vergessen immerdar,
weil ihm die meisten grollten

und weil der Zweite ihn verriss,
der hat wohl nichts verstanden
von aller Werte Umkehr und
wie’s geht in unsern Köpfen.

Denn jetzt ist’s so: Man heißt ihn groß!
Liest wieder seine Werke!
Spricht von ihm als dem Messi-As
und einz’gem Mann der Stärke!

Man denkt nicht an die Morde mehr,
die Menschen in den Lagern.
Unsicherheit und größte Angst
selbst bei seinen Ja-Sagern.

Das Ganze zeigt doch eines nur:
Ein Volk ist eine Masse
von wechselhaften Menschen bloß:
Ich weiß: dass ich sie hasse.
Ottilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.07.2023, 21:03   #2
weiblich Goldblume
 
Dabei seit: 07/2023
Beiträge: 6

Standard spannend

spannend, befreiend, intelligent, erfreulich
Goldblume ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.07.2023, 23:00   #3
weiblich Ottilie
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 341

Hallo Goldblume,

ja, ich staune, dass jemand derart lange Dinger liest... Danke für Dein Durchhaltevermögen!

Viele Grüße

Ottilie
Ottilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.07.2023, 10:35   #4
männlich ganter
 
Benutzerbild von ganter
 
Dabei seit: 04/2015
Beiträge: 2.486

Hallo Ottilie,

ich las die erste und die letzte Strophe Deines Gedichts.
In der Hoffnung, mit der Mitte nichts verpasst zu haben,
werte ich den Geist Deiner Ausführungen als Dampfablassen.

Vor Hass sei gewarnt!

verständnisvolle Grüße
-ganter-
ganter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.07.2023, 14:47   #5
weiblich Ottilie
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 341

Standard Das erste und das letzte...

Hallo Ganter,

Du hast eine extrem effiziente Methode der Texterfassung entwickelt! Ich habe sie gleich mal ausprobiert und das erste und letzte Wort Deines Kommentars gelesen, in der Mitte werden sich ja keine relevanten Infos verstecken, oder? "Ich" und "Dampfablassen" las ich. Sprichst Du da von Dir?

Viele Grüße

Ottilie
Ottilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.07.2023, 17:26   #6
männlich ganter
 
Benutzerbild von ganter
 
Dabei seit: 04/2015
Beiträge: 2.486

Hallo Ottilie,

nein, ich meinte den Geist, der die Masse hasst

hassfreie Grüße
-ganter-
ganter ist offline   Mit Zitat antworten
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Lesezeichen für Ich weiß, dass ich sie hasse



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