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Alt 08.07.2018, 10:35   #1
Reisender
 
Dabei seit: 12/2011
Alter: 33
Beiträge: 42


Standard Vom Haus des alten Süders

Hallöchen,
nach vielen Jahren kehrt der Reisende von seinen Reisen zurück und hat eine ganz kleine Geschichte im Gepäck. Wer Lust hat kann die lesen und ich freue mich über jeden Hinweis und jede Kritik. Seit nicht zimperlich :-)

LG

Reisender

P.s.: Wem das Lesen so zu mühsam ist...
Das Haus vom alten Süders als .rtf
Zitat:
Vom Haus des alten Süders

Hoch oben am Himmel tobte ein gewaltiger Kampf. Immer schwärzere Wolken zogen mit rasender Geschwindigkeit vorbei und zeichneten ein bizarres Bild. Längst hatte sich die Sonne der mächtigen Kraft des heraufziehenden Unwetters ergeben und nur noch hier und dort blickte sie durch die schmalen Risse des Wolkengemäldes zur Erde hinab. So als wollte sie ein letztes mal nach dem Rechten sehen ehe sie für immer verschwand.
Line eilte die vielen Stufen des Leuchtturms hinunter. Sie musste sich beeilen um noch halbwegs trocken nach Hause zu kommen. Dabei hatte der Tag ganz anders begonnen. Über dem reetgedeckten Haus in dem Line zusammen mit ihrer Familie lebte war die Sonne aufgegangen und bereits die ersten Strahlen die durch das Fenster auf Lines Wangen fielen verkündeten den Beginn eines angenehm warmen Sommertages. Das Mädchen war aufgestanden, hatte gefrühstückt und hatte sich auf den Weg zu Ihrer Badestelle gemacht, unten in der kleinen Bucht die über einen schmalen Steinpfad von der alten Ruine aus zu erreichen war. Niemand wusste so genau was es mit dem uralten Bauwerk auf sich hatte. Einst musste es ein großes Wohnhaus gewesen sein, vielleicht sogar die Residenz eines Herrschers. Doch die Zeit hatte dem Bauwerk stark zugesetzt und viel mehr als ein paar große Steinbrocken, die sicher früher einmal die Grundmauer gebildet hatten, waren nicht übrig geblieben. Das hatte Line als kleines Kind nie davon abgehalten in ihrer Burg Prinzessin zu spielen. Denn Fantasie ist bekanntlich stärker als die Wogen der Zeit. Doch das war damals. Mittlerweile war Line fast erwachsen geworden. Diesen Standpunkt galt es manchmal noch sehr gegen die Ignoranz der Menschen zu verteidigen, die von sich dachten sie seien noch ein bisschen erwachsener. Wie Eltern, Lehrer, zum Beispiel.
Line war weit hinaus ins Meer geschwommen. Nachdem sie an Land zurückgekehrt war legte sie sich auf ihr Badehandtuch und ließ sich von der Sonne trocknen. Doch sie spürte es deutlich. Es wurde immer schwüler und die ersten Wolken ließen sich am Himmel blicken. Das passte Line heute überhaupt gar nicht. Sie zog sich an, warf das Handtuch über die Schulter und lief zum Haus zurück. Dabei musste sie zuerst den steinernen Weg zur Ruine nehmen und anschließend dem Kiesweg folgen, der die Siedlungen miteinander verband. Nach ungefähr achthundert Metern erreichte sie eine Kreuzung. Sie wählte den Weg Richtung Norden und schon bald war sie zuhause. "
"Mein liebes Fräulein" begrüßte sie die Stimme ihrer Mutter, kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen. Line wusste genau, wenn ihre Mutter "liebes Fräulein" sagte, dann artete das zumeist in Arbeit aus. Als ob sich die Mutter durch ihren Gedanken ermutigt sah fuhr sie sogleich fort. "Morgen ist wieder Schule und du hast noch keine Hausaufgaben gemacht und über dein Zimmer wollen wir mal gleich gar nicht reden." "Aber Mama", begann Line
obwohl ihr im Grunde klar war, dass ihre Chancen nicht besonders gut standen. Sie schnaufte angestrengt, besann sich dann aber auf eine neue Taktik. "Wenn ich mein Zimmer ganz schnell aufräume, kann ich dann meine Hausaufgaben oben machen?" Oben das hieß in der Kuppel des alten Leuchtturms. Früher einmal hatte das Licht des Turms vorbeifahrenden Schiffen den Weg gewiesen. Alle paar Stunden war Lines Vater hoch in die Kuppel gestiegen und hatte Petroleum nachgefüllt, damit die Flamme nicht ausging. Genauso wie es schon der Großvater gemacht hatte. Seit vielen Jahrzehnten waren die Männer in der Familie für das Feuer im Turm verantwortlich. Doch Lines Vater sollte der Letzte sein. Denn die zuständige Behörde hatte entschieden Lines Vater durch eine Stahlkonstruktion gleich neben dem Leuchtturm zu ersetzen. Das Licht lieferte fortan eine Halogenlampe und die Steuerung übernahm ein Computer. Den Leuchtturm hatte man einfach stehen gelassen. Der Abriss wäre wohl zu teuer gewesen. Niemand kümmerte sich mehr um das Bauwerk und niemand wollte den Schlüssel haben. So hatte man Lines Vater nicht nur mit einer gar nicht kleinen Abfindung zurückgelassen, sondern auch mit einem traumhaften Aussichtspunkt. Von dem Geld hatten Lines Eltern einen kleinen Gasthof eingerichtet und zwei Ferienzimmer ausgebaut. Dieser Betrieb sorgte für das Einkommen der Familie. Eher schlecht als recht. Line mochte den Platz in der Kuppel sehr. Mit ihrem Fernglas konnte sie im Osten die Lichter der entfernten Stadt sehen. Und im Westen lag ihre Welt. Wobei Welt traf es eigentlich nicht ganz. Line lebte auf einer winzig kleinen Hallig mitten im Meer. Ganz in der Nähe vom Leuchtturm befand sich der Anleger für die Fähren. Im Westen lagen drei sogenannte Warften. Das waren Erdhügel auf denen sich die Gebäude der Bewohner befanden. Diese Hügel waren bitter nötig. Denn wenn das Meer einmal schlechte Laune hatte kam es vor, dass es bis fast zur haustür stieg. Manchmal kam es auch zu Besuch ins Haus. Doch das war Gott sei Dank die Ausnahme. Ganz im Süden der Hallig lag Kirchwarft. Hier wohnte Pfarrer Johanson mit seiner Frau im Pfarrhaus. Gleich daneben lag die kleine Kirche, die gleichzeitig Grundschule und Museum war. In der Mitte der Hallig lag Eckwardswarft. Hier befand sich der Gasthof von Lines Familie sowie ein Bauernhof der von Herrn und Frau Borchert bewirtschaftet wurde. Der Sohn der Familie hatte früher auch auf der Hallig gewohnt, war aber mittlerweile erwachsen und auf das Festland umgezogen. Dort betrieb er eine recht profitable Baufirma. Wiederrum befand sich auf der Warft das Fuhrunternehmen der Familie Schepker. Herr und Frau Schepker waren zusammen mit ihrer Tochter Johanna auf die Hallig gezogen. Früher hatten sie in München gelebt, doch Johanna hatte Asthma bekommen und ihr Arzt hatte dazu geraten an die Küste zu ziehen. Wegen dem Klima. Auf der Hallig wurden schließlich noch Behrend und Hinrichs geboren. Johannas kleine Brüder waren seit Lines Geburt die ersten Kinder die auf der Hallig geboren wurden. Doch sie verstand sich überhaupt nicht mit den beiden und ging ihnen meistens aus dem Weg. Mit Johanna verstand sich Line eigentlich recht gut. Oft saßen die beiden Mädchen in der Kuppel des Leuchtturms und sahen den großen Schiffen zu die über den Ozean kamen und wieder verschwanden. Johanna war etwas älter als Line. Sie hatte nach der 10. Klasse die Schule beendet und machte eine Lehre als Pferdewirtin auf dem Hof ihrer Eltern. Ganz im Norden befand sich dann noch Süders Warft. Hier lebte Herr Dirksen. Ein komischer Vogel, wie Line fand. Der Mann war vom Festland auf die Hallig gezogen, hatte sich ein prunkvolles Haus hingestellt, eine Leitung zum Festland legen lassen und arbeitete den ganzen Tag am Computer. Seine Nachbarn waren da schon netter. Herr und Frau Kramer betrieben im Erdgeschoss ihres Hauses einen winzigen Einkaufsladen. Damit die beiden über die Runden kamen arbeitete Herr Kramer zusätzlich als Halligpostbote und war etwas kaputt konnte man ihn um Rat fragen. Auf der Süderswarft befand sich der zweite Bauernhof der Hallig. Familie Ortgies führte den Betrieb zusammen mit ihren beiden Söhnen Dirk und Christof sowie dem Knecht Cordes. Ihr Hof war deutlich moderner und in den oberen Stockwerken des Bauernhauses befanden sich liebevoll eingerichtete Ferienzimmer. Ach ja in einer kleinen Hütte genau in der Mitte der Süderswarft lebte Herr Süders. Als Line noch ein Kind war ging sie fest davon aus, dass Herr Süders mindestens Hundert Jahre alt war. Das mochte an seinen eisgrauen Haaren liegen, oder vielleicht an seinen Tatoos, die auf beiden Armen Geschichten von fernen Seefahrertagen erzählten. Mittlerweile war sie natürlich älter geworden und man hatte ihr anvertraut, dass der alte Man erst 82 Jahre alt war. Herr Süders wusste stets die abenteuerlichsten Geschichten zu erzählen. So hatte er Line als sie noch klein war oft erzählt, dass vor langer langer Zeit seine Familie in dem großen Haus gelebt hatte, dass jetzt eine Ruine war. Sie waren sehr wohlhabend gewesen und der König höchstpersönlich hatte seiner Familie zu ehren die Hallig nach ihnen benannt. Hallig Süderfall. Natürlich war die Süderswarft auch nach dem alten Fischer benannt und egal was auf der Warft passierte, man tat gut daran vorher mit dem Alten gesprochen zu haben. Jeden Morgen fuhr Herr Süders mit seinem uralten Kutter hinaus. Selten brachte er ein paar Fische mit. Was er nicht aß landete in der Gaststätte auf dem Tisch. Dafür gab ihm Lines Vater immer ein bisschen Geld. Unter der Woche durfte Line mit dem Kutter mitfahren. Wie sonst hätte sie auch auf das Festland zur Schule gelangen sollen? Auch hierfür gab ihr Vater dem alten Mann Geld und Line vermutete, dass dies die einzigen Einkünfte des Mannes waren.
Genaugenommen gab es natürlich noch eine vierte Warf auf Hallig Süderfall. Ganz im Norden stand die Ruine. Die Deiche der Warft waren nicht in allerbestem Zustand und das ein oder andere mal hatten Lines Eltern schon spekuliert, dass die rauen Herbststürme irgendwann das Bauwerk mit sich rissen. Doch wie durch ein Wunder trotzten die Mauern jedem Unwetter.
Line hatte den Fuß des Leuchtturms erreicht. Sie lief so schnell sie konnte auf das Haus zu über dessen Eingangstür Lines Vater ein Schild mit der Aufschrift Gasthof zum Leuchtturmwärter angebracht hatte. Mittlerweile regnete es wie aus Eimern und Line war nass bis auf die Knochen. Außerdem hatte sich ihre Hoffnung in Luft aufgelöst. Sie wartete schon seit Tagen auf ein Paket. Post zu bekommen war in Lines Welt nicht ganz einfach. Im Normalfall lieferte die Post Briefe und Pakete bis nach Hattemarsch. Das war die Stadt, die Line mit dem Fernglas vom Leuchtturm aus sehen konnte. Wobei Stadt ein bisschen übertrieben war. Hattemarsch hatte knapp Fünftausend Einwohner. Es gab ein paar Geschäfte und Cafés und eben auch das Halliglogistikzentrum. Hier wurde die Post sortiert und dann auf die MS Rungholdt II verladen. Die hochbetagte Fähre brachte einmal in der Woche Waren nach Süderfall. Im Sommer zweimal und außerdem noch eine Fuhre Touristen. Kam nun Post an, so nahm sie Herr Kramer entgegen und verteilte die Post auf den Warften. Selbstverständlich ließ sich die Post das Ganze ordentlich bezahlen. Und so kostete es schon mal bis zu 30 Euro mehr ein Paket bis an die Tür eines der Hallighäuser bringen zu lassen. Doch das hatte Line gern in Kauf genommen. Alles hatte mit ihrer besten Freundin Inga angefangen. Im vergangenen Sommer hatte sie Line oft auf der Hallig besucht. Das war möglich geworden, weil Ingas Eltern dem Mädchen zu ihrem Geburtstag eine Saisonkarte für die MS Rungholdt II geschenkt hatte. Inga konnte nun nach der Schule mit Line zusammen auf dem Kutter vom alten Herrn Süders mit auf die Hallig fahren und am Abend mit der Fähre wieder nach Hause gelangen. Ingas Eltern, bei denen Line auch ein paar mal zu Besuch gewesen war, mochten die Freundin ihrer Tochter sehr und so holte der Vater Inga sogar mit dem Auto vom Fähranleger ab.
Regelmäßigem Besuch in Lines Welt stand somit nichts im Wege. Und als nun Line Geburtstag hatte verbrachte Inga ein ganzes Wochenende mit Ihrer Freundin auf dem kleinen Flecken Erde mitten im Meer. Line hatte sich von ihren Eltern gewünscht, dass sie mit Inga auf dem Leuchtturm übernachten durfte. Das hatte ihr ihre Eltern natürlich gerne erlaubt. Die Mädchen hatten den ganzen Abend gequatscht, über die Jungs in ihrer Klasse, über die neusten Sachen zum Anziehen, darüber wie es Line hier draußen erging und über soviel mehr. Und irgendwann hatte Inga ihr Handy ausgepackt. "Gibt es hier eigentlich Empfang", wollte sie wissen, "ich würd' gern zuhause anrufen, dass meine Leute wissen, dass ich nicht verloren gegangen bin". Line hatte keine Ahnung. Sonst hatte Inga immer das Festnetztelefon im Gasthof benutzt. Doch hier im Leuchtturm gab es natürlich kein Telefon. "Ich glaube", entgegnete sie, "hier hat noch niemand ein Handy benutzt". Inga schaltete das Gerät ein. Es dauerte einen Moment, bis das Gerät betriebsbereit war. Und tatsächlich. "GPRS" stand in winzigen Buchstaben auf dem Display des Gerätes.
Inga rief zuhause an und ihre Eltern freuten sich, dass alles in Ordnung war. In diesem Moment hatte Line ihren Plan gefasst. In einem ruhigen Moment hatte Line ihren Eltern eröffnet, dass sie sich ein Telefon wünschte. "Wozu brauchst du denn das", wollte Lines Mutter wissen. "Hier hast du doch eh keinen Empfang", ergänzte der Vater. Das konnte Line zwar entkräften. Jedoch siegte schlussendlich das typische Argument der Erwachsenen. Es ist zu teuer. Für die Möglichkeit vom Leuchtturm aus zu telefonieren waren die Eltern nicht bereit Geld auszugeben. Doch Line war eine Kämpfernatur. Diese Niederlage stachelte ihren Tatendrang nur an. Und in der folgenden Nacht kam dem Mädchen ein hervorragender Einfall. Wie so oft ging sie nach dem Frühstücken los zu ihre Badestelle bei der alten Ruine. Doch an diesem Tag nahm sie nicht nur ihr Badehandtuch mit, sondern auch einen kleinen Korb und eine alte Keksdose. Sie stellte die Sachen auf den Sand, zog sich aus und glitt ins Wasser. Nachdem sie eine Weile geschwommen war setzte sie sich in den Sand unweit der Brandung und lies ihre Beine von den Wellen umspülen. Ihr Blick wanderte suchend umher. Da lag ein komischer Stein. Die Kräfte der Gezeiten hatten ihn ausgehöhlt und nun hatte er in der Mitte ein Loch. Den würde sie mitnehmen. Auch einige Bernsteine wanderten in die Keksdose. Am Strand fand Line einige Stücke Treibholz und bevor sie sich wieder auf den Weg machte brach sie noch einige Halme Strandhafer ab. Mit dem gut gefüllten Korb ging Line aber nicht gleich nach Hause. Zuvor wollte sie noch Süderswarft einen Besuch abstatten. Sie musste ganz dringend Rat bei dem alten Herrn Süders einholen. Das Mädchen fand den alten Mann vor seiner Hütte auf der Bank sitzend mit seiner Pfeife in der Hand. Als er sie bemerkte nickte der Alte freundlich. "Moin Kleene", begrüßte er sie, "nett, dass du auf nen Schnack vorbeikommst." Er wies auf den Platz neben ihm. "Willste dich nicht setzten?" Line folgte dankend der Einladung und erklärte Herrn Süders, was sie vor hatte. "und deshalb wollte ich fragen, ob sie mir einen kleinen Bohrer und etwas Schleifpapier leihen können." der Alte lachte, erhob sich von der Bank und verschwand mit den Worten "wollen man sehen" in seinem Schuppen. Line hörte ein Klappern un Ächzen und kurz darauf kam er wieder. "Nimm die auch mit", riet er Line und gab ihr eine kleine rostige Säge. "Darf ick mal kieken, wat du gesammelt hast?", fragte er, wogegen Line natürlich nichts einzuwenden hatte. Herr Süders besah sich sorgfältig jeden Stein und jedes Stück Treibholz und ließ hier und da ein schnaufendes Geräusch hören. Verwundert stellte Lines fest, dass der alte Mann ein Stück Treibholz besonders lange in den Fingern dreht. Ihre Neugier wuchs.
