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Alt 21.01.2012, 14:25   #1
männlich Zwieleuchter
 
Dabei seit: 10/2011
Ort: Ditmarschen
Beiträge: 48


Standard todesflieger

todesflieger

er steht wieder am moosigen abgrund und fühlt die feucht schimmelige kälte des rissigen gesteins an den nackten füßen. und sie durchschlängelt -die wärme zehrend- seinen äußerlich gespannten körper, schleicht regungslos durch aterien und venen ins rückenmark, in den nacken und wird dann in seinen kopf gepumpt, aus dem zwei finsterschwarz geränderte augen wieder sehnsüchtig fordernd hinabschauen...

da unten schlägt die so grausame brandung machtvoll und wild gegen die todesklippen. große wellen krachen hier seit jeher von überall tosend gegeneinander und werden dabei noch von den legendären schwarzen zähnen zerschnitten und drängen dennoch urgewaltig und heftig in die tiefen gesteinsfalten, dass es weiter oben fürchterlich grollend wie aus drachennüstern ätzend spritzt. und das volk glaubt seit urzeiten deutlich zu hören, wie der säuredampf des drachens niederrieselt und sich zischend mit dem ungetümen wasser mischt...

todesflieger nennen sie ihn und alle hotels der stadt bezahlen ihn gut. doch will er ihr geld nicht, nicht für sich. in geballten fingern hält er es, dass es wie eine kunstvolle faustblume ausschaut und nimmt es täglich mit hinunter ins furchtgrau schäumende meer, in den donner der fordernden brandung, die ihn aber nicht will und vor der so viele boote mit scharfen objektiven, in respektvoller weite vom tod entfernt, auf sanfter dünung geil treiben und zugleich nervös auf den dämmerungssprung warten: von dem drachenfelsen in den teufelsschlund. dafür zahlt man ihn und da will er hinein...

schon lange steht er da oben reglos im wind. die haare sind zerzaust und das gesicht ist von feinen narben zerschnitten. er muss wohl schon oft vorbeigeschrammt sein, munkeln einige gäste respektvoll, wenn er täglich hinaufklettert. seine muskeln frieren bereits unter der gänsehaut, als die sonne am horizont hinabtaucht und es zwielicht ist. dieser augenblick dehnt sich ihm zur ewigkeit und kalte schweißperlen und auch tränen schleichen durch die narben hindurch, tropfen hinunter und taumeln wohl hinab in den schlund, könnte er es im dämmerlicht noch sehen...

so sieht er denn jetzt wieder und wieder die gleichen bilder und der schlund ruft ihn vor jedem sprung. ganz deutlich hört er seinen namen und springt dem ruf hinterher, dem ruf, der ein schrei wird in der kehle des ersten gastes, der es einfach nicht mehr halten kann und dem sich alle anderen soghaft anschliessen, weil sie es nicht fassen können, was da geschieht. viele müssen wiederkommen oder postkarten kaufen, weil sie ihre auslöser vergessen...

er fliegt im sturze einem falken gleich mit angewinkelten armen 40 meter hinab an scharfen felsen vorbei durch den säurenebel und taucht mit urplötzlich ausgestreckten armen in den finst’ren schlundstrom, der ihn mit einem knall aufnimmt, der das donnern der brandung übertönt. die schaulustigen verzerren dann die gesichter und fühlen den schmerz auf der haut und in den muskeln, den sehnen und den gelenken. manchmal werden sogar einige bewußtlos, weil sie glauben, so sieht der tod aus, doch nach minuten des bangens taucht er stets wieder auf, erklimmt einen der drachenzähne und springt den booten entgegen und schwimmt an land zurück...

wenn es hell ist und ebbe, wagen angeleinte kinder sich mit der hilfe von kanistern zum schlund und suchen nach zerrissenen geldscheinen. bei erfolg heben sie die kleinen ärmchen und die eltern ziehen sie dann ans sichere land zurück. drei familien leben davon bescheiden aber sicher. sie sind es auch, die dem todesflieger nahrung zukommen lassen. sonst würde er ja verhungern, sagen die eltern den kindern, wenn diese fragen, warum sie immer essenskörbe in seine hütte bringen müssen. so findet er tagtäglich wieder die kraft zu klettern und zu springen...

zwieleuchter
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