Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 10.02.2018, 21:08   #1
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.089


Standard Der Meisterkoch - Ein Märchen

Es war einmal eine Königstochter, die liebte es, im Garten mit ihrer goldenen Kugel zu spielen. Eines Tages warf sie die Kugel im Übermut zu hoch und bekam sie nicht mehr zu fassen, so dass sie in den nahegelegenen Brunnen fiel. Da stützte sich die Königstochter auf den steinigen Rand, sah im Brunnenwasser die größer werdenden Kreis, in deren Mitte die Kugel hinabgesunken war, und begann zu weinen.

„Warum weinst du, Prinzessin?“

Die Königstochter hob ihr Haupt und erblickte einen Mohren in fremd anmutenden Gewändern. So einen Menschen hatte sie noch nie gesehen.

Der Fremde sah ihr Erstaunen und kam einen Schritt näher.

„Wie kann ich dir helfen?“

„Meine Kugel ist ins Wasser gefallen und auf den Grund gesunken. Kannst du sie heraufholen?“

„Was bekomme ich dafür?“

„Was verlangst du?“

„Arbeit. Ich bin einen langen Weg gekommen, um Arbeit zu suchen.“

„Davon gibt es im Schloss genug.“

„So wende deine Augen ab, denn ich muss mich entkleiden.“

Und so zog der Mohr seine Kleider aus, sprang nackt in den Brunnen, tauchte bis auf den Grund, fasste die Kugel, schwamm mit ihr empor und lege sie der Königstochter zu Füßen. Dann kleidete er sich wieder an.

Aber die Prinzessin hatte geblinzelt und einen herrlichen Körper gesehen. Die Kugel war ihr egal geworden, denn sie war in heftiger Liebe zu dem Mohren entbrannt.

Sie nahm ihn mit ins Schloss, wo er ihm eine Arbeit in der Küche zugewiesen wurde. Das war der rechte Platz für ihn, denn er brachte die Geheimnisse der orientalischen Genüsse mit und dachte sich die raffiniertesten Rezepte aus. Das gefiel dem König, der ein schnäubiger Esser war und an vielen Speisen zu mäkeln hatte. Aber jetzt verlangte er: „Führt mir den Koch vor. Ich will diesen Meister kennenlernen, der es versteht, mir Gaumen und Magen zu verwöhnen.“

Der Mohr bezeugte dem König seine Demut, indem er selbst servierte. Doch damit war eine Schwelle überschritten, die dem Mohren das Herz schwermachte, und er verlangte von der Prinzessin, sich entweder zur ihrer Liebschaft zu bekennen oder ihn aus dem Schlossdienst zu entlassen.

„Vater“, sagte die Königstocher zu ihrem Vater, „ich bin alt genug, um zu heiraten.“

„Ich weiß, mein Kind. Ich wollte es dir schon sagen, denn ich habe einen Gemahl für dich.“

Da erschrak die Königstochter.

„Vater. Ich habe bereits gewählt.“

„Ist er deiner würdig, mein Kind?“

„Ja, Vater, es ist dein Meisterkoch."

Der König erschrak.

„Der Mohr?“

„Wir lieben uns, und wir wollen uns.“

„Alle Mächte des Himmels und der Erde werde ich anrufen, um das zu verhindern!“

Und der König rief die Feen des Reiches herbei, um ihre Künste in Dienst zu nehmen.

Die meisten Feen verweigerten sich, denn sie hatten sich dem Guten verschrieben. Aber eine von den Boshaften hatte noch eine Rechnung mit dem König offen.

„Ich hatte dir auf den Thron verholfen, erinnerst du dich? Weißt du auch noch, wie du mich um meinen Lohn prelltest? Reden wir nicht mehr davon. Begleiche deine Schuld und sage mir dann, was ich für dich tun soll.“

„Wenn die Prinzessin an ihrem achtzehnten Geburtstag an dem Kissen stickt, das sie ihrer Mutter weihen möchte, soll sie sich an ihrer Nadel stechen und beim ersten Tropfen Blut zusammen mit dem ganzen Hof in einen hundertjährigen Schlaf verfallen.“

„So laute der Fluch!“

Listig wie der König war, begab er sich am achtzehnten Geburtstag seiner Tochter auf die Jagd, um dem Hof fern und vom Fluch der Fee nicht betroffen zu sein. Doch beim Jagen nach einem Wild erlitt er einen Sturz und wurde verletzt ins Schloss zurückgetragen.

Während ihr Vater auf der Jagd war und sich die Prinzessin wie gewohnt an ihr Spinnrad gesetzt hatte, seufzte sie: „Ich bin des Spinnens müde.“ Und sie nahm das Spinnrad und räumte es in die Ecke. „Ruf mir den Prior herbei, ich will von ihm das Lesen und das Schreiben lernen!“ Und ihre Zofe eilte, den Prior zu holen.

Als der Mohr vom Markt, wo er eifrig gefeilscht und eingekauft hatte, ins Schloss zurückkam, schloss ihm die Prinzessin mit heißen Küssen den Mund. „Kein lautes Wort, dass du mir bloß niemanden weckst!“

Von da an hatten sie hundert Jahre Zeit - vielleicht auch mehr, denn wenn sie nicht gestorben sind ...

10.02.2018
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.02.2018, 22:12   #2
männlich Muellmann
 
Benutzerbild von Muellmann
 
Dabei seit: 11/2017
Ort: nrw
Alter: 33
Beiträge: 140


Hallo Ilka Maria,

Ich muss mich als märchenfan outen. Sie zählen für mich zu den höchsten Kulturgütern. Ich liebe die alten Märchen umso schöner mal ein brandneues zu lesen


Mm
Muellmann ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Der Meisterkoch - Ein Märchen



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Märchen treblok Philosophisches und Nachdenkliches 6 11.02.2010 23:47
Märchen Ilka-Maria Fantasy, Magie und Religion 5 23.07.2009 21:25
Märchen Princess-of-Anywhere Sonstiges Gedichte und Experimentelles 3 29.08.2007 16:24
Märchen Ex Albatros Liebe, Romantik und Leidenschaft 3 04.06.2007 14:06


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.