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Alt 05.12.2016, 01:10   #1
weiblich Eiskönigin
 
Benutzerbild von Eiskönigin
 
Dabei seit: 09/2016
Ort: In meinen Gedanken
Alter: 24
Beiträge: 196

Standard Tagebuch oder so

Mein erster Versuch einen möglichen Tag zu beschreiben:




"Steh auf Laura" ruft meine Mutter.
Nur noch zehn Minuten, sage ich mir und ziehe mir die Decke über den Kopf.
"Wenn du heute wieder nicht zur Schule gehst, darf dein Freund am Wochenende nicht kommen.", dringt es aus der Küche.
Ich habe jetzt schon keinen Bock mehr auf diesen Tag.
Ich hasse solche Vorwürfe, die meistens zu unnötigem Streit führen.
Ok, ich sollte vielleicht wirklich mal aufstehen.

Am Frühstückstisch kippe ich fast vom Stuhl, so müde bin ich.
Also erstmal einen Kaffe trinken.
Genau, in dem Moment, in dem ich den letzten Schluck getrunken habe, fällt mir auf, dass ich noch meine Tabletten nehmen muss.
Also mache ich mir eine neue Tasse Kaffe, denn mit Wasser bekomme ich die Tabletten nicht runter.
Mist, die Milch ist fast leer.
Papa sollte wirklich mal früher neue kaufen.

Nach dem Frühstück gehe ich in mein Zimmer.
Dort steht ein kleines Trampolin, auf dem ich jeden Tag hüpfe.
Wenn ich nicht hüpfen kann, bin ich den ganzen Tag unruhig und schlecht gelaunt.
Aber irgendwie gefälltmir meine Musik nicht mehr, ich brauche dringend neue.
Egal, ich mache Twenty One Pilots an, die gehen immer.

Im Bad bin ich erstmal viel zu lange am Handy.
Ich habe eigentlich nur nach neuen Nachrichten geguckt, aber dann muss ich ja auch zurückschreiben und Instagram will auch noch geöffnet werden und auf youtube gibt es so viele neue Videos...

Jetzt muss ich mich aber wirklich beeilen.
Im Turbogang putze ich mir die Zähne und eile unter die Dusche.
Gerade nich rechtzeitig bin ich fertig.
Meine Haare sind noch nass, aber das ist mir egal.
Ich ziehe einfach einen Kapuzenpulli an und bis der Unterricht anfängt, sind sie hoffentlich trocken.

Im Bus habe ich meine großen Kopfhörer auf und versuche etwas abzuschalten.
Fast gelingt es mir, aber mein Kopf sagt:

"Du schaffst deine Hausaufgaben nicht in den Acht Minuten vor dem Unterricht. Du wirst einen Strich bekommen und deine Eltern werden ausrasten.
Steht nicht auch irgendein Test an?
Achja über die neuen Englischvokabeln, die du dir eigentlich gestern angegucken wolltest.
Du bist ja voll verschwitzt, dein Glück, dass niemand neben dir sitzt, vielleicht bemerken die anderen dann nicht sofort, dass der Gestank von dir ausgeht.
Pfui, du stinkst wirklich.
Kein wunder, dass niemand neben dir sitzen will."

Habe ich schonmal erwähnt, dass ich meinen Kopf hasse?
Ja, ich weiß, es sind meine eigenen Gedanken, aber die treiben mich manchmal in den Wahnsinn.

Bevor ich ins Klassenzimmer gehe, muss ich auf jedenfall zur Toilette und mich mit Deo einnebeln, dass hatte ich in der Eile ganz vergessen.

Natürlich habe ich jetzt keine Zeit mehr für die Hausaufgaben, aber wenn ich mein Heft aufschlage und ab und zu mal hineingucke fällt das hoffentlich nicht auf.
Ich bin echt nervös.
Einen weiteren Eintrag kann ich mir nicht erlauben.
Außerdem bezweifle ich, dass ich es verkrafte, wenn irgendjemand mich heute blöd anmacht oder mich alle ignorieren.
Heute ist echt nicht mein Tag, da ist meine Psyche höchstens minimal belastbar.

Im Unterricht kann ich mich kaum konzentrieren.
Welche Seite sollten wir nochmal aufschlagen?
Ich versuche unauffällig zu meinem Sitznachbar zu schielen, aber der sitzt zu weit weg.
Ein normaler Mensch könnte die Seitenzahl wahrscheinlich ohne weiteres entziffern, aber ich bin fast blind.
Ja, ich trage eine Brille und nein, ich kann deshalb trotzdem nicht automatisch gut gucken.

In der nächsten Stunde haben wir Vertretung.
Ich hasse Vertretungsstunden.
Sie können ja manchmal ganz lustig sein, aber meistens wird meine Klasse sehr laut.
So wie jetzt gerade.
Ich zuehe meine Kopfhörer über und mache Musik an.
Aber das hilft nicht.
Die Musik und die Stimmen meiner Mitschüler vermischen sich zu einem einzigen lauten Geräusch.
So langsam bahnt sich ein Overload an.
Noch 24 Minuten und 49 Sekunden* bis zur Pause.
Das ist definitiv zu lang.
Wenn ich hier nicht bald rauskann, raste ich aus.