"Vor langer Zeit", began er und Line freute sich, denn sie liebte diese drei Worte sehr. "Vor langer Zeit war Süderfall eine reiche Insel. Viele Schiffe kamen von weit her und brachten Waren. Manche zerschellten draußen an den Felsen. Den Leuchtturm hat es ja noch nicht gegeben". Ein Schmunzeln huschte über Lines Gesicht. Von ihrem Vater wusste sie, dass der Leuchtturm mehr als zweihundert Jahre alt war. Der alte Mann erzählte von der Zeit vor dem Leuchtturm, als wäre sie gestern gewesen. "Oft wurden Planken wie diese angespült." Er hielt beschwörend das Stück Holz gegen die Sonne. Line sah genauer hin. Eine Planke würde sie es jetzt nicht gerade nennen. "Manchmal fand man am Strand sogar Gold, dass die Schiffe geladen hatten. Es gab ja auch eine große Kirche damals." Line sah, wie der alte Mann schwermütig wurde. "Aber das ist so lange her". Line bedankte sich für das Werkzeug und die Geschichte, die ihr der Alte erzählt hatte. Sie versprach bald mal wieder vorbei zu schauen. Vergnügt machte sie sich auf den Nachhauseweg. Gleich am nächsten Nachmittag nach dem sie ihre Schulaufgaben beendet hatte begann Line mit der Arbeit. Aus dem Strandhafer flocht sie Schnüre. Diese zog sie durch den Stein. Das ergab schon einmal eine brauchbare Kette. Aus dem Bernstein machte sie kleine Figuren. Dazu nahm sie das Schleifpapier und feilte solange an den Steinen, bis sie aussahen, wie kleine Tiere. Manche klebte sie auf das Treibholz. Doch das würde nicht im Ansatz reichen. das war Line völlig klar. Und so nahm sie am nächsten Morgen statt ihrer Badesachen ihren Tauschkasten, Pinsel und einen Block mit zu ihrer Badestelle. Das Mädchen konnte relativ gut malen. An diesem Vormittag entstand ein hübsches Bild vom Strand. In den nächsten Tagen sollte noch eines vom Leuchtturm und ein weiteres von einem der reetgedeckten Häuser dazukommen.
Es vergingen viele Tage bis Line glaubte genug zusammen zu haben. Nun hatte ihr Plan nur noch einen Haken. Sie musste Familie Kramer davon überzeugen, dass sie ihren Bilder und Figuren vor ihrem Laden verkaufen durfte. Genau das war ihr Plan. Sie wollte die Dinge, die sie in den letzten Wochen hergestellt hatte verkaufen. Der Erlös sollte für ein Telefon reichen. Denn schließlich hatten ihre Eltern nur gesagt, dass ein Handy zu teuer war. Wenn Line nun das Handy selber bezahlen würde, konnten ihre Eltern eigentlich nichts dagegen haben. Zum Pfingstwochenende sollte es losgehen. Line hatte mit Ihrer Freundin Inga ausgemacht, dass diese von Freitag auf Samstag auf der Hallig übernachtete. Sie hatte sich die Erlaubnis von Herrn Kramer eingeholt und ihr Vater hatte schmunzelnd einen Plastiktisch und zwei Stühle aus dem Keller geholt. Und so saßen die beiden Mädchen nun voller Erwartung am Eingang der Warft. Genau dort wo die Kutsche die Touristen absetzte, die bei schönem Wetter hier her kamen, um Lines Welt einmal kennenzulernen. Von ferne näherte sich Hufgetrappel. Immer dichter kam der Wagen und bald schon stiegen neugierige, mit Digitalkameras bewaffnete Menschen aus um sich die Warft anzusehen. Eine Stunde würden die Touristen auf Süderswarft verbringen. Dann fuhr die Kutsche weiter zur Eckwardswarft. Hier hatten die Touristen wiederum neunzig Minuten Zeit um sich die Warft anzusehen und in dem Gasthof zum Leuchtturmwärter einzukehren. Anschließend ging es wieder zurück zum Fähranleger. Lines Herz pochte wie wild. Ihre Freundin wirkte äußerlich ganz cool, doch Line kannte Inga viel zu gut, um nicht genau zu wissen, dass ihre beste Freundin genauso aufgeregt war. Da kam er. Der erste Kunde. Ein Mann vielleicht vierzig Jahre alt, graumiliertes Haar, Bauchansatz. Er kam zu dem Tisch, grüßte mit einem Nicken, besah sich die Bilder, nahm eine Bernsteinfigur in die Hand und drehte sie zwischen den Fingern. Wortlos ging der Mann in Richtung des Einkaufsladens. "Was für ein Idiot", dachte Line. Doch ihre Enttäuschung währte nur kurz. Ein junge Frau kam auf die beiden zu. Sie mochte vielleicht Mitte zwanzig sein. "Hallo ihr zwei", begrüßte sie die beiden Mädchen freundlich. Line und Inga erwiderten den Gruß. Die Frau besah sich die Dinge auf dem Tisch ganz genau. "Die Bilder sind wunderschön", sagte sie und nahm das Bild mit dem Leuchtturm in die Hand. "Habt ihr die gemalt?" "Ja genau", gab Line zurück. "Was soll das denn kosten?", fragte sie. "Zwei", began Line, doch Inga fuhr ihr über den Mund. "Zwölf Euro", schleudere das Mädchen der Frau entgegen. "Hmm", überlegte diese, "Na sagen wir zehn? OK". "Klar, gerne", erwiderte Line schnell. "Was machst du denn", fragte Inga, kaum dass die Frau außer Hörweite war. "Ich denke, du willst dir ein Handy kaufen". "Will ich ja auch", erwiderte Line unsicher, "aber ich dachte zwei Euro wäre ein fairer Preis". "Lass mich das mal machen", erwiderte Inga mit einem schelmischen Grinsen. "Wir wollen ja schließlich nichts verschenken." Als Herr Süders eine halbe Stunde später auf seinen Stock gebückt zum Stand der Mädchen kam und sich erkundigte, wie die Geschäfte liefen, konnten diese mit strahlenden Gesichtern versichern, dass die Geschäfte ausgezeichnet liefen.
Lines Plan ging auf. Nachdem das Mädchen den Eltern nicht ohne Stolz das eingenommene Geld präsentiert hatte erlaubten diese schließlich, dass sich ihre Tochter ein Handy kaufen durfte. „Es ist ja vielleicht gar nicht schlecht, wenn Line auch mal nach der Schule anrufen kann, wenn was ist“, hatte die Mutter gesagt und der Vater hatte dem beigepflichtet. Gleich am nächsten Montag machte sich Line nach dem Unterricht auf den Weg in die Schulbibliothek. Die Schüler durften dort an zwei Computern das Internet nutzen. Inga hatte ihr Tipps gegeben, worauf sie achten musste, wenn sie sich ein Handy kaufte. Eine ganze Weile blätterte Line durch den schier endlosen Katalog eines Onlinehandlers, bis sie schließlich ein Telefon fand, dass ihr Gefiel. Das Telefon konnte ins Internet gehen und hatte sogar eine Kamera. Und was am wichtigsten war. Line konnte es bezahlen. Schnell war das Gerät im virtuellen Warenkorb verstaut und auch der Gang zur ebenso virtuellen Kasse war zügig erledigt. Ein wenig Geld war sogar noch übrig geblieben und das Mädchen hatte sich fest vorgenommen das Geschäft mit selbstgebastelten Andenken von der Hallig weiter zu betreiben.
Line hatte sich umgezogen und alle Schulsachen für den nächsten Tag in ihrem Ranzen verstaut. Sie musste früh schlafen gehen, denn der nächste Tag würde bereits um kurz vor fünf beginnen. Herr Süders wartete auf seinem Kutter.
„Moin Kleene“, begrüßte er sie und drehte den Zündschlüssel. Mit einem gequälten Tuckern stieß der Dieselmotor eine Qualmwolke aus, überlegte kurz ob er Lust verspürte zu arbeiten, und entschied sich dann dagegen. Line kannte das schon. Herr Süders griff beherzt zu einem Hammer, der oben auf einer rostigen Werkzeugkiste lag, die gleich unter dem Steuerrad stand. Zwei, drei gekonnte Schläge überzeugten die Maschine dann doch und das Boot setzte sich in Bewegung. Die Fahrt bis in den Hafen von Hattemarsch dauerte meist etwa eine halbe Stunde. Line döste noch ein bisschen, denn sie war eigentlich eine Langschläferin und fünf Uhr Morgens war nun wirklich nicht ihre Zeit. Herr Süders steuerte das Boot an die Pier und Line kletterte auf das Festland. „Schönen Tag“, rief ihr Herr Süders zu und tuckerte mit seinem Kutter hinaus auf das Meer. Line lief ungefähr fünfhundert Meter bis zum Hafenausgang wo sich die Bushaltestelle befand. Das Mädchen setzte sich auf die Bank. Nun hieß es warten. Der Schulbus kam zwei Minuten nach sechs Uhr. Kaum war sie eingestiegen begann das verrückte Leben. Denn auf der vierer Bank ganz hinten im Bus saß wie jeden Morgen Inga. Lines beste Freundin war ganz anders, als die Halligbewohnerin. Ihre beste Zeit war immer ungefähr genau jetzt. Gutgelaunt und hellwach begrüßte sie Line und bis sie in der Schule ankamen quatschten die Mädchen ausgelassen.
Nach der Schule führte Lines Weg genau in die entgegengesetzte Richtung. Kurz vor der Haltestelle „am Hafen“ verabschiedete sie sich von Inga und gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie die Freundin bitten wollte, ihr ihre Handynummer aufzuschreiben. Irgendwie hatte sie im Gefühl, dass heute ihr Paket kommen würde. Schließlich behauptete der Händler in seinem Onlinemenü, dass die geplante Zustellung bereits vor drei Tagen gewesen war. Doch was bedeuteten schon Pläne? In Lines Welt bestimmte nur das Wasser darüber. Was kam was ging hing einzig und alleine vom Meer und vom Wetter ab. An einem hässlichen Regentag wie dem vergangenen war es noch so gut und schön Pläne zu haben. War das Wetter zu schlecht konnte die Fähre nicht fahren, konnten die Traktoren nicht auf die Wiese und die Männer hatten auch keine Chance die üblichen Arbeiten am Deich zu verrichten. Alle Männer auf der Hallig waren neben ihrem normalen Beruf Deichbauern. Der Deich war die Versicherung der Bewohner. Er musste stets perfekt in Takt sein, ansonsten würde sich das Meer den Flecken Erde auf dem Line wohnte einfach wiederholen.
Doch heute war ein guter Tag. Das wurde Line spätestens klar, als sie zu Herrn Süders auf den Kutter stieg. Die Behälter in der Mitte des alten Kahns waren randvoll mit Fisch. Der alte Mann hatte einen ausgezeichneten Fang gemacht. Herr Süders steuerte auf die andere Seite des Hafens. Dort lag der Fischmarkt. Sorgsam vertäute er sein Boot und machte sich dann auf den Weg ins Gebäude. Nach einer Weile kam er mit einem jungen Mann wieder heraus. Die beiden kamen zum Kutter und der Mann grüßte Line freundlich. Mit einem routinierten Blick besah sich der Mann die Fische. „zweihundert“, sagte er tonlos an Herrn Süders gewandt. „zweifünzig“, erwiderte dieser ebenso gelassen. „zwei zwanzig“, bot der Mann und Herr Süders reichte ihm die Hand. Line freute sich sehr für den alten Mann. Kaum auf der Hallig angekommen rannte Line nach Hause. Sie schloss die Tür auf und stützte in die Wohnung. „Ist es da?“, rief sie lauf, noch ehe sie ihre Mutter sah. „Hallo meine Liebe“, erwiderte die Mutter gespielt verärgert. „Ist das eine Begrüßung. Kannst du mir mal richtig guten Tag sagen.“ Line grinste „Hallo Mamilein“, säuselte sie und umarmte die Mutter. „Und, war das richtig so?“, fragte sie. Die Mutter lachte. „Auf dem Küchentisch“. Line rannte los. Dort lag es. Endlich. Ihr Paket. Ohne zu zögern riss sie den Karton auf. Da war es nun. Ihr Telefon. Schwarzer Kunststoff auf der Rückseite. Mit einer Aussparung für die Linse der Kamera. Auf der Vorderseite der Display. Line schaltete das Gerät ein. Als aller erstes musste sie eine Nachricht verfassen. „Liebe Inga, endlich ist es da. Hoffentlich kommt meine Nachricht an. Danke für deine Hilfe. Morgen Eis? Gruß L.“ Da es auf der Warft keinen Empfang gab, rannte Line bei erster Gelegenheit zum Leuchtturm. Von dort oben gelangte ihre Nachricht tatsächlich zu Inga. Kurz nachdem ein Piepton den korrekten Versand bestätigte erschien auf dem Display des Gerätes auch schon die Antwort. „Hab ich gern gemacht. Freu mich auf das Eis :-) Gruß I.“ Das Eis schmeckte ausgezeichnet und das nicht zuletzt, da die letzten beiden Stunden ausfielen. Die beiden Mädchen waren mit dem Bus bis zum Hafen gefahren, hatten sich an einer Eisbude zwei Waffeln geholt und waren übermütig plaudernd zum Strand spaziert. Jetzt am Freitag bei allerbestem Sonnenwetter waren bereits viele Menschen hier raus gekommen und die beiden Mädchen genossen den Trubel. Line blickte hinaus auf das Wasser. In der Ferne konnte sie ihren Leuchtturm sehen. Die Zeit verging wie im Fluge. So war das immer. Kaum machte etwas Spaß musste Line auch schon gehen denn sie musste ja ihr Boot erreichen. Zu gerne hätte sie einfach bei Inga übernachtet. Doch das Mädchen wusste, dass ihre beste Freundin mit ihren Eltern wegfahren wollte. So erreichten die beiden bald darauf etwas schwermütig die Bushalestelle im Hafen. Doch Ingas Bus kam nicht. Die beiden warteten eine Minute. Zwei Minuten. Nach fünf Minuten sahen sie den Grund für die Verspätung. Ein LKW fuhr an den beiden Mädchen vorbei. Dicht gefolgt von einem weiteren. Die Kolone schien gar kein Ende zu nehmen und alle Fahrzeuge waren bunt angemalt und trugen die Aufschrift >Circus Bellina<. Aller Schwermut war von den Mädchen gewichen. Sie tauschten einen Blick aus und beiden war klar sie würden sich die Vorstellung unbedingt ansehen. Die Wogen in Line waren bis zuhause nicht abgeebt. Kaum hatte sie die Haustür aufgerissen erfuhr ihr Hochgefühl jedoch einen jehen Dämpfer. „Nicht so stürmisch“ begrüßte sie ihre Mutter. „Schön, dass du mal vorbei schaust. Du kannst mir gleich in der Küche helfen.“ Line stöhnte. Doch sie half ihrer Mutter artig beim Einräumen des Geschirrs in die Spülmaschine und bereitete dann gemeinsam mit ihr das Abendessen vor. Als Line an diesem Abend in ihrem Bett lag konnte sie lange nicht einschlafen. Der Unternehmungsgeist hatte sie gepackt und sie freute sich riesig auf die nächste Woche. Bliebe da nur noch die Kleinigkeit ihren Eltern das Geld für den Circus Besuch abzuringen und sie würde bei Inga schlafen müssen. Doch das waren Nebensächlichkeiten. Das würde Line schon schaffen. Irgendwann musste sie dann doch eingeschlafen sein. Denn am nächsten Morgen wachte sie auf und ihre Begeisterung wurde direkt pulverisiert. Durch ihr Fenster konnte Line sehen, dass es Bindfäden regnete. Also würde es mal wieder ein ätzend langweiliges Wochenende im Haus. Im Grunde waren die Tage bei strahlendem Sonnenschein auch nicht spannender. Doch bei Regenwetter fiel Line immer besonders auf, wie trostlos es in ihrer Welt war. Einfach mal bei Mistwetter ins Kino gehen oder bei besten Sommerwetter in ein Eiscafe; das ging einfach nicht. Wieso nur musste sie auf einem Erdklumpen mitten im Meer leben? Als der Regen nach dem Frühstück etwas nachgelassen hatte erlaubten Lines Eltern, dass sie zum Leuchtturm gehen durfte. „Aber wenn es noch schlimmer wird, dann kommst du zurück“, forderte ihre Mutter und Line versprach es. Sie hatte ihr neues Smartphone mitgenommen. Von der Kuppel des Leuchtturms hatte sie trotz Regen einen relativ guten Empfang. Sie rief den Internetbrowser auf und überlegte. Sie hatte in der Schulbibliothek schon ein paarmal im Internet gesurft, doch nur um Schulkram zu erledigen. Was sollte sie eingeben? Sie entschied sich nach einer weile eine Suchmaschine zu öffnen und nach Webseiten für Jugendliche zu suchen. Sie surfte auf ein paar Mädchen Seiten, las den neusten Klatsch und Tratsch aus aller Welt. Und dann passierte es. Ganz oben auf einer Seite wurde ein Werbebanner eingeblendet. Eine Weltkugel um die ein Briefumschlag
flog. Daneben der Schriftzug >Finde jetzt Freunde auf der ganzen Welt. www.emailfreund.de< Line klickte spontan auf den Banner und es passierte nichts. Nach einer gefühlten Ewigkeit erschien auf dem Display ihres Handys eine Einblendung, die verriet, dass die Netzwerkverbindung abgebrochen sei. „So ein Mist“, dachte Line.
