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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 03.12.2010, 21:20   #1
männlich Heinz
 
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Standard Der achte Tag

Jahwe ruhte, weil er dachte,
alles gut gemacht zu haben:
Licht und Dunkel, Land und Meere,
Fische, Bäume, Gräser, - Tiere,
die auf allen Vieren gehen
und die Menschen. Achtet sorgsam,
was die Bibel weise kündet:
In der besten Schöpferlaune
schuf er sie als Mann und Weib.

Jahwe schlief, doch Lilith wachte,
schaute kritisch in die Runde,
stieß dem Adam in die Rippen,
fragte ihn, ob er nicht spüre,
dass noch dies und jenes fehle.
Adam knurrte: Frau, gib Ruhe!
Alles ist zu unsrem Besten.
Lass die Finger von der Schöpfung,
sei zufrieden, Weib, sei still!

Doch Lilith, das feurige, rastlose Weib,
begann voller Eifer, die Welt zu verschönern.
Was farblos bisher ihre Sinne nicht reizte,
erstrahlte in glühenden, prächtigen Tönen.
Die Bäume ergrünten und rot blühten Rosen,
und safrangewandet bestrahlte die Sonne
mit goldenen Lanzen das Kobalt des Meeres.
Mit Purpur bestäubt’ sie die eigenen Haare,
betupft’ auch die Lippen und sieh! Es war gut.

Das Wispern des Windes in raschelnden Blättern
verlieh sie der Stimme für zärtliche Stunden ,
sie lehrte die Lerchen die schönsten Gesänge,
Sitaren erfand sie, Schalmeien und Geigen.
Die Sphärengesänge der Monde und Sterne,
das Zirpen der Grillen im Gras und das Rauschen
der silbrigen Bäche, das Summen der Bienen,
verdanken wir Lilith, dem prächtigen Weibe.
Entsperrt eure Ohren und hört: Es ist gut!

Mit Äpfeln wars leicht für die Eva, die später
des hungrigen Adams Geschmacksnerven reizte.
Gourmets mögen Liliths besondere Küche,
die sonnengereiften Orangen und Feigen,
Filets von gemästeten Ochsen und Fische,
geräuchert im Rauche der duftenden Pinie,
vollendet mit Hebrons gewürzten Getränken
und schwarzen Oliven, zu naschen aus Liliths
verlockendem Schoß. Und sie sprach: Es ist gut!

Wie soll sie den schlummernden Adam bezirzen?
Er hört und er sieht nichts, die leckersten Sachen
verschmäht er und weiß ihre Kunst nicht zu schätzen.
Mit Düften der Myrrhe und Moschus von Hirschen,
mit Ambra und Ölen der Narde versucht sie
vergebens, den Adam im Adam zu wecken.
Die Welt macht’ sie bunter, Musik und Gesänge
erfreuen die Sinne, die köstlichsten Speisen
hat sie ihm bereitet, - er brummt nur: Is’ gut.

Nimm Öl von der Narde, ertönet von oben,
und salb ihn, wie später Maria die Füße
des einzigen Sohnes, der je mir vergönnt war.
Doch streich diesen Balsam in andre Regionen,
Vielleicht wird er denken, der Himmel sei nahe
und seufzend dir danken und Gleiches für dich tun.
Hätt ich nur des Adams gebändigte Klugheit
Geahnt, ich vermute, dann gäb es nur Liliths,
Dann könnt ich mir sagen: Ach ICH! Es ist gut.
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Alt 03.12.2010, 21:56   #2
Thing
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Halli Hallo, Heinz!

Ein gar gelungenes Hohelied auf Lilith und ihre Künste.
Ich habe Lilitz in Beziehung zu Adam zwar anders in Erinnerung (sie war ihm nicht nur zu gleich, sie war ihm überlegen), aber das stört mich nicht.

Welch blumige Sprache.
Wenn ich mich nicht täusche, kommt mir das Gedicht sehr bekannt vor.

Der Achte Tag hat für mich zwei Bedeutungen:

Roman von Th. Wilder.
"Die Schöpfung schreitet ständig fort"

Welches Versmaß hast Du genommen?

