Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 24.06.2006, 15:30   #1
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123


Standard Alltag

Alltag

Die blass lilane Farbe der Blätter spiegelte sich in den großen, traurigen Augen des Mannes. Er sah die dunklen, fast schwarzen Baumstämme, deren Enden mit einer explodierenden Farbenpracht geziert wurden. Außer in seinen dunklen Augen konnte man nirgendwo die tiefe Trauer erkennen.
Trauer, die niemand verstand, die ihn alleine auf der Welt ließ.
Seine Umwelt zog unscheinbar an ihm vorbei, Menschen hasteten durch sein Leben. Man lernte neue Männer und Frauen kennen und verlor sie wieder aus den Augen – früher oder später. Die Natur veränderte sich mit den Erfindungen der Menschen. Das Grün wich lilanen Schatten, die Sonne brannte heller als früher. Die Menschen hatten gelernt auch diese Sachen zu beeinflussen, doch dem Mann war dies egal, es hatte sich langsam in sein normales Leben eingeschlichen, wie durch eine Hintertür.
Tag für Tag.
Immer wieder ging er dieselben Wege.
Wenn die Trauer ihn wieder überflutete, ging er zu diesem Ort. Ein kleiner, unscheinbarer Park in der Mitte einer lärmenden Stadt. Hier schien die Zeit still zu stehen, der Alltag schien für wenige Augenblicke aus den Seelen der Menschen zu weichen und sie fragten nicht mehr, wie sie ihre Umwelt verändern oder verbessern konnten, sondern genossen sie einfach so, wie sie war.
Eine kleine, unscheinbare Welt der Träume und Hoffnungen.
Mit einer fahrenden Bewegung strich sich der Mann über die leicht gegelten Haare um sich sofort wieder daran zu erinnern, dass dies seine Frisur ruinieren würde und ihn in der Bewegung verharren ließ.
Oberflächlichkeit.
Er verabscheute sie, doch er musste sich anpassen. Man durfte seine Gefühle nicht zeigen, man musste sich hinter den Masken des Gesichtes und der äußeren Erscheinung verstecken. Die Haare mussten perfekt sitzen, die Anziehsachen mussten zu der übrigen Welt passen, aber das wichtigste in dem Leben als Mann war immer noch die ungeschriebene Regel, dass man stärker wirken musste.
Stärker als die Frauen.
Weinen war tabu, wenn es auch nur ein anderer Mensch sehen konnte. Jegliche negativen Emotionen wurden abgestellt im Licht der Öffentlichkeit.
Wie gerne würde er seinen Augen erlauben, die Tränenbäche freizulassen, einfach zu zeigen, wie unglücklich er war.
Trauer zuzugeben.
Die Falschheit zu beseitigen.
Der Welt seine Seele zu zeigen.
Er wusste, es war unmöglich.
Langsam wandte sich der Mann wieder von den verzauberten Bäumen ab und ging auf das schmale, weiße Tor des Parks zu. Der Alltag wollte ihn wieder in sich aufsaugen, ihn wieder zu einem Schatten der Nacht machen und mit den anderen Menschen verschmelzen lassen. Jeder Schritt fühlte sich so falsch an, doch sein Verstand sagte ihm, dass er zur Arbeit musste.
Die Welt, in der er gefangen war, hatte ihn wieder, als er traurig das kleine Tor zufallen ließ und aus seinen Augen die Trauer wischte. Einen tiefen, samtenen Vorhang der Freundlichkeit vor sein Gesicht zog und mit schnellen Schritten zu den nahegelegenen Häusern schritt.
Schon bald hatten die dunklen Gassen den Mann in sich aufgenommen, ließen ihn verschwinden und zu einem Teil der Welt machen, in die er ungefragt geboren wurde.
Schritt für Schritt, Tag für Tag.
Jeden Tag.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Alltag




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.