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Alt 17.03.2017, 18:36   #1
männlich Forelle
 
Dabei seit: 03/2017
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Beiträge: 21


Standard Der Müller - ein Märchen

Ein kleines Märchen aus meiner Feder:

Einst kam ich an ein Bächlein, so süß und klar man glaubt es kaum!
Dort sah ich einen Müller, der saß vor einer Mühle die nicht mahlte.
»Was ist los?«, frug ich den armen Müller.
»Ach, Landstreicher« sagte er.
»Einmal will ich sein wie du: du Glücksgeborener, Göttergleicher. Die Ernte liegt im Speicher doch des Winters Schaffen reichte nicht. Sieh nur!«, jauchzte er voller Entsetzen und streckte seine Hand nach dem seichten Strom vor seiner Mühle. Wahrlich kein Gewässer um ein Mühlenrad zu bewegen.
»Ach, Landstreicher«, sagte er abermals.
»Du hast es gut: du machst es wie die Vögel – dort wo‘s warm wird und der Boden fruchtbar ist, dort fliegst du hin. Einmal will ich sein wie du und nur Gedanken haben wie ich einen Fuß vor den nächsten setze.«
Mir tat der arme Müller leid.
»So soll es sein«, sagte ich schließlich.
»Vom heutigen Tage sollst du anstatt mir in die Lande gehen. Doch ich warne dich Müller, es ist gefährlicher als du denkst. Räuber lauern in den Wäldern und die Berge sind karg und kaum wächst noch gedeiht etwas an ihren Hängen.«
»Ach Landstreicher«, sagte er und lachte.
»Nichts das ich nicht kenne, und mit den Räubern werde ich schon fertig.«
Eilig zeigte er mir sein trautes Heim.
»Das ist der Esel Elias,« sagte er, »er bedient das Mahlwerk und ist ein guter Freund.« Der Müllersohn senkte den Kopf an den starken Hals des Esels und so weilten sie einige Augenblicke.
»Meine Schwester Hortensia ist im Wald und sucht nach Beeren. Sag ihr, ihr Bruder lässt sie Grüßen und sie muss sich keine Sorgen machen. Als Sicherheit gebe ich dir diesen Ring; es ist der Ring meines Vaters und Hortensia muss dir glauben, wenn sie ihn sieht.«
Der Müller schlug seine Sachen in ein Tuch und marschierte pfeifend über den Weg hinaus von dem ich gekommen bin. Dann war ich mutterseelenalleine und setzte mich vor die Mühle ans Wasser. Ich lauschte dem friedlichen Plätschern des Mühlenstroms.
Später als es allmählich zu Dämmern begann kam Hortensia nach Hause gerannt – ich sah sie schon aus aller Ferne. Sie erschrak, als ein Fremder anstatt ihres Bruders im Müllerhaus auf sie wartete. Mit einem prächtigen Strauss Himmelschlüsselchen in der Hand fragte sie:
»Wer bist du?«
Ich zeigte ihr den Ring, den ich – damit ich ihn nicht verlieren würde, an meinen Finger steckte. Die erste Nacht tat ich kein Auge zu und ich glaube die Müllerstochter auch nicht.
Am Morgen weckte mich der herrliche Duft von gebackenem Pfannkuchen. Es vergingen sechs Tage und der arme Müller kehrte nicht wieder. Der Sommer war heiß und wir freuten uns im kühlen Gemäuer der Mühle Zuflucht zu finden. Die wüste Sonne dörrte die Felder aus und das satte Grün des Frühlings wich bald einem trockenem, durstigen Braun.
Eines Abends schlich eine Gruppe von Wölfen um den Stall. Der Esel Elias wieherte erregt, denn er konnte die brennende Mordlust der Raubtiere auf seiner Kehle spüren. Nach einem trockenen Monat war das süße Bächlein nur mehr ein schmächtiges Rinnsal, dass auf einen Splitter seiner einstigen Pracht zusammengefallen war.
