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Alt 27.02.2006, 22:36   #1
akechi90
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 35


Standard Die Vollstreckung

Drei Berichte und eine Wahrheit

Der Bericht des Delinquenten:
Das Urteil war schon eine Woche zuvor verkündet worden: Ich, Jean Jacques Moire, Anführer der antirevolutionären Bewegung, sollte mit der Guillotine hingerichtet werden. Die Gründe verstanden sich in den windigen Zeiten nach der französischen Revolution wohl von selbst - meine politische Einstellung war der hauptsächliche Grund für meine Hinrichtung. Ich sah mich dem Absolutismus weiterhin zugeneigt und führte eine kleine Gruppe an, die diese Staatsform wieder einzuführen versuchte. Dieser Versuch war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Und dies sollte mich kurz darauf schwer zu stehen kommen: wir wurden von den Revolutionären gefangen genommen und einer nach dem anderen in eilig abgewickelten Verfahren zum Tode verurteilt.
An einem Sommertag war es dann so weit: Der Tag meiner Hinrichtung war gekommen. Ich stand mit hinter dem Rücken zusammengebunden Händen in einer Reihe von Personen, die alle auf ihre Hinrichtung durch die Guillotine auf dem großen Marktplatz warteten; und pro gefallenem Kopf verringerte sich die Anzahl der Personen vor mir jedes Mal ebenfalls um einen Kopf. Diese Warterei war quälend lange. Nicht dass ich wollte, das es schnell ging, im Gegenteil. Aber es war nicht das Warten an sich, das qualvoll war, sondern das, was auf das Warten folgte. Es war ein Zwischenzustand zwischen dem Eindeutigen und dem Ungewissen. Das Ungewisse war für mich die Zeit vor dem Urteil. Ich konnte durch das Fallbeil sterben, was aber nicht sicher war. Das Eindeutige war für mich der Augenblick, in dem mein Kopf in der Halterung steckte und das Fallbeil gelöst wurde. Und während der Warterei befand ich mich zwischen diesen beiden Zustände - ein unheimliches Gefühl…
Einige peinigende Minuten später war das beinahe Eindeutige auf mich zugekommen: mein Kopf wurde zwischen den halbmondförmigen Halterungen fixiert und ich sah die Menge vor mir, die ungeduldig meine Exekution erwartete. Ihr Warten war jedoch reines Erwarten - nichts, worin auch nur die geringste Spur irgendeiner Qual zu erkennen war.
Kurz darauf fielen die Unheil verkündenden Worte. “Für Mutter Frankreich!” Und mit diesen Worten fiel auch die einen Zentner schwere Schneide auf mich herab, die von einem maskierten Mann ausgelöst wurde.
Kurz vor meinem Hals stoppte die Schneide. So etwas war in den fünf Jahren ihrer Benutzung noch nie geschehen. Die Klinge war bei jeder Hinrichtung bis zum Boden gekommen, ausgerechnet bei mir gelang es ihr erstmals nicht.
Unschlüssig, was mit der Guillotine zu machen war, befreiten die Revolutionäre meinen Kopf aus der Halterung und führten mich auf eine große grüne Wiese, auf der sich zehn Soldaten der revolutionären Bewegung versammelt hatte, um auf ihren Schießbefehl zu warten. Wieder fielen die Worte “Für Mutter Frankreich” und nun fielen Schüsse, die halb Paris erbeben ließen.
Keine der Kugeln traf mich. Die Soldaten schossen zehnmal, und doch traf mich kein einziger Schuss. Es war ein Fluch, und zwar ein wirklicher Fluch!
Der nächste Versuch der Revolutionäre bestand in dem Galgen, der sich bisher schon immer in schwierigeren Angelegenheiten bewährt hatte. Wieder wurden die Worte ausgesprochen und ein Henker stieß mich von dem Gerüst, auf dem ich stand.
Der Knoten löste sich und ich fiel unsanft auf das harte Holz des Gerüsts.
Schon wieder misslang die Hinrichtung. Jedes Mal, wenn ich sterben sollte, starb ich nicht. Das erkannten nach mehreren weiteren Versuchen auch die Revolutionäre und schickten mich nach mehreren abgebrochenen Schwertklingen, gerissenen Würgeseilen und nicht wirkenden Giftmischungen auf eine Insel in die Verbannung.
Der Henker musste mit mir auf die Insel kommen, warum auch immer…

