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Alt 11.09.2010, 09:06   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Zum Elften

Am Morgen des 11. September beschloß ich, die Katastrophe meines Lebens zu beenden.

Ich wuchtete den Werkzeugkasten vom Regal in der Besenkammer, nahm den Hammer heraus, ging zum Schlafzimmer, umfaßte den Stiel mit beiden Händen und schlug dem Schlafenden mit der stumpfen Seite des Hammers auf den Kopf, was meine Kraft hergab.

Ein einziger Schlag nur - dann ließ ich den Hammer zu Boden fallen, drehte mich um und verließ das Schlafzimmer, ohne mich zu vergewissern, ob mein Peiniger tot war. Ich wußte, ich hatte nur diese eine Chance gehabt - zu einem zweiten Schlag wäre ich nicht fähig gewesen.

Ich ging in die Küche, machte Wasser im Kocher heiß und brühte mir einen Schnellkaffee auf. Während ich mit dem Löffel in der Tasse rührte, um die Hitze schneller flüchten zu lassen, stellte ich an mir eine merkwürdige Ruhe fest. Alles würde gut werden - keine obszönen Beschimpfungen mehr, keine geschwollenen Augen, nie mehr aufgeplatzte Lippen, keine Fußtritte, keine hinterhältigen Attacken, keine Würgemale mehr. Aus und vorbei.

Schlückchenweise trank ich meinen Kaffee. An der Wand tickte schläfrig die Küchenuhr. Als die Tasse leer war, stellte ich sie in die Spülmaschine und begab mich zum Wohnzimmer. Ich ignorierte das Telefon, öffnete das Barfach des Schrankes und inspzierte den Inhalt: eine volle und eine halbe Flasche Cognak, eine angebrauchte Flasche Korn und eine Flasche Wodka mit dem Rest vom Vorabend.

Ich trug die Flaschen in die Küche, goß ihren Inhalt in das Spülbecken und legte sie in einen Einkaufskorb. Dann ging ich zurück ins Wohnzimmer und schaltete das Fernsehgerät ein. Sondersendung auf allen Kanälen. Während ich auf die brennenden Türme des World Trade Center starrte, dämmerte mir, daß ich mit dieser Welt nichts mehr zu tun haben wollte.

by Ilka-M.
11. September 2009
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Alt 11.09.2010, 10:58   #2
Thing
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Halli Hallo, Ilka Maria -

hoffentlich ist diese Geschichte nicht authentisch!

Sie zeigt aber sehr deutlich, daß dem Individuum persönliche Katastrophen näher gehen als die größten Weltdramen. Zumindest sehe ich das so.

Das "begab" und "angebraucht" klingt mir zu gestelzt.
Ansonsten:
Der unterkühlte Erzählstil macht die innere Starre der Protagonistin nachfühlbar. Das Knappe wirkt eindringlich. SO lobe ich mir Tageseinträge!

Ein wahrlich gutes Stück Kurzprosa!


Thing

(nicht lobhudelnd)
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Alt 11.09.2010, 17:35   #3
weiblich Ilka-Maria
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Danke für die Kritik, Thing. Ich war mir nicht sicher, ob ich das Textchen überhaupt jemandem zumuten soll, denn Prosa ist nicht meine Stärke. Dann habe ich es aber gerade wegen meiner Unsicherheit getan, um vielleicht ein paar Meinungen zu bekommen.
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Alt 12.09.2010, 10:07   #4
Veitch
 
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Ilka, Du bist doch gar nicht so schlecht in der Epik.
Das einzige, was ich hier als verbesserungsfähig erachte, ist mehr Fragen zu hinterlassen und den Interpretationsspielraum zu vergrößern. Meines Erachtens verrät der Text zu viel und wird zu deutlich. Zum Beispiel:
Zitat:
Alles würde gut werden - keine obszönen Beschimpfungen mehr, keine geschwollenen Augen, nie mehr aufgeplatzte Lippen, keine Fußtritte, keine hinterhältigen Attacken, keine Würgemale mehr. Aus und vorbei.
Wenn man das geschickter anstellt und lediglich Hinweise hinterlässt, stellt sich für den Leser man am Ende die Frage, welche Misshandlungen der Ich-Erzähler hatte ertragen müssen.
Man muss auch den Peiniger nicht sofort als solchen bezeichnen, da man mit dieser Bezeichnung sofort die Motive der Tat offenlegt.