Sie versuchte noch eins, zwei Mal ins Internet zu kommen gab dann aber auf. Der Regen wurde immer schlimmer und so musste Line wohl oder übel zurück nach Hause. Den ganzen Samstag über hatte sie keine Gelegenheit erneut zum Leuchtturm zu gehen. Der Regen war einfach zu stark. Erst am Sonntag Morgen klarte der Himmel auf und Line kletterte noch vor dem Frühstück die Stufen zur Kuppel empor. Schnell wählte sie sich ins Internet ein und schon bald darauf war die Webseite geladen. Ein kurzer Text erklärte das Prinzip. Man musste ein paar Angaben machen und erhielt anschließend von dem System Vorschläge welche Nutzer aus aller Welt zu einem passten. Mit diesen konnte man sich dann via Kontaktformular unterhalten. Line zögerte kurz. Doch nachdem sie auf Anmelden geklickt hatte und las, dass sie nur ihren Vornamen angeben musste, verflogen ihre Bedenken. Als Wohnort gab das Mädchen >Hallig Hooge< an. Es musste ja niemand wissen, wo genau sie wohnte. Sie gab noch ihre Hobbys an, schwimmen, malen und basteln. Anschließend ergänzte sie, dass sie noch zur Schule ging und weiblich war. Das System bot ihr an noch ein Profilbild hochzuladen. Darauf verzichtete sie. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis eine neue Seite auf dem Bildschirm erschien. „Na toll“, schoss es Line durch den Kopf. Die Webseite hatte nach eigenen Angaben mehr als eine Million Nutzer und ihr wurde genau ein E-Mail-Freund vorgeschlagen. Sie klickte auf das Bild von einem jungen Mädchen. Sie mochte etwas jünger sein, als Line. Hatte blasse Haut, schulterlanges blondes Haar und ein scheues Lächeln auf den Lippen. Ein kurzer Text verriet, dass das Mädchen von einer Insel namens Damsay in Schottland kam, 15 Jahre alt war, Sinah hieß und am liebsten Bücher las. Line klickte auf Nachrichten Schreiben. „Liebe Sinah, ich komme aus Deutschland von einer Hallig. Das ist eine kleine Insel mitten im Meer. Hier leben nur 18 Menschen und na ja... Manchmal auch eine Hand voll Touristen. Hier ist es oft ganz schön einsam. Wenn du Lust hast schreib mir doch mal. Liebe Grüße Line.“
Die Halligbewohnerin las den Text noch einmal und klickte dann auf abschicken. Gedanken verloren blickte sie hinaus auf das Meer. In der Ferne fuhr ein Containerschiff vorbei. Line stellte sich vor, wie ihre Nachricht auf dem Weg nach Schottland war. Wie gerne wäre sie in diesem Moment auf das Schiff gegangen und ihre Nachricht nach gereist. Obwohl… Auf einer schottischen Insel wollte Line nun auch nicht wohnen. Am liebsten würde sie in New York leben. Wie herrlich musste das Leben sein in einer großen Stadt mit vielen Menschen, buntem Getümmel und unendlich vielen Möglichkeiten sein. Line wurde durch ein leises Klingeln aus ihren Gedanken gerissen. Die Webseite bestätigte, dass ihre Nachricht ordnungsgemäß versendet wurde. Nun hieß es warten. Ob das fremde Mädchen antworten würde. Line war sich alles andere als sicher. Sie stieg die Stufen des Leuchtturmes hinab und machte sich auf den Weg nach Hause. Die neue Woche wollte und wollte nicht kommen. Doch schließlich saß Line wieder an dem kleinen Tisch in der Kuppel des Leuchtturms und erledigte ihre Hausaufgaben als das Handy vibrierte. Gespannt nahm das Mädchen das Gerät aus der Tasche und blicke neugierig auf den Bildschirm. Neben einem Symbol das einen Briefumschlag zeigte verriet die kleine Ziffer zwei, dass Line gleich zwei neue Nachrichten hatte. Sie wählte das Nachrichtenmenü. Eine Nachricht war von Inga und eine kam aus Schottland. Line überlegte kurz und entschied dann, dass sie zunächst die Nachricht ihrer besten Freundin lesen würde. „Hallo Line, ich freu' mich schon wahnsinnig auf den Zirkus. Hab' mit meinen Eltern gesprochen. Du kannst gerne weder bei mir schlafen. Gruß Inga.“ Lines Gesicht strahlte. Das lief ja besser als sie zu hoffen gewagt hatte. Sie öffnete die zweite Nachricht. „Hallo Line, ich habe mich sehr über deine Nachricht gefreut. Ich lebe auch auf einer Insel. Wir sind insgesamt zwar 30 Leute. Aber einsam ist es hier auch oft. Das ist aber nicht so schlimm, denn ich habe ja noch meine kleine Abby. Abby ist eine Schäferhunddame. Hast du auch Haustiere? Gruß aus Schottland. Sinah“
Line lächelte. Nun hatte sie zwei Freunde.
Am nächsten morgen konnte sich Ingas Freundin überhaupt nicht auf den Unterricht konzentrieren. Sie wollte Inga unbedingt von Sinah erzählen und außerdem würden die beiden Mädchen am Nachmittag zusammen in die Circus Vorstellung gehen. Inga schüttelte energisch den Kopf. „Das ist doch keine echte Freundin. Du kennst die doch überhaupt nicht. Du kannst ja noch nicht mal genau wissen ob am anderen Ende überhaupt ein Mädchen schreibt. Vielleicht sitzt da ja auch ein uralter Kerl der sich jetzt eins ins Fäustchen lacht, weil mal wieder jemand auf seine Masche hereingefallen ist.“ Line war beleidigt. Doch im Grunde hatte ihre Freundin eigentlich recht. Ihre Mine hellte sich erst wieder auf als die beiden vor dem knallbunten Zelt standen. Sie kauften Eintrittskarten und setzten sich auf ihre Plätze in der dritten Reihe. Line blickte umher. Das Zelt war etwa zur Hälfte belegt. Zwei Männer machten sich an Metallketten zu schaffen die das Trapez in der Circuskuppel hielten. Ihr Blick fiel auf einen hochgewachsenen Jungen der durch die Reihen schlenderte. Der Junge trug einen schwarze Hose und eine rote Jacke mit schwarzen Einlegern und goldenen Knöpfen. In der einen Hand trug er eine Anzahl riesiger Lollies in der anderen mehrere Hefte. Er musste ungefähr in Lines alter sein. Hier und da blieb er stehen, gab Kindern die Süßigkeiten, Erwachsenen die Hefte, nahm Geld entgegen. Der Blick des Mädchens wanderte weiter. Über dem roten Samtvorhang stand in goldenen Lettern >Circus Bellina<. Das Licht ging aus und die Vorstellung begann. Der Circus war nicht besonders groß. Trotzdem begeisterten die Scherze des Clown und die Anmut der Artisten die beiden Mädchen. Mit weit geöffneten Augen und glühenden Gesichtern verfolgten sie wie ein Reiter gekonnt eine Anzahl von Pferden durch die Manege trieb und wie ein mutiger Domteuer seinen Löwen zu Kunststücken motivierte. In der Pause kauften sich die beiden Zuckerwatte und als die Vorstellung zu Ende war bummelten sie vergnügt aus dem Zelt. Line blicke zufällig zu einem der bunt bemalten Circuswagen. Ein junge in schmucker Circusunifom kletterte die Stufen hinauf und schloss die Tür hinter sich. Als die beiden Freundinnen an diesem Abend in Ingas Zimmer zusammen saßen und den zurückliegenden Tag Revue passieren ließen vibrierte Lines Telefon. Sie holte das Gerät hervor und stellte fest, dass ihr Sinah eine weitere Nachricht geschrieben hatte. Sie hatte Line ein Foto von sich und ihrem Hund vor ihrem Haus geschickt. Line zeigte das Foto ihrer besten Freundin und schrieb danach eine Antwort. Sie berichtete, dass sie den Tag zusammen mit ihrer besten Freundin im Circus verbracht hatte. So ganz schmeckte Inga die Sache noch nicht. Jedoch konnte sie auch nicht genau sagen, warum jemand sich einen Spaß mit Line machen sollte oder was dieser Jemand davon hätte. Die beiden schliefen erst spät ein und am nächsten Tag war Lines Konzentration in der Schule kein bisschen besser. Die Tage vergingen und Line tauschte immer wieder Nachrichten mit Inga und Sinah aus. Ein oder zwei mal hatte sie überlegt, ob sie Sinah auch ein Bild schicken sollte. Doch immer wieder, wenn sie das entsprechende Menü auf der Webseite aufgerufen hatte kamen ihr die Zweifel von Inga ins Gewissen. Wenn sie eins mit der Zeit gelernt hatte, dann, dass sie im Zweifel ihrer besten Freundin vertrauen konnte. Es konnte nichts schaden wenn sie gegenüber dem fremden Mädchen ein bisschen Anonymität bewahrte. Der Samstag brach herein und kaum hatte Line die Augen aufgeschlagen und den ersten Sonnenstrahl mit einem Blinzeln begrüßt spürte sie ein komisches Gefühl. Sie hätte nicht beschreiben können, was nicht stimmte. Doch sie war sich sicher, irgendetwas war hier ganz und gar nicht richtig. Wie immer wenn das Wetter halbwegs brauchbar war nahm sie sich ein Handtuch und machte sich auf den Weg zu ihrem Platz. Sie lief den Weg von der Eckwardswarft vorbei an den Salzwiesen bis zur Ruine. Mit jedem einzelnen Schritt verstärkte sich ihr seltsames Gefühl. Sie blickte sich um. Alles war wie immer. In einiger Ferne war das Rauschen des Meeres zu hören. Ein paar Möwen flogen am Himmel. Der Wind strich leise über die Grashalme. Ansonsten kein Geräusch. Doch sie war sich ganz sicher. Irgendetwas war hier einfach nicht richtig. Sie erreichte die alte Ruine und kletterte den Steinpfad hinunter zu ihrer Bucht. Am Wasser angekommen drehte sie sich noch einmal um. Was war denn nur los? Sie schüttelte den Kopf. Ihr seltsames Gefühl hatte sich kein bisschen verändert. Doch alles war wie immer. Also warum noch weitere Gedanken verschwenden. Sie faltete das Handtuch auseinander, zog ihre Hose und ihr T-Shirt aus. Noch einmal blickte sie sich um. „Was für ein Blödsinn“, dachte sie und mit einem Griff flog ihr Höschen zu den anderen Sachen. Mit zwei langen Schritten war sie im Wasser und schwamm ihre übliche Runde. Line trug kein Badezeug. Zu dieser einsamen Stelle kam am Morgen kein Mensch. Selbst in der Hochsaison hatte Line ihre Bucht normalerweise für sich. Denn die Touristen kamen am Anleger an und fuhren von dort mit der Pferdekutsche weiter. Kaum jemand verirrte sich zu der alten Ruine. Und jetzt in der Nebensaison fuhr die Fähre immer Mittwochs. Line schwamm zum Ufer zurück, als sie ein Geräusch wahr nahm. Es war als würden zwei kleine Steine gegeneinader gestoßen. Da schon wieder. Im Bruchteil einer Sekunde war Line klar, was das Geräusch verursachte. Jemand lief in einiger Entfernung über den Steinpfad. „Wer konnte das sein“, schoss es ihr durch den Kopf. Ihre Eltern schliefen noch. Die Pfarrersleute kamen nie hier her. Herr Süders war längst mit seinem Kutter draußen. Behrend und Hinrichs verließen Samstags nicht das Haus sondern hingen vor der Spielekonsole. Herr Dirksen war auch nicht fürs Spaziergehen bekannt und die anderen Halligbewohner waren längst beider Arbeit. Das Vieh versorgen, die Wagen für den Touristenbetrieb reparieren. Blieb eigentlich nur Johanna. Die beiden Mädchen früher oft zusammen in der Ruine gespielt und waren auch schon gemeinsam schwimmen gewesen. Doch Johanna war überzeuge Langschläferin. Da war es wieder. Das komische Gefühl, das Line schon den ganzen Morgen über begleitet hatte. In dem Bruchteil einer Sekunde, in dem Line das alles überlegt hatte war sie aus dem Wasser gesprungen und hatte sich in ihr Badehandtuch gewickelt. Kaum zehn Sekunden später schlenderte ein Junge den Weg hinunter. Er war in Lines Alter und Line auf eine seltsame Weise vertraut. „Was machst du hier?“, fuhr sie ihn laut an, „wie bist du hier her gekommen?“ Der Junge war ein winziges Stück zurückgewichen. „Mit meinem Boot erwiderte er ohne eine Mine zu verziehen. „Und du?“ Line funkelte ihn an. „Ich wohne hier. Das ist meine Insel und das ist meine Badestelle. Ich wäre dir dankbar wenn du verschwinden könntest.“
Der Junge grinste keck. „Entschuldige. Ich wusste ja nicht, dass das hier privat ist. Er dreht sich um ohne Line noch eines Blickes zu würdigen und verschwand. Line wartete noch eine ganze Weile. Dann zog sie sich an. Eine Frage ging ihr den ganzen Tag lang nicht mehr aus dem Kopf. Woher kannte sie den Jungen. Und was auch nicht ganz unentscheidend war, wie kam er um acht Uhr morgens auf die Hallig. Line fand darauf keine Antwort. Am Nachmittag berichtete sie ihren beiden Freundinnen von dem Erlebnis.
Lines Fragen sollten sich erst am Montag beantworten. Nach der Schule fuhr Line mit dem Bus in den Hafen. Sie verabschiedete sich von Inga, setzte sich auf die Bank und wartete geduldig auf Herrn Süders der sie mit seinem Kutter nach Hause bringen sollte. Von der anderen Seite des Hafens näherte sich ein Junge. Er mochte in Lines Alter sein, trug ausgetretene Turnschuhe, Jeans und eine Lederjacke die ihre besten Jahre bei weitem hinter sich gelassen hatte. „Oh weia ist das peinlich“, dachte Line und in ihr stieg wieder dieses merkwürdige Gefühl herauf. Einerseits war ihr der Junge aus irgendeinem Grunde seltsam vertraut. Andererseits war er in ihre Welt eingedrungen. Natürlich musste der Junge genau in ihre Richtung gehen. Line hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht. Doch da musste sie nun durch. „Hey“, begrüßte sie der Junge freundlich. „Hey“, erwiderte Line und sie hörte sich fragen, „heute ohne Boot unterwegs? Verdammt. Wieso fing sie jetzt auch noch ein Gespräch mit dem Jungen an. „Mein Boot liegt dahinten“, erwiderte der Junge unbekümmert, „ist aber nur geliehen. Darf ich mich zu dir setzen?“ Ehe Line den Jungen wegschicken konnte hatte Irgendetwas in ihr eine einladenden Handbewegung gemacht. Und hatte ihre Stimme wirklich gerade „gerne gesagt?“
„Und wo kommst du her“, fragte Line um wenigstens irgendetwas zu sagen. Der Junge wies in Richtung Straße. „Von da“, gab er knapp zurück und Line fand die Antwort total bescheuert. „Machst du Urlaub?“, fragte sie. „Ich arbeite“, erwiderte der Junge. So richtig gesprächig war er nicht. „Aha“, entgegnete sie und es klang etwas spöttischer als beabsichtigt. „Glaubst du mir nicht“, fuhr der Junge sie an. „Doch, doch“, beeilte sich Line zu antworten. „Was arbeitest du denn?“ „Ich bin der beste Lolly und Programmhefteverkäufer diesseits und überhaupt.“ Line bekam einen heftigen Hustenanfall. Das verstand der Junge natürlich miss. Er konnte ja nicht wissen, dass Line gerade aufgegangen war, wieso ihr der Junge so vertraut war. Es war der Junge aus dem Circus. Der mit der roten Jacke und den goldenen Knöpfen. „Du arbeitest im Circus?“, konnte Line ihren Gesprächspartner nun endlich beschwichtigen. „Ja genau“. In seiner Stimme klang ein wenig Stolz. „Und du? Wohnst du wirklich auf der Miniinsel da draußen?“ Line nickte. „Das ist ja furchtbar. Da gibt’s ja gar nichts. Habt ihr überhaupt Strom da draußen?“ Jetzt war es Line die grimmig funkelte. „Witzbold! Wir haben sogar fließend Wasser. Es gibt wirklich keinen besseren Platz auf der Welt.“ Line staunte. So frech gelogen hatte sie noch nie. Sie wusste in Wirklichkeit Millionen bessere Plätze. „Und wie kommst du an Land? Schwimmst du die Strecke?“ Line blickte in die blauen Augen des Jungen. Sie funkelten keck und sie begriff, dass er sie gerade auf das aller Feinste veralberte. „Nein! Ich fahre mit dem Taxi.“ Sie wies auf die Rußwolke, die sich vom Horizont kommend langsam dem Hafen näherte. „Aber du kannst mich ja gerne einmal mit deiner Nussschale mitnehmen. Falls da Platz ist für zwei.“ Der Junge grinste. Line verabschiedete sich und fuhr mit Herrn Süders nach Hause. Den ganzen Tag über ging ihr der Junge nicht aus dem Kopf. Wie mochte das sein, beim Circus zu leben. Jede Woche in einer anderen Stadt. Line war das Leben auf dem Erdklumpen so satt. Sie wollte nicht länger alleine sein. Sie wollte die Welt sehen und mit Menschen zusammen sein. Die Hausaufgaben wollten an diesem Nachmittag einfach nicht gelingen. Line schrieb eine Nachricht an Sinah und berichtete dem schottischen Mädchen, dass sie einen Jungen aus dem Circus kennengelernt hatte. Kaum hatte sie die Nachricht abgeschickt verkündete das Telefon mit einem Piepen, dass es die nächsten Stunden gerne mit dem Ladegerät verbringen wollte. Line schlief sehr unruhig. Immer wieder wachte sie auf und entkam seltsamen Traumfetzen. Und eine Frage schwebte über allem. Was hatte sie sich da eingebrockt. Am nächsten Morgen im Bus fiel Inga sofort auf, dass mit ihrer Freundin irgendetwas nicht stimmte. „Alles in Ordnung“, wollte sie wissen. Line blickte von ihrem Mathebuch hoch. „Ja klar, was soll sein?“ Im selben Moment begriff sie, wie bescheuert ihre Antwort war. Inga sah ihr natürlich an, dass sie völlig übermüdet war und auch die Tatsache, dass sie ihre Hausaufgaben im Bus machte war eher ungewöhnlich. Ein auffordernder Blick ihrer Freundin reichte und Line erzählte ihr die ganze Geschichte. „Kann das sein, dass du verliebt bist?“, wollte Inga wissen und in diesem Moment hasste Line ihre Freundin für ihr schelmisches Grinsen. „Quatsch!“, entgegnete sie und in diesem Moment hielt der Bus Gott sei dank an der Schule sodass Line weiteren Nachfragen zumindest für den Moment entkommen war. Der Unterricht wollte und wollte nicht zu Ende gehen. Lines Herz klopfte von Minute zu Minute schneller. Als sie dann aus dem Bus stieg war sie fast ein bisschen enttäuscht. Von dem Jungen war weit und breit nichts zu sehen. Dafür wartete Herr Süders schon. In seinem Fangkorb befand sich nur ein einziger Fisch. Line hatte eine verrückte Idee. „Herr Süders“, begann sie.
