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Alt 30.05.2017, 20:01   #1
Vanquished
 
Dabei seit: 05/2017
Beiträge: 2

Standard Vermächtnis

Zeit ist meine Verbündete, da ich, anders als Andere, nichts von ihr erwarte. Und sie ist die mächtigste aller kosmischen Kräfte, denn sie war immer, und wird immer sein. Selbst wenn alles Leben ein Ende findet, Selbst wenn Raum zerfällt und Existenz nicht mehr ist als ein gehauchtes Verlangen, so bleibt sie, als maß aller Dinge, uns dennoch erhalten. Doch gleichsam ist sie Gnadenlos, hält inne für niemanden, beraubt uns allem was wir lieben bis wir uns wünschen, sie würde unser elend beenden. Doch sie lässt sich nicht kontrollieren. Nicht bändigen. Von Niemandem. Was ich ihr nütze? Ich belaste sie nicht mit meinen Hoffnungen, nicht mit träumen, und ich wünsche mir keinesfalls, dass sie für mich rastet. Im Gegenteil. Ihr voranschreiten ist das, was mich lebendig macht. Wo andere ihr Leben dahinschwinden sehen, sehe ich die Wahrheit, sehe die Essenz meines Seins. Nun, was nützt die Zeit mir allein? Tatsächlich ist es die Zeit, die mich über meine Mitmenschen erhebt, mich weiser macht als sie, effektiver. Der Schlüssel zu irdischer Vollkommenheit ist nichts weiter als die Einsicht, dass Zeit für den Menschen völlig belanglos ist. Denn was hat der Mann, der den Tod fürchet, am Ende seines Lebens erreicht? Sein Besitz, seine Liebsten, sie alle haben für ihn keine Bedeutung mehr. Denn im Tod bleibt im nur eines. Das Vergessen. Und für die, die um ihn trauern, bleibt nur Schmerz. Es gibt kein Himmelreich, keine Entrückung. Für niemanden. Jeden erwartet am ende die gleiche Leere. Das Einzige was dich und mich unterscheidet, ist unsere Einstellung zu diesem allgegenwärtig drohenden Ende. Unsere Erwartung von dem, was als "Leben" beschönigt wird. Derjenige, der während seinem Aufenthalt auf Erden der Zeit hinterher jagt, sein Dasein verzweifelt mit Substanz füllen, mit Besitz und Wissen mästen will, der hat sein Haus bereits am Rand der Vergessenheit erbaut. Er wird Leben, um zu Leben, mit jeder Faser seiner selbst bloß für ein Leben existieren, das er so sehr fürchtet zu verlieren, und dessen Verlust, egal was er sich vormacht, gewiss ist. Nicht am Tag seines Todes verfällt der Mensch in Bedeutungslosigkeit, sondern bereits am Tag seiner Geburt. Und die Antwort, nach der der sterbende Mensch so verspätet sucht, die Antwort wird ihm nicht helfen. Denn nur wer sich längst losgelöst hat von Raum, Zeit und seiner eigenen Existenz, nur wer bereit ist, seinen Blick vom irdischen zu lösen und die Welt von einem fernen Standpunkt aus zu verstehen gelernt hat, wer über dem steht, was die Menschen als "Sinn" betrachten, wird verstehen. Den der Schlüssel zum Leben ist nicht etwa das Streben nach einem erfüllten dasein. Wer wirklich Leben will, der sieht im Tod nicht etwa eine Grenze. Der Tod ist vielmehr der Anfang. Wer wirklich existieren will, der muss überdauern. Das Leben als solches ist eine Illusion. Vielmehr obliegen dem Menschen zwei Etappen des Daseins. Die Phase des Schaffens, als Quelle aller Werke, sowie die Phase der Macht, in der ein Mensch nicht länger als bloßes Geschöpf verbleibt, sondern als Instanz. Als Lehre. Als eine eigene Philosophie. Lebe nicht um zu Leben, Lebe um zu überdauern. Nur wer die Zeit besiegt, erfüllt die Bestimmung des menschlichen Seins: Vermächtnis.
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