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Alt 25.11.2012, 17:47   #1
Alive93
 
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Standard Aus der Sicht eines Räuchermännchens

Aus der Sicht eines Räuchermännchens



Das ganze Jahr über liege ich hier immer im Dunkeln, in einer der Schubladen, neben Teelichtern, alten zerrissenen Familienfotos, alten vollgeschriebenen Terminkalendern und neben einer großen Mappe, in der sich die Kreditkarten und Krankenkarten der Familie befinden, in die ich vor einigen Jahren hineingekauft wurde. Hier träume ich Monat für Monat so vor mich hin und meine Ruhe wird nur durch das Öffnen der Schublade gestört, wenn mal wieder ein Familienmitglied krank ist oder sich etwas kaufen will und in beiden Fällen die Kreditkarte herausgeholt wird. Wie lustig doch die Menschheit ist! Wenn sie es doch nur selbst mal öfter merken würde. Gegen Ende des Jahres werde ich dann aus der Schublade geholt und auf den großen, mit Schokolade und Kerzen überfüllten, Wohnzimmertisch gestellt, weil ich wohl in dieser Zeit dazugehöre. Und dann stellen sie eine von diesen Räucherkerzen in meinen Bauch und ich muss wieder rauchen. Wie ich das hasse! Bei manchen Düften muss ich nur husten, bei anderen ersticke ich fast und bei wieder anderen kommt mir fast immer auch noch etwas anderes hoch als Rauch. Ich versuche dann immer den Würgereiz so gut wie möglich zu unterdrücken, denn schließlich bin ich ja ein Räuchermännchen und kein Kotzmännchen und ich bin ja da, um den Menschen zur Weihnachtszeit Freude zu machen und nicht, um ihnen Weihnachten zu versauen. Das schaffen sie auch ohne meine Hilfe. Soweit ich das von diesem Wohnzimmertisch Jahr für Jahr beobachten konnte beginnt die Vorbereitung für Weihnachten immer früher. Den Herbst gibt es nicht mehr. Es gibt den Sommer und danach kommt gleich Weihnachten und bald wird es im Sommer am Strandkiosk neben Eis auch schon Lebkuchen geben und neben unnützen kleinen batteriebetriebenen Ventilatoren für unterwegs vielleicht auch schon Räuchermännchen. Die Menschen wollen einfach perfekt auf die Weihnachtszeit vorbereitet sein, weil es sonst nichts wird. Und dann wird es wieder nichts und ich muss es wieder rausreißen, indem ich künstlichen Zimtduft durch das Haus verteile. Aber dieses Jahr mache ich das nicht mit! Dieses Jahr werde ich von hier verschwinden und sehen, ob es noch einen Ort gibt, wo Weihnachten noch ist und nicht inszeniert wird. Ich bin zwar nur aus Holz, aber mein Herz ist echt und dieses Jahr lasse ich mir das nicht gefallen. Jawohl, morgen breche ich auf!



Mein Tag ist gekommen. In zwei Tagen ist Heilig Abend und es wird Zeit für mein Weihnachtsabenteuer. Der Weihnachtsbaum wird gerade reingeholt, die Tür steht offen. Meine letzte Räucherkerze ist aufgeglüht und ich springe vom Wohnzimmertisch, hüpfe durch die offene Tür nach draußen und warte, bis die Nachbarn, die Familie Wandbohrer, meiner Familie Wandhammer irgendwann die Tür öffnen. Gegen Mittag tun sie es, weil ihr Sohn vom letzten Schultag nach Hause kommt. Mit ihm trete ich in das Haus ein. Der Sohn schmeißt seinen Schulranzen voller Erleichterung und mit voller Kraft in die Ecke, den Schulranzen, den er vor einigen Jahren zu Weihnachten bekommen hat. Er ist 14 Jahre alt und macht sich als Getränk zum Mittagessen erstmal einen Glühwein heiß. Die Hälfte vom Essen lässt er stehen und macht sich als Nachtisch lieber noch eine Tasse Glühwein. Ich frage mich, was er wohl dieses Jahr als Geschenk bekommen wird. Vermutlich all das, was er sich gewünscht hat.