Dieser blickte von dem Steuer seines Kutters auf. „Sie brauchen mich morgen nicht abzuholen. Ich darf eine Freundin besuchen und nehme dann die letzte Fähre.“
Herr Süders nickte. „Ist gut Kleene.“, sagte er und machte das Boot in dem kleinen Hafen der Hallig fest. Er nahm den Fisch, nickte Line noch einmal zu, verabschiedete sich mit einem freundlichen „Guten Abend“ und trottete dann langsam zu seinem Schuppen. Line instruierte per SMS ihre beste Freundin, dass sie morgen, sollte sie jemand fragen auf jeden Fall Lines Alibi bestätigen sollte. Inga fand es nicht besonders für ihre Freundin zu lügen. Doch schließlich war Line ihre beste Freundin und deshalb willigte sie schließlich ein. Sie gab aber zu bedenken, dass wenn ihre Eltern ans Telefon gingen der Schwindel sofort auffliegen musste. Line war sich darüber im Klaren. Doch die Schmetterlinge in ihrem Bauch ließen kein Zweifeln zu. Alles machte Sinn. Sie erzählte ihren Eltern, dass sie den Nachmittag mit ihrer besten Freundin verbringen wollte und gerne erst mit der letzten Fähre nach Hause kommen wollte. Ihre Vater bot an mit Herrn Süders auszumachen, dass er Line etwas später abholte. Doch nachdem seine Tochter erklärte, dass sie noch genug Geld von ihrem Verkauf übrig hatte um das Ticket zu bezahlen und dass sie natürlich auf sich aufpassen würde erlaubten es die Eltern schließlich. In dieser Nacht schlief Line im Grunde überhaupt gar nicht. Am nächsten Morgen eilte Line, kaum war sie im Hafen angekommen zu dem Fahrkartenautomaten der Fährgesellschaft. Sie besorgte sich eine Karte für die letzte Fähre und erwischte gerade noch den Bus. Dass sie noch genug Geld übrig hatte war etwas übertrieben. Tatsächlich hatte sie ihre letzten Cent zusammen gekratzt und nun war sie blank. Doch es ging nicht anders. Wenn irgendetwas schief lief, dann musste sie ja trotzdem nach Hause kommen. „Gute Morgen“, sagte Inga und Line entging weder der kritische Blick noch der der vorwurfsvolle Unterton. „Sag es schon“, forderte Line ihre Freundin auf. „Du kennst ihn doch gar nicht. Er wird bestimmt über dich lachen. Und überhaupt.“ „Und überhaupt“, unterbrach sie Line, „ist mir das egal. Ich will wenigstens mein Glück versuchen. Wenn ich damit auf die Fresse fliege hab ich halt Pech gehabt.“ Inga schwieg beleidigt und die Mädchen stiegen an der Schule aus.Am Vertretungsplan stand, was Line sich nie getraut hätte zu träumen. Gleich drei Unterrichtsstunden fielen aus. Wenn das kein gutes Ohmen war. Es war pures Glück, dass es keine Lehrer auffiel. Lines Körper saß zwar auf ihrem Stuhl. Doch Line selbst war ganz wo anders. Hätte sie ein Lehrer dran genommen, wer weiß. Doch zu ihrem Glück beachtete keiner der Erwachsenen ihre Abwesenheit. Line musste eine Haltestelle früher aussteigen als sonst damit sie zum Circus kam. Das wusste auch Inga. Kurz bevor es soweit war blickte sie ihre Freundin ernst an. „Versprich mir, dass du mich anrufst, wenn was ist.“. Line ob ihren rechten Zeigefinger und Mittelfinger. „Versprochen. Ich schreib dir heute Abend wie es gelaufen ist.“ Inga grinste. „Na dann mal viel Spaß.“ Line stieg aus dem Bus und im selben Moment rutschte ihr Herz tief in ihre Jeans. So cool, wie sie noch am Morgen getan hatte war sie ganz und gar nicht. Doch nun gab es eigentlich kein Zurück mehr und genau im richtigen Moment meldete sich einer der Schmetterlinge in Lines Bauch und trieb sie an weiter zu gehen. Mit weichen Knien erreichte sie den Fußballplatz des FC Hattemarsch auf dem der Circus Bellina gastierte. Unschlüssig stand sie vor dem Zelt. Sie hatte gemerkt, dass ihr wohl vorbereiteter Plan einen bösen Fehler enthielt. Sie wusste nicht wie der Junge hieß. Sie konnte ja schlecht zum Kassenwagen gehen und sagen „Guten Tag, ich suche einen Jungen mit roter Jacke und goldenen Knöpfen.“ Der Circus war zwar nicht riesig, aber so würde er nicht gehen. Während sie noch darüber nachdachte was sie nun machen sollte hörte sie plötzlich eine Stimme. „Willst du nur gucken oder wollen wir reingehen?“ Sie wirbelte herum und blickte direkt in seine keck funkelnden Augen unfähig ein Wort zu sagen. Irgendwann krächzte sie ein „Hallo“ hervor. „Und“ fragte der Junge ungeduldig. Die Schmetterlinge hatten Lines Kopf wieder gerade gerückt und mit einiger Sicherheit brachte sie ein „klar gerne hervor.“ Der Junge öffnete das Gitter neben dem Kassenwagen und die beiden betraten das Circusgelände.
„Komm wir gucken mal in das Zelt“, sagte er und zog Line durch den Eingang durch den die Circusleute in die Manege gelangten. Ein Mann war gerade dabei Fackeln sorgfältig in einer braunen Masse zu wenden. „Was macht er da“, fragte Line und unwillkürlich flüsterte sie. Eine unglaubliche Konzentration lag in der Luft.“Das ist Petro“, sagte der Junge, „unser Feuerkünstler. Das braune ist die Brennpaste.“ „Hallo Petro“, begrüßte er den Mann. „Dürfen wir ein bisschen zusehen. „Oh Luca“, grüßte der Mann zurück, blickte kurz zu Line, grinste und erwiderte dann mit einem schelmischen Grinsen „aber klar.“ Die beiden setzten sich auf die Manegenabsperrung. „Luca“ hieß er also. Line versank in Gedanken, wurde aber je wieder herausgerissen, als Petro mit aller Kraft Petroleum auf die brennende Fackel spuckte. Eine Stichflamme stieg im Zelt empor. Petro strich sich die Lippen mit einer durchsichtigen Creme aus einem Tiegel ein. Luca hatte Lines fragenden Blick bemerkt. „Damit er sich gleich beim Feuerschlucken nicht verbrennt.“
Petro jonglierte geschickt mit 5 brennenden Fackeln und löschte dann eine nach der anderen mit seinem Mund. Die letzte entzündete er sofort wieder. Line und Luca klatschten Beifall.
„Komm“, sagte Luca, und nahm Line bei der Hand, „ich möchte dich meinem Freund vorstellen.“ Line hatte immer noch weiche Knie. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Und es zersprang beinahe, als sie das Zelt verlassen hatten und vor einem Käfig halt gemacht hatten. Der Löwe. „Das ist Barni“. Der Junge griff durch die Gitterstäbe und streichelte dem mächtigen Tier über den Kopf. „Sag Hallo zu der netten Dame“. Line wurde rot. „nette Dame“. „Hey, wie heißt du eigentlich“, wollte der Junge plötzlich wissen. „Line“, antworte diese zaghaft. „Ich bin Luca.“ „Ich weiß“, entgegnete das Mädchen und diesmal war es Luca, der entgeistert drein blickte. „Petro hat so was erwähnt“, erwidert Line und es klang so, als wären sie und Petro seit vielen Jahren bekannt. Luca und Line blicken sich an. Dann musste beide lauthals lachen. „Willst du auch mal“, fragte er und Line fühlte sich auf einmal beinahe total sicher. „meinst du wirklich?“ „Klar“, erwiderte Luca und tätschelte den Löwen. „Barni ist ein lieber alter Kerl. Der tut keinem was.“ Line berührte zaghaft das Fell der Tieres. Es fühlte sich ganz weich an. Luca nahm eine Polaroidkamera die die ganze Zeit auf dem Käfig gelegen hatte und machte ein Foto. Line sah ihn verwundert an. „Macht 2 Euro fünfzig“. Der Junge grinste. „natürlich nur für unsere Besucher“, fügte er schnell hinzu und gab Line das Bild. „Damit du dich immer an uns erinnern kannst.“ „Danke“, sagte Line und lächelte ihn an. Er nahm ihre Hand und machte einen halben Schritt auf sie zu. Lines Herz schlug schneller und schneller. Das läuten einer Glocke unterbrach die beiden. „Was bedeutet das?“ „Tante Sofia hat Mittag gekocht. Bleibst du zum Essen oder hast du keine Zeit?“ „Nein, ich meine ja klar“, presste Line hervor. Luca zog die Augenbrauen hoch. „Ich bleibe gern zum Essen“, stellte Line klar. Luca lächelte. „Super“. Er nahm ihre Hand und führte sie zu einem kleinen Platz zwischen den Wohnwagen. Um ein Feuer herum saßen die Circusleute. Eine alte rundliche Frau rührte in einem großen Kessel, der über dem Feuer hing. Luca stellte seine neue Freundin vor und alle begrüßten Line freundlich. Es hab einen Eintopf und dazu Brot. Line spürte ein Gefühl, dass sie ihr ganzes Leben lang nie kennen gelernt hatte. Sie gehörte dazu.
Sie unterhielt sich prächtig mit den Circusleuten. Nach dem Essen machten sich alle wieder an ihre Arbeit. Line und Luca halfen Sophia dabei die Teller zu spülen und Line bedankte sich bei Sophia für das tolle Essen. Die beiden verließen Sophias Wagen und schlenderten über den Platz. In der hintersten Ecke stand ein winziger Campingwagen. Er mochte mindestens vierzig Jahre alt sein. „Hier wohne ich“, verkündete Luca stolz und Schloss den Wohnwagen auf. „Komm rein“. Line folgte dem Jungen in den Wohnwagen. Der Innenraum war denkbar klein. Eine Hälfte des Wagens wurde von einem Bett und einem Schrank eingenommen. Die andere Hälfte teilte sich eine Sitzbank, ein kleiner Tisch und eine winzige Küchenzeile. In der Mitte befand sich ein winziger Raum der sicherlich eine Art Badezimmer enthalten musste. Line setzte sich auf die Bank, Luca gegenüber. Sie blickte sich um. „Wohnen deine Eltern gar nicht mit dir zusammen?“, fragte sie. Luca schluckte und blickte an Line vorbei aus dem Fenster. „Meine Eltern haben mich weggegeben, als ich noch ganz klein war.“ Er schluckte. „Glück für mich. So kam ich zu Tante Sofia.“ Line griff nach seiner Hand. „Das tut mir leid“, sagte sie und ihre Stimme unterstrich, dass sie es wirklich ehrlich meinte. „Das ist lieb von dir“, Luca hielt kurz inne. „Aber hier im Circus ist es schon okay und meine Tante sorgt wirklich prima für mich.“ Line spürte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, weiter zu fragen. Luca machte es Line einfach. „Und du? Wohnst du gerne soweit draußen?“ Line fiel die Antwort überhaupt nicht schwer. „Es ist manchmal wahnsinnig einsam. Und wenn ich oben im Leuchtturm sitze und die Schiffe sehe, die am Horizont verschwinden, dann wünsche ich mir manchmal wo anders zu leben.“
„Aber hey, es ist mein Zuhause. Obwohl mir deines gerade besser gefällt.“
Lucas Augen hatten während Lines Satz angefangen zu leuchten. „Machst du Witze“, fragte er, „ich sehe den ganzen Tag diesen ollen Wohnwagen und du hast einen Leuchtturm.“ Line verstand nicht, was Luca meinte. „Aber“, begann sie, “du reist durch die ganze Welt. Ich hänge fest auf meinem Erdklumpen.“
Der Junge schüttelte energisch den Kopf. „Aber du kannst bleiben. Ich muss immer gehen, wenn es mir irgendwo gefällt.“ Line schluckte. Das hatte sie natürlich nicht bedacht. Luca setzte wieder sein schelmisches Grinsen auf. „Darf ich mal rauf auf deinen Turm“, fragte er. Line zwinkerte ihm zu. „Wenn du deine Yacht noch hast.“ „Du meinst wohl meine Nussschale“, entgegnete er und die beiden lachten.
Line und Luca waren zum Hafen gegangen und der Junge hatte den Bootsverleiher davon überzeugt, dass er das Ruderboot gerne noch einen Tag ausleihen wollte. Der Verleiher stimmte zu und schon kurz darauf machten sich die zwei auf den Weg zur Hallig. Es war ein warmer Frühlingstag und auf dem offenen Meer ganz ohne Schatten wurde es schon bald ziemlich heiß. Sie erreichten die Hallig, allerdings nicht den Hafen sondern Lines Bucht. Luca sprang ins flache Wasser und zog sein Boot an den Strand. Line sprang auf den Sand und die beiden machten sich auf den Weg zum Leuchtturm. An der Weggabelung kam ihnen Pfarrer Johanson entgegen. „Guten Tag Line“, begrüßte sie der Pfarrer. Line und Luca erwiderten seinen Gruß und schon bald standen sie am Fuße des Leuchtturms. Line streckte die Hand aus. Luca verstand natürlich nicht. Deshalb klärte ihn das Mädchen auf. „Zwei Euro Fünfzig. Natürlich nur für Besucher“. Sie grinste und schloss die Tür auf. In der Kuppel angekommen setzte sie sich auf einen der beiden Stühle. Luca ließ beeindruckt seinen Blick in alle Richtungen schweifen. „Das ist unglaublich“, sagte er und Line dachte kurz darüber nach, ob dem Jungen die Sonne nicht gut getan hatte. „Na nun krieg' dich mal wieder ein. Möchtest du was trinken?“ „Gerne“, antwortete Luca, ohne seinen Blick auch nur einen Sekundenbruchteil von dem Horizont abzuwenden. Line holte unter dem Tisch eine Flasche Wasser hervor und fand auch noch zwei Gläser. Eines gab sie Luca.
