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Alt 23.06.2023, 04:37   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Hähnchen am Sonntag

In den fünfziger Jahren gab es einmal im Monat sonntags ein Hähnchen. Keine Massenware vom Grillstand, die man sich heute für lächerlich wenig Geld gedankenlos in die Futterluke schiebt, sondern ein Luxus, den sich ein Fabrikarbeiter nur einmal im Monat leisten konnte. Wenn überhaupt.

Schwein war billiger, und Haspel stand beim Fußvolk hoch im Kurs. Wenn es dafür nicht reichte, kochte man Ochsenschwanz oder Lunge oder briet Nieren am Spies. Aber auch das waren Ausnahmen. Meistens gab es Gemüseeintopf, Pfannkuchen mit Apfelmus oder Haferflocken in Milch.

Papa war ein Meister in der Auswahl der richtigen Temperatur und des regelmäßigen Einstreichens des Hähnchens mit Öl. Ich konnte zusehen, wie seine blasse Hautfarbe sich in ein leckeres Ocker verwandelte und dabei einen Duft verströmte, der mir – um ein Klischee zu bedienen - das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

Und Papa hatte Geduld. Zwei Stunden lang bepinselte er mit Öl dieses nacktgerupfte Wesen, das einmal mit Körnern bestochen worden war, sich glücklich zu fühlen, streute nochmal Paprika und Kurkuma drauf, um der Farbgebung nachzuhelfen, und holte es dann, nach weiteren zwanzig Minuten, aus dem Ofen. "Fertig!"

Es triefte im Saft. "Was davon willst du?"

"Ein Beinchen." Die Beinchen schmeckten glatt und voll, lösten sich locker von den Knochen und rutschten wie nix über die Zunge. "Und du?" Mutter entschied sich wie immer für das trockene und faserige Brustfleisch. Sie ekelte sich vor Fleisch, gab aber nicht den Spielverderber. Wenn schon Fleisch, dann das, was am hellsten und saubersten aussah.

Ein Hähnchen für drei Personen … da blieb nach den zwei Beinchen für Papa und mich und nach der Brust für Mama eine Menge übrig. Mit Essig, Öl und Mayonnaise wurde daraus ein wunderbarer Fleischsalat, den wir uns die nächsten beiden Abende auf die Schnitten schmierten. Bevor es wieder für den Rest der Woche Eintopf und Pfannkuchen gab.

Wir waren schlank. Und satt.
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Alt 23.06.2023, 17:53   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
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Ja, früher war eben einfach alles besser. Vielleicht ist es aber auch nur das Gedächtnis, das sich grundsätzlich lieber an schöne Dinge erinnert und uns mit Vorliebe etwas vorgaukelt.
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Alt 23.06.2023, 18:13   #3
männlich Eziotar
 
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Standard Hi

Obwohl ich selber erst 30 bin, sehne ich mich oft nach der guten, alten Zeit (allerdings eher nach den 80ern als nach den 50ern).
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Alt 23.06.2023, 21:38   #4
weiblich Ilka-Maria
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Früher war nichts besser, aber das Leben war bescheidener und man konnte sich noch auf ein Sonntagsessen freuen. Heute bekommt man ein Brathähnchen, in minderwertigem Öl gegart, an jedem Wochentag an irgendeinem Stand zum Schleuderpreis nachgeschmissen. Mittlerweile gilt: "Die Gier des Menschen ist unantastbar."
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Alt 24.06.2023, 17:37   #5
männlich Eziotar
 
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Standard naja

Naja, Schleuderpreis?. Ich habe mir noch nie ein Hühnchen am Stand gegönnt, obwohl sie mich ziemlich anmachen.
Allerdings hat es ja durchaus etwas gutes, dass man heute eine große Auswahl an gutem und reichlichen und dazu bezahlbarem Essen hat. Klar, Übergewicht, Cholesterin usw. sind die Schattenseiten
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Alt 24.06.2023, 18:01   #6
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Ja, früher war eben einfach alles besser.
Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Früher war nichts besser,

Wie wäre es mit "Früher war vieles besser"?
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Alt 24.06.2023, 18:02   #7
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Eziotar Beitrag anzeigen
Naja, Schleuderpreis?
Rechne mir mal vor, wie lange du einen Vogel füttern musst, bis er die Norm erreicht hat, als Wienerwaldhähnchen gehandelt werden zu können. Du bezahlst als Endverbraucher das Futter und die Miete für den Stall oder die Ausgehfläche, zahlst für den Schlachter und die Rupfmaschine, für Transportkosten, für das billige Öl nebst Gewürzen, den Stand, die Standmiete, die Energie und die Löhne der Leute, die das alles am Fließen halten. Und dann kostet so ein halbes Hähnchen ca.vier Euro?