Gegen Abend kommt der Vater verspätet nach Hause und Mutter und Kind fragen ihn, wo er noch so lange gewesen ist. Er murmelt:“ Ähm, ich war…., äh, ich musste…., es hat heute noch etwas länger auf der Arbeit gedauert. Wir hatten noch Dienstbesprechung“. Vollkommen erledigt und erleichtert schmeißt er seine teure Jacke in die Ecke, die Jacke, die er vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt bekommen hat. Anschließend lässt er sich in den Sessel fallen und bittet seine Frau, ihm noch einen heißen Glühwein zu machen. Sie erwidert angewidert: „Du machst doch auch nie was für mich ! Du machst mir doch auch nie eine Freude!“ Daraufhin denkt er sich:“ Und dafür bin ich extra noch durch die ganze Stadt gefahren. Das kann ja dieses Jahr wieder toll werden.“ Ich habe genug gesehen. Das ist nicht der Ort, wo Weihnachten noch ist und nicht inszeniert wird. Die Nachbarn meiner Familie stecken in demselben Dilemma. Über Nacht werde ich mich hier noch in diesem Haus verstecken und morgen mache ich mich wieder auf die Suche.



Ich bin gerade wach geworden. Der Mann der Familie steigt die Treppen vom Schlafzimmer herunter in die Küche, holt eine Schachtel mit einer Goldkette hinter der Mikrowelle hervor und setzt sich an den Küchentisch. Er öffnet die Schachtel und beginnt zu weinen. „ 26 Jahre, 26 verdammte Jahre. Habe ich nicht immer alles versucht, um uns glücklich zu machen? Habe ich nicht immer nur das Beste für uns gewollt? Was ist nur aus uns geworden? Ich liebe dich doch.“ Eine Träne tropft in die Schachtel auf die Kette, danach schließt er sie wieder und zieht das rote Band wieder gerade. Er nimmt noch eine Schlaftablette und geht die Treppe wieder hoch ins Schlafzimmer.



Der Morgen ist gekommen. In der Luft hängt der Duft von Kaffee und Mandarinen, die zum Frühstück dazugehören. Die Frau öffnet die Tür, um zum Briefkasten zu gehen. Das ist meine Chance! Schnell hüpfe ich aus dem Haus. Wo könnte denn der Geist von Weihnachten zu spüren sein? Vielleicht bei der befreundeten Familie meiner. Ich habe aber keine Ahnung, wo die wohnen. In solchen Momenten denke ich manchmal, ich habe das ganze Jahr über wieder viel verpasst, in dem ich nur in einer Schublade im Wohnzimmer gesessen habe, aber dieser Eindruck hat bis jetzt nie lange gehalten. Wie durch einen Zufall finde ich auf dem Fußweg ein I-Phone, das jemand anscheinend verloren hat und es nicht gemerkt hat, weil diese Geräte ja immer kleiner werden, nachdem die alten Handys sich als zu groß herausgestellt hatten. Ich kann mich auch noch an die Telefonnummer der Freunde erinnern, denn öfters hat ein Zettel mit der Nummer auf dem Wohnzimmertisch gelegen, wahrscheinlich, weil meine Familie sie nicht auswendig kann im Gegensatz zu der Nummer der Arbeitsstelle. Mit meiner sich im Mund befindlichen Pfeife versuche ich durch Bewegung meines Kopfes das I-Phone zu bedienen, was aber nur mit großer Mühe klappt. Der Touch-Screen reagiert nicht so, wie ich es will. Nach einiger Zeit schaffe ich es dann doch noch, die Nummer zu wählen und anzurufen. Am anderen Ende der Leitung meldet sich genervt eine Männerstimme. Die Verbindung ist jedoch sehr schlecht. Im Hintergrund höre ich etwas herunterfallen und die Frau fluchen, woraufhin der Mann sagt: “Rufen sie später noch einmal an!“. Gut, dass ich dort nicht hingefahren bin. Das hörte sich auch sehr nach Weihnachten an. Ist es denn wirklich überall so? Vielleicht gibt es ja auf dem Weihnachtsmarkt noch eine weihnachtliche Atmosphäre.



Angekommen am Weihnachtsmarkt stürze ich mich in die Gefahr, von den großen Menschen zertrampelt zu werden, die zu hunderten auf den kleinen Platz strömen. Das soll er also sein, der Weihnachtsmarkt. Viele kleine Holzbuden in einer Reihe, wo Weihnachtsschmuck verkauft wird, für Leute, denen die beleuchteten Rentiere im Garten noch nicht reichen, die Lebkuchenherzen als Geschenkidee anbieten, für Leute, die kein echtes haben und die Handwärmer in Herzform verteilen, für Leute, die keinen haben, der ihnen die Hand hält. In den Buden stehen durchgefrorene Verkäufer, denen das Gasheizgerät auch nicht genug Schutz vor der Kälte geben kann und bei denen man sich fragt, wie lange sie da noch stehen müssen.

