Eiskalt

[Ilka-Maria]

Spürst du der Seele stille Glut,
der Jugend leichtgeschürzten Mut,
obwohl du über siebzig bist?
Du lächelst, wie gewitzt es ist,
das alte Mütterlein Natur:
Es nagt an Schönheit und Statur,
doch hält dein Fühlen ewig frisch,
du wähnst dich munter wie ein Fisch
und wie ein Jüngling stark und forsch,
doch das Gerippe ist längst morsch.

Schaust du im Spiegel dein Gesicht,
hält Mütterlein Natur Gericht,
wobei sein bester Advokat,
die Zeit, ihm dient mit Rat und Tat:
In jeder Falte steckt ein End,
so schreib und mach dein Testament!
Hörst du der Sense scharfen Schnitt,
des Knochenmeisters Höllenritt?
Er reitet einfach zu dir hin,
ganz ohne Gruß, ohne Termin.

Im Tode noch spitzt du den Mund,
machst deine Lüste offenkund
und weißt im Innern: Ich bin alt,
der letzte Kuss wird eisigkalt.

29. April 2012
by Ilka-Maria

[Ex-Peace]

Das erwischt mich wirklich eiskalt, Ilka.
Sehr gut geschrieben.

Liebe Grüße
Peace

[Ilka-Maria]

Paah - das nenne ich eine kurze Reaktionszeit!

Danke.

[Thing]

Wenn ich nicht selbst gerade dabei gewesen wäre, etwas zu schreiben......

Kurz und knapp:
Großartig.
Wie von Dir nicht anders zu erwarten.

Ich bin gebannt.

Thing

[Martand]

Nun ja, Ilka-Maria,

nicht schlecht ist die Lyrik hier nicht, doch begeistern kann sie mich nun wiederum auch nicht. Das mag eventuellerweise an dem recht einfalls- und phantasielosen Text liegen. Und:

Schaust du im Spiegel dein Gesicht,
hält Mütterlein Natur Gericht,
wobei sein bester Advokat,
die Zeit, ihm dient mit Rat und Tat:

Ihm? = die Mutter?
Wenn mit "seinem besten Advokat" das Gericht gemeint ist, ist es im Lesefluss verwirrend, da die Mutter, immer hin noch ein weibliches Wesen, voran steht.

Er reitet einfach zu dir hin,
ganz ohne Gruß, ohne Termin.

Der Reim, Termin-hin, wenn es denn einer sein soll, ist grausig..

Die letzte Strophe gefällt mir jedoch am besten;

Im Tode noch spitzt du den Mund,
machst deine Lüste offenkund
und weißt im Innern: Ich bin alt,
der letzte Kuss wird eisigkalt.

wobei ich auch "eisigkalt" getrennt oder zumindest mit Bindestrich ausgeschrieben hätte.

Das Gedicht ist m.E. Geschmackssache.

Viele Grüße - Martin

[Ilka-Maria]

Zitat von Thing

Wenn ich nicht selbst gerade dabei gewesen wäre, etwas zu schreiben......

Kurz und knapp:
Großartig.
Wie von Dir nicht anders zu erwarten.

Ich bin gebannt.

Thing

Haste schon Hornhaut auf den Fingerkuppen, oder verfügste inzwischen über eine neue, leckere Tastatur?

[Thing]

Leider nicht.
Dauert noch 2 Wochen.


Übrigens:
(an Martand)

Das Mütterlein hat seinen Advokat an der Seite.

[Ilka-Maria]

wobei ich auch "eisigkalt" getrennt oder zumindest mit Bindestrich ausgeschrieben hätte

Das geht nach meinem Sprachgefühl gar nicht, denn ein Adjektiv, das einen klar umrissenen Zustand beschreiben soll, kann ich nicht auseinanderreißen, weder mit einer Leerstelle noch mit einem Bindestrich. Der Trick liegt eher in dem "-ig". Das Adjektiv hätte "eiskalt" statt "eisigkalt" heißen müssen, aber ich hatte mich des Rhythmus wegen für "eisigkalt" entschieden. Eigentlich ist das eine Doppelung.

Dieser Trick ist aber kein Grund, das Wort in Stücke zu reißen.

[Martand]

Das geht nach meinem Sprachgefühl gar nicht, denn ein Adjektiv, das einen klar umrissenen Zustand beschreiben soll, kann ich nicht auseinanderreißen, weder mit einer Leerstelle noch mit einem Bindestrich. Der Trick liegt eher in dem "-ig". Das Adjektiv hätte "eiskalt" statt "eisigkalt" heißen müssen, aber ich habe ich des Rhythmus wegen für "eisigkalt" entschieden.

Dieser Trick ist aber kein Grund, das Wort in Stücke zu reißen.

http://www.korrekturen.de/wortliste/eisig_kalt.shtml

Die Schreibweise "eisig kalt" ist nach dem Link oben die einzig korrekte und hört sich metrisch als auch im Zusammenhang mit dem Gedicht durchaus schön an.

Gruß
Martin

[Ilka-Maria]

Zitat von Martand

http://www.korrekturen.de/wortliste/eisig_kalt.shtml

Die Schreibweise "eisig kalt" ist nach dem Link oben die einzig korrekte und hört sich metrisch als auch im Zusammenhang mit dem Gedicht durchaus schön an.

Gruß
Martin

Wie gesagt: Es ist ein stilistischer Kniff. Hinter "eisig" bedürfte es des "kalt" nicht mehr. Es ist überflüssig und nur dem Reim geschuldet. Ohne diese Kniffe kämen allerdings viele Gedichte nicht zustande.

Ich weiß dennoch Deine Kritik zu schätzen. Sie macht scharfsinnig.

Übrigens:
Ich habe noch nie gelesen "alters-schwach" oder "Alters schwach". Aber ich kenne mich in der modernen Schlechtschreibung nicht sonderlich aus. "Alter's schwach" wäre die anglosächsische Variante, die sich umtriebiger Beliebtheit erfreut.

[Thing]

In der Lyrik sind Tautologien zur Hervorhebung/Verstärkung durchaus erlaubt.

[Daisy]

Das kann ich gut nachvollziehen und es verursacht Gänsehaut.
Tolles Gedicht, sehr ausdrucksstark!

LG Daisy

[gummibaum]

Hallo, Ilka,

sehr schön in Beziehung gesetzt die beiden Sphären des Äußeren und Inneren. Gedanklich und sprachlich hochkarätig. Die Wertung, die das bleibende Jugend-Gefühl als etwas grotesk entstellt, teile nicht ganz. Sehr gern gelesen.

LG gummibaum