In der Ferne fuhr ein großes Containerschiff dem Horizont entgegen. Doch Line hätte in diesem Moment nirgendwo sonst sein wollen. Eine Weile blickten die beiden schweigend auf das Meer hinaus. “Was hat es eigentlich mit der Ruine auf sich”, brach Luca das Schweigen. “Das weiß niemand so genau”, erklärte Line, “früher einmal sollen die Menschen hier auf der Hallig sehr reich gewesen sein. Vielleicht hat in dem Gebäude ja ein Herrscher gelebt. Das erzählt Herr Süders zumindest immer. Aber vielleicht sind das ja auch nur die Reste einer völlig unbedeutenden Scheune.“ Luca sah sie bedeutsam an. „Also da gefällt mir die Version mit dem Herrscher wirklich besser.“ Line lächelte. „Ja mir auch. Wollen wir mal hingehen“, schlug sie vor.“ „Klar“, entgegnete Luca. Die beiden zogen los und erreichten schon bald den Pfad zur Ruine. „Eindrucksvoll“, befand der Circusjunge. Line nickte. Sie durchstreiften eine Weile das alte Gebäude und ließen sich dann am Strand nieder, dort wo Lines Badestelle lag.
„Bist du oft hier“, wollte der Junge wissen. „Am Wochenende und in den Ferien eigentlich jeden Morgen“, sagte Line und wies hinaus auf das Meer, „ich schwimme immer bis zu der Sandbank dahinten.“ Jetzt bei Ebbe war ein Streifen Sand knapp unter der Wasseroberfläche zu erkennen. Bis dort hin war es vielleicht ein knapper Kilometer. „Das schaffst du doch nie“, spottete Luca und blickte sie herausfordernd an. „Wetten“, konterte Line. „Ich bin definitiv schneller“, stellte Luca selbstbewusst fest. „na dann zeig mal was du kannst“, spornte Line den Jungen an und sprang im selben Moment aus ihren Klamotten. Sie lief ein paar Schritte ins Wasser, ließ sich nach vorne fallen um sofort mit geübten Zügen Abstand zum Strand zu gewinnen. Luca hatte eine Sekunde gebraucht. Dann war er Line gefolgt und für kurze Zeit sah es so aus, dass er Line einholen würde. Doch gegen die Halligbewohnerin hatte er einfach keine Chance. Außer Atem kamen sie bei der Sandbank an. „Wow“, stellt Luca anerkennend fest. „Du bist ja schnell“. „Du aber auch“, erwiderte Line und fügte mit ein wenig Stolz in der Stimme hinzu, „für eine Landratte.“ „Wie hasst du mich genannt?“ Luca spritzte eine große Hand voll Wasser in Lines Richtung und stieß sich im selben Moment wieder in tieferes Wasser ab. „Vielleicht ist ja die Landratte diesmal schneller“, rief er Line zu und war schon ein gutes Stück entfernt. Mit dem kleinen Vorsprung schaffte es der Junge ein Unentschieden zu erreichen. Genau zur selben Zeit erreichten die beiden die Hallig.
Line hatte auf einmal einen Kloß im Hals. Sie war darauf nicht vorbereitet gewesen. Sie hatte kein Badezeug mitgenommen und nicht mal ein Handtuch war in Reichweite. „Was ist?“, fragte Luca, als Line keine anstalten machte, das Wasser zu verlassen. „Du zu erst“, forderte sie ihn aus. „Wieso nicht du“ antwortete Luca und Line hörte in der Stimme des Jungen die selbe Unsicherheit, die sie empfand. Offenbar war dem Jungen die Situation genauso unangenehm wie ihr. Während die beiden im Wasser gewesen waren hatte sich die Sonne hinter ein paar Wolken versteckt. Die Wärme des Tages war verzogen. Und jetzt wo sich Line nicht mehr bewegte begann sie zu frieren. Doch als erste an Land zu gehen traute sie sich einfach nicht. Luca fasste sich ein Herz. „Also ehe wir beide erfrieren...“ Er rannte in einem Affenzahn an den Strand und zog sich flink seine Hose an. „Jetzt du“, rief er Line zu. „Dreh dich um!“, forderte sie ihn auf. Ganz der Gentleman gehorchte Luca. Line atmete noch einmal tief durch und machte sich dann auf den Weg an den Strand. Kurz bevor sie den Sand erreichte stach sie etwas in den Fuß. Es tat ziemlich weh und sie schrie auf. „Au!“. Luca dreht sich reflexartig um und blickte Line in die Augen. Für die Ewigkeit eines Moments waren beide unfähig zu reagieren. „Ey!“ stieß Line hervor und Luca beeilte sich seinen Blick wieder auf das Land zu richten. Line zog sich in Windeseile an. Der Junge starrte immer noch ins Gebüsch. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und tippte ihn auf die Schulter. „Ich bin fertig.“ Luca drehte sich um. „Du eh, hör mal, es tut mir leid“, stammelte er. Doch Line lächelte sanft. „Ach schon in Ordnung.“ „Warum hast du eigentlich so geschrien“, fragte Luca. Line wies auf den Stich, an ihrem Fuß. „Du blutest ja“, stellte Luca fest, mit einer Stimme der Besorgnis, als hätte sich Line schwer verletzt. Er förderte aus seiner Hosentasche ein blitzsauberes Taschentuch und tupfte vorsichtig die Wunde ab. Luca fiel ein Blitzen auf. Es kam von der Stelle an der das Mädchen noch vor einigen Sekunden gestanden hatte. „Was ist das denn“, fragte er, mehr sich selbst und ging auf die Stelle zu. Line, der das Blitzen entgangen war, verstand nicht was der Junge tat. Doch das sollte sich alsbald ändern. Luca kam zurück und hielt etwas in seiner Hand. Einen kleinen Metallring mit einer daran aufgebrachten Nadel. „Guck mal. Da bist du drauf getreten.“ Die beiden sahen sich den Gegenstand neugierig an. Auf dem Ring waren Zeichen eingeprägt. Doch die Zeichen waren so verwaschen und schnörkelig, dass sie beiden sie nicht lesen konnten. „Da“, sagte Luca, „hast du einen prima Glücksbringer.“ „Danke“, erwiderte Line. Sie zitterte ein bisschen. Ob es die Aufregung war oder die Kälte, das wusste sie selbst nicht so genau. Luca war das natürlich nicht entgangen. Er legte den Arm um das Mädchen und Line fühlte sich sicher und geborgen. Schnell wurde ihr wieder warm. Sie blickten sich an. Seine Hand strich über ihre Wange. Dann küsste er sie. Lines Welt begann sich rasend schnell zu drehen. Was war das für ein Gefühl? Unbeschreiblich. Ein ganzes wundervolles Universum lag vor ihr in diesem einen Moment. Doch dann war der Moment nur noch eine Erinnerung. Denn Line hatte aus den Augen eine Rauchwolke gesehen und schlagartig wurde ihr klar, was das bedeutet. Die Fähre war längst auf der Hallig angekommen und sogar schon auf dem Rückweg. „Himmel“, brach sie hervor, „ich muss nach Hause“. Der Junge nickte. „Ja für mich wird es auch Zeit.“ Nicht das der Bootsverleiher noch eine Vermisstenanzeige aufgibt. Er grinste. Line begleitete ihn zu seinem Boot. Die Wellen umspülten ihre Beine. Er griff ihre Hände. „Leb wohl“, sagte er und wandte sich ab. Mit kräftigen Zügen ruderte er in Richtung Festland. Line rannte so schnell, wie sie nur konnte nach Hause. Inständig hoffte sie, dass ihre Eltern nicht am Fähranleger gewesen waren um sie abzuholen. Sie erreichte ihr Zuhause und durch ein Fenster sah sie, dass ihre Eltern im Haus waren. Erleichtert atmete sie durch. „Wieso bist du denn so nass“, fragte ihre Mutter prompt, als Line zur Tür hereinkam. „Eh, ja“, begann sie völlig überrumpelt. „Meine Wasserflasche ist ausgelaufen.“ Es war ein Wunder geschehen. Offenbar lies sich ihre Mutter tatsächlich mit dieser wahnwitzigen Erklärung zufrieden stellen. „Na dann zieh dir schnell was trockenes an, damit du dich nicht erkältest“, sagte sie nur.
Line tat, wie ihr geheißen. Und bald darauf saß die Familie beim Abendbrot. „Und wie war's“, fragte Lines Vater plötzlich. Line bekam einen Hustenanfall. „Wie war was?“ „Na dein Nachmittag mit Inga.“ „Oh, super. Wie waren Eisessen und dann noch bei ihr.“, stellte Line fest. Es gefiel ihr gar nicht, ihre Eltern anlügen zu müssen. Doch wie sie den Tag wirklich verbracht hatte konnte sie den beiden ja auch nicht wirklich erklären.
„Hallo Inga. Der Nachmittag war der Wahnsinn. Details erzähle ich dir morgen. Nur schon mal soviel vorweg. Ich durfte einen echten Löwen streicheln. Gute Nacht und bis morgen.“ Line hatte das Polaroid abfotografiert und zusammen mit der Nachricht an Inga geschickt. Auch Sinah hatte Line eine Nachricht geschickt. Dann war das Mädchen erschöpft aber sehr glücklich eingeschlafen. Der nächste Morgen begann viel zu früh. Line hatte einen wundervollen traum erlebt. Doch es war ja gar kein Traum. Auf dem Kutter von Herrn Süders vibrierte plötzlich Lines Handy. Sie zog es hervor und las. „Liebe Line. Das klingt ja wirklich nach einem super tollen Tag. Ich freue mich für dich. Zu uns kommt leider nie ein Circus. Dafür sind wir einfach viel zu weit weg vom Festland. Aber sag, hast du echt einen Löwen gestreichelt? Gruß deine schottische Freundin Sinah.“ Line schmunzelte. Mit ein paar Klicks hatte sie das Foto in einer MMS verpackt auf die Reise nach Schottland geschickt. Kaum war sie in den Bus eingestiegen, als Inga sie auch schon mit Fragen löcherte. „Und? Erzähl! Ich platze gleich vor Neugier.“ „Also“, begann ihre Freundin, „zuerst hat mir Luca den Circus gezeigt und ich durfte mit den Circusleuten Mittag essen. Dann hat er mich nach Hause gerudert. Wir waren auf dem Leuchtturm und anschließend sind wir noch geschwommen.
Am Strand hat er mich dann geküsst. Ach ja und ich durfte Barni, seinen Löwen, streicheln.“ Inga sah Line an, als hätte diese gerade vorgeschlagen sie sollten ab sofort jeden Tag nach der Schule zwei Stunden chinesisch Lernen. „Natürlich“, sagte sie forsch, „und ich bin die Kaiserin von China“. Ruhig zog Line das Foto aus ihrer Tasche und zeigte es ihrer Freundin. Schlagartig verstummte Inga und der Bus hielt an der Schule.
In der ersten Stunde schrieb die Klasse eine Mathearbeit. Line war an sich gut in Mathe doch an diesem Tag wollte das mit den Zahlen einfach nicht gelingen. Nach der Stunde war sich Line nicht einmal mehr sicher überhaupt etwas zu Papier gebracht zu haben. Das würde sicher Ärger geben. Die Deutschlehrerin der Klasse war immer noch krank und so fiel wiederum die letzte Unterrichtsstunde aus. Line stieg an der selben Stelle aus, wie am Tag zuvor und ihre Beine trugen sie wie von selbst zu dem Platz des Fußballvereins. Was war das für ein Schock? Dort wo am Tag zuvor noch das bunte Zelt und die Wohnwagen gestanden hatten befand sich nun eine grüne Wiese. Man konnte noch die Abdrücke sehen, die der Circus im Gras hinterlassen hatte. Eine Träne kullerte über Lines Gesicht. Nun war sie wieder so furchtbar alleine. Von der anderen Seite des Platzes näherte sich ein kurzer, dafür umso dicker Mann in Sportsachen. Außer Atem blieb er neben Line stehen und musste erst einmal zu Atem kommen. „Guten Tag“, sprach er das Mädchen an. „Sind sie Line?“. Das Mädchen starrte ihn entgeistert an, unfähig etwas zu sagen. Matt nickte sie. „Ich soll dir das hier geben“, sagte der Mann, reichte Line einen Umschlag und verschwand wieder. Line sah den Umschlag an, als wäre er von einem anderen Planeten. Mit zitternden Fingern öffnete sie ihn. „Liebe Line, danke für diesen wundervollen Tag. Er wird immer eine wunderschöne Erinnerung für mich sein. Vielleicht bist du gerade ein bisschen traurig. Doch das musst du gar nicht. Bestimmt werden wir uns eines Tages wieder sehen. Ich liebe dich! Luca.“ Wütend zerknüllte Line den Brief, sank auf die Knie und weinte bitterlich. Irgendwann hatte der Wind ihre Tränen getrocknet und sie besann sich. Sie strich das Papier glatt, steckte es ein und beeilte sich nach Hause zu kommen. Zusammen mit dem Brief vergrub Line die Erinnerung an diesen einen wundervollen Tag in einem Fach in ihrem Schrank. Das Mädchen erinnerte sich an das merkwürdige Ding auf das sie am Strand getreten war. Sie nahm es aus der Hosentasche. Es glänzte matt. Sicherlich war es aus Messing. Oder so. Auf dem Metallring waren Zeichen eingraviert. Doch Line konnte sich noch so viel Mühe geben. Sie konnte die Zeichen einfach nicht lesen. Schließlich hatte sie eine Idee. Sie schoss ein Foto und schickte es an Inga und an Sinah. Vielleicht fiel ihren beiden Freundinnen etwas zu dem Gegenstand ein. Dass Luca weitergezogen hatte verschwieg sie den beiden. Damit musste sie zunächst einmal selber klar kommen. Gleich nach dem Abendessen rannte Line noch einmal zu dem Leuchtturm. Sie wollte nachsehen, ob sie schon eine Antwort bekommen hatte. Inga schlug vor, dass die beiden am nächsten Tag nach der Schule einen Juwelier aufsuchen konnten. Dieser würde vielleicht wissen, worum es sich bei dem Gegenstand handelte. Line öffnete den Internetbrowser und lud die Seite >www.emailfreund.de< Sie klickte auf Nachrichten und stellte fest, dass sie noch keine Antwort von Sinah erhalten hatte. Aber wie seltsam: auch die anderen Nachrichten von Sinah waren aus ihrem Posteingang verschwunden. Line klickte auf >deine E-Mailfreunde<. Ein Satz sprang ihr Sofort ins Auge. „Du hast leider noch keine E-Mailfreunde“
Line verstand die Welt nicht mehr. Wieso hatte Sinah ihre Freundschaft gekündigt? Sie wollte diesem dämlichen Tag ein schnelles Ende setzen. Deshalb lag sie schon sehr früh in ihrem Bett und versuchte einzuschlafen. Auf ihrem Nachtschrank lag der Metallring. Line knipste ihre Nachttischlampe an und nahm den Gegenstand. Gedankenverloren ließ sie ihn zwischen den Fingern kreisen. Was hatte es wohl damit auf sich. Sie würde Ingas Vorschlag annehmen und mit ihrer besten Freundin zusammen einen Juwelier um Rat fragen. Line schloss die Augen und sofort blickte sie ihn Lucas Gesicht. Seine keck funkelnden Augen strahlten sie an. Sie würde zulassen, dass der Ring ihr Glück bringen konnte. Das war sie Luca schuldig. „Ave Maria Gratia“, verkündete der alte Mann hinter dem Tresen in dem Juweliergeschäft freudestrahlend, so als erwarte er von den beiden Mädchen mindestens einen kleinen Applaus. Doch Line und Inga hatten kein Wort verstanden. Also erklärte es der grauhaarige Mann genauer. „Was ihr hier habt nennt man Ringfibel. Sie stammt vermutlich aus der Zeit vor 1362.“. Lines Herz schlug schneller und schneller. „Und aus welchem Material ist der Ring?“, wollte Line wissen. „Fibel“, verbesserte sie der Mann und wog den Gegenstand in seiner Hand. „Aus Gold“, befand der Mann. „Wahrscheinlich 585er“. Er zog die Stirn in Falten. Er wirkte auf seltsame Weise nervös. „Eigentlich gehört so etwas in ein Museum. Wo habt ihr die Fibel gefunden?“ Line überlegte kurz und sagte dann wahrheitsgemäß am Strand. „Würdest du mir die Stelle auf der Karte zeigen?“, fragte der Mann merkwürdig freundlich, „so ein Fund muss gemeldet werden. Ich werde den Standort an das Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein weitergeben. Archäologen werden nachsehen ob es dort noch mehr zu finden gibt. Vielleicht habt ihr da ja einen richtig bedeutenden Fund gemacht.“ Line und Inga blickten sich an. Damit hatte keines der Mädchen gerechnet. Aber schließlich hatten sie nichts dagegen einzuwenden und so zeigte Line dem Mann den Ort an dem sie auf die alte Fibel getreten war auf der Karte. Sie gab auch ihren Namen und ihre Adresse an, damit sich das Landesamt gegebenen Falls an sie wenden konnte.Die beiden Mädchen wollten sich gerade zum gehen wenden, als der Mann in dieser merkwürdig halb freundlichen halb schleimigen Tonlage fragte, „wollt ihr die Fibel nicht bei mir lassen? Ich gebe sie dann an die Behörden weiter.“ „Nein wir nehmen sie mit“, antwortete Inga energisch, noch ehe Line überhaupt einen Gedanken fassen konnte. „Ich gebe euch hundert Euro“, verkündete der Mann und schien dies für ein unglaublich tolles Angebot zu halten. „Nein Danke“, sagte Inga nun recht schnippisch und während sie Line aus dem Geschäft zog rief ihnen der Mann etwas nach. Es klang wie „tausend“. „Spinnst du?“, fuhr Line ihre Freundin an. „hundert Euro sind doch eine Menge Geld.“ „Dummerchen“, entgegnete die Freundin, „weißt du was das Ding wirklich wert ist? Bestimmt mehr, als dir dieser Schleimbeutel bezahlen will.“ Im selben Moment ging Line auf, dass sie die Fibel sowieso für kein Geld der Welt verkaufen würde. Sie würde sie für immer behalten. Und sie würde ihr Glück bringen, so wie Luca es geschrieben hatte. Line entschuldigte sich bei Inga und war ihr schließlich dankbar, dass sie den Verkauf verhindert hatte. Wenige Tage darauf erlebte Line eine unfassbare Überraschung. Es war früher Nachmittag. Line saß in ihrem Zimmer am Schreibtisch über ihren Schulaufgaben als sie von Ferne ein Motorengeräusch hörte. Line dachte sich nichts dabei. Doch das Geräusch kam immer näher und schließlich klingelte es an der Tür. „Line komm mal schnell“, rief ihre Mutter und an ihrer Stimme konnte Line hören, dass etwas passiert sein musste. Hastig lief Line die Treppe hinunter. An der Tür standen zwei Männer. Der eine war schon älter und leicht gebückt. Der andere, jüngere Mann Trug eine Aktentasche unter dem Arm. Line konnte sehen, woher das Motorengeräusch gekommen war. Die beiden Männer waren mit einem schweren Geländewagen gekommen. Der ältere Mann hielt einen Ausweis in der Hand.
>Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein< stand darauf geschrieben. Die beiden Männer stellten sich als Herr Petersen und Herr Wagener vor. Von eben diesem Landesamt. Sie wären vom Juwelier in der Goethestraße darüber informiert worden, dass
Line eine goldene Fibel gefunden hatte. Lines Mutter blickte ihr Kind entgeistert an. Line holte die Fibel aus ihrer Tasche heraus. Die ganze Situation war ihr sehr unangenehm. Denn sie wusste, ohne eine kleine Notlüge würde sie hier nicht herauskommen. „Den Ring“, begann sie. „Fibel“, verbesserte der ältere der beiden Männer, offenbar der Bruder des Juweliers. „Fibel“, bestätige Line artig, „habe ich neulich am Strand gefunden. Ich habe sie eingesteckt, weil sie mir gefallen hat. Gestern in der Schule habe ich sie Inga gezeigt und diese meinte, wir sollten zu dem Juwelier gehen, weil der Ring vielleicht aus Gold ist.“
Lines Mutter schien die Erklärung alles andere als geheuer zu sein. Doch da waren ja noch die beiden Männer an der Tür, die langsam ungeduldig zu werden schienen. „Und was wollen sie nun von meiner Tochter“, erkundigte sie sich deshalb. „Wir möchten ihre Tochter bitten uns die Fundstelle einmal zu zeigen. Wir prüfen dann ob dort eine Ausgrabung durchgeführt wird. Lines Mutter willigte nach kurzer Überlegung ein, bestand aber darauf ihre Tochter zu begleiten. Mit dem Wagen der Männer fuhren sie bis zu der alten Ruine. Line zeigte den Weg hinunter ans Wasser. „Hier etwa hat der Ring, nein die Fibel“, verbesserte sie sich diesmal selbst, „gelegen. Ich kam gerade vom Schwimmen und bin drauf getreten.“ Die Männer nickten. Sie holten verschiedene Werkzeuge aus dem Wagen und begannen die Stelle sorgsam zu untersuchen. Dabei tauschten sie mehrere male Blicke, sagten aber kein Wort. Ingas Freundin gewann den Eindruck, dass die beiden diese Prozedur nicht zum ersten mal gemacht hatten. Nach beinahe einer Stunde waren die Männer anscheinend fertig. „Tja“, sagte der jüngere der beiden gedehnt. „Hier ist nichts zu finden. Anscheinend wurde die Fibel angespült. Von wo das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.“. An Line gewandt und mit einem breiten Grinsen sagte er, „da hast du Glück gehabt. Du darfst die Fibel sogar behalten.“ Line strahlte und die Männer verabschiedeten sich. Wieder zuhause zeigte Line ihren Fund auch ihrem Vater. Dieser staunte ebenso wie die Mutter. Zwar freuten sich ihre Eltern darüber, dass Line so einen großartigen Fund gemacht hatte. Doch um eine Standpauke kam Line nicht herum. Schließlich hätte der Fund ja noch wesentlich bedeutsamer sein können. Und dass Line dem Juwelier einfach Name und Adresse genannt hatte fanden ihre Eltern auch nicht so besonders gut. Ehe Line schlafen ging berichtete Line noch ihrer besten Freundin von dem Besuch des Landesamtes und davon, dass sie die Fibel behalten durfte. Glücklich schlief sie ein. Luca schien recht zu behalten. Die Fibel brachte ihr tatsächlich Glück.
Vorerst schien es auch so zu bleiben. Der nächste Tag zog heran und begrüßte Line wiederum mit einem warmen Sonnenstrahl. Es war ein gutes Gefühl, als sie ihre Fibel in die Tasche steckte. Sie machte sich auf den Weg zum Anleger. Wie üblich wartete Herr Süders schon. Ob der alte Mann jemals schlief? Die Überfahrt endete wie üblich im Hafen von Hattemarsch und der Bus brachte sie in die Schule. Die ersten beiden Stunden verliefen wie immer. Die Pause nicht ganz. Line stand mit Inga auf dem Pausenhof zusammen als sich Enno Winkler mit wiegenden Schritten näherte. Enno war eine Klasse über Line und Inga. Er war groß, kräftig und er war Stürmer im ersten FC Hattemarsch. Diese Position würde er jedoch nicht mehr all zulange inne haben. Denn vor kurzem war Enno von einem Scout vom HSV angesprochen. Enno sollte zum nächsten Schuljahr auf ein Fußballinternat wechseln. Sein Weg führte direkt in die Bundesliga. Dieser Enno, den alle Mädchen der Schule bewunderten. Dieser Enno kam zielstrebig auf Line zu. „Hy“, begrüßte er die beiden Mädchen. Line und Inga brachten keinen Ton heraus. „ich feiere nächste Woche Dienstag meinen Geburtstag und wollte dich fragen ob du auch kommst. Mein Dad hat das ALL IN klar gemacht. Um 20 Uhr treffen wir uns“ Line hätte schwören können, dass der Junge mit Inga gesprochen hatte. Doch es wurde noch verrückter. Enno blickte Line direkt in die Augen. „Du kannst natürlich auch deine Freundin mitbringen.“ Line nickte. Das war keine Bestätigung, dass sie kommen würde. Es war mehr die Erkenntnis schlagartig hervortrat. Enno hatte tatsächlich sie gemeint. „Also bis dann“, sagte der Junge und verschwand ebenso schnell, wie sein Auftritt begonnen hatte. Line starte ihm entgeistert nach. Sie riss sich erst los, als Inga wild mit den Händen vor ihrem Gesicht herum fummelte. „Hallo, Erde an Line.“ „Was?“, fragte Line. „Ich hab gesagt“, widerholte Inga, „das ist du mega cool! Natürlich gehen wir da hin.“ „Wohin?“, fragte Line, immer noch mehr ab als anwesend. „Na zu der Party. Hey Enno hat dich eingeladen. Dich!“ „Spinnst du“, fragte Line empört. Nicht unbedingt, weil sie Ingas Unterton mit der sie gesagt hatte „dich eingeladen“, durchaus gehört hatte, sondern weil das ALL IN eine angesagte Szenedisko war. Das würden ihre Eltern niemals erlauben. „Sie müssen es ja nicht erfahren, schlug Inga vor. „Die Party findet bei Enno zuhause statt. Um Acht fahre wir zu mir nach hause. Gerade so früh, dass sich deine Eltern keine Sorgen machen müssen. Aber für die Fähre leider schon zu spät. Na was ist?“ Line war noch nicht völlig überzeugt, willigte jedoch ein.
Nach der Schule fuhr Line nach Hause. Tatsächlich hatte ihre Mutter nicht das geringste dagegen einzuwenden, dass Line die Feier von Enno besuchte. „Wir wissen, dass wir uns auf dich verlassen können“, hatte sie gesagt und dann noch hinzugefügt, „Und wenn es neun Uhr wird ist das auch okay. Ausnahmsweise.“ Sie zwinkerte Line zu und das Mädchen musste kräftig schlucken. Schon wieder hatte sie gelogen. Am nächsten Tag sollte Line die Quittung bekommen. Als sie nach der Schule nach Hause kam und die Tür öffnete standen ihre Eltern mit verschränkten Armen im Flur. „Ist was“, fragte Line zaghaft. „Gehen wir ins Wohnzimmer“, sagte der Vater tonlos. „Setz dich“, befahl die Mutter. Die beiden Erwachsenen blieben stehen. Doktor Kautzner hat angerufen. Er war entsetzt, als er deine letzte Mathearbeit kontrolliert hat. Lines Herz plumpste in die Hose. Die Mathearbeit hatte sie völlig vergessen. „Du hast eine glatte sechs“, schaltete sich nun der Vater ein. „Du bist in letzter Zeit mit deinen Schulaufgaben oft in den Leuchtturm gegangen. Offenbar funktioniert das nicht. Du wirst deine Aufgaben von nun an in deinem Zimmer machen. Line versuchte sich gar nicht zu verteidigen. Bis hier hin erschien ihr das ganze noch recht milde. „Ist gut“, sagte sie und versuchte sogleich wieder Pluspunkte zu sammeln. „Ich geh dann mal gleicht auf mein Zimmer und fang an“, sagte sie und wollte auf stehen. Doch ein barsches „Halt“ ihres Vaters ließ sie auf der Couch verharren. Ihre Mutter nahm eine Jeans Hose vom Schrank. Die Hose gehörte Line. Ich wollte heute deine Hose waschen. Lines Mutter griff in die Hosentasche. Und dabei habe ich das hier gefunden. Sie legte das Fährticket auf den Tisch. „Kannst du uns erklären, wieso das Ticket nicht gestempelt ist?“. Line wären sofort mehrere Ausreden eingefallen. Vielleicht war ja der Kontrolleur krank. Doch sie wollte nicht schon wieder lügen. „Also nicht“, fuhr ihr Vater fort. „Soll ich dir sagen, was ich denke? Ich denke, du wolltest das Geld sparen, in dem du dein Ticket nicht vorgezeigt hast. Du weißt, wieso wir dir kein großes Taschengeld zahlen können. Das gibt dir aber noch lange nicht das Recht zu betrügen. „Eine Woche Hausarest“, verkündete ihre Mutter. „Und dein Handy bleibt vorläufig hier. Damit du dich besser auf die Schule konzentrieren kannst.“, ergänzte ihr Vater. „Und was ist mit der Party?“, warf Line ein. Ihre Mutter sah sie lange an. „Wir haben gestern über Vertrauen gesprochen. Du hast unser Vertrauen sehr missbraucht. Natürlich gehst du nicht auf die Feier.“ Line sprang auf. Wütend warf sie ihr Handy auf die Couch und rannte in ihr Zimmer. Das hatte gesessen. Natürlich war Line klar, dass sie einiges falsch gemacht hatte. Doch es war nur eine ganz normale Kurzkontrolle. Dass ihre Eltern wegen der einen Sechs so einen Aufstand machten, dass verstand Line nicht. Und dass sie mit dem Fährticket betrogen hatte stimmte nicht. Doch sie hatte gelogen. Inga spürte sofort, dass etwas mit ihrer besten Freundin nicht stimmte. In der Pause löcherte sie Line so lange, bis die Freundin mit der Sprache herausrückte. „Och Mist. Ich hab mich so auf die Party gefreut.“ „Wenn du nicht kommst, dann geh ich auch nicht.“, verkündete Inga. „Da ist lieb. Aber das ist doch quatsch“, gab Line zurück, „Ich hab Mist gebaut. Das hab ich nun davon. Kein Grund, dass du dir nicht einen schönen Abend machst. Grüß Enno von mir.“
„Aber ich...“, entgegnete Inga. Doch Line meinte es ernst. Und sie ließ nicht locker, ehe ihr Inga versprach, dass sie zu der Party gehen würde. Die Zeit verging quälend langsam. Es war als wäre der Herbst aufgezogen. Die Leichtigkeit des Sommers war dahin. Und dann war er da der Tag. Als sich Line von ihrer besten Freundin verabschiedete und den Bus verließ hatte sie einen dicken Kloß im Hals. Es war einfach nicht gerecht. Line hätte sich vielleicht damit abgefunden. Doch als Herr Süders im Hafen der Hallig festmachte fiel Lines Blick auf ein kleines Ruderboot, dass an einem winzigen Bootssteg lag. Das Boot gehörte den Schepkers. Line wusste, dass die beiden Erwachsenen das Boot schon länger nicht mehr genutzt hatten und auch Johanna fuhr nicht oft mit dem Boot hinaus. In Line keimte ein irrwitziger Plan. Und obwohl sie ganz genau wusste, dass es totaler Wahnsinn war ging sie sehr früh auf ihr Zimmer. Angeblich weil sie müde war. In Wahrheit schlich sie sich heimlich aus dem Haus, kaum als die Dämmerung eingesetzt hatte.