Neben der Bratwurstbude sehe ich einen Stand, an dem Räuchermännchen verkauft werden. Endlich treffe ich mal wieder ein paar Artsgenossen. Durch die offene Seitentür der Bude, direkt neben dem überfüllten Mülleimer mit Bratwurstpapptellern, hüpfe ich zu meinen Räuchermännchen. Sie beginnen mir zu erzählen, dass sie schon seit mehreren Tagen darauf warten, endlich gekauft zu werden. Sie berichten mir, sie hätten die Menschen satt, die immer nur gucken wollen, sie dann in die Hand nehmen und begrabschen, nur um sie danach wieder hinzustellen und sie doch nicht mitzunehmen. Ich erzähle ihnen dafür von meinem Leben in der Wohnzimmerschublade. Da fällt einigen von ihnen vor Erstaunen sogar die Pfeife aus dem Mund. Nach dieser Unterhaltung beschließe ich, den Weihnachtsmarkt zu verlassen. Durch das Getrampel der Menschen mache ich mich wieder auf den Weg. Man kann ja noch mal in der Innenstadt vorbeischauen.



In der Innenstadt bemerke ich einen Obdachlosen am Straßenrand, der mit einer Gitarre Weihnachtslieder spielt. Eines davon heißt „Do they know it’s Christmas?“. „Does he feel it’s Christmas?“ schießt es mir gleich durch meinen kleinen Holzkopf. Andere Leute verlieren einfach so ihr I-Phone und andere kennen keinen einzigen, mit dem sie Kontakt aufnehmen könnten, sitzen hier am Straßenrand und spielen Lieder, denen keiner zuhört. „ We waited all through the year, for the day to appear, when we can be together, in harmony“, „ What time is it baby, is it that time again, snow will be falling, friends will be calling, you know it’s time when…“. Wie kann dieser Mann nur diese Zeilen über die Lippen bringen, wenn er weiß, dass es so nicht ist? Wie kann er nur sowas singen?

In der City-Galerie ist auch der Teufel los. Überall werden Weihnachtsausgaben von irgendwas verkauft, wo dann nichts anderes drin und dran ist, als sonst auch. Hauptsache es nennt sich Weihnachtsangebot oder Weihnachtsblablabla. Bei Play-Off läuft die Bedienung sperrlich bekleidet mit roter Bommelmütze rum und im Hintergrund läuft „Run, Run, Rudolph“ von Lynyrd Skynyrd. „Run, Run, people“ scheint eher das Motto zu sein, wenn ich mich hier mal ein bisschen umgucke. Dann ist da noch dieser verkleidete Weihnachtsmann mit einem Sack, der kleinen Kindern Apfelsinen und Nüsse schenkt und dem der Bart droht, abzufallen. Ein Jugendlicher in billiger Kunstlederjacke mit einer aufgetakelten Tussi geht vorbei und sagt.“ In meinem Sack sind auch zwei Nüsse, du Sackgesicht!“. Da fällt dem Weihnachtsmann der Bart ab. Was in diesem Kaufhaus jetzt noch fehlt sind die Gremlins, dann wäre das Szenario perfekt. Morgen ist Heilig Abend und meine Hoffnung, noch etwas besinnliches zur Weihnachtszeit zu finden, setze ich jetzt mal in den Gottesdienst in der Kirche. Übernachten werde ich heute hier in der City-Galerie. Die Läden werden abgeschlossen, die Wasseranlagen werden ausgestellt, bei Saturn wird das Gitter runtergelassen, die Lichter gehen aus und Ruhe! Die Nacht vor Heilig Abend im leeren Kaufhaus, fernab von jeglicher Inszenierung und mit den Gedanken bei dem Obdachlosen, den Verkäufern auf dem Weihnachtsmarkt, beim Mann meiner Familie. Das ist bis jetzt der weihnachtlichste Moment, seitdem ich aus der Schublade geholt wurde.



