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Alt 15.03.2021, 23:13   #1
männlich Pattie
gesperrt
 
Dabei seit: 07/2012
Beiträge: 264

Standard Über Rilke

Über Rilke:

Des Denkmals Sockel ist aus Stein.
wie man auch daran rüttelt,
da fällt nichts mehr ein.

Liebes-Lied

Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.


Werkimmanente Interpretation, kurz und knapp:

Auftakt als Frage
Abschluss als Frage
Sozusagen Fragen als Klammer

Seele als Saiteninstrument
Gleichsetzung ist ein gängiges Motiv
Gleichklang der Saiten und der Seelen

Ungewöhnlich ist die Umkehrung,
zuerst geht der Autor auf Inhalt, dann auf Bild. Meistens ist das umgekehrt. Zuerst kommt das Bild dann wird es interpretiert

Verständlich wird diese Vorgehensweise blickt man auf die Frage am Ende. das ist ja der eigentliche Kern. Auf welchem Instrument wird denn der Gleichklang von wem erzeugt?

Hier bekommt der Text eine religiöse Bedeutung. Denn wie soll man das Instrument und den Spieler anders verstehen als die Welt und in ihr wirkend Gott. Da tut sich einem auf, das Rilke sehr stark auf das Fatum setzt. Gott ist der wirkende und nicht der Mensch.

Wir müssten jetzt vergleichende Textarbeit machen und würden feststellen, dass dieser Zusammenhang in vielen Gedichten besteht.

Auffallend ist außerdem, dass Rilke das Bild nicht bricht sondern glasklar durchsichtig gestaltet, kein Fünkchen Ironie bei dem Ganzen. Warum nicht? Es bietet sich doch an, dieser Geigen spielende Gott und die gequälten Saiten.

Schwach finde ich die Passage mit dem "irgendwas Verlorenem" Erst versucht er seine Seele an die andere zu halten dass sie gleich schwingt ohne die andere zu berühren. Und dann kommt dieses diffuse Verlieren im Irgendwas um der anderen Seele noch weiter zuhören zu können. So also sieht er die Liebe. Es sieht so nach einem depressiven Fallen lassen im Nirgendwo aus. Der Mensch hat so eine Sehnsucht nach den Schwingungen des Andern, ist aber nicht in der Lage, seine Sphäre zu bestimmen. Na ja.

Zu Metrik und Rhythmus bitte ich zu beachten, dass verschobene Reime vorliegen, ein kunstvolles Gewebe, das ich in der Vollendung nur bei Rilke kenne.

Ich hab auch keine Lust Werk und Biografie und Werk und historisches Umfeld zu analysieren. Das müsste man hier nämlich. Es geht sicher um eine konkrete Liebessituation. Auch philosophisch und literarisch gibt es ein Umfeld. Wo steht das Gedicht? Welche Funktion hat es dort? Bis hin zur philosophischen Grundhaltung, die sich da manifestiert.

Ich werfe mal die Gedankenfetzen den Klugen vor die Füße.

Rilke ist das Leuchtfeuer der Poesie, damit die Dichter wissen, wo es lang geht und sie nicht auf Grund laufen im Dichter Nebel. Er war gern der Wurm und der Haken der Poesie, ein Karrierist der Poetik.*
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