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Alt 19.10.2012, 16:27   #1
männlich Desperado
 
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Standard Dolorosa Dancing

Der Dolorosa River hat seine goldenen Zeiten gesehen, die ihm nur Dreck und Quecksilber bescherten. Irgendwann hatte das Wässerchen offenbar die Nase gestrichen voll von der schürfenden Bande und stellte den Nachschub an Nuggets ein, so sehr sie auch in seinem Bett herumwühlten und das Unterste nach oben kehrten, außer Glitzersteinen war da nichts mehr zu finden, was glänzte und Reichtum versprach.

Das Goldwäscherstädtchen Dolorosa ist erst zur Geisterstadt verfallen, wurde nach und nach von heimatlosen Leuten besiedelt und Stück für Stück wieder aufgebaut, aber es kam nicht so, wie man erwarten hätte wollen, dass nämlich die neuen Bewohner dem Kaff einen neuen Flair und Spirit verpassen hätten können, im Gegenteil- der rohe, respektlose, habgierige und sittenlose Geist, der allein und verlassen in den Häusern hauste nach dem Abzug der letzten Goldrauschsüchtigen, hat von den Zuwandereren Besitz ergriffen und sie nach seinem Abbild geschaffen.

Wer die Wüste kennt, weiß, dass es derlei Unerklärliches gibt und wundert sich nicht weiter drüber.

Weshalb ich auch keine Bedenken habe, im versifften und heruntergekommenen Saloon des Nestes einzukehren auf ein kühles Bierchen oder drei, der Ritt war weit und beschwerlich, der Durst übermächtig und das Hirn von der Sonnne ausgebrannt, in derlei Verfassung machst du die bescheuertsten Sachen, ohne einen Gedanken an die möglichen Folgen zu verlieren.

Anfangs ist alles ganz friedlich, eine Lady in Männerklamotten pflanzt sich neben mich an der Tresen und will mich löchern, stranger in town, nun, was man so town nennt, was ich doch für eine aufrechte Ausstrahlung hätte und wie beeindruckend mein furchtloses Auftreten sei, all dies abgelutschte Süßholzgeraspel eben, um ein neues Gesicht auf seine mögliche Gefährlichkeit abzutasten, „well Lady“, sag ich, „bei den Cheyenne wärst du eine heilige Frau und hier musst du einen auf Macker machen, ist schon ziemlich blöd irgendwie sowas“, worauf sie weiß wird wie ein Kreidefelsen und hastig flüstert, „sag’s um Himmels Willen keinem, die halten mich hier alle für einen Kerl, das wär mein sicheres Ende“.

„Papperlapapp“, meint die Mexikanerin hinterm Tresen, „wissen doch sowieso längst alle, was für ein verlogenes Weibstück du bist, aber du bist ihnen einfach zu kantig, um dir auch nur auf’n Arsch zu klatschen.“

„Halt bloß dein dreckiges Schandmaul, du Hure,“ faucht das Mannweib böse zurück, „dich hatten sie dafür schon alle, du elende Schlampe!“

„Hör ich da etwa Neid?“ gibt die Gypsylady ungerührt raus, und so geht das eine Weile hin und her und ich bestell mir derweil ein zweites Bierchen. Ich hab noch nicht gerülpst, als sich ein pickelgesichtiger Bengel in abgetragenem Edelfrack in mein Gesichtsfeld schiebt und meint, die geladene Stimmung damit aufheizen zu müssen, mich anzupöbeln auf ungehörige Weise, wie er’s mit allen andern Anwesenden auch gemacht hat, seit ich meinen Allerwertesten auf den zerschlissenen Barhocker geschoben habe, was aber irgendwie niemanden besonders zu stören schien, offenbar kennt man ihn hier nicht anders.

„Du bist mir auch einer von diesen nichtsnutzigen, abgetakelten Lumpen, die redlicher Leute Zeit stehlen, einer dieser stinkenden Schmarotzer und verlausten Tagediebe, die einen auf einsamen Helden machen, heh Galgenvogel, mir machst du nichts vor mit deinem hochtrabenden Geschwätz und deinem heuchlerischen Gehabe, du Hochstapler von erbärmlichem Greisengesicht...“ und so weiter und immer so fort, zu oft gehört, um drauf zu achten, was dem Buddy garnicht besonders zu gefallen scheint, seine Grimasse wird noch röter, als ihr die Schnapsnase von weitem vorangeleuchtet hat, und als er schließlich einsehen muss, dass sein streitsüchtiges Gegeifere an mir abprallt wie an einem ausgeglühten Wüstenstein, kippt er mir ohne Vorwarnung sein volles Whiskeyglas ins Gesicht.

Da er sich grässlich fluchend und wild herumfuchtelnd aus ein paar über ihm gefalteten und ineinander verkeilten Stuhlbeinen herauswerkelt, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als seinen fliegenden Ortswechsel mit dem Pochen in meiner Rechten in Verbindung zu bringen, die manchmal tut was sie will.

Irre und kochend vor Wut hechtet er, kaum auf den Beinen, wie ein Tobsüchtiger auf mich los und segelt elegant über den Tresen, weil ich einen kleinen Ausfallschritt zur Seite gemacht hab, höflich wie ich nunmal bin, um seinem offenbar eiligen Ansinnen nicht unnötig im Wege zu stehen, worauf sich mit infernalem Poltern und Klirren die stattliche Flaschengalerie auf ihn herniedersenkt, deren Fundament er ob der Wucht seiner unsanften Landung in verhängnisvolle Erschütterung gebracht hat, die Leute sind alle aufgesprungen, es wird wild durcheinandergeschrien, von irgendwo her segelt ein Bierglas quer durch den Raum über ihre Köpfe hinweg und zerplatzt an der Wand... und so fügt sich eben eins ins andere.