Eine Sache noch.
Zitat:
verließ das Schlafzimmer, ohne mich zu vergewissern, ob mein Peiniger tot war.
Für mich steht das im Widerspruch dazu, dass sie sich noch lange in der Wohnung aufhält, ohne Angst zu haben, dass ihr Peiniger wieder aufwacht.
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Alt 12.09.2010, 10:39   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Für mich steht das im Widerspruch dazu, dass sie sich noch lange in der Wohnung aufhält, ohne Angst zu haben, dass ihr Peiniger wieder aufwacht.
Danke für's Kommentieren. Ich bin davon ausgegangen, daß ein Mensch, dem man den Schädel einzuschlagen versucht hat und der dies überlebt, nicht mehr gefährlich sein kann, denn er ist wahrscheinlich ein Pflegefall. Und selbst wenn noch denken könnte, wüßte er nicht, was geschehen ist.

Auch bin ich davon ausgegangen, daß ein Mensch, der zu solch einer Tat getrieben wird, vor nichts mehr Angst hat, sondern daß ihm alles egal ist.

Über die anderen Punkte werde ich nachdenken.

LG
Ilka-M.
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Alt 12.09.2010, 14:45   #6
Veitch
 
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Zitat:
Danke für's Kommentieren. Ich bin davon ausgegangen, daß ein Mensch, dem man den Schädel einzuschlagen versucht hat und der dies überlebt, nicht mehr gefährlich sein kann, denn er ist wahrscheinlich ein Pflegefall.
Kommt darauf an, wie kraftvoll man den Schlag wirklich hinbekommen hat. Vielleicht kannst Du darüber in der Geschichte ein besseres Feedback geben. Da steht zwar "was meine Kraft hergab", aber das muss nichts heißen. Sehr gebeutelte Menschen haben möglicherweise nicht viel davon.

Noch etwas fällt mir ein, zwecks Verbesserungsmöglichkeit: Andere Sinne einbeziehen. Z.B. den Ton des Schlags erwähnen - ich glaube, dass der sehr eindrücklich sein muss. Oder den Geruch/Geschmack des Kaffees erwähnen, das Geräusch beim Wasserkochen, das letzte Glucksen des Cognaks im Abfluss. Was auch immer, diese Sinne werden jedenfalls in den meisten Geschichten viel zu sehr vernachlässigt.

Zitat:
öffnete das Barfach des Schrankes und inspzierte den Inhalt
Hier ist ein Tippfehler.
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Alt 12.09.2010, 16:00   #7
weiblich Ex-phönixe
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Hallo Ilka-Maria,
ich mag deinen Text- besonders als Erinnerung ( ist für mich ein innerer Volkstrauertag an dem ich beschlossen habe, nicht zu feiern)

vielleicht könntest du die Passage ändern

Ein einziger Schlag nur- ein knacken (oder knirschen) und ich ließ den Hammer zu Boden fallen...

damit wäre dann geklärt, der Getroffene hat einen Schädelbasisbruch ( mindestens- was einen Pflegefall mit beinhalten würde- falls er überlebt hätte)


lg phönixe
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Alt 13.09.2010, 10:15   #8
weiblich Ilka-Maria
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Ich danke Euch allen. Werde darüber nachdenken.

LG
Ilka-M.
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Alt 21.09.2010, 13:49   #9
männlich Bullet
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Hallo Ilka,

Wenn ich im Laden ein Buch kaufe, lese ich keine Klappentexte oder Rezensionen oder sonst irgendeinen anderen Werbeschmurgel der Verlagsmarketingtexter, sondern immer nur die ersten drei Sätze; zwar genau drei. Nicht mehr. Nicht weniger.
Langweilen mich diese drei Sätze, kommt das Buch zurück ins Regal. Habe ich das Verlangen weiter zu lesen, kaufe ich das Buch. So einfach ist das.

Sofern dein Buch mit diesem Text begänne, würde ich es vorbehaltlos kaufen.

Gruß
Bullet
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Alt 21.09.2010, 14:00   #10
weiblich Ilka-Maria
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Lieber Bullet,

genau das wollte ich wissen, nämlich wie der Anfang wirkt. Mir ging es nicht um Reißerisches, wie z.B. das Krachen von Knochen (da traue ich dem Leser genügend eigene Phantasie zu), sondern ob es mir gelingt, das Interesse am Weiterlesen zu fesseln. Das allein war der Zweck dieses kleinen Textes.

Danke für Deinen Kommentar.

LG
Ilka-M.
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