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Alt 16.10.2018, 23:43   #1
weiblich Sushan
 
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Beiträge: 98


Standard Fleischmarkt

Die Seidenlaken und die sündhaft teure cremefarbene Samtigkeit die meinen Körper einhüllen, fühlen sich falsch an.
Einen schönen Moment lang hoffe ich zu träumen.
Mein Oberkörper ist auf dicken Kissen gebettet, die einen Hauch von sinnlichem Parfum aufgesogen haben.
Nicht ganz mein Stil, aber auch nicht so weit daneben.
Ich zwinge mich die angenehme Süße zu durchdringen, die mich in Wattewolken hüllt und mich mit den anderen Eindrücken zu beschäftigen.
Die zärtliche Himmelbettwohligkeit verführt zum Davonschweben, doch ich muss mich konzentrieren. Auf die Schwierigkeiten in denen ich offenbar stecke.
Das liebliche Glockenläuten erweist sich ebenfalls als eine Täuschung und ist in Wirklichkeit ein kaltes Rasseln.
Auch die Träume sind Lügner, denn es sind keine Arme, die mich fortragen wollen.
Nicht sie halten mich fest, sondern schrecklich professionell aussehende Manschetten, am Ende eiserner Kettenglieder.
Sie schränken die Bewegungen ein, über die ich sonst frei verfügen kann.

Die wunderschönen Kissen sind voller dunkler Flecken, die ich anfangs für Rost halte.
Es sind dieselben wie auf dem hauchdünnen Kleinmädchennachthemd, welches nicht mir gehört. Es riecht nach Frau, nach Angst und Verzweiflung.
Meine linke Gesichtshälfte scheint ihre Proportionen verändert zu haben und ragt in mein Blickfeld. Das linke Auge fühlt sich seltsam matschig an.
Wenn ich den Körper verlagere, den Kopf extrem neige und den schneidenden Schmerz der Manschetten ignoriere, kann ich es berühren.
Ich zucke zusammen, anscheinend tut es weh.
Nackte Panik sollte mich ergreifen, wilde Hysterie und Schmerz.
Ich suche innerlich nach diesen Dingen aber da ist nur…. Watte…
Und ein paar salzige Tränen.

Der Raum, in dem das große Bett steht ist diffus beleuchtet.
Die einzigen besonderen Merkmale, an denen meine Augen hängen bleiben, ist ein Stativ, auf dem eine Kamera befestigt ist.
Und ein großer roter Vorhang, der von Decke bis zur Bettkante reicht, wo mein Sichtfeld endet.
Die Watte in meinem Kopf scheint sich wieder auszudehnen, als ich versuche mich zu erinnern, wie ich hier hergelangt bin.
Gerade will ich wieder in die seelige Unwissenheit fliehen, als sich der Vorhang öffnet.
Grelles Licht flammt auf, schält meinen Verstand jäh aus dem Traum und präsentiert meinen Körper.

Durch eine Glasscheibe kann ich nach draußen sehen und schemenhafte Gestalten erkennen. Mehr lässt das grelle Licht nicht zu.
Dort sind Menschen und ich meine Stehtische auszumachen.
Als mein Licht eine Stufe abgedunkelt wird begreife ich meine Situation.
Denn ich erblicke so etwas wie mein Spiegelbild. Nicht in der Glasscheibe, sondern in dem kleinen Container, der gegenüber, auf der anderen Seite des Raumes steht.
Dort gibt es auch ein Bett, auf dem eine junge Frau liegt.
Ausgestellt und präsentiert wie ein Filetstück, an der Theke im Supermarkt.
Das hier ist eine Fleischtheke und wir sind die Ware.
Fleisch.

Mein Inneres möchte schreien doch es gelingt mir nicht die klinische Gleichgültigkeit abzuschütteln.
Irgendwann steht eine Gruppe gierig gaffend vor meinem Käfig.
Männer in feinen Anzügen, mit schweren Gläsern in den Händen und irgendwelchen Karten, oder Prospekten vielleicht.
Ich kann sie nicht hören, aber sehe wie sie lachen und feixen.
Dann reden sie scheinbar, mit jemanden außerhalb meines Blickfeldes.
Der Vorhang schließt sich und angenehmes Halbdunkel breitet eine Decke über meine Blöße.
Dann kommen grobe Maskenmänner.

Als sie die Ketten lösen und an mir reißen, starte ich einen Versuch lächerlich schwacher Gegenwehr.
Ich werde hart am Hals gepackt, dass es mir die Luft abschnürt und sehe die andere Hand, die zum Schlag ausholt.
Trotz seinem Schraubstockgriff versuche ich wenigstens mich davor wegzuducken
Der Schlag bleibt aus und ich höre sie lachen.
Ich werde drapiert.
Noch mehr Kissen werden unter meinem Oberkörper geschoben, Ketten fester angezogen, sodass ich mich kaum noch bewegen kann.
So lächerlich ich dieses geblümte Teenager Nachthemd auch fand und so nackt ich mir damit vorkam…
Als sie es mir runterreißen, möchte ich es zurück haben, denn es war mein einziger Schutz
In all seiner widerlichen Falschheit bedeckte es dennoch notdürftig meine Nacktheit und bewahrte wenigstens einen letzten Rest des Stolzes, der mir noch geblieben war.
Nun habe ich nichts mehr. Außer meiner Scham, in würdeloser entblößte Nacktheit, aufgeilend zur Schau gestellt.
Im gnadenlosen grellen Scheinwerferlicht. Und vor den Männern.

