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Alt 27.01.2008, 19:14   #1
Hamilkar Barkas
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 97


Standard Haare schneiden

Schnell rein und schnell wieder raus wie bei einem Banküberfall, so hatte ich mir das gedacht. Gott, wie ich das Haare schneiden haßte. Eine kostbare halbe Stunde meines Lebens verschwendet, während ich bewegungslos unter einem Handtuch sitze, derweil mir jemand mit einer Schere an meinem Kopf herum fuhrwerkt. Wenn ich mir vorstellte, was ich in dieser Zeit alles Sinnvolles hätte tun können, dann wurde mir jedesmal klar wie, zugegeben irrational, mein Haß auf das Haare schneiden war. Ich ging Monate lang nicht zum Friseur, ich betrachtete ihre Schaufenster und ihre Werbeaufsteller jedesmal mit tief empfundener Abneigung, wenn mein Weg mich an ihnen vorüber führte. Natürlich fällt mir mein Haar in den Rücken. Irgendwann läßt sich, vor dem Spiegel stehend, einfach nicht mehr verleugnen, daß es wieder einmal, viel zu früh, Zeit für einen Haarschnitt wird.
Der Tag, an dem ich mich entschlossen hatte, meine Haare wieder einmal in Form bringen zu lassen, um das Problem für die nächsten drei Monate los zu sein, brannte erbarmungslos eine heiße Junisonne. Sie tauchte die Blätter der Bäume, die Wände der Häuser und Gesichter der Menschen in ein goldenes Licht. Die Sonne lud dazu ein, im Eiscafé um die Ecke Leute beim flanieren zu beobachten, Schwimmen zu gehen oder, um mit einem Radler in der einen und einem Buch in der anderen Hand am Ufer des Flusses träge zu dösen. Ganz bestimmt nicht konnte das Wetter einen dazu animieren, sich in einen weiß gekachelten Raum zu setzen, sich von Spiegeln und Waschbecken umzingeln zu lassen und Haarspray gesättigte Luft einzuatmen.
Kaum, daß ich den Salon betreten hatte, fand ich schon meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, atmete ich diese besondere Luft, wie man sie nur in Friseursalons antrifft, konnte ich mein Spiegelbild in verschiedenen Perspektiven in mindestens zwei Spiegeln bewundern. Bei meinem Eintreten schellte, natürlich, ein Glöckchen an der Türe und ein Mann kam herbei geeilt. Schwarzglänzende Löckchen, die bis auf die Schultern fielen, zierten die Person. Er wies mir einen Stuhl zu und sagte mir, er werde sich gleich um mich kümmern. Seine Stimme hinterließ eine unsichtbare Schleimspur im Raum, denn natürlich hatte sein Benehmen etwas so tuntiges an sich, wie es von männlichen Friseuren wohl erwartet wird, wie es aber kein tatsächlich praktizierender Homosexueller mit Selbstachtung an den Tag legen würde.
Ich nahm also auf den mir zugewiesenen Stuhl platz, harrte der Rückkehr dessen, was unzweifelhaft für die nächsten dreißig Minuten mein Folterknecht sein würde, und blickte mißmutig auf mein Spiegelbild, welches mich seinerseits mit unverhohlenem Mißfallen musterte.
Der Friseur war zurückgekehrt zu der älteren Dame, die sich ihren Kopf in eine Trockenhaube hatte zwängen lassen. Er war wohl der Meinung gewesen, daß er mit ihr so gut wie fertig sei, um sich danach mir widmen zu können. Die Dame dachte aber nicht daran, die Früchte seiner Arbeit abzusegnen. Im Gegenteil, sie begann mit jener schrillen und durchdringenden Stimme, wie sie alten Leute zu eigen ist, zu meckern und zu keifen. Die Locken gefielen ihr nicht, sie sähe damit ja aus wie ein Pudel. Tatsächlich hatte sie mit ihren hängenden Wangen eher etwas von einer Dogge. Die Farbe mißfiel ihr auch. Sie hätte ein silbriges Grau gewollt, dieses aber hätte einen Blaustich.
Nach harter Beruhigungsarbeit machte sich der Friseur daran, seine angeblichen Fehler zu korrigieren und zu retten was noch zu retten war, wie sich die Alte ausgedrückt hatte.
In Folge seiner Versuche, den Skandal zu verhindern und das Keifen der Alten wenigstens zu dämpfen, hatte der Friseur mich auf meinem Stuhl vergessen. Erst als er sich wieder an die Arbeit machte, erinnerte er sich wieder an mich. Wahrscheinlich sah er mich im Spiegel; jedenfalls winkte er mir begütigend zu. Ich schenkte ihm ein verständnisvolles Lächeln, das er erwiderte und uns zu Verbündeten wider den Feuer speienden Drachen machte.
Als eine Kollegin am Friseur vorbei zum Aufenthaltsraum huschte, faßte er sie am Zipfel ihres Kittels, deutete auf mich und flüsterte etwas. In meinem Spiegel konnte ich die Szene beobachten. Sie wandte sich nach mir um. Goldene Haare umrahmten ihr blasses Gesicht. Sie trug roten Lippenstift, sie lächelte meinem Rücken zu und entschwand im Aufenthaltsraum.