Für mich geht die Rechnung nicht auf. Aber sie passt in die deutsche Denke. "Dorthin müsst ihr essen gehen. Dort gibt es für wenig Geld zwei Riesenschnitzel."

Die Masse macht es. Wenn man an einem Brathähnchen nur einen Cent verdient, muss man eben eine Million davon verkaufen. So funktioniert der Kapitalismus.
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Alt 24.06.2023, 18:09   #8
männlich Eziotar
 
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Standard Ja

Ja, und für Niedrigverdiener ist das eine der wenigen guten Seiten des Kapitalismus. Wo ich wohne kostet ein halbes Hähnchen übrigens keineswegs vier Euro, eher sechs. (Wenn ich es richtig in Erinnerung habe)
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Alt 24.06.2023, 18:20   #9
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Eziotar Beitrag anzeigen
Ja, und für Niedrigverdiener ist das eine der wenigen guten Seiten des Kapitalismus. Wo ich wohne kostet ein halbes Hähnchen übrigens keineswegs vier Euro, eher sechs. (Wenn ich es richtig in Erinnerung habe)
In meiner Gegend bekommst du das halbe Brathähnchen noch unter vier Euro. Aber das macht die Sachlage nicht besser. Es geht nicht nur um den Preis, sondern um die ständige Verfügbarkeit und diese zynische Haltung gegenüber einem Tier, das einmal einen Wert hatte, aber jetzt zur Massenware geworden ist.
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Alt 25.06.2023, 14:44   #10
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Liebe Ilka-Maria,
"Ja, früher war eben einfach alles besser" war bestimmt nicht Deine Einstellung, die zu dem Sonntagshähnchenloblied führte.
Ich könnte hundert Sachen auflisten, die "früher" nicht besser waren (die Unterdrückung der Frauen, die Holperstraßen abseits der Autobahnen, die Auswahl an Südfrüchten und anderen kulinarischen Leckereien, die Überquerung von Grenzen innerhalb Europas, die verdruckste Einstellung zur Sexualität usw.).
Das ist keine Kritik an Deinem nostalgischen Hüpfer, den ich gerne auch mache.
Montags gabs die Reste vom Sonntagsmahl, dienstags Eintopf, mittwochs und donnerstags Pfannkuchen oder Kartoffelpürree, freitags - auch wenn meine Mutter den religiösen Hintergrund mit Sicherheit nicht kannte - Fisch, samstags zur Abwechslung Hefeknödel mit Heidelbeeren, sonntags (weil Großpapa Karnickel züchtete) Karnickelbraten mit Thüringer Klößen und Rotkohl. Der Fleischverbrauch hielt sich sehr in Grenzen, meistens aus Kostengründen und nebenbei zur Erhaltung der Gesundheit. Dass es auch mal Grie Soß gab, lag daran, dass meine Mutter in Frankfurt geboren war und diese, heute noch von mir geliebte Leckerei, von mir zubereitet wird.
Kann es sein, dass es für die übergewichtigen Kinder (und nicht nur für diese) besser wäre, den Speisenplan zu "nostaligisieren"?
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 25.06.2023, 15:59   #11
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
Zitat von Kurt Beitrag anzeigen
Wie wäre es mit "Früher war vieles besser"?
Hallo Kurt,

der Satz „Früher war eben alles besser" ist (im Allgemeinen) so etwas wie ein Reflex darauf, wenn ein Loblied auf vergangene Zeiten gesungen wird.

Schöne Grüße
DieSilbermöwe
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Alt 25.06.2023, 17:04   #12
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
... wenn ein Loblied auf vergangene Zeiten gesungen wird.
Wo?

