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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 13.05.2021, 00:07   #1
männlich Ex-petrucci
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Standard Großstadtzonen

Ich laufe durch die Großstadtzonen;
Vergangenheit ruht überall.
In Orten, wo die Menschen wohnen,
droht auf den Dächern der Zerfall.

Das Leben liegt in Aktentaschen
geordnet und sehr fein sortiert
und hinter zarten Seidenmaschen
schlägt leis ein Herz, das furchtbar friert.

Es bleiben demnach nur die Bäume.
Mein Leben ist ein kleiner Ast,

der nichts im Winde mehr erfasst.
Ach Scheiß, ich piss auf meine Träume.
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Alt 14.05.2021, 21:48   #2
Stachel
 
Benutzerbild von Stachel
 
Dabei seit: 03/2015
Ort: Niederrhein
Beiträge: 954

Zitat:
Zitat von petrucci Beitrag anzeigen
und hinter zarten Seidenmaschen
schlägt leis ein Herz, das furchtbar friert.
Die berührende Schönheit dieses Bildes entschädigt direkt für das Frösteln, dass es gleichzeitig in mir auslöst.

Die erste Strophe enthält viel "o" und die zweite viel "a". Die Großstadt scheint außer Bäumen nicht viel Leben zu enthalten, denn die Menschen dort sind tot. Nicht auf eine physische Art, sondern abgestumpft und unnatürlich.
Das lyrische Ich vergleicht sich selbst mit einem Ast an einem solchen Baum. Aber es ist kein Ast voller Leben. Er vermag nichts zu fassen. Es ist vielleicht auch nichts dort, was der Wind dem Baum mit seinem Ast zutragen könnte, das es zu fassen gälte.

So fällt der Abschied von allen Träumen sehr drastisch aus. Der letzte Vers hebt sich so stark vom vorherigen Stil und Inhalt ab, dass es auf mich so wirkt, als würde hier der Dichter selbst reden. Als würde er seinem lyrischen Ich ein lyrisches Über-Ich, oder besser Meta-Ich entreißen, dass an seiner Stelle auf das Leben und alle geplatzten Träume flucht.

Freundliche Grüße von
Stachel
Stachel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.05.2021, 13:50   #3
männlich Ex-petrucci
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Hallo Stachel,

danke für deinen Kommentar.
Auf dem zweiten Blick, halte ich Kulturoptimismus zwischen den Zeilen versteckt.
Grundsätzlich ist das Schreiben für mich mehr eine intuitive Reise und am Ende deute ich gern selbst. Vor allem, wenn es sich um Ich-Lyrik handelt.

Gedichte, die einen klaren Faden verfolgen bedürfen viel Begabung, die ich allerdings nicht besitze (Hohe Ansprüche). Das Schreiben macht trotzdem Spaß.
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.05.2021, 16:10   #4
männlich Walther
 
Benutzerbild von Walther
 
Dabei seit: 03/2013
Beiträge: 1.873

Zitat:
Zitat von petrucci Beitrag anzeigen
... Gedichte, die einen klaren Faden verfolgen bedürfen viel Begabung, die ich allerdings nicht besitze (Hohe Ansprüche). Das Schreiben macht trotzdem Spaß.
man sollte sein licht vor der zeit unter den scheffel stellen. dann sieht man es im dunkeln nicht,
lb petrucci,
das ist doch ein für dieses forum (und für die meisten anderen auch) überdurchschnittlicher text.
lg W.
Walther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.05.2021, 20:56   #5
männlich Ex-petrucci
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Hallo Walther,

vielen Dank für den Kaffee und die Pfannenkuchen
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.05.2021, 22:54   #6
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.043

Zitat:
Zitat von Walther Beitrag anzeigen
das ist doch ein für dieses forum (und für die meisten anderen auch) überdurchschnittlicher text.
Dem schließe ich mich an. Von solcher Lyrik wünschte ich mir mehr.

Obwohl die letzte Strophe schwächelt. Was aber nicht verwundert, denn kurz vor dem Ziel geht den Künstlern oft die Luft aus.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 16.05.2021, 12:19   #7
männlich Sonnenwind
 
Benutzerbild von Sonnenwind
 
Dabei seit: 06/2012
Alter: 62
Beiträge: 1.514

Der Text ist sehr berührend und zu Recht gelobt worden, wie ich finde.

Drei Kritikpunkte:

1) Die Formulierung "geordnet und sehr fein sortiert" ist doppeltgemoppelt. Was natürlich auch Absicht sein könnte, um das Zwanghafte eines Ordnungswahns anzudeuten.

2) "Es bleiben demnach nur die Bäume" klingt nach einer Schlussfolgerung, deren Sinn sich mir nicht erschließt.

3) Die letzte Zeile stellt einen Stilbruch dar, der ebenfalls beabsichtigt sein könnte, den ich aber für nicht gelungen halte, da er zu flapsig daherkommt.

Dennoch: insgesamt sehr gelungen!

