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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 14.01.2016, 19:05   #1
männlich hermann8332
 
Dabei seit: 01/2014
Beiträge: 20

Standard Netztrauer

NETZTRAUER

Der Leid-Enthusiast und Trauer-Fledderer
Der Betroffenheits - Virtualist
und Mitleids- Netzjongleur

Ein Attentat
ein Terroranschlag
eine blutige Katastrophe
mit Verletzten und mit Toten

kaum hat es fürchterlich geknallt
kaum ist der Donnerschlag verhalllt,

schon scharren Millionen von Hyänenpfoten
der Gefühlsfledderer über die Tasten
wenn die Betroffenheitsblogger und Aasgeiersurfer
hechelnd durch die Netze hasten

mit den Solidaritätszombies und Entrüstungsschreihälsen

den Trauergeilern und Opfervampiren

und allen, die sich hysterisch aufführen

wie durch Elektroschocks reanmimiert
von fremden Leid und Unglück aufgegeilt, vitalisiert

Als untode scheintode Manselbstgeschöpfe
sie zombiehaft im Netz agieren

ohne eigenes Ichselbstwesen

und leben auf,
wenn sie den Einheitstrauerbrei
genüßlich im Netze lesen

und ihr eigenes Gesülze und Geschreibsel
ist schließlich überall dabei
auf daß die Welt doch sehe
wie empathievoll und gefühlvoll man doch sei

wie gut, verständig, menschlich und human

was man von anderen, wie den Tätern ,
doch nimmermehr behaupten kann

auf daß der Eindruck von der sittlichen Bürde,
der eigenen Humanität und Würde
sie vor sich selbst heroisch macht
und ihr verbogenes Größenselbst
einmal sich aufrecht zeigen darf

und sich dabei ins Fäustchen lacht

diese ewig Zukurzgekommenen
und ressentimentbeladenen
Angstbeißer und Konformisten
voller Lamoryanz
vom Brägen bis zum Schwanz

Denn da ist jetzt dieses Wellnessgefühl :

Betroffenheit und Trauer,
sie kosten im Netz
ein paar kitschige Floskeln
und das ist wirklich nicht viel

Und dann diese wohlige Trauer

Sie vermittelt so schöne Schauer,

wie guts einem doch geht
und daß man weit besser dasteht

als eines der vielen Opfer,
das jämmerlich zugrunde geht

alles schön ausführlich dokumentiert
medial begleitet, interpretiert

man machts sich gemütlich
genießt es daheim

sicher und behütet

beim Kaffee
im warmen Kämmerlein


keinerlei Aufwand, auch kein mentaler
also wirklich ganz kostenfrei

Alles ist weit weg
alles ist anonym
und man ist nicht selbst dabei

Setzt sich an Tablet
weil grad nichts anderes abgeht
und stellt hochzufrieden seinen Blogg
ins Netz rein

Oh mein Gott wie kann das sein,
so infam und so gemein

Das sind keine Menschen mehr
da muß die Todesstrafe her

Die armen Opfer tun mir leid
So ihr lieben Facebookfreunde
jetzt wißt ihr Bescheid:

Ich bin gegen Terror
und gegen Krieg
Ich hab alle Ausländer lieb „

( und ein Traueridot )

Kann gar nicht begreifen
wie man über einen Tod
trauern kann, still und allein
ohne Licht im Kämmerlein

wo es die anderen nicht hören nicht sehen
die einfach ihres Weges gehen
und nicht einmal merken mein Engagement
weil keiner meine Teilnahme erkennt

Da kann ich es ja gleich sein lassen
Keiner würde mich dafür hassen
aber niemand würde mich dafür lieben
wäre ich ganz still geblieben

Reiß lieber im Netz die Schnauze auf
Beim Public-Trauern bin ich stets sehr gut drauf !
hermann8332 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.01.2016, 19:19   #2
männlich Ex-Poesieger
abgemeldet
 
Dabei seit: 11/2009
Beiträge: 7.220

Das rechtfertigt noch mehr Tote.
Ex-Poesieger ist offline   Mit Zitat antworten
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