Die Apotheose der Gier war noch nie so billig zu haben wie heute. Alles ist besser als früher, sogar so viel besser, dass es in Zukunft nie wieder so sein wird.
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Alt 25.06.2023, 17:14   #13
männlich Heinz
 
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Liebe Silbermöwe,
mehr oder weniger ungewollt bestätigt Du meine Auffassung, nämlich die, dass für manche stereotypische Allgemeinplätze ("früher war alles besser") vom Verstand unkontrollierte Reflexe sind.
Ich bin aber kein pawlowscher Hund, der automatisch mit immer gleichbleibender Reaktion antwortet, sondern der sich eine Behauptung anhört, dann das Gehirn einschaltet, prüft und abwägt, um dann nicht reflexartig zu reagieren, sondern versucht, der Wahrheit ein bisschen näher zu kommen.
Reflexe sind unbestreitbar situationsbedingt lebensnotwendig, werden in aller Regel gelernt und führen oft zu falschen Reaktionen (so, wie die pawlowschen Hunde auf Reize reagieren, aber nix zu fressen vorfinden, wenn ein Glöckchen bimmelt).
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 25.06.2023, 17:27   #14
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Standard Wucher

Noch anfangs der 80er Jahre, war ein Hähnchen noch etwas besonderes.
Es gab bei uns eine Gaststätte, die sich auf Hähnchen spezialisiert hatte.
Dort musste man sich einen Platz reservieren, weil fast immer voll war.
Anfangs kostete ein Hähnchen 4 DM, später 4,50 mit Brot,
für Pommes musste man Eine DM draufzahlen.

Nach dem Kinobesuch gingen wir anfangs der 80er, stets noch in die Pizzeria.
Eine Pizza “Frutti di Mare” kostete anfangs 6,50 und später 7 DM.
Bei uns hat vor ein paar Monaten eine neue Pizzeria eröffnet.
Dort kostet nun diese Pizza 18,50 € bzw. 37 DM!!!
Damals war die Pizza größer und reichlicher bedeckt.
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Alt 25.06.2023, 18:20   #15
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
... so, wie die pawlowschen Hunde auf Reize reagieren, aber nix zu fressen vorfinden, wenn ein Glöckchen bimmelt ...
Das nennt man unter Fachleuten "klassische Konditionierung".
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Alt 25.06.2023, 18:25   #16
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Vers-Auen Beitrag anzeigen
Anfangs kostete ein Hähnchen 4 DM, später 4,50 mit Brot, ...(
Ein Hähnchen für 4 Mark? Das halbe also für nur 2 Mark? Das war ja spottbillig!
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Alt 25.06.2023, 19:03   #17
männlich Heinz
 
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Klar, klassische Konditionierung. Und genauso funktioniert die öffentliche Meinungsbildung.
Das beste Beispiel habe ich vor ein paar Tagen bei der Abhörung einer Büttenrede auf YouTube erlebt.
Der Büttenredner bracht des Saal immer mehr zum Kochen und seine Rede gipfelte in:
Und jetzt alle: Zicke-zacke, hoi, hoi, hoi.
Kurzes Verstummen, dann der BÜttenredner: "Zicke-zacke" und der Saal brüllte: "Hoi, hoi, hoi!"
Der Redner nochmal: "Und zicke-zacke..." der Saal: "Hoi-hoi-hoi!"
Zum dritten Mal der Redner: "Zick-zacke" - der Saal: "Hoi-hoi-und!"
Der Redner: "Und jetzt - Sieg..." und der Saal: "Heil!"
(Die Rede fand voriges Jahr statt. Reflexartig und meinetwegen auch klassisch konditioniert reagierte die Masse (und alle waren ganz verlegen).
H.

Ich entschuldige mich - die Rede fand in den siebziger Jahren statt.
Die Verlegenheit klang für mich durch das Lachen hindurch, so im Sinne: Aua, erwischt.