LG
SW

Geändert von Sonnenwind (16.05.2021 um 15:59 Uhr)
Sonnenwind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.05.2021, 19:13   #8
männlich Ex-petrucci
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Vielen Dank für das Feedback und die Kritiken!
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.05.2021, 20:53   #9
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Hallo Petrucci,
ich schließe mich gern den Lobesworten meiner Vorredner an. Vom Inhalt des Gedichts ist schon einiges gesagt. Was mich beeindruckt ist, Walther sprach es schon an, die Eleganz der Sprache. Poeten wie Dich brauchen wir hier im Forum!
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 17.05.2021, 10:09   #10
männlich Ex-petrucci
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Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Hallo Heinz,

auch dir sei gedankt!
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.05.2021, 14:58   #11
männlich MiauKuh
 
Dabei seit: 08/2017
Ort: Bei Rostock
Beiträge: 2.246

Hi,

dem Gedicht täte es aus meiner Sicht gut, die letzten vier Zeilen ersatzlos zu streichen.

Der Ausbruch aus dem vorherigen Stil ergibt keinen erkennbaren Sinn, die Sprache fällt deutlich ab, Neues gesagt wird nichts und den fortgesetzten Gedankengang kann jeder Leser sich selber spinnen, anstatt ihn zu lesen.

Ich schließe mich hinsichtlich der Kritik den Punkten 2. und 3. der Auffassung von Sonnenwind an.

Liebe Grüße
MiauKuh ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.05.2021, 16:56   #12
männlich Ex-petrucci
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Hallo MiauKuh,

danke für dein Gedankengut und Kommentarium.
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.10.2021, 23:35   #13
Ex-Pennywise
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Dabei seit: 12/2020
Beiträge: 599

Moin Petrucci,

ich hab das schon vor längerem gelesen, aber scheinbar nicht kommentiert. Du beschreibst hier das Großstadtleben so, wie ich es oftmals empfinde. Die Stadt ist kalt und im Zentrum eigentlich unbelebt und nur tagsüber vom arbeitenden Volk geflutet.
Und was den Stilbruch betrifft (deswegen erinnere ich mich gerade an den Text), den finde ich gut. Genauso würde ich es lassen, denn das sticht hervor und setzt sich von der Masse ab. Dafür sorgt aber auch die gute Metrik und die davor feine Formulierung.
Gefällt.

Gruß

Pennywise
Ex-Pennywise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.10.2021, 02:34   #14
männlich Ex-petrucci
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Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Merci!
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.10.2021, 03:37   #15
männlich Anaximandala
 
Benutzerbild von Anaximandala
 
Dabei seit: 05/2021
Ort: Zu Hause
Beiträge: 1.190

/sign
Hey Petrucci, ich kann mich den anderen Kommentatoren nur anschließen, das Gedicht hinterlässt Eindruck und hat eine Botschaft. Die letzten 4 Zeilen passen nicht soo optimal, mir gefallen sie trotzdem, weil sie der Thematik ein wenig den ernst nehmen. Außerdem setzen genau dort die Verse an, die mir grad durch den Kopf geschwirrt sind xD vermutlich hab ich einfach über den falschen Aspekt deines Textes geschrieben, ich hoffe ich wirke jetzt nicht (zu) ordinär^^

Träume, Bläschen, Seifenschaum,
Arbeit, Ketten, Hamsterrad,
Geisteszehrend bleibt ein Traum,
Und auf diesen piss ich grad.

Träumefresser, Seelentod,
Menschmaschine Arbeitswelt,
Hoff in meiner Traumesnot,
Dass der eine sich erhält.

Hunger treibt die Menschmaschin,
Träume müssen nicht schmecken,
Meiner hilft mir, zu entfliehn,
Soll der Piss mich bloß wecken.

Schau ihn an und frage mich,
Ernsthaft, zählt das noch als Traum?
Nur ein Schatten, der verblich,
Weckt mich, stinkend, Seifenschaum.

Werde Mensch und geh nun fort,
Piss auf Träume, sag ich dir,
Entflieh damit dann dem Ort,
Wo mein Herz sonst noch erfrier.

Viele Grüße und guten Abend/Morgen... Guten Jetzt
Anaximandala ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.10.2021, 11:42   #16
männlich Ex-petrucci
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Hey Anaxi (Ich hoffe, du verzeihst meine dreiste Abkürzung!),

ich finde es überhaupt nicht ordinär, wenn man gemeinsam an einem Werk schraubt. Im Gegenteil es ist spannend!

Die letzten zwei Strophen gefallen mir in der Tat sehr!
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.10.2021, 15:07   #17
männlich Anaximandala
 
Benutzerbild von Anaximandala
 
Dabei seit: 05/2021
Ort: Zu Hause
Beiträge: 1.190

Hey Petrucci, nein garnicht, Anaxi ist cool

Freut mich, dass es dir gefällt, ich mag das echt gerne, mich von Gedichten hier inspirieren zu lassen, ganz doof gesagt ich glaub am kreativsten bin ich bei Texten jemand anderem, außerdem hab ich da öfters Ideen, auf die ich allein nie kommen würde. Richtig spannend wird Denken und Schreiben erst im Austausch mit anderen
Anaximandala ist offline   Mit Zitat antworten
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