Der Bericht des Henkers:
Ein großer Tag war gekommen. Endlich wurde einer vom antirevolutionären Pack der Verkürzerin zum Fraß vorgeworfen. Ich stand maskiert an dem Hebel, der das Fallbeil auslöste, und zog - es war bei mir inzwischen zur Routine geworden - alle zwei Minuten den Hebel nach unten, wobei auch die geschärfte Klinge ihren Weg direkt nach unten, auf den Hals des Delinquenten zu, suchte.
Bei Moire machte ich eine Ausnahme: er war bestimmt keines meiner routinemäßigen Opfer, sondern eine Person, die in aller Feierlichkeit hingerichtet werden musste. Das Volk Frankreichs sollte mit seinem gefallenen Kopf in Jubelstürme ausbrechen und sich an dem Tod eines Nationalfeindes erfreuen. Doch ich erkannte schnell, dass es sich bei diesem Delinquenten tatsächlich um eine Ausnahme handelte, die auch mein folgendes Schicksal besiegelte.
Ich hatte seinen Kopf gerade erst in den Halterungen befestigt, wobei ich die Vorfreude genoss, die auf dem riesigen Marktplatz in der riesigen Menschenmenge herrschte. Ganz Frankreich erwartete Moires Tod. Auch ich erwartete den Moment, in dem die Klinge seinen Kopf von seinem Körper abtrennte.
In feierlicher Stimmung hörte ich mein Kommando. “Für Mutter Frankreich.” Ich zog an dem Hebel, und das Fallbeil stürzte, wie geplant, auf seinen Hals hinab - und bremste abrupt, einige daumenbreit, vor dem Nacken des Delinquenten. Unmöglich, dachte ich mir. Das war seit Ludwig XVI. nicht mehr passiert. Und bei dem lag es ja nur an seinem starken Nacken, dass man die Hinrichtung mehrfach wiederholen musste, bis schließlich sein Kopf ab war.
Nichts zu machen, die Guillotine war vorerst irreparabel!
Glück für Moire, Pech für mich. Aber das wäre auch nur noch von kurzer Dauer, dachte ich zunächst.
Doch selbst die Erschießung gelang nicht. Einer der Schützen war ich. Wir schafften es nicht, seinen Körper zu treffen. Selbst das war jahrelang nicht passiert. Was war nur los? Dieser Mann war wie verhext! Aber er war kein Hexer, nur ein Anführer der antirevolutionären Bewegung. Ein Verräter! Ein Staatsfeind!
Wir wiederholten die Erschießung solange, bis den Soldaten die Kugeln ausgingen. Wenn einer unserer Feinde, das dachte ich mir, nicht auf diese Weise sterben wollte, musste er einen anderen Tod erfahren, nämlich den Tod durch den Strang.
Wie er da auf dem Gerüst stand, hoffte ich, diesmal würde die verdammte Exekution klappen. Verräter wie ihn hatte ich schon zuvor in Massen hingerichtet, auch er musste irgendwann einmal sterben. Doch als ich Moire den Boden unter seinen Füßen nahm, löste sich gleichzeitig auch der Knoten, was praktisch auch noch nie passiert war.
Später versuchte ich ihn höchstpersönlich mit einem Schwert zu erstechen, doch hier wurde die Klinge augenblicklich, von einer Sekunde auf die andere, spröde und brach.
Mit meinen eigenen Händen versuchte ich sogar, Moire mit einem Seil zu erwürgen. Das einzige erzielte Ergebnis war ein zerrissenes Seil.
Als auch die Giftmischung nicht wirkte, beriet ich mich schließlich mit dem Richter, der das Todesurteil gesprochen hatte. Sein Entschluss stand schnell fest:
Moire wurde auf eine einsame Insel im Mittelmeer verbannt, da es unmöglich war ihn umzubringen.
Ich wurde auf dieselbe Insel verbannt, da ich angeblich ein miserabler Henker wäre und Mutter Frankreich Unglück bringen würde.
Nun konnte ich Moire erstmals verstehen, nachdem ich von meinem eigenen Mutterland verraten worden war…

Der Bericht des Richters:
Jean Jacques Moire wurde am 17.9.1797 durch das Fallbeil hingerichtet. Die Hinrichtung erfolgte ohne weitere Komplikationen. Die Verkürzerin funktionierte wie immer. Allerdings ist im Moment der Hinrichtung auch der Henker unvorhergesehen wegen plötzlicher Herzbeschwerden zusammengebrochen…
Sowohl Moire als auch der Henker waren sofort tot. Der Tod konnte bei beiden zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Doch ich mache mir Sorgen, große Sorgen! Ich glaube, dass Moire und sein Henker nicht wirklich gestorben sind. Sie sind zwar tot, aber sie hatten beide ein zu weit entwickeltes Bewusstsein, als dass sie nicht weiterleben würden. Vielleicht leben sie in dieser Welt nicht mehr, aber wie sähe es aus, wenn es tatsächlich eine weitere Ebene gäbe, die von ihrem Bewusstsein ausgefüllt wurde?
Konnten sie auf diese Weise dem Tod entfliehen?

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Kritik erwünscht Die Story wirkt zwar ein wenig verworren, aber ich hoffe, am Ende ergibt sich eine Logik...
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