Nicht äußerlich, dass passiert nur, wenn man mich wirklich wütend macht, aber manchmal kann ich einfach nicht mehr auf meine Umwelt reagieren.
Es ist ein Schutzmechanismus, wenn mir alles zu viel wird.
Meine Gedanken laufen dann auf Hochtouren, aber mein Körper ist gelähmt.
So eine Situation hasse ich, denn wenn ich dann reden muss, kommt gar nichts bis der größte Schwachsinn raus.
Meistens aber einfach ein "verpiss dich".
Das ist nicht das schlauste, dass man in der Schule sagen kann.
Also spreche ich niemanden an, damit mir auch nichts versehentlich rausrutscht.

Die Pause verbringe ich auf Toilette, es ist mir einfach zu riskant, mich in diesem Zustand mit jemandem zu unterhalten.
Mein Ruf ist mir zwar in manchen Bereichen egal, aber "das komische Mädchen, das immer ausrastet" möchte ich nicht unbedingt sein.
Vor meinem Freunden ist es mir egal, aber hier muss man nur einmal etwas falsches sagen und sofort wird gelästert.

Den Rest des Tages bringe ich irgendwie hinter mich.
Nach der Schule bin ich so erschöpft, dass ich mich mit einem Buch ins Bett lege.
Doch das Lesen ist schwerer als erwartet.
Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen.
Die Geräusche von draußen dringen schmerzhaft in meinen Kopf.
Mir ist schwindelig.

"Laura", nervt meine Mutter:
"Laura, komm mal."
"Was ist denn?"
"Komm mal bitte runter."
"Mama, schrei nicht so ich hab Kopschmerzen."
"Du musst noch den Fisch füttern"
Ich gehe runter.
"Warum brüllst du deshalb so rum?", frage ich.
"Du hörst mich ja sonst nicht.", behauptet meine Mutter.
Ja nee, ist klar.
Mit meinen Ohren ist alles in Ordnung, aber ich ignorier sie halt, wenn ich mich ausruhen muss.
Ich muss dringend von meiner Reizüberflutung runterkommen und lautes Geschrei hilft mir da natürlich eher weniger.
Aber es ist Zwecklos, das meiner Mutter zu erklären.

Am Ende des Tages, will ich nur noch schlafen, aber ich kann nich aufhören zu denken.
Ich überlege, was ich alles falsch gemacht haben könnte.
Außerdem male ich mir alle möglichen
Katastrophen des nächsten Tages aus.
Ich gehe an mein Handy, um mich abzulenken.
Bis ich endlich einschlafen kann, wird sicherlich noch einige Zeit vergehen.
Eiskönigin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.12.2016, 01:47   #2
männlich dr.Frankenstein
 
Benutzerbild von dr.Frankenstein
 
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.467

Hast Angst aufzufallen?

Aber gefällt mir die Geschichte.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.12.2016, 11:58   #3
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Gut geschrieben, Eiskönigin.

Nach gelästert hätte ich aufgehört.
Ab da wird es zum Zeitrafferfilm, der wenig hergibt, auch wenn er durch persönliche Rede aufgelockert scheint.

BG
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.12.2016, 12:17   #4
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.687

Mir gefällt die Geschichte auch sehr gut, unterhaltsam beschrieben, wie man sich so fühlen kann als introvertierter Mensch.

"Hier muss man nur einmal etwas Falsches sagen und sofort wird gelästert" - das geht auch im Berufsleben noch so. Manchmal reicht es auch, gar nichts zu sagen, und dann wird auch gelästert.
Manchmal reicht es, einfach anders zu sein als die anderen, und es wird gelästert.

Und sogar der eigene Kopf lästert mit, wenn man alles andere ausgeschaltet hat. Es ist wirklich zum Verrücktwerden.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.12.2016, 21:52   #5
weiblich Ex-Dabschi
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2014
Beiträge: 2.371

Liebe Eiskönigin,

ich finde auch, dass Dein erster Versuch einen möglichen Tag zu beschreiben, sehr gut gelungen ist.
Beim Lesen kam keine lange Weile auf. Ich konnte mich so richtig in Lauras Gefühle hineinversetzen. Ich war ja auch mal jung.

Liebe Grüße
Dabschi
Ex-Dabschi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.12.2016, 16:27   #6
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878

Hallo Eiskönigin,
dies ist, wenn ich mich nicht verzählt habe, der sechste positive Kommentar zu Deiner Kurzgeschichte.
Ich habe sie in einem Rutsch herunter gelesen und bot eine Menge Einblicke in das Seelenleben des LI.
Wenn das Deine erster Versuch ist, Dich in dieser Form auszudrücken: Kompliment!
Du siehst: Auch ohne drängelnde Aufforderungen wird kommentiert und das auch noch in überwiegend positiven Tönen.
Sollte Dir da jemand den Rat gegeben haben, statt holpriger Gedichte flüssig zu lesende Kurzgeschichten zu schreiben? Der- oder diejenige, scheint mir, hat a bisserl Ahnung vom Metier.
Mein Rat (den niemand befolgen muss, aber befolgen kann): Hau rein, Mädel, Du bist auf einem guten Weg!
Beste Grüße,
Heinz

Geändert von Heinz (06.12.2016 um 21:17 Uhr)
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.12.2016, 20:02   #7
weiblich Eiskönigin
 
Benutzerbild von Eiskönigin
 
Dabei seit: 09/2016
Ort: In meinen Gedanken
Alter: 24
Beiträge: 196

Danke für die vielen lieben Kommentare, ich habe mich sehr darüber gefreut
Eiskönigin ist offline   Mit Zitat antworten
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