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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 09.08.2012, 22:29   #1
weiblich Rosenblüte
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 2.163

Standard In der Schönhauser Allee

Durch den Prenzlauer Berg, juchhe,
führt stolz die Schönhauser Allee.
Geschwängert die Berliner Luft
vom Diesel- und vom Dönerduft.
Viel Leben, wo ich geh und steh,
hier in der Schönhauser Allee.

Arbeiter, Rentner, Mutter, Kind
eiln über Stock und Stein geschwind.
Ein Punk mit seinem kleinen Hund
ist glücklich, ihm schlägt keine Stund,
wählt hoffnungsfroh APPD
hier in der Schönhauser Allee.

Seh Läden, sehe Restaurants,
seh ferne Länder wie in Trance,
Kleider aus Mali und Peru,
aus Nepal Schmuck, aus Rom die Schuh,
ess Nudelsuppe aus Taipeh
hier in der Schönhauser Allee.

Bierdosen liegen rum im Dreck.
Was soll’s? Ich kick sie einfach weg.
Ein Rapper feiert wild ein Fest,
ein harter Drink gibt ihm den Rest.
Ein Glatzkopf wankt vom BFC
hier in die Schönhauser Allee.

Bei Konnopke am Stand, oh weh,
steht wer auf meinem großen Zeh.
Würzig und heiß die Currywurst,
ein kühles Pils löscht meinen Durst,
während ich manchen Promi seh
hier in der Schönhauser Allee.

Ins Kino, einst ein Pferdestall,
strömt Alt und Jung von überall,
Kauft Cola, Popcorn, Tickets ein,
drängt in die Kinosäle rein,
bestaunt das Monster und die Fee
hier in der Schönhauser Allee.

Arcaden, du Konsumpalast!
Raubst viele Euros deinem Gast.
Wie die Bekloppten kaufen sie,
ganz stumpf und willenlos wie Vieh.
Ein armer Bettler sitzt im Schnee
hier in der Schönhauser Allee.

Ein alter Opa singt voll Hohn
ein Spottlied zum Akkordeon.
Verkäuferinnen sind geschlaucht,
es wird ne Kippe schnell geraucht.
Der Yuppie trinkt sein’ Milchkaffee
hier in der Schönhauser Allee.

Die Glocke von Gethsemane
trägt in die Straße die Idee
von Frieden und Gerechtigkeit,
vom Aufbruch in der Wendezeit.
Die Freiheit ist kein alter Schnee
hier in der Schönhauser Allee!
Rosenblüte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.08.2012, 05:12   #2
männlich Martand
gesperrt
 
Dabei seit: 04/2012
Beiträge: 745

Hi Rosenblüte,

für die Länge ein ansprechendes, klares Gedicht.
Über den Stil der poetischen Alltagssprache ("Currywurst", "vom Diesel- und vom Dönerduft") kann man streiten, über das Handwerk nicht.

Mir gefällt dies nicht so sehr, da mir ein wenig das Poetische fehlt und die Kunst nicht unbedingt heraussticht, wie andere Lyrik, erkenne jedoch, wie oben angedeutet, das feine Schreibkönnen an, das sich beispielsweise in den gut gemachten, "trickreichen" Reimen zeigt.

Willkommen in der Schönhausener Allee!

LG
Martin
Martand ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.08.2012, 08:38   #3
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.113

Mich stört die Alltagssprache nicht, denn sie wird bis zum Schluß durchgehalten und charakterisiert dieses Gedicht, das einem Bänkelgesang ähnelt. Außerdem paßt es zu Berlin. Hildegard Knef hatte sich in ihren Chancons einer ähnlichen Sprache bedient, wie z.B. in dem Lied "In dieser Stadt":

Zitat:
Leere, bunte Zigarettenschachteln
und zerknülltes Butterbrotpapier
auf dem Schulweg, den wir täglich machten,
seh' ich, als ob's heute wär', vor mir;
und wir klauten auf dem Beet vorm Bahnhof
für die Mutter den Geburtstagsstrauß ...
Was mich eher stört, ist das "juchhe" im ersten Vers, dem die Verlegenheit, einen Reim finden zu müssen, anzumerken ist und den Leser erst einmal zusammenzucken läßt. Dann geht es aber munter und sauber weiter.

