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Alt 29.02.2008, 20:51   #1
Wibeau
 
Dabei seit: 02/2008
Beiträge: 2

Standard Imbissbudengedanken

einerseits erklimme ich den vorläufigen Gipfel der Banalität, wenn ich eine Imbissbude besinge.

andererseits, so vermute ich, lässt sich von diesem Gipfel aus alles Banale glasklar erkennen.

einerseits ist es O.K., wenn wir gelegentlich unser Abendessen aus der Imbissbude holen, wenn der tag so gewaltig war, dass man keine Power mehr hat, um sich an den Herd zu stellen um halb sieben abends, und Bratkartoffeln mit Spiegelei fertig zu brutzeln, also gibt es heute also Pommes und Currywurst oder Frikadellen und wenn man Glück hat, dann schmeckt das Zeug auch.

andererseits stehen ganz viele da, abends um halb sieben, mit ihren Bestellungen für die hungrigen Mäuler daheim, während draußen der Feierabendverkehr durch den Sprühregen rauscht. Außerdem kann ich mir auf der Fahrt zur Imbissbude, die im Schnitt 7:32 dauert, Ten Years After auf volle Lautstärke reinprügeln, nur dass ich auf dem Weg zur Bude hin bin, und nicht „ I`m going Home“

andererseits machen mich die Frauen depressiv, die mich bedienen, weil sie permanent gestresst sind, die Finger und die Haare voller Frittenfett und Frittendunst, und sie erscheinen mir stets, als gingen sie am Limit, als seien sie gehetzt und auf ihr sauer verdientes Geld extrem angewiesen, weil Mann und Kinder und eine hohe Miete dahinter hängen, wenn sie die ganzen anderen hungrigen Familien bekochen, die dann irgendwann schmatzend daheim sitzen, während immer wieder neue Frittenesser und Frittenbesteller in die Bude strömen, bis dass sie dann irgendwann um 23 Uhr erschlagen unter einer Dusche stehen und sich den Siff des Abends aus den Haaren und der Seele spülen, herrgott.

einerseits ist es auch ganz entspannend, wenn die eine Bedienung der anderen die ganzen Bestellzettel durcheinander wirft, sie sich gegenseitig anpflaumen, die Kunden die Bedienungen anpflaumen oder die Kunden sich gegenseitig anpflaumen, weil die komplette Reihenfolge durcheinander gewürfelt wurde, und der ganze Laden eine traurige Episode eines traurigen, frittenfettigen Abends wird.

außerdem ist es traurig, wenn irgendein Vogel mit seiner Halbliterflasche Pils am Geldspielautomaten sitzt und sein Geld in einen blinkenden Kasten wirft, und besonders traurig ist es, wenn seine Kinder das Abendessen bestellen und verloren dastehen in Augenhöhe mit Farmersalat, Maissalat, Eiersalat und kalten Frikadellen als schwarzen Horizont.

Manchmal ist mir auch nicht nach Ten Years After zumute, noch nicht einmal nach Madonna oder Juli, sondern höchstens nach Klassik. Und letztens hörte ich ein mittelalterliches Gitarrenspiel im Radio. Und als ich in die Bude als siebter oder achter wartete, da klang das alles noch nach, als sei ich gelähmt. Und ich erschien mir und die ganzen Wartenden und Bedienenden und der Automatenspieler und seine Kinder ohne Perspektive mit dem Blick auf den schwarzen Horizont wie ein versunkenes Stillleben aus einem vergangenen Jahrhundert weit vor unserer Zeit, und in einem Augenblick erstarrte das alles zu einem selten blöden und traurigen Gemälde, zu einer bewegungslosen, pommesfarbenen Gravur, und alles war still…
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Alt 29.02.2008, 21:51   #2
El_Hefe
 
Dabei seit: 10/2006
Beiträge: 1.530

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