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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 29.06.2014, 06:52   #1
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
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Standard ... und alle Fragen offen

Wie konntest du so früh gehen?
Ich hatte noch tausend Fragen
und Stifte, daran zu nagen,
und Wahrheiten durchzustehen.

Du legtest dich hin zum Schlafen
im Wissen: Jetzt ist’s für immer.
Ich hatte doch keinen Schimmer …!
Wofür wolltest du mich bestrafen?

Jetzt sitz ich vor leeren Seiten
und vor meinem Berg von Fragen.
Du wolltest nie Antworten sagen,
nur still ins Vergessen entgleiten.

Wofür wolltest du mich bestrafen?
Ich bin von Trauer zerrissen
und schlag die Wut in ein Kissen,
dass wir zwei uns jemals trafen.

29. Juni 2014
© Ilka-Maria
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Alt 29.06.2014, 10:30   #2
weiblich Tuva
 
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Ein bewegendes Gedicht, Ilka-Maria, das seine eindringliche Wirkung nicht nur seinem Inhalt verdankt, sondern auch seinen formalen Mitteln.

Die Verschränkungen von Kreuzreimen und umarmenden Reimen, sowie die Wiederholungen unterstreichen das Mahlende der unlösbaren Fragen im Bewußtsein des überlebenden Betroffenen und machen es sehr sinnfällig und wahrnehmbar.

Hier unterstützen sich also inhaltliche Aussage und formale Elemente gegenseitig und ergeben eine sehr gelungene Einheit.
Überdies wirken die Reime auf mich durchgehend flüssig und ungesucht.
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Alt 29.06.2014, 10:34   #3
weiblich shoshin
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der vohang zu...

liebe ilka,
das ist ein wunderbares gedicht. ich bin diesem thema erst unlängst in meinem leben begegnet und "musste" in meiner betroffenheit aus der sicht des zurückgebliebenen (eher stotternd in "müde" ) auch darüber schreiben.

was mir dabei allerdings am anfang entgangen war, ist diese ohnmächtige wut, die du in deinem gedicht so treffend ausdrückst. später, hat er (der zurückgebliebene) es dann auch genauso ausgedrückt: "wie konnte sie mir das nur antun!!".
Besonders gut gefällt mir:

Zitat:
Ich hatte noch tausend Fragen
und Stifte, daran zu nagen,
und Wahrheiten durchzustehen.
das traurige daran ist allerdings, dass diese fragen nicht gestellt worden sind und dass die bieden einfach in den "funktionierenden" mustern und gewohnheiten des zusammenlebens, die wahrheiten nicht "durchgestanden" sondern verdrängt hatten. jetzt bricht vieles über ihn herein. ich verstehe seine wut gut, die natürlich in erster linie eine wut auf sich selbst ist. es ist sehr traurig...
lg
shoshin
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Alt 29.06.2014, 10:45   #4
Thing
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Standard Hallo, Ilka-Maria -

sehr eindringlich!
Diese hilflose Trauer und Wut dennoch in nicht pathetische Worte zu fassen, das ist eine reife Leistung (wie nicht anders zu erwarten).
Das äußerst geglückte Reimschema tut ein Übriges.

Wieder ein großer Wurf, der beinahe unscheinbar daherkommt.
Respekt.


LG
Thing
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Alt 29.06.2014, 15:59   #5
männlich Phönix-GEZ-frei
 
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen

Du legtest dich hin zum Schlafen
im Wissen: Jetzt ist’s für immer.







Hallo Ilka-Maria,

eine Rückschau, wird erst möglich wenn geschehenes Raum findet,
durch den Abstand. Nicht Zeit ist hier meiner Meinung nach primär
der Faktor, sondern die eigene innere Bereitschaft des Reflektierens.
Selbsttötung erschwert zusätzlich die offenen Fragen nach dem (warum?)
wenn dieser Suizid nicht aus einer nach außenstehenden Vernunft für die
Zurückgebliebenen schlüssig erscheint.