Einen kleinen Meckerer habe ich noch: "Der Yuppie trinkt sein' Milchkaffee". Mit dieser Verkürzung kann man den Leser nicht bestechen, denn in Gedanken fügt er die unterdrückte Endung automatisch an. Ich bin jedenfalls heftig gestolpert. Besser wäre gewesen, ein gekürztes Wort aus der Alltagssprache zu nehmen: "Der Yuppie trinkt 'nen Milchkaffee".

Das wär's aber schon, rundum finde ich das Gedicht gelungen. Es muß nicht immer sublime Poesie sein.

LG
Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.08.2012, 11:08   #4
weiblich Rosenblüte
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 2.163

Hi ihr 2,

das Gedicht muss in Alltagssprache geschrieben sein, denn es schildert die Schönhauser Allee genauso
wie sie ist. Die Prenzlberger, die das Gedicht lasen, kannten sogar alle den schimpfenden Opa mit seinem Akkordeon.

Das Juchhe ist beabsichtigt, gerade weil es eine Art Bänkellied ist. nen Milchkaffee, das könnte man machen, wobei sein' ziemlich oft zu hören ist und ich es witziger und auch weniger sperrig finde als nen.

Klar, der Text ist sehr lang geraten. Aber hier ist eben ne Menge los. Morgen verreise ich und weiß jetzt schon, dass ich Heimweh nach der Schönhauser haben werde.

Liebe Grüße
Rosenblüte
Rosenblüte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.08.2012, 08:38   #5
weiblich Ex-Nitribitto
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2011
Ort: Berlin
Beiträge: 407

Standard In der Schönhauser Allee

Liebe Rosenblüte,

du besingst die Schönhauser. Das machst du gekonnt, beinahe routiniert, die Alltagssprache passt dazu, ja, ist geradezu Pflicht, und hier und da ein kleiner Stolperer macht in der Aufzählung dessen, was man da so sehen kann, aufmerksam. Vielleicht hätte ich mir sogar mehr Alltagssprache gewünscht.

Was mich an dem Gedicht stört, ist, dass du Klischees besingst. Es fehlt einfach gar nichts, das übliche Prenzlberg-Geschwurbel der Wohlbestallten, um es mal so zu sagen, alles schwebt an der Oberfläche. Aber auch am Prenzlberg geht die Gegenwart nicht vorbei mit ihren Mietervertreibungen, dem Schließen von Geschäften, der zunehmenden Anwesenheit von Menschen, die außerhalb des gesättigten Mainstreams existieren müssen. Du erwähnst einen "armen" Bettler, der einfach zur Freude der Vorübergehenden Musik macht. Aber glaubst du das wirklich? Einen mehr in die Tiefe gehenden Blick hätte ich mir bei diesem Thema schon gewünscht.

Mit liebem Gruß
Nitribitto
Ex-Nitribitto ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.08.2012, 10:50   #6
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo Rosenblüte,

variantenreich und in Hinsicht treffend eine Ausschnitt dieser Großstadt präsentiert. Gern gelesen.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.08.2012, 11:08   #7
weiblich Rosenblüte
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 2.163

Hallo Nitribitto,

ja, Alltagssprache und Stolperer sind beabsichtigt. Da ich nur Rucksack-Berlinerin bin, fehlt es mir natürlich an Biss und Witz, um die Alltagssprache noch gezielter einzusetzen.

Gerade das quirlige Leben, das du als Klischees bezeichnest, ist es, was den Prenzlauer Berg für mich so liebenswert macht und mich, der Gentrifizierung zum Trotz, hier ausharren lässt, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Im Gegensatz zu vielen Anderen ist mir das auch möglich, weil ich das Glück habe, in einer Genossenschaftswohnung mit moderater Miete zu leben.

Die unliebsame Entwicklung in meiner Umgebung hatte ich bereits in "Blick aus dem Fenster" geschildert: https://www.poetry.de/showthread.php?t=27768

Eines möchte ich noch klarstellen: Der alte Opa singt nicht zur Freude der Vorübergehenden, ganz im Gegenteil. Zu den schrägen Klängen seines Akkordeons beschimpft er lauthals die Zuhörer. Reich wird er auf diese Weise nicht. Wenn er ein paar Groschen beisammen hat, geht er zum Bäcker und trinkt einen Kaffee.

Lieben Gruß
Rosenblüte

***

Danke, lieber Gummibaum.

Lieben Gruß
Rosenblüte
Rosenblüte ist offline   Mit Zitat antworten
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