Vorerst grüße ich tief beeindruckt.

Thing
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Alt 04.12.2010, 00:39   #3
männlich Heinz
 
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Standard Der achte Tag

Lieber Thing,
vielen Dank für Dein Lob.
Welches Versmaß?
Erste Strophe: Viehebige Trochäen mit weiblicher Kadenz bis auf den letzten Vers, der endet mit einer männlichen Kadenz.
Zweite Strophe: Dasselbe nochmal.
Dritte bis siebte Strophe: Vierhebige Daktylen mit Auftakt, fast alle mit männlichen Kadenzen endend.
Auf Reime habe ich verzichtet.
Ich denke, mit der Überlegenheit Liliths sind wir uns einig. Meiner Meinung nach kommt das auch überdeutlich zum Ausdruck. Adam, der tumbe Erdenkloß hier, Lilith, die Kreative da.
Wenn Dir das Gedicht bekannt vorkommt, dann kann das nur einen Grund haben: Ich habe das schon mal in einem anderen Forum veröffentlicht.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 04.12.2010, 09:31   #4
weiblich Ilka-Maria
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Lieber Heinz,

sehr schön geschrieben. Ich habe das Thema auch schon einmal bearbeitet, allerdings nicht in dieser breiten, epischen Form. Liest sich flüssig und besticht durch den Sprachstil.

LG
Ilka-M.
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Alt 04.12.2010, 14:10   #5
männlich Heinz
 
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Standard Der achte Tag

Liebe Ilka-Maria,
ja, so geht es uns Schreiberlingen: Wie wäre ein Thema zu finden, über das noch nie geschrieben wurde? Es gibt eben nichts Neues unter der Sonne. Aber ich bin auf der Suche.
Für Deine lobenden Bemerkungen sage ich herzlichen Dank.
Gruß,
Heinz
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Alt 04.12.2010, 22:11   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Wie wäre ein Thema zu finden, über das noch nie geschrieben wurde?
Nie geschrieben wohl nicht. Aber frage mal in Deiner (christlich geprägten) Umgebung, wer Adams erste Frau war. Im allgemeinen kennt man nur eine, die man für die erste hält, die aber die zweite war.
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Alt 05.12.2010, 03:07   #7
männlich Heinz
 
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Standard Der achte Tag

Hallo, Ilka-Maria,
Dein jüngster Beitrag bringt mich ins Grübeln:
"Aber frage mal in Deiner (christlich geprägten) Umgebung, wer Adams erste Frau war. Im allgemeinen kennt man nur eine, die man für die erste hält, die aber die zweite war".
Das mangelnde Wissen von Lilith, die nicht aus Adams krummer Rippe gebaut wurde, war ja für mich ein Anlass für meinen "achten Tag". Dass der Teil der Schöpfungsgeschichte in einer patriarchalisch geprägten Religion aus der Bibel (fast) restlos getilgt wurde und durch die "Gehilfin" Adams (Eva) ersetzt wurde, wissen "in meiner christlich geprägten Umgebung" alle die, die sich nicht mit dem Herunterbeten des Katechismus zufrieden gaben, sondern noch das eine oder andere Buch (z.B. "Das geheime Wissen der Frauen") gelesen haben. Du weißt doch offensichtlich auch von der Frau, die nach der ursprünglichen Schöpfungsgeschichte die erste war und die es nach der Lutherbibel gar nicht gibt. Ich frage Dich: Was willst Du mit Deinem Beitrag sagen?
Gruß,
Heinz
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Alt 05.12.2010, 08:42   #8
weiblich Ilka-Maria
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In der Bibel findet sich nur ein vager Hinweis auf Lilith, ohne deren Namen zu nennen. Da ich die jüdischen Schriften nicht kenne, in denen Lilith genannt wird, bin ich auf anderem Wege auf sie gestoßen, nämlich durch die Romane von Christoph Marzi ("Lycidas" und "Lilith").

In der christlich-religiösen Erziehung gilt nach wie vor Eva als erste Frau und einzige Gefährtin Adams. Über Lilith hat so gut wie niemand gelesen oder etwas gehört. Wenn ich von Lilith erzähle, gibt es jedenfalls nur erstaunte Gesichter.
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Alt 05.12.2010, 11:29   #9
Thing
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Halli Hallo, Ilka-Maria!

