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Alt 08.06.2018, 20:09   #1
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Standard Der Hund - Teil 4

„Terence, sitz!“

Terence saß wie geheißen, hielt es aber nur zwei Sekunden aus und erhob sich schwanzwedelnd.

„Sitz!“

Terence setzte sich wieder auf die Hinterläufe, was Lisbeth mit Streicheln und Lob belohnte. Sie winkte Gerit zu sich, der auf der Holzbank vor der Hütte saß und seinen Kaffee schlürfte. „He, Sie Faulenzer, kommen Sie her. Jetzt sind Sie dran.“

Gerit beugte sich über Terence, hob den Zeigefinger und befahl: „Sitz!“ Terence antwortete mit „Wuff“, wedelte mit dem Schwanz und leckte Gerits Hand ab.

Lisbeth hielt sich den Bauch vor Lachen. „Nicht aufgeben, Gerit, nicht aufgeben.“

Terence lernte schnell. Gerit auch. Es bedurfte weniger Übungen, bis der Hund begriffen hatte, Befehlen wie „bei Fuß“, „sitz“ und „aus“ zu gehorchen. Gerit brauchte etwas länger, bis er Stehvermögen bewies und dem Hund nichts mehr durchgehen ließ.

Lisbeth kam jeden Tag und trainierte mit Terence zwei Stunden lang, wobei sie Gerit in die zweite Stunde einbezog. „Er muss auf Sie hören, auf niemanden sonst.“

Gerit machte sich allmählich Sorgen über die Kosten des Hundetrainings und hoffte, dass ihn sein neuer Roman nicht im Stich lassen würde.

„Was machen wir als nächstes?“

Lisbeth hatte sich nach dem Training zu einem Glas Rotwein überreden lassen. Sie saß neben Gerit auf der Sitzbank vor der Hütte und umfasste ihr Weinglas mit beiden Händen.

„Morgen üben wir ‚platz‘. Terence muss lernen, dass er Ihnen nicht aus freien Stücken überall hin folgen darf. Er muss liegen bleiben, bis Sie ihn rufen. Genauso wichtig ist, dass er, hinter was immer er gerade her ist, seine Aktion abbricht und zu Ihnen zurückkommt, wenn Sie ihn dazu auffordern.“

„Ist das eine Universalsprache für Hunde, diese Befehle?“

Lisbeth lachte. „Aber nein. Auf die Begriffe kommt es nicht an. Ihr Hund muss Ihre Befehle kennen und wissen, was er für Sie zu tun hat, dann ist es perfekt. Es gibt Leute, die nur mit den Fingern zu schnippen brauchen, und ihr Hund weiß, was damit gemeint ist.“

„Sie haben Terence schon ziemlich weit gebracht.“

„Ja, er ist blitzgescheit. Maximal noch acht Übungseinheiten, und wir sind mit dem Grundprogramm durch.“

Bei Lisbeths Worten fühlte Gerit ein Unbehagen, das er nicht deuten konnte. Die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, schien ihm viel zu schnell vergangen zu sein.

„Das heißt, in vier Tagen ist Ihre Arbeit für Terence und mich beendet. Und dann?“

Lisbeth beugte sich vor, sah in ihr Glas und schwieg. Nach einer Weile traute sich Gerit, sie zaghaft anzusprechen. „Alles in Ordnung?“

Sie nickte und begann zu sprechen, schnell aber klar. „Als ich Ihren ersten Roman gelesen hatte, war ich fasziniert. Er war schonungslos, entlarvend, grausam und ehrlich. Ich dachte: Das kann nur ein alter weiser Mann geschrieben haben. Als ich erfuhr, dass Sie erst Mitte dreißig sind, war ich geschockt. Ich dachte: Dieser Mann kann kein Herz haben, sonst wäre er nicht fähig gewesen, in Abgründe zu sehen, die ihn verrückt machen müssen oder ihn auf der Stelle tot umfallen lassen.“

Gerit war von Lisbeths Stimmungswechsel irritiert. „Und jetzt sind Sie enttäuscht, dass ich noch lebe …“

Lisbeth ignorierte Gerits Sarkasmus. „Ich habe alle Ihre Romane gelesen, Gerit. Sie haben mir Angst gemacht, aber sie wirkten auf mich wie ein Rausch.“