Die Alte fing wieder zu meckern an, das ihr das alles zu lange dauern würde. Er wäre ja wohl noch nicht sonderlich lange mit der Ausbildung fertig und für gewöhnlich ginge sie zu dem Friseur bei der Frankfurter Straße um die Ecke. Seit fünfundzwanzig Jahren und nie hätte es Anlaß zur Klage gegeben, aber jetzt sei ja der Besitzer gestorben, Herzversagen. Sie hätte es ja auch am Herzen und dürfe sich gar nicht aufregen. Mein Interesse an der Szene erlosch und ich blickte wieder auf den Plastikumhang, in welchen der Friseur mich eingehüllt hatte.
„Waschen?“ fragte eine sanfte Stimme hinter mir.
Ich blickte überrascht auf und sah über meinem Kopf ihr Gesicht im Spiegel. Es war nicht ihre Schönheit, die mir damals den Atem raubte. Es war der Gegensatz zwischen meinem Gesicht und dem Ihrigen. Der Anblick meiner kantigen Gesichtszüge verglichen mit ihrer sanften, von blondem, gelockten Haar eingefaßten Miene, der mich sprachlos machte. Sie machte mir meine Grobschlächtigkeit offenbar.
„Schneiden oder auch waschen?“ fragte sie.
Gegen meinen Willen sagte ich automatisch nur schneiden, obwohl das meinen Aufenthalt in ihrer Nähe verkürzen würde.
Sie griff in den Wagen neben sich und entnahm ihm eine Sprühflasche. Dichter Wassernebel umgab mich und befeuchtete mein Haar.
„Wie hätten sie es denn gerne?“ fragte sie währenddessen. Ich rasselte mein übliches Sprüchlein herunter und sie machte sich ans Werk.
Sie kämmte mein Haar glatt; die Knöchel ihrer Hand berührten mich leicht am Kopf. Dann knirschte die Schere und die flüchtige Berührung war vorüber. Da ich meine Brille abgesetzt und ich im Spiegel kaum mehr erkennen konnte als einen diffusen Farbkleks, der ihre Bluse war, schloß ich die Augen.
Eine Weile genoß ich die Berührung ihrer Knöchel, verspürte jedesmal Enttäuschung, wenn der Kontakt abbrach und eine kindliche Zufriedenheit, wenn er wieder zustande kam.
Als sie mit der Linken mein Kinn hoch drückte, öffnete ich die Augen. Ihr Gesicht hing über meinem Kopf wie eine aufgehende Sonne. Sie lächelte, als eine Strähne ihres Haares auf meine Nase fiel. Ich atmete ihren Duft ein. Er hatte ein Aroma von Vanille und blieb mir in der Nase, als sie die Strähne aus meinem Gesicht strich.
Im Folgenden, da sie die Haare an meiner Stirn schnitt, blickte ich immer wieder auf und betrachtete ihr Gesicht. Auf ihren Lippen lag beständig der Anflug eines Lächelns, so als wären ihre Gedanken bei einer angenehmen Erinnerung. Die Haut an Kinn und Wangen war glatt und weich, daß ich durch bloßes Ansehen wußte, wie sie sich anfühlen würden, wenn ich sie berührte. Und Berühren wollte ich sie. Obwohl ich das Ergebnis zu kennen glaubte, verspürte ich in meinen Fingerspitzen eine Neugierde wie es wohl wäre, die Linien ihres Gesichtes mit geschlossenen Augen nachzuzeichenen. Die Wölbung des Kinns hinauf zu den roten Lippen, den Hals hinab zum Ansatz der Schulter. Sie beugte sich vor und ich schloß wieder die Augen, träumte das Bild ihrer bloßen Schulter.
Mein Nacken war eine Wüste. Sowohl das Hantieren mit Kamm und Schere, als auch mit dem Rasierapparat, hatte etwas Nüchternes an sich. Dafür begann sie zu summen. Etwas Liebliches hätte zur Atmosphäre gepaßt, aber es war wohl etwas von Britney Spears, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Ich hielt weiter die Augen geschlossen und lauschte auf den Klang ihrer Stimme. Ich spürte ihre Anwesenheit und stellte mir ihre Bewegungen als einen Tanz um mich herum vor.
Dann kündete der Pinsel an meinem Nacken vom nahenden Ende. Borstig fühlte er sich an, und kratzig auf der nackten Haut, als sie mit kräftigen Schwüngen lose Haare vom Kragen fegte.
Als sie ging, den unumgänglichen Handspiegel zu holen, blickte ich ihr im Spiegel nach. Ich bemerkte ihre wiegenden Schritte und bedauerte das Unvermeidliche.
„Hinten okay so?“ fragte sie.
Ich nickte. „Ja, sehr schön.“
Dann befreite sie mich von dem Plastikumhang und ging mir voraus zur Kasse. Als ich zahlte, trafen sich zum ersten Mal unsere Blicke und ich sah tief in ihre grünen und grauen Augen von der Farbe des Meeres. Ich wollte sie fragen wie sie heißt, ich wollte sie zu einem Kaffee einladen und sie dabei anschauen und dem Klang ihrer Stimme lauschen.
Ich gab ihr ein Trinkgeld und verließ den Laden.
Seither gehe ich alle drei Wochen zum Haare schneiden. Ich weiß jetzt ihren Namen, Lavinia und habe ihr ungelenke Komplimente gemacht, die sie zum Lachen gebracht haben.
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