Sehr nachdenklich gelesen


Lg
Phönix
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Alt 29.06.2014, 21:17   #6
Thing
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Ich sehe hier keinen Suizid.
Es gibt Menschen, die spüren, daß sie sterben (werden).
Dies halte ich für ein solches Geschehen.
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Alt 30.06.2014, 07:22   #7
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Phönix-GEZ-frei Beitrag anzeigen

Selbsttötung erschwert zusätzlich die offenen Fragen ...
Während der Entstehung des Gedichts ist mir auch der Gedanke gekommen, man könne es so interpretieren, dass es um Suizid geht. Das war aber nicht die urspüngliche Idee gewesen. Da dachte ich zunächst daran, dass Menschen oft Dinge versäumen, bis sie nicht mehr nachholbar sind.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.06.2014, 08:24   #8
männlich Pit Bull
 
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Beiträge: 1.878

Liebe Ilka-Maria!

Dieses aus meiner Sicht metrisch nicht stringent gestaltete Gedicht liegt mir irgendwie schwer im Magen.

Besonders aber haben mich S3 und S4 beschäftigt, insofern, daß sie ein Puzzle meines Lebens sein könnten.

Ein rundum gelungenes Gedicht, das mich auf jeden Fall emotional berührt hat.

Gut gemacht.

VG Pitti
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Alt 30.06.2014, 19:57   #9
weiblich shoshin
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liebe ilka,
ich möchte auch noch klarstellen, dass ich keinen suzid meinte.
ich hab das auch in keinster weise aus deinem einfühlsamen gedicht herausgelesen.
mich haben einfach dieses thema so berührt, dass man so vieles versäumt, was man später tief bereut...dinge, die man nicht sieht, oder besser nicht sehen will, soviele fragen, die man nicht stellt und der mangel an wirklicher aufrichtigkeit und aufmerksamkeit...und irgendwann ist es zu spät...
aber das könnte auch anders sein!? wenn wir (nahen) menschen immer so begegnen könnten, als würden wir sie das letzte mal sehen...was würden wir ihnen sagen und/oder sie fragen?
lg
shoshin
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Alt 30.06.2014, 20:01   #10
Thing
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen

Wofür wolltest du mich bestrafen?

29. Juni 2014
© Ilka-Maria
So ähnlich war mir vor 10 Jahren zumute.
Meine laute Frage:
Wie konntest Du mir das antun?
die Antwort kam zum Glück sofort.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.06.2014, 20:03   #11
weiblich shoshin
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Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
So ähnlich war mir vor 10 Jahren zumute.
Meine laute Frage:
Wie konntest Du mir das antun?
die Antwort kam zum Glück sofort.
darf ich dich fragen, welche das war? du musst natürlich nicht darauf anworten.
lg
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.06.2014, 20:56   #12
weiblich simbaladung
 
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Beiträge: 3.073

Hallo, Ilka,

Trauer und Wut zeugen von einer doch sehr intensiven Beziehung (Liebe? Freundschaft?) - Mich irritiert der letzte Vers, in dem das LI wünscht, es wäre dem LD nie begegnet. Waren da nicht auch gute Zeiten?

Die offenen, quälenden Fragen, insbesondere diese: Wofür wolltest du mich bestrafen? berühren, wecken Interesse. Was ist da wohl geschehen? Darauf gibt das Gedicht keine Antwort. So bleibt der Leser im luftleeren Raum, für mich hier unbefriedigend, weil ich keinen einzigen Hinweis bekomme.

Das Gedicht ist ein guter Anstoß, wichtige Dinge frühzeitig anzusprechen, wahrscheinlich ging es dir in erster Linie darum.

Wie Pit frag ich mich, warum du, für dich ungewohnt, das metrische Muster hier nicht konsequent durchgezogen hast.

lg, simba
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.06.2014, 20:59   #13
Thing
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Zitat:
Zitat von simbaladung Beitrag anzeigen
Mich irritiert der letzte Vers, in dem das LI wünscht, es wäre dem LD nie begegnet.

lg, simba
Dann wären ihm Trauer, Wut, Zorn, Enttäuschung und Verlust erspart geblieben.
Ob gehabte Liebe das wettmachen kann - das ist eine andre Frage.