In Gerit stieg eine Ahnung auf. „Ihr Boss hat gar keinen engen Terminkalender. Sie wollten den Job.“

Lisbeth nicke. „Ich wollte wissen, wer Sie sind. Wie Sie wirklich sind.“

In Gerit stieg Zorn auf, denn er fühlte sich getäuscht. Seine Stimme wurde hart. „Und? Wie bin ich? Was bin ich? Ein Freak? Ein Monster?“

Sie blickte ihn erschrocken an, und er sah, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten. „Anders. Dachte ich.“ Sie stellte das Weinglas auf der Bank ab und stand auf. „Ich gehe jetzt besser.“

Gerit sah ihr nach, wie sie mit federndem Schritt zu ihrem Jeep ging. Mary Astor war nichts gegen sie. Verdammt, er hatte einen Fehler gemacht.

„Lisbeth!“

Als er den Jeep erreichte, war sie bereits eingestiegen und hatte den Motor gestartet. „Gute Nacht, Gerit.“

Terence hatte sich zu Gerit gesellt, und gemeinsam schauten sie dem Jeep nach, bis er hinter der ersten Biegung in Richtung Landstraße verschwunden war.

.*.*.*.*.*.

Terence saß seit einer Stunde am Zufahrtsweg zur Hütte und wartete. Alle paar Minuten drehte er den Kopf in Richtung Gerit, der am Campingtisch vor seinem Laptop saß, aber statt zu schreiben vor sich hinbrütete. „Das wird heute nichts,“ seufzte Gerit und klappte den Laptop zu. Er stand auf, hob einen der Tennisbälle auf, die auf dem Grundstück verstreut lagen, und stieß einen kurzen Pfiff aus. „Terence, komm spielen.“

Terence rührte sich nicht vom Fleck, sondern behielt den Sandweg im Blick. Gerit ging zu ihm, fasste sein Halsband und zerrte ihn mit sich. „Sei nicht so stur. Sie kommt nicht. Sie wird nie mehr kommen.“

Gerit warf den Tennisball ein Stück weit den Hang hinunter. „Hol ihn zurück!“

Doch Terence gab nur einen fiependen Laut von sich, machte kehrt und setzte sich wieder an den Sandweg.

„Na gut, dann muss ich andere Seiten aufziehen.“

Gerit ging in die Hütte, kam mit Portemonnaie und Autoschlüssel wieder heraus, nahm den Laptop vom Campingtisch und öffnete die hintere Tür seines Wagens. „Einsteigen, Terence, wir fahren einkaufen.“

Terence blieb sitzen.

„Wird’s bald!“

Wie in Zeitlupe erhob sich Terence, trottete widerwillig zum Wagen und sprang auf den Rücksitz. Gerit startete den Motor und brauste den Sandweg entlang, dass der Staub aufwirbelte.

Nach dem Supermarkt kehrte Gerit bei seinem Stammwirt ein und lud in der Kneipe seinen Laptop auf. Dann machte er sich mit Terence auf den Heimweg, fühlte sich aber trotz der zweistündigen Ablenkung genauso angespannt wie vorher.

Als Gerit von der Landstraße in den Sandweg einbog und einige Meter zurückgelegt hatte, erhob sich Terence auf dem Rücksitz, soweit er konnte, und begann abwechselnd zu fiepen und zu bellen und ungestüm mit dem Schwanz zu wedeln.

„Ruhig, Terence. Leg dich wieder hin. Gleich sind wir zu Hause.“

Das erste, was Gerit nach der letzten Wegbiegung sah, war Lisbeths Jeep, den sie neben der Hütte geparkt hatte. Er hielt abrupt seinen Wagen an, als wolle er seinen Augen nicht trauen und erst die Lage sondieren. Lisbeth saß auf der Holzbank und tippte in ihr Smartphone, wie damals, als sie auf ihn wartete, bis er mit Terence vom Spaziergang am See zurückkam. Gerit fuhr weiter, stoppte den Wagen neben Lisbeths Jeep, stieg aus und eilte zu ihr. Als sie ihn kommen sah, stand sie auf.

