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Alt 16.02.2014, 15:08   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Vor mehr als fünfzig Jahren ...

Nicht jeder hatte einen Roller, damals, als noch nicht alle Fußwege glatte Platten hatten, sondern aus fester Erde bestanden. Wir waren drei und wechselten uns ab: Jeder bis dorthin, wo die Platten anfingen, und wieder zurück. Dann war der nächste dran. Wir hatten Regeln, und jeder hielt sich dran, denn nicht jeder hatte einen Roller.

Wir hätten auch auf der Straße fahren können, damals tauchte allenfalls stündlich ein Auto auf. Niemand konnte sich den Luxus „Auto“ leisten, geschweige denn einen Führerschein. Mein amerikanischer Onkel kaufte einen Mercedes, den der in die Staaten mitnahm, ein Höllenfahrzeug, in dem es mir schlecht wurde. Wir waren an nichts Gutes gewöhnt in den Fünfzigern.

Im Sommer radelte der wild klingelnde Eismann durch die Stadt, vor dem Fahrrad eine weiße Kiste mit einer chromglänzenden Haube, die er lüftete und aus ihrem Schlund köstliche Kugeln fischte, jede zu fünf Pfennig.

An der Ecke unserer Straße lebte eine arme Familie. Dort trugen wir die Kleider hin, die wir nicht mehr wollten. In den Fünfzigern! Aber es ist wahr: Es gab bereits viel zu verschenken.

Es gab auch zu Schlemmern: Cremetorten gehörten zu jedem Sonntag und zu jedem Geburtstag. Das Leben der Bäcker und Konditoren muss in den Fünfzigern im Paradies stattgefunden haben. Aber es hielt nicht lange. Ich erinnere mich, wie mein Vater sagte: „Das Brot ist schon wieder teurer geworden.“ Es kostete damals, zwei Pfund schwer, eine Mark siebenundzwanzig. Dann verschwanden die Bäcker und nach ihnen die Metzger – die Supermärkte machten auf.

Die Kinokarte gab es für eine Mark zehn, für Filme mit Überlänge musste man zwei Mark fünfzig berappen. Aber sie waren es wert.

Milch gab es in Flaschen, aber sie wurde auch noch lose in Kannen gefüllt. So im Laden in der Innenstadt, gleich neben dem Kino, in dem meine Großmutter – in Kittelschürze und mit frisch gefüllter Milchkanne – oft versumpfte.

In meinem Schulhof stand ein stattlicher Brunnen, der noch mit dem Wasser spielte, als ich eingeschult wurde. Ein paar Jahre später stand er trocken und regungslos da, inzwischen ist er verschwunden.

Wie all die Jahre.

16. Februar 2014
© Ilka-Maria
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Alt 16.02.2014, 15:27   #2
weiblich Ex Täubchen
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Beiträge: 432


Standard Hallo Ilka,

Ich mag es, wenn. jemand aus vergangenen Zeiten berichtet. Eigene und die Geschichten anderer lebendig werden.
Ich weiß nicht ob du diese Kühle beabsichtigt hast.
Mir fehlt das Emotionale, Lebendige in deiner Darstellung, die sagt, das hätte ich gern erlebt, oder mitfühlen lässt.
Z.B. Wenn es kaum Brötchen gab,waren diese wichtig. Mit welchem Blick, was machte dein Körper, der Geruchssinn, wenn du sie sahst und riechen könntest.

Wie einfach und wie selbstverständlich wird dies jetzt genommen. Das sollte doch der Bezug sein?

Wenn du mich fragst unterstreiche es durch Lebendigkeit deiner Empfindungen und pers. erlebten Erinnerungen.

LG das Täubchen
Ex Täubchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.02.2014, 16:35   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Täubchen Beitrag anzeigen
IMir fehlt das Emotionale, Lebendige in deiner Darstellung, die sagt, das hätte ich gern erlebt, oder mitfühlen lässt.
Die 50er Jahre waren emotionslos, Täubchen. Deutschland lag in Trümmern, hatte den Krieg verloren und war traumatisiert. In der Straße, in der ich wohnte, gab es ein paar Meter weiter ein Flüchtlingsheim, dort hausten die Heimatvertriebenen ohne Wissen über die Zukunft. Wem Emotionen fehlten, rannte ins Kino, davon gab es in meiner relativ kleinen Stadt an die neun. Ich selbst ging jeden zweiten Tag ins Kino. Und weißt Du was? Diese emotionslose Zeit war für mich die schönste und emotionalste Zeit meines Lebens. Was danach kam, war nur noch Erstarren im rastlosen Eifer, das Leben bis zum Ramd mit Emotionen zu füllen, bis vor lauter Emotionen - vom Beat-Gehämmer bis zu Drogen- zum Leben nichts mehr übrig blieb.
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Alt 16.02.2014, 16:44   #4
Thing
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Beiträge: 34.998


Da wird mir wehmütig ums Herz!
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