Lediglich meine Interpretation.
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Alt 30.06.2014, 21:08   #14
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von shoshin Beitrag anzeigen
liebe ilka,
ich möchte auch noch klarstellen, dass ich keinen suzid meinte.
ich hab das auch in keinster weise aus deinem einfühlsamen gedicht herausgelesen.
Das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe Phönix zitiert, der (als einziger User) den Gedanken an Selbsttötung zur Sprache brachte. Dein Kommentar war in diesem Zusammenhang weder gemeint noch betroffen.

Das spielt aber eigentlich keine Rolle, weil jeder User die Freiheit hat, das Gedicht aus seinem eigenen Blickwinkel heraus zu deuten, und Deinen hast Du ja klar geäußert. Ich freue mich, dass mein Text so starke Resonanz gefunden hat, danke dafür.

Zitat:
dass man so vieles versäumt, was man später tief bereut...dinge, die man nicht sieht, oder besser nicht sehen will, soviele fragen, die man nicht stellt und der mangel an wirklicher aufrichtigkeit und aufmerksamkeit...und irgendwann ist es zu spät...
Genau darum geht es für mich - aber ganz so streng sehe ich es nicht. Erstens kann man nicht immer wissen, dass ein Versäumnis begangen wird; zweitens gibt es Menschen, die nun mal keine Antworten auf Fragen geben wollen, auch wenn sie noch so sehr traktiert werden. Wenn die Zeit vorbei ist, muss der Zurückgebliebene oft mit diesem "Päckchen" leben, es sei denn, er findet jemanden, der die offenen Fragen wenigstens zum Teil beantworten kann.
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Alt 01.07.2014, 12:20   #15
weiblich Merith
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Und doch kann es auch hilfreich sein bei der Schmerzbewältigung, wenn nicht alle Fragen geklärt wurden, nicht alles ausgesprochen wurde.
Und noch ein anderer Gedanke, n i c h t in Zusammenhang mit deinem Gedicht, Ilka :

Wie viel Unglück haben diese sog. "Aussprachen" schon über die Menschen gebracht, Stillschweigen mag oft qualvoller sein als Aussprechen und können Beweis selbstloser Liebe sein.

Zu deinem Gedicht:
Ich glaube, dass jeder, der den Verlust eines Angehörigen oder Zugehörigen zu verschmerzen auf irgend eine Art immer mit dem Gedanken zurück bleibt,
"was ich dir noch sagen wollte".
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Alt 01.07.2014, 12:50   #16
Thing
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Zitat:
Zitat von Merith Beitrag anzeigen
Zu deinem Gedicht:
Ich glaube, dass jeder, der den Verlust eines Angehörigen oder Zugehörigen zu verschmerzen auf irgend eine Art immer mit dem Gedanken zurück bleibt,
"was ich dir noch sagen wollte".
Das kann er.
Auch im Nachhinein.
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Alt 01.07.2014, 12:54   #17
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Merith Beitrag anzeigen
Wie viel Unglück haben diese sog. "Aussprachen" schon über die Menschen gebracht, Stillschweigen mag oft qualvoller sein als Aussprechen und können Beweis selbstloser Liebe sein.
So ist es, Merith. Worte können hilfreich sein, aber auch Schaden anrichten. Es gehört zum Leben dazu, dass wir immer wieder Entscheidungen treffen müssen, ohne zu wissen, was sie nach sich ziehen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.07.2014, 12:55   #18
Thing
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Es gibt zum Glück keine Kristallkugeln.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.07.2014, 18:57   #19
weiblich Schneehuhn
 
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Es ist zu recht viel Gutes über das Gedicht gesagt worden, denn es ist ansprechend, ergreifend. Ich sehe in ihm mal wieder Deine Fähigkeit, bewegende Geschehnisse des Lebens kraftvoll in Worte zu fassen. Das scheint mir eine beneidenswerte Gabe zu sein. Herzlichen Gruss, Sh
Schneehuhn ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.07.2014, 19:02   #20
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Schneehuhn Beitrag anzeigen
... bewegende Geschehnisse des Lebens ...
Ja Schneehuhn, vor allem die Geschehnisse, die in uns Ambivalenz auslösen - im Gefühl, im Denken, im Entscheiden, im Handeln und im Analysieren.

Danke für Dein Feedback.

LG
Ilka
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