Geändert von Heinz (25.06.2023 um 20:27 Uhr)
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Alt 25.06.2023, 19:34   #18
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Standard Hallo Heinz

Ich kenne dieses Video auch, bin mir aber ziemlich sicher, dass es aus den 70ern stammt
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Alt 25.06.2023, 19:53   #19
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Eziotar Beitrag anzeigen
Ich kenne dieses Video auch, bin mir aber ziemlich sicher, dass es aus den 70ern stammt
Das war Jonny Buchardt, und seine Büttenrede fand im Jahr 1973 in Köln statt. Das Video geistert seit vielen Jahren auf unzähligen youtube-Kanälen durch das Internet. Allerdings reagierte niemand im Saal verlegen, sondern alle lachten.
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Alt 26.06.2023, 10:40   #20
weiblich DieSilbermöwe
 
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Meine Güte, ich finde die Geschichte einfach nichtssagend, genau so nichtssagend wie den Satz „Früher war alles besser." Das ist alles. Kein Grund, oberlehrerhaft von Pawlow'schem Reflex anzufangen und was weiß ich daraus aufzubauschen.

Was soll damit bewiesen werden? Mit der Geschichte, nicht mit dem Reflex.

Außer, dass „wir schlank und satt waren" und selbstverständlich alles richtig gemacht haben, während die Leute heute selbstverständlich alles falsch machen.

Zitat:
Zwei Stunden lang bepinselte er mit Öl dieses nacktgerupfte Wesen, das einmal mit Körnern bestochen worden war, sich glücklich zu fühlen, streute nochmal Paprika und Kurkuma drauf, um der Farbgebung nachzuhelfen, und holte es dann, nach weiteren zwanzig Minuten, aus dem Ofen. "Fertig!"
Es gibt tatsächlich Leute, die das heute noch so machen. Na und?
DieSilbermöwe ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 26.06.2023, 10:56   #21
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Was soll damit bewiesen werden?
Nichts. Da liegst du völlig richtig, Silbermöwe. Es ist reine Kontemplation, keine Geschichte. Ich habe den Text deshalb in den Sektor "Tagebucheinträge ..." verschoben, dort passt er besser hin. Beweisen soll und will der Text nix.

Ob er völlig nichtssagend ist ... nun, er hat Reaktionen ausgelöst. Das bleibt tiefsinnigen Texten oft vorbehalten. Wir leben nun einmal in einer Zeit der Gefühligkeiten, die Reizthemen mehr Aufmerksamkeit schenkt als allem anderen. Spannend zu sein reicht nicht mehr, der Autor muss ins Wespennecht stechen. Und immerhin kann ich deinem Urteil, mein Text sei ein "Früher-war-alles-besser-Lamento" locker vom Hocker widersprechen. Heute ist alles besser. Bevor die Inflation eintrat, waren viele Nahrungsmittel - auch Fleisch - im Vergleich zu anderen Ländern extrem preiswert, und das, obwohl wir Deutsche längst beanspruchen, nur die besten Teile vom Tier zu essen. Wer kauft heute noch Innereien? Und wo werden sie noch angeboten? Nein, man verarbeitet sie zu Wurst, zu Tierfutter, exportiert sie oder wirft sie auf den Müll. Nur selten höre ich von Menschen heute noch die Worte: "Ich bin dafür, von einem Tier alles zu verwerten." Manchen Leuten gilt diese Haltung noch als ethisch.

Wir glauben, die Nahrungsmittelindustrie und der Handel hätten mittlerweile die Preisspirale zu weit nach oben getrieben. Das mag für Fertigprodukte gelten, bei denen viel getrickst wird, so dass man sie billig herstellen, aber unverhältnismäßig teuer verkaufen kann. Da muss sich der Deutsche aber an die eigene Nase fassen, denn das Selberkochen wird immer unbeliebter, obwohl es gesünder und billiger wäre (vor allem bei den zunehmenden Single-Haushalten: "Für mich allein lohnt sich der Aufwand nicht."

In diesem Land jammern die Leute immer noch auf einem verdammt hohen Niveau.

Ganz nebenbei haben sich Ideologien breitgemacht, die das Tragen von Lederkleidung und Ledertaschen als unmoralisch verdächtig gemacht haben. Was passiert eigentlich mit all den Häuten des Schlachtviehs, die trotzdem anfallen? Vermutlich werden auch sie exportiert.
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