Der Morgen kommt und das Licht wird eingeschaltet. Heute ist Heilig Abend! Bald werden die ersten wieder in die Läden rennen, weil sie am Vortag noch ein Geschenk vergessen haben. Das sehe ich mir nicht länger an. Ich muss nur noch irgendwie die Zeit bis heute Abend zum Gottesdienst totschlagen, aber das macht nichts. Jeder schlägt mehr Zeit tot als er merkt.



Es ist viertel vor Sechs und ich stehe vor der Michaeliskirche. Die Glocken läuten und die Leute begeben sich in das Gotteshaus und suchen sich einen Platz auf einer der harten und alten Holzbänke. Auch Kinder sind mitgekommen. Ein Kind fragt seinen Vater:“ Du Papi, der Mann der gleich spricht heißt doch Pastor, stimmt’s? Wenn das eine Frau wäre, wie würde die dann heißen?“. Der Vater überlegt eine ganze Weile und antwortet:“ Ich glaube Pasta“, und schon hat der Junge wieder was gelernt. Der Pastor tritt unter Orgelklängen ein und begibt sich an sein Pult. Er beginnt mit der Weihnachtsgeschichte zur Geburt Jeru aus Jesusalem. Anschließend werden einige Weihnachtslieder gesungen, die mit der Orgel begleitet werden, so auch Stille Nacht, das, so hört es sich zumindest an, in allen 300 Sprachen gleichzeitig gesungen wird, in die es übersetzt wurde. Darauf folgt das „Vater unser“. Alle stehen auf und knicken die Hände. Zu meinem Entsetzen muss ich feststellen, dass viele den Text nicht auswendig kennen und nur die Lippen bewegen und so tun, als ob sie sprechen würden. Das Ganze sieht aus wie ein synchronisierter Film oder wie Sänger, die ihr neues Lied in einer Fernsehsendung performen. Gegen Ende der Gotteslästerung, …..ähm, des Gottesdienstes hält der Pastor noch eine kleine Rede:“



Jedes Jahr stehe ich am Heilig Abend hier zum Schluss und versuche, den Menschen für das neue Jahr Hoffnung zu geben. Was kann man den Menschen sagen, die spät abends nicht mit ihrem Ruhepuls im Bett liegen, weil sie sich eine Zukunft ausmalen, die sie nicht in ihren Schlaf kommen lässt? Was sagt man dem Kämpfer, der nicht mehr kämpfen kann, dem Arbeiter, der nicht mehr arbeiten kann, dem Liebenden, der nicht mehr fühlen kann? Sie glauben einem nicht mehr, wenn man sagt, Gott ist mit ihnen. Sie haben den Glauben an Gott verloren. Doch ich bin der Meinung, gerade jetzt sollten sich die Leute wieder Gott zuwenden und dem Versprechen Jesu, dass das Reich Gottes, der Himmel auf Erden kommen wird und dass jeder einzelne dazu beitragen kann. Jeder kann durch den letzten Funken, der in ihm steckt noch ein Feuer entfachen und jeder noch so kleine Tropfen Hoffnung kann eine Welle der Veränderung auslösen. Wartet nicht! Solange ihr dies noch in euch tragt, könnt ihr Wunder in eurem Leben bewirken! Ihr tragt eine Wendung der Dinge zum Guten in euch. Die Zeit ist gekommen, sie rauszulassen! Gott ist mit uns und er wird uns begleiten! Amen!“



Die Menschenmasse erhebt sich von den harten Bänken und geht Richtung Ausgang, wo jeder noch ein trockenes Stück Brot bekommt. Als alle die Kirche verlassen haben, sinkt der Pastor auf seine Knie und beginnt zu schluchzen: „Was habe ich den Menschen nur erzählt? Gott, was habe ich gesündigt! Die Illusionen sind zu gut, um sie zu verwerfen! Ich bringe es nicht übers Herz, ihnen die Wahrheit zu sagen. Die Menschheit ist dabei, sich durch ihre eigenen Weltbilder und verschobenen Wertvorstellungen zu Grunde zu richten. Ihr Innerstes wird von ihren eigenen Ideen und Systemen, die sich längst verselbstständigt haben, ausgenommen und sie werden an ihrer eigenen daraus entstandenen Härte und Kälte kaputtgehen, lange bevor sie sterben. Die Kontrolle ist verloren gegangen in einer Zeit der permanenten Reizüberflutung und der Fachidioten, die ihre Funktion im großen Ganzen nicht mehr kennen und schon mit ihrem kleinen Bereich überfordert sind und die nicht mehr nachdenken können und es sie nur noch denkt. Wie kann ich nur glauben, den Menschen Hoffnung machen zu können? Wer macht sie mir denn?“



Gut, dass ich nur ein Räuchermännchen bin und nicht in der Lage bin, über solche Dinge nachzudenken. Gehe ich lieber wieder nach Hause zu meiner Familie.

