Im schwarzen Spiegel bei Poetry.de

ThePOEMist · 03.01.2013, 10:50

Im schwarzen Spiegel

Seine Blicke hetzen durch den Raum,
prallen von den kahlen, weißen Wänden.
Den Blicken folgend, kaum gehorchend,
greift seine Hand nach mir, ins Laken.
Sein Mund formt mühsam hohle Laute,
die mich an Wort und Schuld erinnern.

Dunkle Tränen zeichnen Spuren auf blassen Wangen,
formen mein Kainsmal — im schwarzen Spiegel seiner Augen.

Im Dunkeln, zögernd dort hineinzugehn
stand ich zweifelnd, müde in der Tür.
Beim Schritt ins Licht lag Glas, Wein, er
am Boden. Lallend, sabbernd — elend.
Voll Abscheu, harte Worte schreiend
wandt ich mich ab, ging, ließ ihn liegen.

Alte Tränen werden Salz auf heißen Wangen,
brennen meine Wunden — im schwarzen Spiegel seiner Augen.

Meine Gedanken werden kalter Rauch,
im fahlen Licht der nahen Dämmerung.
Durch den trüben Schleier, grau und leer,
blickt er aus seinem Bett sehnend zu mir.
Nur langsam, zögernd, widerwillig,
helf ich ihm trinken, essen — leben.

In tiefer Nacht, inmitten eines Labyrinths,
seh mich gefangen — im schwarzen Spiegel seiner Augen.

http://thepoemist.tumblr.com/

simbaladung · 06.01.2013, 20:26

Hallo, ThePoeMist (witziger Nick!),

dieser Text erzeugt ein starkes, beklemmendes Gefühl! Das soll er wohl auch.
Die Gefühlslage des LI kommt gut rüber. So wie ich das sehe, geht´s um die Pflege eines Alkoholikers aus einem Pflichgefühl heraus (vielleicht ist der Kranke der Bruder/Vater?)
Auch ein Schuldgefühl scheint eine Rolle zu spielen (Kainsmal).
Eine harte Situation. Meiner Meinung nach gut in Szene gesetzt!
Das Bild mit dem Spiegel find ich gut. (auch wenn Tränen nicht dunkel sind

)

lg simbaldadung

ThePOEMist · 06.01.2013, 21:43

Danke für die Rückmeldung simbaladung - schön, dass die Stimmung so bei Dir angekommen ist.

Bei der Interpretation des Inhalts und der Bilder bist Du verdammt nahe dran! Schuld, Wut und Pflichtgefühl sollen dominieren.
Es handelt sich um eine wahre Geschichte, die ich vor einigen Jahren aus einiger Entfernung miterlebt habe.

Es geht übrigens um eine Frau, die ihren Ehemann pflegt. Deshalb auch dunkle Tränen - die Wimperntusche ist von den Tränen verlaufen.

Danke fürs aufmerksame lesen.

Lg ThePOEMist

03.01.2013, 10:50	#1
ThePOEMist Dabei seit: 01/2013 Alter: 50 Beiträge: 107 Meine Gedichte	Im schwarzen Spiegel Im schwarzen Spiegel Seine Blicke hetzen durch den Raum, prallen von den kahlen, weißen Wänden. Den Blicken folgend, kaum gehorchend, greift seine Hand nach mir, ins Laken. Sein Mund formt mühsam hohle Laute, die mich an Wort und Schuld erinnern. Dunkle Tränen zeichnen Spuren auf blassen Wangen, formen mein Kainsmal — im schwarzen Spiegel seiner Augen. Im Dunkeln, zögernd dort hineinzugehn stand ich zweifelnd, müde in der Tür. Beim Schritt ins Licht lag Glas, Wein, er am Boden. Lallend, sabbernd — elend. Voll Abscheu, harte Worte schreiend wandt ich mich ab, ging, ließ ihn liegen. Alte Tränen werden Salz auf heißen Wangen, brennen meine Wunden — im schwarzen Spiegel seiner Augen. Meine Gedanken werden kalter Rauch, im fahlen Licht der nahen Dämmerung. Durch den trüben Schleier, grau und leer, blickt er aus seinem Bett sehnend zu mir. Nur langsam, zögernd, widerwillig, helf ich ihm trinken, essen — leben. In tiefer Nacht, inmitten eines Labyrinths, seh mich gefangen — im schwarzen Spiegel seiner Augen. http://thepoemist.tumblr.com/

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06.01.2013, 20:26	#2
simbaladung Dabei seit: 07/2012 Alter: 67 Beiträge: 3.073 Meine Gedichte Meine Favoriten	Hallo, ThePoeMist (witziger Nick!), dieser Text erzeugt ein starkes, beklemmendes Gefühl! Das soll er wohl auch. Die Gefühlslage des LI kommt gut rüber. So wie ich das sehe, geht´s um die Pflege eines Alkoholikers aus einem Pflichgefühl heraus (vielleicht ist der Kranke der Bruder/Vater?) Auch ein Schuldgefühl scheint eine Rolle zu spielen (Kainsmal). Eine harte Situation. Meiner Meinung nach gut in Szene gesetzt! Das Bild mit dem Spiegel find ich gut. (auch wenn Tränen nicht dunkel sind ) lg simbaldadung

06.01.2013, 21:43	#3
ThePOEMist Dabei seit: 01/2013 Alter: 50 Beiträge: 107 Meine Gedichte	Danke für die Rückmeldung simbaladung - schön, dass die Stimmung so bei Dir angekommen ist. Bei der Interpretation des Inhalts und der Bilder bist Du verdammt nahe dran! Schuld, Wut und Pflichtgefühl sollen dominieren. Es handelt sich um eine wahre Geschichte, die ich vor einigen Jahren aus einiger Entfernung miterlebt habe. Es geht übrigens um eine Frau, die ihren Ehemann pflegt. Deshalb auch dunkle Tränen - die Wimperntusche ist von den Tränen verlaufen. Danke fürs aufmerksame lesen. Lg ThePOEMist