Sie rannte zum Anleger. Sollte sie? Nein! Es war so falsch. Sie wollte. Unbedingt. Konnte sie? Durfte sie? Jetzt erst recht. Egal! Sie löste den Knoten und ruderte entschlossen auf das Festland zu. Als sie den Hafen erreichte war es kurz vor neun Uhr. Line knotete das Boot sorgsam fest und machte sich auf dem Weg zum ALL IN. „Bist du nicht noch etwas zu jung?“, fragte sie ein stabil gebauter Wachmann an der Tür der Disco. Das Mädchen nahm all ihren Mut zusammen und verkündete, „ich bin eingeladen. Leider hab ich mich ein wenig verspätet.“ Den Wachmann schien das nicht zu überzeugen. Erst als Line ihm ihren Ausweis gezeigt hatte ließ er sie in das Gebäude. „Wahnsinn“, schrie Inga gegen die dröhnenden Bässe die durch die Halle hallten. „Wie bist du hergekommen?“ Line winkte ab. „Glaub mir, dass willst du gar nicht wissen.“ Inga schob ihre Freundin an den Tresen. Der Barkeeper sah die Mädchen fragend an. „Was willst du trinken?“ Line zögerte. „Eine Cola bitte.“ „Cola“, wiederholte Inga entsetzt. „Meine Freundin trinkt einen Black Valvat und für mich auch noch einen.“ Line bickte ihre Freundin stirnrunzelnd an. Der Barkeeper stellte zwei Gläser auf den Tresen. Line nippte an einem der Gläser. „Das schmeckt ja widerlich“, prustete sie. Von der Tanzfläche näherte sich Enno. „Hey, cool das du gekommen bist.“ Inga drehte sich um. „Ich geh dann mal“, verkündete sie und zwinkerte Line verschwörerisch zu. „Schönen Abend euch Zweien.“ Enno nickte dem Barkeeper zu. „Nick mach uns mal zwei Champagner.“, sagte er und an Line gewand, „Wollen wir anstoßen?“ Line wollte eigentlich nicht und ihr gefiel auch nicht die forsche Art des Jungen. Der Barkeeper reichte Enno die beiden Gläser. Eines gab Enno Line, die es zögernd nahm. „Auf einen unvergesslichen Abend“, verkündete der Fußballer und
prostete Line zu. Diese nahm. Diese nahm einen Schluck. Der Schaumwein schmeckte auch nicht viel besser. Sie stellte das Glas auf den Tresen. Enno leerte seines in einem Zug. Erlegte einen Arm um Line und schob sie auf die Tanzfläche. „Wollen wir tanzen?“, fragte er und Line fragte sich, wieso er eigentlich stets hinterher fragte. Der Junge führte sie durch den Song und kaum war der letzte Ton verklungen trat er noch etwas näher an Line heran und nahm ihren Kopf mit der anderen Hand. Line wusste schon worauf das hinauslief. Da fiel ihr etwas ein. Die Fibel lag zuhause auf ihrem Nachtschrank. Deshalb lief der Abend ganz anders als sie sich das vorgestellt hatte. Sie stieß den Jungen weg und rannte aus der Disco. Inga hatte gesehen wie Line den Gastgeber weggestoßen hatte. Doch sie war am anderen Ende der Tanzfläche. Keine Chance ihrer Freundin zu helfen oder ihr zu folgen. Line rannte und rannte über die Landstraße durch die dunkle Nacht. Entfernt war das Geräusch eines Motors zu hören. Langsam aber sicher kam es näher. Auf einmal wurde die Dunkelheit von zwei Scheinwerfern grell erleuchtet. Das müde Tuckern des Motors wandelte sich in ein bestialisches Heulen. Lines Körper wurde von einem furchtbaren Schlag getroffen und in den Straßengraben geworfen. Line spürte keinen Schmerz. „Noch mal Glück gehabt, dachte Line und wollte aufstehen. Doch scheinbar hatte ihr Körper nun realisiert, was gerade passiert war. Das letzte, was Line sah waren die Augen von Luca. Dann sah sie nichts mehr. „Was soll den das? Macht das Licht aus“, das waren Lines erste Gedanken. „Sie wird wach“, hörte sie eine Stimme. „Ist ja auch kein Wunder bei dem bekloppten Licht.“ Endlich wurde die Lampe aus ihrem Gesicht genommen und sie erkannte eine ihr unbekannte Frau. Etwas schemenhaft, etwas wie auf einem völlig überbelichteten Foto, aber immer hin. So langsam nahm der Raum um sie Konturen an. Ach und da waren auch ihre Eltern. Und Moment. Ein Polizist. Line verstand rein gar nichts. Wieso stand ein Polizist neben ihrem Bett? „Was ist passiert“, fragte sie und spürte, dass das mit dem Sprechen noch nicht so ganz klappte. „Ganz ruhig“, sagte die komische Frau. „Kunststück“, dachte Line, „Ich soll ruhig bleiben und sie halten mir einen Scheinwerfer ins Gesicht. „Du wurdest von einem Auto angefahren“, erklärte ihre Mutter. Schlagartig kamen Bilder in Lines Kopf. Das Ruderboot, die Disco, die Straße. Alles war wieder da. „Es, es tut mir leid“, presste Line hervor. „Psst, alles gut. Du musst jetzt erst mal wieder ganz gesund werden“. „Verdammt! Schimpftt! Meckert! Irgendwas!“ Line wusste, dass sie Mist gebaut hatte. Riesigen verdammten Mist! Der Polizist bat, einige Fragen an Line stellen zu dürfen und nachdem diese signalisiert hatte, dass sie sich dazu in der Lage fühlte begann der Polizist. Line bestätigte, dass sie sich an den Unfall erinnern konnte. Sie hatte ein Auto gehört und beim Umdrehen zwei Autoscheinwerfer gesehen. Sonst gar nichts. Der Polizist zog ab und Line schlummerte ein. Als sie wieder erwachte war der Raum leer. Nicht mal die Frau mit der Lampe war da. Line wollte gerne zur Toilette gehen. Sie versuchte sich aufzusetzen. Doch Fehlanzeige. Irgendwie klappte das nicht. Ihre Beine wollten nicht wie sie. Das Mädchen entdeckte einen roten Knopf neben ihrem Kopfkissen. Sie drückte darauf. Bald darauf kam eine Krankenschwester. Line sagte, dass sie zur Toilette müsse und erst jetzt realisierte das Mädchen, dass neben ihrem Bett ein Rollstuhl stand. Mit ein paar gekonnten Griffen buxierte die Schwester das Mädchen in den Rollstuhl und nachdem Line fertig war legte sie sie wieder in das Bett. Und erst jetzt wurde Line allmählich klar, was passiert war. Genau in dem Moment, als in ihrem Kopf die unheilvolle Befürchtung aufstieg kam die Frau mit der Lampe zur Tür herein. „Hallo Line“, begrüßte sie das Mädchen freundliche. „Ich muss mit dir reden! Darf ich mich setzen?“ Line nickte. Die Frau im Kittel nahm auf dem Stuhl gegenüber des Bettes Platz. Sie war recht schlampig gekleidet. Die beiden Knöpfe an ihrem Ärmel waren offen. „Bei dem Unfall wurde deine Wirbelsäule verletzt. Deshalb kannst du deine Beine nicht bewegen. Wir haben ein MRT gemacht. Und leider muss ich dir sagen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sich dein Zustand bessern wird. Es tut mir leid.“
„Heißt, heißt das?“ Im Gesicht der Frau konnte Line die Antwort lesen, ehe sie sie aussprach. Sie war gelähmt. Der Piper in der Tasche der Bekittelten rief sie zu ihrem nächsten Einsatz und bevor sie ging versuchte sie Line noch aufzumuntern. „Kopf hoch. Das Leben geht weiter.“ Ehe sie den Raum verließ nahm sie noch eine Spritze aus ihrer Tasche und drückte den Inhalt in das Infusionssystem, dass in Lines Vene endete. „Was für ein dämlicher Spruch“, dachte Line und während sie im Bett lag schossen ihr tausend Dinge durch den Kopf. Wie sollte sie in den ersten Stock in ihr Zimmer kommen. An die Kuppel des Leuchtturms war gar nicht zu denken. Auch die Räume in der Schule waren auf Drei Stockwerke verteilt und einen Fahrstuhl gab es nicht. Mit Inga in ihrem Zimmer quatschen? Wie? Morgens zur Ruine gehen und im Meer schwimmen? Keine Chance! Es war vorbei! Line kroch unter der Decke hervor. Unter großer Mühe zog sie ihren Körper auf den Rollstuhl. Nein! So wollte sie nicht... Sie würde es nicht weit haben. Das Fenster stand offen. Es war schließlich warm draußen. Line zog sich am Fensterrahmen hoch bis sie stand. Sie musste sich nur nach vorne beugen. Ein Augenblick. Erlöst. Die Tür ging auf. „Hey Line. Moment, was hast du denn vor?“, das war Inga. Line verlor den Halt und krachte rücklings zurück in den Rollstuhl. „Wolltest du dich gerade? Inga hielt die Hand vor den Mund um ihren Gedanken nicht auszusprechen. „Ich wollte frische Luft schnappen“, entgegnete Line. „Hilfst du mir?“, fragte sie und deutete auf das Bett. Inga half Line und als diese wieder sicher unter der Decke angekommen war setzte sich Inga neben sie. „Hör mal, es tut mir leid. Ehrlich. Ich hätte dich nicht drängen dürfen zu dieser bekloppten Party zu gehen.“ Line sah ihre Freundin ernst an. „Es war meine verdammte Entscheidung und ich muss nun damit leben. Du hast keine Schuld.“ „Trotzdem“, erwiderte Inga. „Hör auf“, wies sie Line zurecht. Das Mädchen streckte die Arme aus. „Halt mich fest!“ Line und Inga lagen sich in den Armen. Über Lines Gesicht kullerte eine Träne. „Ich hab so eine scheiß Angst.“ „Ich bin immer für dich das“, beschwor Inga und drückte ihre Freundin noch etwas fester an sich. „Ich lass dich nicht im Stich. Und zu zweit schaffen wir das. Das schwöre ich.“ Inga hielt Wort. Doch das Schaffen war gar nicht so einfach. Da Line bei dem Unfall abgesehen von dem Wirbelsäulentraum keine größeren Verletzungen davon getragen hatte würde ihr Krankenhausaufenthalt nicht all zulange ausfallen. Doch bekanntlich sind die Tage im Krankenhaus zäh. Line wurde in dem Rollstuhl von einer Untersuchung zu nächsten geschoben. Zwischendurch hatte sie Physiotherapie. Diese sollte wohl nur den winzigen Keim Hoffnung am Leben erhalten, dass Line irgendwann ihre Beine wieder benutzen konnte, knetete man nur lange genug an diesen. Doch Line hatte die Hoffnung begraben. Ihr Leben hatte sich einschneidend verändert und sie würde kämpfen müssen um mit diesen Veränderungen klar zu kommen. Das war ihr ganz schnell klar geworden. Und so versuchte sie sich mit dem Rollstuhl so gut es ging zu arrangieren. Die Langeweile im Krankenhaus wurde nur unterbrochen, wenn ihre Eltern oder Inga zu Besuch kamen. Lines Freundin wäre am liebsten nicht mehr von Lines Bett gewichen. Doch Line hatte ihr schnell klar gemacht, dass sie ihr Leben nicht aufgeben durfte und dass es natürlich völlig okay war, wenn Inga ihre Nachmittage auch mal außerhalb des Krankenhauses verbrachte. Nicht, dass sich Line nicht über die Besuche ihrer besten Freundin gefreut hätte, doch es war ihr verdammter Fehler gewesen und sie musste dafür gerade stehen. Nicht Inga. Die Langeweile wurde etwas erträglicher, als Lines Eltern ihrer Tochter ihr Handy brachten. Doch zunächst passierte etwas ganz komisches. Line wollte das Gerät nach langer Zeit zum ersten mal wieder einschalten. Einerseits wollte sie ihrer Freundin einen Gruß schicken. Andererseits wollte sie Inga darum bitten ihr die Aufgaben aus der Schule zu schicken. Sie wollte unbedingt wieder etwas tun. Nachdem Line den Einschaltknopf des Telefons gedrückt hatte passierte. Nichts. Der Bildschirm blieb schwarz. Doch dann kam Leben in die Angelegenheit. Der Bildschirm wurde Blau und unzählige Zeichen wälzten sich in rasender Geschwindigkeit über die Anzeige des Gerätes. Es war stets die Ziffer Null, ein X gefolgt von einer dreistelligen Zahl, ein Komma und dann wieder das Selbe. Line hielt das Gerät irritiert in der Hand und wusste nicht, was sie machen sollte. Doch nach vielleicht fünf Minuten war das Spektakel vorbei und die normale Oberfläche des Gerätes erschien. Verwundert nahm Line diesen „Fehler“ hin und hoffte, dass ihr Telefon jetzt nicht den Geist aufgab. Und noch etwas geschah, womit Line überhaupt nicht gerechnet hatte. Ihre Eltern waren gerade bei ihr zu Besuch, als der Polizist erschien, mit dem Line bereits gesprochen hatte. Er berichtete, dass man den Fahrer des Autos ermitteln konnte, das Line angefahren hatte. Line konnte es nicht glauben. Es war Enno. Zwar hatte er sie in der Diskothek bedrängt. Doch wieso sollte er ihr mit einem Auto nach gefahren sein? Mit welchem Auto überhaupt? Line wusste, dass Enno gerade erst den Führerschein gemacht hatte. Doch er besaß kein eigenes Auto. Er durfte lediglich in Begleitung seiner Eltern mit deren Wagen fahren. Doch der Polizist ließ keinen Zweifel offen. Er zeigte ein Blitzerfoto vor auf dem eindeutig zu sehen war, dass Enno der Fahrer war. Er war mit Einhundertfünfundvierzig km/h auf der Landstraße gefahren. Der Blitzer befindet sich nur einen Kilometer von dem Ort entfernt wo man dich gefunden hat. Die Spuren im Wagen und auf der Straße sind eindeutig. Der Junge muss das Auto aufgebrochen haben und hat dich angefahren. Es gibt keine Bremsspuren auf der Straße. Das macht die Sache ziemlich einfach. In zwei Wochen findet der Prozess statt. Line war geschockt. „Und warum soll er das getan haben“, fragte Lines Vater, der Enno aus den Erzählungen seiner Tochter kannte. „Zeugen haben beobachtet, dass der junge Mann ihre Tochter in der Diskothek bedrängt hat. Du hast ihn dann stehen gelassen“, sagte er an Line gewandt. Diese nickte. „Offenbar hat er die Abfuhr zum Anlass genommen und ist durchgedreht.“ Line konnte bestätigen, dass Enno sie bedrängt hatte. Doch sie stellte klar, dass sie nicht glaute, dass der Junge sie angefahren hatte, obgleich alles dafür sprach. Den Polizisten beeindruckte das wenig. Die Ermittlungen waren abgeschlossen. Der Täter gefunden. Und obwohl dieser beharrlich leugnete war eine Verurteilung bei dieser Spurenlage reine Formsache. „Ich gehe mal davon aus, dass du nicht vor Gericht erscheinen musst“, sagte der Beamte und verließ mit einem Nicken den Raum, nicht ohne noch „alles Gute zu wünschen.“ Enno wurde zu zwei Jahren Haftstrafe verurteilt. Da der Junge noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war setzte der Richter die Strafe zur Bewährung aus. Der Schulleiter von Lines Schule bekundete in einem Brief sein Mitgefühl. Das das nach nun mehr einem Monat eigentlich etwas spät war gehört zu den Nebensächlichkeiten. Denn in dem Brief wurde wiederum mitgeteilt, dass der „Täter“ natürlich umgehen der Schule verwiesen wurde. Line konnte sich das nicht vorstellen. Plötzlich auf eine andere Schule zu gehen musste furchtbar sein. Und da sie nach wie vor nicht daran glaubte, dass Enno sie angefahren hatte, empfand sie eigentlich sogar Mitleid für den Jungen. Doch schon bald sollte sie dessen Schicksal teilen. Natürlich konnte Lines Leben nach ihrer Entlassung nicht einfach so weiter gehen. Ihre Eltern hatten einen Internatsplatz in einer Schule gefunden, die für Rolliefahrer ausgestattet war. Dort würde Line leben müssen, bis sie ihren Schulabschluss gemacht hatte. Wie es danach weiter ging würde man sehen müssen. Das Internat lag zweihundert Kilometer von ihrem zuhause entfernt. Es würde sehr sehr schwer werden, mal eben nach Hause zu fahren und obwohl ihre Eltern versprachen sie so oft es ging zu besuchen, war Line völlig klar, dass sie von nun an alleine war. Sie wurde am Freitag entlassen und am Montag sollte ihr erster Tag in der neuen Schule sein. Line bat darum, den Samstag noch einmal auf ihrer Hallig zu verbringen und die Eltern erlaubten es. Inga begleitete ihre Freundin auf der Rungholdtfähre und schob sie bis zu Lines Badestelle. Die beiden Mädchen setzten sich in den Sand und Line blickte wehmütig hinaus auf das Wasser. Wie gerne wäre sie einfach davon geschwommen. Dem Schicksal davon. Doch ohne Beine? War Mist. Einfach Mist. Eine kleine Träne kullerte über Lines Wange. Doch der kräftige Küstenwind trocknete ihr Gesicht schnell. Als die beiden zurück auf dem Weg nach Eckwardswarft machten kam ihnen der alte Herr Süders entgegen. Er wirkte heute noch etwas gebrächlicher als sonst. „Moin Kleen“, begrüßte der alte Mann Line, „schöner Tag heute.“ Das Mädchen musste lachen. Das tat so unglaublich gut. Endlich mal kein „Oh weia, das tut mir aber so leid du arme arme Line, was hast du doch für ein schlimmes Schicksal.“ Herr Süders hatte recht. Es war ein schöner Tag. Vielleicht der erste seit langem. Und definitiv nicht der letzte. In diesem Moment kam Line eine Idee. Der alte Mann war in seinem langen Leben weit herum gekommen und hatte sicherlich auch schon ziemlich alles gesehen. Line hole die Fibel aus ihrer Tasche und zeigte sie dem Alten. Auf einmal war Herr Süders wieder ein junger Mann. So schien es zumindest. Ein Feuer in seinen sonst so müden Augen besah sich Lines Fibel. „Du ahnst gar nicht, was du da gefunden hast“, begann der alte Mann und Line hörte etwas in seiner Stimme, was sie so noch nicht kannte. Es war nicht die Stimme, mit der der alte Mann dem kleinen Mädchen eine Geschichte erzählte. Es klang eindringlich und unglaublich wichtig. „Dies hier ist der Schlüssel zu einer längst vergangenen Zeit. Pass gut darauf auf.“ Line wollte wissen, was das alles bedeuten sollte. Doch der Alte winkte ab. „Wenn die Zeit reif ist, wirst du es wissen“. Er drehte sich um ohne ein weiteres Wort zu sagen und verschwand. Der Abschied am Fähranleger fiel Line unfassbar schwer. Sie hatte so eine Angst ihre beste Freundin, die ihr soviel Halt gab für immer zu verlieren. Sie weinte bitterlich. Doch Moment. Wieso war Inga so cool? Wieso schien ihr das Ganze gar nichts auszumachen? Was war denn nur los? Line verstand gar nichts mehr. Vergnügt ging die Freundin auf das Schiff und verabschiedete sich mit einem verwegenen „wir sehen uns.“