Es hat angefangen zu schneien. Der dunkle Abendhimmel sieht aus, als fiele er in dicken weißen Flocken herunter. Zwei junge Mädchen schmeißen sich auf der Wiese in den Schnee, bewegen Arme und Beine auseinander und zusammen und hinterlassen so Engelsformen im kalten Weiß. Die Straßen auf meinem Heimweg sind leer und ruhig, fast alle sind sie nun zu Hause und ich auch gleich. Ob die anderen Räuchermännchen auch noch gekauft worden sind und jetzt ein zu Hause haben? Was passiert mit ihnen, wenn sie wieder noch ein Jahr warten müssen? Werden sie dann zu Feuerholz?

Ich bin wieder bei meiner Familie. Die Tür im Wohnzimmer zum Garten stand zum Glück offen, denn der Adventskranz hatte gebrannt und das Wohnzimmer musste gelüftet werden. So konnte ich schnell wieder ins Haus. Jetzt steht die Bescherung an und der schenkende freut sich bald immer noch mehr als der Beschenkte. Aber irgendetwas musste ja noch schiefgehen. Da haben wir die Bescherung! Der Mann versucht mit dem Geständnis rauszurücken, dass er vergessen hat, wo er das Geschenk für seine Frau versteckt hatte. Er bemüht sich, seiner Frau zu erklären, wie viel Mühe er gehabt hat, noch einmal die gleiche Kette zu finden, die sie vor zwei Jahren verloren hatte und wie er sich schon auf ihren Blick gefreut hat, wenn sie die Schachtel öffnet. Verzweifelt beginnt er nochmals im Haus zu suchen. Seine Frau denkt sich:“ So verletzlich habe ich ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt. Vielleicht empfindet er ja doch noch etwas für mich. Ich muss ihm helfen!“, und sucht mit ihm. Sie stoßen bei ihrer Suche auf alte Hochzeitsfotos und Urlaubsfotos im Keller und alte Klamotten, die sie trugen, als sie sich kennenlernten und nun gemeinsam darüber lachen, weil sie ihnen beiden nicht mehr passen würden und schon bald macht ihnen die Suche so viel Spaß, dass es sie gar nicht mehr zu kümmern scheint, ob sie die Kette noch finden. Dann findet der Mann sie hinter der Mikrowelle. Es ist immer da, wo man glaubt, dort könnte es nicht liegen!

„Bleib mal einen Moment stehen! Halte mal still!“, sagt der Mann zu seiner Frau, die sehr verwundert reagiert, dann legt er ihr von hinten die Kette um ihren Hals. Anschließend streift er mit seinen Händen über ihre Schultern und sie dreht sich langsam zu ihm um. „Ich glaube, ich habe heute auch noch etwas anderes wiedergefunden als die Kette“, flüstert er zu ihr und schaut ihr in die Augen, „Weißt du, wie der Satz weitergeht?“……“Ja, ich kann es mir denken und mir geht es genauso“. „Und mögest du nie mehr daran zweifeln müssen, dass wir zusammengehören. Fröhliche Weihnachten!“



Das hätte ich nicht gedacht. Ein Happy-End in meiner Familie, in diesem Haus, in dieser Stadt, in dieser Welt. Das kommt mir fast so vor, als wäre die ganze Geschichte nur erfunden und geschrieben wurden, von einem, der mir kleinem Räuchermännchen damit einen Gefallen tun will. Aber es scheint wirklich wahr zu sein. Warum eigentlich auch nicht? Unter diesen Umständen werde ich die nächste Räucherkerze auch gerne für euch rauchen und legt mich das nächste Jahr über nicht wieder in die dunkle Schublade, sondern stellt mich in die Glasvitrine zum Beobachten, denn sonst verpasse ich zu viel, nämlich Momente wie diese in eurem merkwürdigen Schauspiel, Menschen!
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