Irgendwann wird mir die allgemeine Unordnung etwas zu unübersichtlich, da inzwischen alle auf jeden eindreschen und umgekehrt, und nachdem das verstimmte Klavier mit imposantem Donnerschlag auseinandergefallen ist und ächzend seinen Geist aufgegeben hat, arbeite ich mich behutsam zur Schwingtür durch, deren einer Flügel verschwunden ist und zweiter aus der oberen Angel gesprungen in schwerer Schieflage abhängt, und verlasse den Ort der Entfesselung gleichzeitig mit einem Tisch, der im Gegensatz zu mir den direkten Weg durch eins der Fenster nimmt.

Grade will ich mir nach derart unerfreulicher Unbill zur Entspannung eine Zigarillo anzünden, als der verknitterte Möchtegern-Gentleman in hohem Bogen durch das andere Fenster geflogen kommt, immerhin weit genug, um nicht in den Scherben zu landen, sondern im Dreck der Straße. Kaum hat er sich hochgerappelt und den Staub aus seinem zerrissenen Smoking geklopft, beginnt er aufs Neue zu schäumen, als er meiner ansichtig wird, der ich es mir im Schaukelstuhl auf der kleinen Holzverschlagumsäumung leidlich gemütlich gemacht habe.

Und dann macht der Hanswurst den selben Fehler, den in diesem Zustand gesteigerter Unzurechnungsfähigkeit alle Trottel seinesgleichen machen, er schlägt den Rock an der rechten Hüfte in den Rücken, so dass der Knauf eines Colts zum Vorschein kommt und bellt mich an: „Na, du zahnloses Großmaul, dann wollen wir doch mal sehen, wie weit es her ist mit deiner Schießkunst!“

Zu seinem unverschämten Glück hab ich bereits einen tiefen und genüßlichen Zug genommen und blas ihm den hastig gezogenen Colt aus der Hand zugleich mit dem Rauch aus der Nase, der wirbelnd durch die Luft davongeschleudert wird und einige Meter hinter ihm zum Liegen kommt. Da steht er nun wie zur Salzsäule erstarrt, hält sich seine Rechte und starrt mich mit plötzlich angstgeweiteten Augen an. In aller Ruhe lege ich auf ihn an, ziele genau aufs Herz, lass den Kerl ein wenig schwitzen, aber nicht zu lange, seine weichgewordenen Knie wird er noch brauchen, und lautmale endlich ein erlösendes „Peng“.

„So schnell kann’s gehn, Junge, denk mal drüber nach.“

Naja, und dann gönn ich mir ein Tänzchen, die Sonne ist träge geworden und ich mit ihr, die rechte Stunde für eine kleine Abwechslung, also, der Tänzer, das ist der Guy und ich nur der Zuschauer, allerdings bestimme ich darüber, welches Tanzbein er wie hoch, auf welche Weise und wohin zu bewegen hat, indem ich seinen gelehrigen Eifer durch eine dicht vor seine Stiefelspitzen in den Staub gesetzte Kugel ein wenig beflügle, und siehe da, der Bursche hat gehöriges Talent und ist für sein doch nicht mehr ganz taufrisches Alter erstaunlich wendig und beweglich, er liefert ohne Übertreibung eine glanzvolle Vorstellung ab, erstaunlich, was er da so alles an Verrenkungen, Drehungen und Sprüngen aufs Parkett legt, alle Achtung, ungelogen.

Als schließlich die Trommeln meiner beiden Revolver leergepulvert sind und er prustend zum Stehen gekommen, klatsche ich nicht wenig angetan redlich verdienten Beifall für die gelungene Darbietung, „ey Fellow,“ ruf ich ihm begeistert zu, „diese heiße Nummer war mir jede Kugel wert, beeindruckend in der Tat, geradezu mitreißend, würd ich mich nicht scheuen zu sagen!“

Inzwischen ist der gerufene Sheriff in den Saloon gestürzt und hat ein paar Schüsse in der Saloondecke versenkt, der Lärm senkt sich schlagartig von wildem Getöse zu wirrem Gemurmel, und da der Sternträger unserem Tänzchen im Eifer seiner Dienstbeflissenheit keinerlei Beachtung geschenkt hat, pfeif ich meinem Pferdchen, schwing mich in den Sattel, nicht ohne vorher den ziemlich mitgenommenen Colt meines Tanztalentes zwecks Säuberung in der Tränke zu versenken, und bin gemächlich aus der Stadt geritten, noch ehe der Sheriff sich einen halbwegs brauchbaren Überblick über die zuletzt doch ziemlich verworrene Lage verschaffen hat können.

Ich glaube, der Frack hat noch mitten auf der Straße gestanden und mir nachgestarrt, als ich schon am Horizont verschwunden war. Was ich so gehört habe, tingelt er heute mit einer Gauklergruppe namens „Dancing Dolorosa“ durch die Gegend, als gefeierter Solotänzer versteht sich.

Manches Talent muss eben erst geweckt werden, sowas mach ich doch immer gerne.
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