Mein Großvater war Pfarrer, der die Übersetzung vom Hebräischen in Latein (bei der Prüfung) beherrschen mußte.
Von ihm kenne ich die Geschichte Litliths, Adams erster Frau.
Eva bekam er (Adam, nicht mein Großvater! ), als er sich beim HErrn beschwerte.
Eva war die Folgsame, "Unterlegene", aus Adams Rippe geformte. (Sehr tief blicken lassend).

Kein Wunder, daß in pariarchalisch ausgerichteten Gesellschaften Lilith schnell ins Vergessen geriet!

Das in aller sonntäglichen Kürze;
mit Grüßen auch an Heinz!


Thing
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Alt 05.12.2010, 12:11   #10
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Zitat:
Eva bekam er (Adam, nicht mein Großvater! ), als er sich beim HErrn beschwerte.
Genau darum geht es in meinem "Lilith"-Gedicht.
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Alt 05.12.2010, 12:57   #11
Thing
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Halli Hallo, Ilka-Maria!

Kenne ich Dein Lilith-Gedicht?

Thing
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Alt 05.12.2010, 13:10   #12
weiblich Ilka-Maria
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Alter Faulbär, hättest ja mal selbst suchen können.

Ist schon etwas länger her und sicherlich verbesserungsbedürftig.

https://www.poetry.de/showthread.php?t=17087
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Alt 05.12.2010, 14:41   #13
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Standard Der achte Tag

Liebe Ilka-Maria,
Du schreibst:
"Über Lilith hat so gut wie niemand gelesen oder etwas gehört. Wenn ich von Lilith erzähle, gibt es jedenfalls nur erstaunte Gesichter."
Du sprichst große Worte gelassen aus und begibst Dich damit auf trügerisches Glatteis. Okay, wenn Du sagen würdest: "Von Lilith hat keiner meiner Bekannten etwas gelesen oder gehört, und wenn ich von Lilith erzähle, machen sie erstaunte Gesichter", dann ließe ich mir das gefallen (auch wenn es ein schlechtes Licht auf die Allgemeinbildung Deiner Bekannten wirft). Ein bisschen forsch, Dein "so gut wie niemand", meinst Du nicht auch?
Einig sind wir uns hoffentlich darüber, dass Adam mit der zeitgleich erschaffenen Lilith ("und er schuf den Menschen als Mann und Frau") und deren Anspruch, auch mal oben liegen zu wollen, nicht zurecht kam. Da die Bibel nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von vielen Menschen geschrieben wurde, hauptsächlich Männern, kann es doch nicht verwundern, dass die frauenfeindlichen Kleriker dieses tolle Weib aus der Bibel tilgten und dem Adam eine aus eine seiner Rippen gebasteltes, untertänige Gehilfin bastelten. Mir als leidlich emanzipierten Mann gefällt die Lilith tausendmal besser.
Lieber Thing,
ich danke Dir für Deine Schützenhilfe.
Beste Grüße an Euch beide,
Heinz
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Alt 05.12.2010, 16:12   #14
weiblich Ilka-Maria
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Ich habe nichts anderes gemeint, als daß die Bibelverfasser bewußt etwas verschwiegen bzw. nicht übernommen haben. Deshalb kann man auch niemandem einen Vorwurf machen, der von Lilith nichts weiß. Wie bereits gesagt, bin ich selbst erst durch einen Roman darauf aufmerksam geworden. Da war ich schon über 50 Jahre alt und gehörte seit 30 Jahren keiner Kirche mehr an. Abgesehen davon ist dieses Thema auch nicht sonderlich wichtig. Ich habe die Emanzipation nämlich auch ohne dieses Wissen geschafft und stehe seit Jahrzehnten auf eigenen Füßen. Allerdings wünschte ich mir, zu so viel Ausschweifung fähig zu sein wie Lilith. Aber vielleicht schaffe ich das auch noch. Was habe ich in meinem Alter noch zu verlieren?
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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