Der Vorhang öffnet sich wieder.
Die Zeit dehnt sich, weil die Wolken zurückkommen.
Ich kann meine Augen nicht mehr offenhalten und flüchte mich in den warmen Drogenrausch.
Vielleicht habe ich das auch alles nur geträumt, denn plötzlich tätschelt mir jemand zärtlich das Gesicht.
Es muss so sein, denn was ich sehe ist eine freundlich lächelnde Frau, die mein ganzes Blickfeld einnimmt.
Ich reiße mich zusammen und schließlich gelingt es meinem Verstand, Worte zu formen.
Es sind viel zu wenige, aber sie sind essentiell.
„Hilf mir!“

Sie streichelt zärtlich meinen Arm und verspricht es mir.
Einen Moment lang hoffe ich auf Rettung, denn ich möchte ihr so gern glauben.
Doch dann werde ich wieder gepackt und sie gibt mir eine Spritze.
Sie sagt, wir müssen miteinander reden und ich soll sehr genau zuhören, weil es wichtig ist.
Und dann erzählt sie mir etwas was ich zuerst nicht begreife.
Von einem Bauernhof, ganz in der Nähe, wo es viele Tiere gibt.
Schweine vor allem, die immer hungrig sind und nicht wählerisch was ihr Futter angeht.
Sie fragt mich ob ich begreife was das mit den Mädchen zu tun hat, die niemand kaufen will, oder die widerspenstig sind.
Ich verstehe es.

Denn nun lichtet sich auch der Nebel und eine widerliche Euphorie breitet sich in mir aus.
Ich kann mich nicht dagegen wehren.
„So ist es brav. Immer hübsch lächeln, Süße“ sagt sie.
Und dann muss ich genau das tun.
Lächeln



Epilog


Den Bauernhof habe ich nie gesehen, weil ich brav lächelnd verkauft wurde.
Ihr kennt den Mann sehr wahrscheinlich, aus dem Fernsehen.
Zumindest sein öffentliches Bild, erzeugt von schmeichelhaftem Licht und den Kameras.
Ich kenne nur das Monster, welches zu mir kommt, wenn es ihm gefällt.
In das Zimmer wo ich gehalten werde und welches er Puppenstube nennt.
Ich muss ihm zu Willen sein, oder seinen Freunden und das sind die besseren Tage.
Denn manchmal prügelt er mich, schneidet mich, oder denkt sich andere perfide Spiele aus.
Ich bin eine Sklavin, sein Besitz und nicht viel mehr als ein Spielzeug.

Wie lange das schon geht, weiß ich nicht. Irgendwo bei 400 Tagen habe ich aufgehört zu zählen.
Eine Frage bleibt aber doch noch:
Was wird er mit mir machen, wenn er genug von mir hat?
Aber vielleicht ist es besser so.
Denn immer öfter sehne ich mich nach dem Bauernhof und den Schweinen.
Sushan ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2018, 11:25   #2
weiblich Unar die Weise
 
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Ort: in einem sagenhaften Haus
Alter: 42
Beiträge: 5.271


Deine Geschichte erinnert mich an ein Buch, welches ich mal gelesen habe.
Da es aber so unzählbar viele Bücher sind, kann ich mich leider nicht an den Titel erinnern.

Der Erzählstil, in der Ichform, ist packend.
Ich habe mitgelitten und auf ein gutes Ende gehofft.

Setzt du die Erzählung fort?
Unar die Weise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2018, 17:52   #3
weiblich Sushan
 
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Alter: 27
Beiträge: 98


Vielen Dank für Deinen Kommentar.
Irgendwie verfestigt sich bei mir langsam der Eindruck, mir liegt diese Geschichtenschreiberei wesentlich mehr, als die Lyrik.
Ohne mir hie rauf die Schulter klopfen zu wollen.

Über eine Fortsetzung habe ich mich nie Gedanken gemacht.
Tatsächlich werkele ich seit geraumer Zeit an einer anderen Geschichte. Die war eigentlich ähnlich kurz angedacht wie diese hier, nimmt aber immer größere Ausmaße an.
Die möchte ich erstmal gerne zu Ende bringen. Wobei sie prinzipiell fertig ist, ich korrigiere mich nur gerade daran zu Tode.
Und wäre wohl auch ein wenig lang für hier. Habe sie in einem anderen Forum teilweise veröffentlicht, aber es geht halt mehr um Lyrik und kaum jemand nimmt sich die Zeit.
Aber Du hast mich auf eine Idee gebracht und vielleicht setze ich das hier wirklich mal fort

Inspiriert hat mich eigentlich so ein wenig der tolle Film "A beautiful day" sowie das Buch/die Serie "The handmaids tale".
Und leider sind solche Kinderbordelle,, Sklavenhandel und Co ja traurige Realität.

Danke für Dein Feedback!
Sushan ist offline   Mit Zitat antworten
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