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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 04.04.2017, 20:56   #1
männlich klaatu
 
Benutzerbild von klaatu
 
Dabei seit: 12/2015
Beiträge: 3.359

Standard Stadtgedanken I.

Wenn die Stadtreinigung wirklich konsequent wäre,
könnte es hier vielleicht erträglich sein...

Immerhin gibt es einen netten neuen Service im Supermarkt:
Am Ausgang kann man sich seit Neuestem
den Inhalt seines Einkaufwagens pürieren lassen!

Auf der Rolltreppe:
Eingepfercht wie Vieh
in einem Schlachtautomaten.
In einsamer Massenpanik
biete ich meinen Mitmenschen Kleingeld an,
wenn sie alle sofort nach Hause gehen.

Im Übrigen:
Zum Schutz vor Taschendieben
trage ich zwei leere Portmonees bei mir.
Ebenso ein Suspensorium,
ein schuss- und stichfestes Kettenhemd
und einen Bauhelm
gegen herabstürzenden Weltraumschrott.

Das ist das Internet in 3D:
Ich sehe dicke Mädchen,
die durch Glasfaserkabel krabbeln,
optimistisch in die Zukunft blickende Graffiti
("Ich lieeeeebe Nike Footwear")
halbe Hähnchen im Formationsflug
und Münzschlitze an Abfalleimern.

Keine Frage:
Das hier ist das wüste Land
hinter den Fernsehkameras.

Von der Jugend ist auch nicht viel zu erwarten,
nicht mal ein erhobener Mittelfinger.
Zu groß ist anscheinend die Angst,
dabei das Smartphone fallen zu lassen...

Der Stadtspielplatz
wirkt wie ein Bootcamp für Kleinkinder.
Man trainiert für den Ernstfall.
Ein kleiner Junge schreit
seine merkwürdig stille Mutter an.
Ob die junge Frau
meine ausgeprägte Beinmuskulatur bewundern würde,
wenn sie sieht, wie weit ich ihr plärrendes Kind treten kann?
Die Hälfte der Mütter scheint schon wieder schwanger.
Können die Frauen nicht Nützlicheres zur Welt bringen?
Einen Schraubenzieher vielleicht
oder von mir aus eine Kiste Bier.


Eigentlich bin ich kein schlechter Mensch,
nur andere Menschen machen mich manchmal dazu.
In großen, ungefilterten Mengen kaum erträglich.
Kein Wunder, dass so viele online leben und sterben.

Zu viele Gesichter, zu viele Stimmen.
Und als die Stimmen fremder,
die Gesichter dunkler
und die Kinder wilder werden,
stelle ich fest, dass ich zu weit nach Süden gegangen bin.

Die Sonne geht hier schnell unter
und schickt ein letztes Warnlicht über den Horizont,
bevor sie für mich verschwindet...
klaatu ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.04.2017, 23:25   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.706

Ich muss sagen, der Text fasziniert mich; habe ihn wohl zum fünften oder sechsten Male angeklickt ( auch wenn es eigentlich kein Gedicht ist).
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.04.2017, 23:35   #3
Richard L.
 
Benutzerbild von Richard L.
 
Dabei seit: 11/2014
Alter: 53
Beiträge: 1.592

Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
(auch wenn es eigentlich kein Gedicht ist)
Selbstverständlich ist das ein Gedicht. Nicht im klassischen Sinne, aber lies mal Weichberger oder den Seiler. Aber was red ich, die meisten Hobbygermanisten leben eben in einem Eichenschrank. Nichts für ungut.
Richard L. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.04.2017, 23:48   #4
männlich dr.Frankenstein
 
Benutzerbild von dr.Frankenstein
 
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.468

Du solltest in der Notaufnahme zu arbeiten anfangen, da kommen bestimmt mal Schraubenzieher zum Vorschein oder ne Flasche Bier zu Mindest.
Zum Glück bist du auch an den Gehirnkontrollaparat angeschlossen, lass deine Wut raus. Online darfst du 1000 Tode sterben und wieder auferstehen.
Du bist immer auf dem neusten Stand der hirnlosen Gedankensprünge deiner SMS Kontakte und kannst auch selbst: Was machst? Schreiben.
Oder: Ich wollt grade das Kind wegkicken.
und die Mutter hätte fast gekuckt. Und dann wäre ich fast in Scheiße gelatscht und hab dadurch meine Traumfrau mit den dicken Brüsten verpasst.

Ihre Ausstrahlung war wie schlechter Handyempfang.
Ich wöllte sie so gerne auf WhatsApp kennen.
Wie kann ich nur mit ihr reden ohne ihre Telefonnummer zu kennen.
Fast hätte ich etwas zu ihr gesagt, dann war sie
fast noch da. Und jetz muss ich doch wieder mit dem pummel Nike Mädchen Chatten, das zu feige ist mir Nacktfotos zu schicken.
Ein Kreuz ist das mit dem Internet.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2017, 13:23   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.706

Zitat:
Zitat von Richard L. Beitrag anzeigen
Selbstverständlich ist das ein Gedicht. Nicht im klassischen Sinne, aber lies mal Weichberger oder den Seiler. Aber was red ich, die meisten Hobbygermanisten leben eben in einem Eichenschrank. Nichts für ungut.
Hallo Richard,

red' ruhig, ich bin ganz froh, wenn man mich auf solche Sachen hinweist, die ich nun mal eben wirklich nicht weiß. Ich habe Germanistik nicht studiert und habe hier aus dem Forum schon einiges an Wissen und Information mitnehmen können.

Ich würde mir eigentlich sogar eher mehr solche Antworten wünschen ... auf Weichberger oder Seiler hat mich auch noch niemand hingewiesen.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.04.2017, 00:00   #6
weiblich Ex-Letreo71
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032

He, klaatu,

ich finde deinen Text ebenso gelungen.
Könnte ich mir gut bei einem Poetry Slam vorstellen.

LG Letreo
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.04.2017, 15:04   #7
männlich klaatu
 
Benutzerbild von klaatu
 
Dabei seit: 12/2015
Beiträge: 3.359

Hallo Letreo!
Bei uns in der Stadt gibt es alle paar Wochen Poetry Slams. Ich gehe ganz gerne hin, aber ich kann mir nicht vorstellen da mal auf die Bühne zu gehen. Danke für´s Kommentieren.

LG
k
klaatu ist offline   Mit Zitat antworten
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