Der Müllersohn blieb fern. Langsam wurde ich ungeduldig und hasste ihn, der mir meine Existenz gestohlen hatte. Der Herbst war der kälteste seit vielen Jahren. Seine Winde waren streng und forsch; sie leckten über die Wiesen und schüttelten wütend das Laub aus den Bäumen. Von den Bergen her schickte es die ersten Nachrichten des Winters.
Wochenlang schlugen wir Holz im Wald und füllten damit die Scheune hinterm Haus.
Hortensia sagte mir bald, sie trage ein Kind unter der Brust und als der strenge Winter über das Bergland Einzug hielt, krümmte sich ihr Bauch wie die Äste der Kirschbäume – die unter der Last des Schnees bald zu brechen drohten.
Nachdem die Kälte uns fast verhungern ließ und endlich die ersten Himmelschlüsselchen wieder durch die dicke Eisdecke brachen, gebar sie einen Jungen auf dem feuchten Stroh in der Scheune. Sie wollte ihn nach ihrem verschollenen Bruder nennen, doch mit diesem schmachvollen Namen wollte ich meinen Erstgeborenen nicht verfluchen.
Es war ein bildschöner Junge. Tiefblauen Augen, wie das Gewässer unterm Mühlenrad und leuchtendes Haar wie trockener Weizen war seines eigen.
Der Frühling zeigte sich wohlgefällig. Alles gedieh im Übermaß – satt und gesund atmeten die Felder. Der Müller blieb weiterhin fern. Am ersten Tag des Sommers braute sich ein Unwetter über den Hängen der Berge zusammen. Mit aller Macht schmetterte der Himmel untragbare Wassermassen auf uns nieder und riss unter sich die Eisschmelze mit ins Tal.
Die ganze Nacht hindurch schlug und hämmerte der Regen gegen Dach und Türen.
Mit trägem Stöhnen schob sich das Mühlrad in Bewegung und wir konnten endlich damit beginnen den Weizen der vergangenen Ernte zu mahlen. Mitten in der Nacht stürzte etwas Schweres auf das Wasserrad und blockierte die Mühle. Ich dachte, es sei wohl ein riesiger Felsen und ging nach draußen um nachzusehen. Keine zehn Schritte war ich gelaufen, da hatte mich der Regen bereits völlig durchnässt und der Wind ohrfeigte mich. Und als ich mich über den Bach bückte, der mittlerweile zu einem reissenden Strom schwoll, da schreckte es mir, denn vor mir auf der Wasserschaufel lag ein regloser Kopf. Aufgedunsen und blau, wie die Haut eines Fisches. Und darunter fiel ein schmutziger Hals in das schwarze Wasser.
Der Fluss schwemmte schwer und gefährlich über die Steine, als wäre es das schwarze Blut das aus dem Inneren der mächtigen Berge strömte. Ich zerrte den Leichnam aus dem Gewässer und legte ihn ins Trockene hinter die Scheune. Mit einer Kerze die ich aus dem feuchten Stallgewölbe holte, leuchtete ich dem Toten ins Gesicht. Obwohl die scharfen Steine ihn fast zur Unkenntlichkeit entstellt hatten, so erkannte ich ihn doch wieder und ein Schauer ging mir über das Rückgrat.
Es war der arme Müllerssohn, Hortensias verschollener Bruder. Er blickte mich nur allzu dringlich an, als wollte er mir etwas sagen und hätte die ganze Zeit auf mich gewartet. Ich bedeckte den Toten mit Stroh aus der Scheune, ging zurück in die Hütte und wusch mir Hände und Gesicht. Als ich zu meiner Geliebten ins Bett stieg frug sie mich:
»Du warst lange fort. Was war es denn?«
»Ein Stein«, murmelte ich.
»Nur ein großer Stein« Und ich hörte den Esel Elias aufgebracht wiehern und spürte seine Huftritte über den Boden wühlen, als die Wölfe hungrig um die Mauern schlichen. Ich drückte mein Weib fest an mich, bis mich der Schlaf zu sich rief.

Geändert von Forelle (17.03.2017 um 21:34 Uhr)
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