„Gerit, tut mir leid, ich …“

Er nahm sie in die Arme und küsste sie. Sie ließ es geschehen, erwiderte seinen Kuss jedoch nicht. Seine Finger strichen durch ihr dunkles, seidiges Haar, das ihr bis über die Schultern fiel.

„Ich dachte, ich sehe dich nie wieder. Mein Benehmen gestern war idiotisch.“

Lisbeth ging nicht darauf ein und löste sich aus seinen Armen. „Ich hatte einen Unfall, nichts Schlimmes, aber ich konnte deswegen nicht pünktlich kommen.“

„Warum hast du mich nicht …“

Er sprach nicht weiter, weil sie ihn spöttisch anlächelte. „Benutzt du zuweilen auch mal dein Smartphone?“

Beide brachen in Lachen aus. Gerit konnte sich nicht erinnern, wann er sich zuletzt so erleichtert gefühlt hatte wie in diesem Augenblick.

Aus dem Wagen tönte wildes Gebell, das Gerits Sinne bis jetzt ignoriert hatten. Doch ehe er Terence zu befreien gedachte, war dieser zwischen den Rückenlehnen der Vordersitze durchgeschlupft und aus der offenen Tür gesprungen. Mit wenigen Sätzen war er bei Lisbeth und stupste sie mit der Nase am Hosenbein. Lisbeth wuschelte ihm kurz das Fell.

„Du hast einen klugen Hund, Gerit. Gehen wir an die Arbeit?“

Gerit nickte. „An die Arbeit.“

Am Nachmittag saßen Gerit und Lisbeth vor der Hütte, jeder eine große Tasse mit dampfendem Kaffee neben sich auf der Sitzbank. Terence lag zu ihren Füßen. Er hob den Kopf und spitzte die Ohren, als von weitem ein Motorgeräusch hörbar wurde. Auf dem Sandweg erschien ein Audi A4.

„Das ist Leo.“

Gerit sprang auf, um dem Freund entgegenzueilen und ihn zu begrüßen. Sie umarmten sich herzlich.

„He, alter Knabe, ich musste mal nachsehen, was du hier den lieben Tag lang treibst.“

Leo machte den Kofferraum seines Audi auf und holte ein Bündel Umschläge raus. „Außerdem war ich bei dir zu Hause und habe nach der Post gesehen. Das hier ist alles.“

Gerrit nahm die Umschläge und warf sie auf den Fahrersitz seines Wagens.

„Danke, ich sehe sie später durch. Was würde ich bloß ohne dich machen.“

„Ohne mich würdest du in der Hölle schmoren. Übrigens, du könntest ab und zu mal dein Smartphone einschalten.“

Ehe Gerit darauf erwidern konnte, eilte Leo auf Lisbeth zu.

„Lisbeth, mein Schatz!“

Sie fiel ihm um den Hals. Er hielt sie an den Hüften fest, hob sie an und wirbelte sie im Kreis. Dann küsste er sie auf die Stirn, die Wangen, den Mund und auf die Nasenspitze. Er strahlte Gerit an.

„Ist sie nicht phantastisch?“

Gerit war irritiert. Was ging hier vor? Leo und Lisbeth? Lisbeth und Leo? Gerit traute dem alten Gauner alles zu. Es gab keine Frau, die sich von ihm nicht hatte erobern lassen. Sein Charme, seine Herzlichkeit, sein Einfühlungsvermögen, die weibliche Seite seines Wesens, gepaart mit einer virilen Energie machten ihn unwiderstehlich. Aber der Altersunterschied? Lisbeth könnte seine Enkelin sein.

Leo war Gerits Verwirrung nicht entgangen. „Was meinst du, Lisbeth, wollen wir Gerit unser süßes Geheimnis anvertrauen?“

Lisbeth schmiegte sich an Leos Brust. „Sag’s ihm. Ich bin sicher, er wird es für sich behalten.“

Gerit war alarmiert. „Nicht nötig. Ich kann’s mir selbst denken. Herzlichen Glückwunsch.“

Er wandte sich ab, um in die Hütte zu gehen, doch Leo fasste ihn am Handgelenk. Seine Augen funkelten vor Stolz. „Lisbeth ist meine Tochter.“
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