Line grübelte den ganzen Sonntagvormittag, während ihre Mutter zu ihrem Leidwesen einen Koffer packte. Line hätte das gerne selber übernommen. Schließlich waren ihre Arme völlig in Ordnung. Doch in diesen Dingen lies ihre Mutter nicht mit sich reden. Mütter bemuttern nun mal manchmal. Ihre Mutter begleitete sie bis zum Zug. Auch Johann war mitgekommen um Line zu verabschieden. Die Mutter erklärte Line zum zweihundertsten mal, dass eine Mitarbeiterin der Schule sie vom Bahnhof abholen würde. Der Abschied fiel kurz aus, denn der Schaffner schickte den Zug mit einem lauten Pfiff gnadenlos auf die Reise und so blieb Line gar keine Zeit an Tränen auch nur zu denken. Sie erreichte nach knapp zwei Stunden ihren Bahnhof und tatsächlich. Eine junge Frau kam in das Abteil und begrüßte Line freundlich. Sie schob den Rollstuhl über eine Rampe auf den Bahnsteig. Ein junger Mann war dazugekommen und hatte den Koffer getragen. Obwohl die beiden recht freundlich waren war für Line alles einfach nur grau. Die Häuser der Stadt, die Menschen, die Bäume, die Vögel, die Straßen, einfach alles. Das änderte sich erst, als ihre Begleiterin ihren Rollstuhl vor einer rotbraunen Holztür zum stehen brachte. „Herzlich willkommen bei uns“, begrüßte sie Line überschwänglich, obwohl sie ja bereits die letzte Stunde mit Line zusammen im Auto gesessen hatte. „Ich geh mal schnell gucken, wo Karsten mit deinem Koffer bleibt“, verkündete die Frau und fügte noch an, „du kannst ja schon mal reingehen und es dir bequem machen.“
„Haha“, dachte Line, „ich würd' ja gerne reingehen.“ Im Krankenhaus hatte das Mädchen gelernt gut mit dem Rollstuhl umzugehen und so war es kein großes Problem den Rollstuhl so in Position zu fahren, dass sich die Tür öffnen ließ. Line rollte in den Raum und ihr Herz blieb urplötzlich stehen. Unfähig den Mund zu schließen starrte sie in das Zimmer. Der Raum war klein. Rechts und Links ein Schrank und ein Bett. Vor dem Fenster ein Schreibtisch. Und auf dem rechten Bett saß… Konnte das war sein? Line träumte. „Nun mach mal den Mund zu“, begrüßte sie Inga mit einem fröhlichen Grinsen. „ihr kommt spät.“ „Wow!!!“, etwas anderes fiel Line nicht ein. „Wow! Aber Warum? Wieso? Warum?“ „Na hast du gedacht, du kannst einfach so in die große Stadt abhauen und mich in dem Kaff zurücklassen? Nix! Ich komme natürlich mit.“ Die beiden Mädchen lagen sich in den Armen und heulten. Line schwor sich, dass sie Inga diesen Freundschaftsdienst nie vergessen würde. Nun war es so einfach. In der neuen Klasse hatte sie gleich eine gute Freundin, neben der sie sitzen konnte und die die Mitschüler mit brachialer Gewalt zurechtwies, wenn diese schlecht über ihre Freundin sprachen. Line war nun nicht mehr allein und auf einmal war die Stadt auch nicht mehr grau. Vor den beiden Mädchen lag ein gewaltiges Abenteuer, dass nur echte Freundinnen bezwingen konnten. Als sie es schließlich ein Jahr später bezwungen hatten hielten beide stolz ihren Zehnte-Klasse-Abschluss in den Händen. Die Wege der beiden Mädchen sollten sich nun trennen. Zu mindestens halbtags. Line hatte einen Ausbildungsplatz als Journalistin bekommen. Das war mehr Notgedrungen. Line hatte kein spezielles Interesse an diesem Beruf gehabt. Doch die Radaktion lag günstig, hatte einen Fahrstuhl und Line konnte am Schreibtisch arbeiten. Als Rollifahrer musste man eben Abstriche machen. Inga lernte Bürokauffrau. Von Ihrem Ausbildungsgehalt und Ingas Bafög hatten sich die zwei eine kleine, barrierefreie Wohnung gemietet. Ach ja und dann gab es da noch Sascha. Der junge Mann wohnte im Erdgeschoss gleich gegenüber der Mädchen WG und war ein bisschen Lines Freund und ein bisschen mehr Ingas. Er war einige Jahre älter als die beiden Mädchen und hatte er gerade Zeit kam er gerne herüber und trank mit Line Kaffe und unterhielt sich mit ihr über dies und das. Doch saß Line gerade vor ihrem Computer und schrieb einen Artikel so war es schon oft vorgekommen, dass sich Sascha und Inga Arm in Arm verabschiedeten um ins Kino zu gehen. Line fehlte das nicht. Sie lebte dafür eines Tages eine richtig gute Journalistin zu werden. Und überhaupt im Rollstuhl war das nicht so einfach. Mit Jungs. Und überhaupt. Wieder neigte sich der Sommer seinem Ende zu. Bald würde der Herbst ins Land ziehen. Doch es schien, als wollte der Sommer die Bühne noch eine Weile für sich in Anspruch nehmen. Es war warm und sonnig und Lines Tag begann, genau wie jeder ihrer Tage begann. Um zwanzig vor sieben klingelte ihr Wecker und wurde mit einem launischen Brummen gegen vom Nachtschrank geschmissen. Zehn Minuten später klingelte der Wecker erneut doch Lines Hände tasteten vergebens nach dem Störenfried. Genervt wuchtete Line sich aus ihrem Bett in den Rollstuhl. In Zeitlupe rollte sie ins Bad und wunderte sich, wieso ihre Freundin dort wo noch am Tage zuvor der Spiegel hing, das Bild einer Vogelscheuche aufgehangen hatte. Sie wusch sich, kämmte ihre zerzausten Haare und putzte die Zähne. Dann ging es wieder zurück in das Schlafzimmer wo sie sich anzog. Mit dem Aufzug ging es hinunter ins Erdgeschoss. Gleich gegenüber befand sich der >Kaffepott<, ein kleines Cafe, dass Antonio gehörte. Line rollte zur Ampel und ärgerte sich wie immer über die viel zu kurze Grünphase. Vor dem Cafe standen einige Tische und Stühle für die Kunden die ihren Kaffe lieber sitzend zu sich nahmen. Stets gab es einen besonders zuvorkommenden Menschen, der von seinem Tisch aufstand, damit Line mit ihrem Rollstuhl an ihm vorbei kam. Das Mädchen hasste das. Sie wollte von niemandem abhängig sein. Sie kam sehr gut alleine zurecht. Ihr ärgert verflog aber sofort, denn Antonio begrüßte sie stets mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen und mit dem beinahe überzeugend italienischen Satz „Ciao bella Seniorita, wie immer?“. Wie immer das hieß ein Coffe to go und zwei Croissant. Line verstaute alles in der Tasche ihres Rollstuhls. Dann beeilte sie sich zur Bushaltestelle zu kommen und mit dem Bus ging es in die Redaktion. Immer etwas zu spät trat Line den Rückweg an und immer nahm sie einen riesigen Stapel Arbeit mit nach Hause. Wenn Inga da war aßen die Freundinnen zusammen. Manchmal bestellte Line sich auch einfach eine große Pizza. So waren ihre Tage. Immer. Außer Dienstags. Dann bekam Line am späten Nachmittag eine Spritze bei ihrem Arzt. Das Mittel das ihr Arzt ihr verabreichte wirkte für oder gegen irgendetwas und es war ungeheuer wichtig, dass es Line einmal die Woche bekam.
Lines Leben war völlig regelmäßig. Es gab nur wenig Platz für Überraschungen. Doch das sollte sich ändern. Eines Morgens erwachte Line und noch ehe der neue Tag einen Begrüßungssonnenstrahl durch das Fenster schicken konnte spürte es das Mädchen ganz deutlich. Da war es wieder. Dieses Gefühl. Sie hätte nicht beschreiben können, was es war, das sie so verunsicherte. Doch sie war sich sicher. Hier stimmte etwas überhaupt gar nicht. Und noch während sie sich auf den Weg zur Arbeit machte wurde ihr bewusst, dies würde auf jeden Fall wieder einen dieser Tage geben. Kaum hatte sie die Wohnungstüre hinter sich geschlossen ging es los. Der Aufzug befand sich im obersten Stockwerk. Ehe er bei Line angekommen war verging eine gefühlte Ewigkeit. Kaum hatte Line die Ampel erreicht um auf die andere Straßenseite zu gelangen schaltete diese auf Rot. Line überlegte kurz, ob sie einfach wieder umdrehen sollte. Sie würde ihren Chef anrufen und verkünden, dass sie heute nicht käme, da sie von einer komischen grauen Pechwolke verfolgt wurde. Die Ampel bequemte sich tatsächlich dann doch die Farbe zu wechseln. Kaum hatte Line ihr Stammcafé betreten spürte Line, wie das Gefühl stärker und stärker wurde. „Oh ja“, dachte sie, „hier stimmt etwas überhaupt gar nicht“. Sie war schon oft in Antonios Laden doch an diesem Morgen fühlte sie sich seltsam vertraut und geborgen. Es war ein bisschen als würde sie nach Hause kommen. Was war denn heute bloß los mit ihr? Vor ihr hatte sich eine kleine Schlange gebildet.
Doch Antonio bediente seine Kunden stets flink. Line frohlockte. Nur noch ein Kunde vor ihr. Ein Mann. Schwarze Mütze bis weit in den Nacken. Da war es wieder, dieses Gefühl. Oder war es Wut? Der Mann ließ sich unendlich fiel Zeit. Er wählte einen Coffe to go mit laktosefreiem Milchschaum aber ohne Zucker und ein belegtes Brötchen ohne Tomate, dafür aber mit einer Gurke extra und schließlich noch ein Schokobrötchen. Wie seltsam! Wieso glaubte Line den Mann zu kennen. Leider zeigte er kein gesicht sondern verließ eilig nachdem er alles bekommen hatte das Cafe. Ehe Line an der Reihe war und ihr >Wie immer< verstaut hatte waren viele Minuten vergangen. Kaum hatte sie Antonios Laden verlassen sah sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Bus. Den Bus! Ihren Bus! „Mist“, fluchte sie. Die Redaktion lag ungefähr anderthalb Kilometer entfernt. Das würde sie gerade noch schaffen, befand das Mädchen und machte sich auf den Weg. Kaum hatte sie ihren Schreibtisch völlig außer Atem erreicht verkündete ein Kollege, dass sie schnell zum Chef kommen sollte. Line vermeinte in dem Gesicht des Kollegen ein schiefes, gehässiges Grinsen auszumachen. „Ich habe eine gute Nachricht für Sie“, wurde Line von Ihrem Chef freudestrahlend begrüßt. „Sie haben doch schon oft um eine Außenrecherche gebeten und nun habe ich genau das richtige für Sie.“ Lines Augen glitzerten. Sollte das doch noch ihr Tag werden? „Sie fahren an die Küste in einen Ort namens“, der Chef blätterte in einem Wust von Unterlagen, „Hattemarsch. Dort hat ein neues vier Sterne Hotel eröffnet. Sie testen das mal. Barrierefreiheit, Service und so weiter und so weiter und machen einen Bericht daraus. Am besten mit ein paar Fotos.“ „Okay, dann wird es halt nicht mein Tag“, dachte Line und zu ihrem Chef gewandt, „Ich werde mein bestes geben.“ Er reichte ihr eine Mappe in der sich alle Informationen, die Reservierung für das Zimmer und ein Zugticket befanden. Ein Blick sagte, „Alles besprochen. Nun dürfen sie mein Büro wieder verlassen. Line setzte noch ein mal ihr Geschäftslächeln auf und schloss die Bürotür. „Na toll!“, dachte sie und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie öffnete die Webseite des Hotels. Sah gar nicht schlecht aus. Swimming Pool, Sauna, Park, zwei Restaurants. Line klicke auf den Menüpunkt >unser Team<. Augenblicklich hörte ihr Herz auf zu schlagen. Unter dem Bild stand >Auszubildender Service<. Line hatte das Bild nie vergessen können. Es hatte sich in ihrer Gedankenwelt zementiert und nun war es wieder da. Enno. Line musste mit ihrem Chef reden. Kaum hatte sich das Mädchen in den Rollstuhl gesetzt flog die Tür des Büros auf. „Was machen sie noch hier? Fahren sie nach hause und packen sie. Sie müssen morgen früh raus.“ Kaum hatte der Chef diese Worte gesagt war er auch schon zur Türe hinaus und auf dem Weg zu seinem Auto das in der Tiefgarage parkte. Line sah noch in die Richtung, aus der ihr der Satz entgegengeflogen war, als ihr Chef schon längst hinter seinem Lenkrad saß. „Aber selbstverständlich“, dachte Line und verfluchte den Tag an dem sie beschlossen hatte für diesen Typen zu arbeiten. Sie machte sich auf den Weg nach Hause und wie als hätte ihr Schicksal heute schlecht geschlafen fuhr ihr auch der Bus nach Hause direkt vor der Nase weg. Und so musste sie wieder den anstrengenden Weg nach hause Rollen. Sie kam an einem Reisebüro vorbei. Ein jüngerer Mann wurde gerade von einem etwas weniger jungen Mann beraten. Der junge trug Mütze, der alte Schal. „Und das im Sommer“, dachte Line und stellte sich vor jetzt einfach in das Reisebüro zu gehen und eine Reise auf eine ganz einsame Karibikinsel zu buchen. Nur für sie. Na gut und für Inga. Die vier Sekunden Tagtraum hatten Line gut getan und sie erreichte völlig außer Atem ihre Wohnung. Nun hieß es packen. Günstigerweise hatte Inga die Koffer hoch auf den Schrank geräumt. Das konnte Line vergessen. Kurzentschlossen klingelte sie an der Tür von Sascha. „Hey“, begrüßte sie ihn, „sag kannst du mir helfen? Ich verreise morgen und die Koffer sind oben auf dem Schrank.“ Sascha runzelte die Stirn. „Wieso verreist du? Wohin?“ Line erklärte es ihm. Während er den Reisekoffer vom Schrank wuchtete verkündete er „ich komm einfach mit.“ „Wie jetzt“, fragte Line. „Ich sag meinem Chef, dass ich ein paar Überstunden ab bummeln will. Ich meine 4 Sterne Hotel!“ Gesagt getan. Inga gefiel das ganze zwar überhaupt nicht. Sie wäre gerne mitgekommen. Nicht zuletzt war sie doch ein bisschen eifersüchtig. Ihre beste Freundin fuhr mit ihrem Freund in den Urlaub und sie musste zuhause bleiben. „Ich hab keinen Urlaub“, hatte Line sie zu beruhigen versucht, „ich muss arbeiten.“und Sascha schläft am anderen Ende vom Hotel.“ Doch Inga schmollte noch, als Line sich am nächsten Tag auf den Weg machte. Sascha half ihr und schon bald flog die Landschaft an den beiden vorbei. Line fühlte sich ganz merkwürdig. Auf der einen Seite war es fast als würde sie nach Hause kommen. Auf der anderen Seite fuhr sie an den Ort, den sie vor über einem Jahr aus gutem Grund verlassen hatte. Der dumme Rollstuhl erinnerte sie jeden Tag daran.
Hattemarsch hatte sich kaum eigentlich überhaupt nicht verändert. Das dachte Line zumindest als Sascha sie aus dem Bahnhofsgebäude schob. Ihr Eindruck änderte sich schnell. Die beiden erreichten die Hafenpromenade. Zwischen die schönen alten Häuser hatte man einen dunkelgrauen Klotz gestellt. Die Front bestand aus einer einzigen großen Glasscheibe. Sicherlich würde das Ding zum Meer hin genauso aussehen. Unfassbar, dass so etwas erlaubt war. Aber Line war schon klar, wo Geld im Spiel war wurde im Zweifel jede Sauerei unter den Tisch gekehrt. Die beiden checkten ein und Sascha brachte Line noch zu ihrem Zimmer. Sie verabredeten sich zum Mittagessen im Hotelrestaurant. Line öffnete die Zimmertür. Der Schlitz für die Türkarte war praktischerweise etwas tiefer angebracht sodass Line gut herankam. Die Tür öffnete automatisch und kaum hatte Line ihren Rollstuhl über die Schwelle bugsiert schaltete sich das Licht automatisch ein. „Das war gar nicht schlecht“, befand Line und zog sich an einem Haltegriff hoch um sogleich in das riesige Bett zu fallen. Der Auftrag gefiel ihr immer besser. Das Essen im Restaurant erwies sich als hervorragend, obgleich die Aussicht genau so war, wie Saschas Nachbarin erwartete hatte. Postkarten Ansicht. Für Leute die zwei Wochen im Jahr am Meer verbringen sicherlich nicht verkehrt. Nach dem Essen zog sich Line in ihr Zimmer zurück um ihre ersten Eindrücke niederzuschreiben. Ihr Begleiter zog es vor zu einem längeren Spaziergang aufzubrechen. Man könne sich ja zum Abendessen wieder treffen. Line war schnell fertig mit der Arbeit und da es ihr schließlich auf dem Zimmer zu langweilig wurde beschloss sie ein bisschen durch das Hotel zu stromern Dank der vielen Fahrstühle würde sie überall gut hinkommen. Sie landete im Spa-Bereich, stellte fest, dass dieser am frühen Nachmittag aus ungeklärter Ursache unbesetzt war und so entschied sie zur Rezeption zu fahren. Sie wollte sich auf einen der bequem anmutenden Sessel im Eingangsbereich setzen und ein wenig spionieren. Vielleicht konnte sie die Gespräche der anderen Gäste belauschen und einiges darüber erfahren, was in diesem Hotel vielleicht nicht ganz rund lief. Viele Menschen zogen an Line vorbei. Herren in Anzug mit Aktentasche, Frauen ohne Tasche, dafür aber mit Herr, Familien, Kinder. Line bekam einiges mit. Offenbar war ein Fahrstuhl seit längerem defekt und in einer der Restaurant musste es eine ausgesprochen unfreundliche Bedinung geben. Außerdem hatte sich ein Gast lautstark beim Portier beschwert, dass sein Zimmer nun schon zwei Tage lang nicht mehr gereinigt worden war. Line wollte ihre Lauschaktion gerade beenden um sich auf ihrem Zimmer vor dem Abendessen noch frisch zu machen, als ein Mann das Hotel betrat. Er war hochgewachsen und trug einen faltenfreien Designeranzug. Die gestreifte Krawatte wirke etwas zu bunt und noch etwas war komisch. Statt zum Tresen oder zu den Fahrstühlen zu gehen blieb der Mann am Fenster stehen und starrte auf die Straße. Line rutschte tief in den Sessel, damit der Mann sie nicht bemerkte. Ein weiterer Mann betrat das Hotel. Er war das genaue Gegenteil. Die dunkelbraune Corthose war fleckig und seine Lederjacke alles andere als Design. Die beiden setzten sich genau hinter Line ohne sie zu bemerken. Das war ideal. So konnte das Mädchen alles hören, was die beiden miteinander besprachen.
„haben sie es“, fragte der Anzugträger. „Haben sie mein Geld?“, erwiderte der Gefragte. Line bekam eine Gänsehaut. Was ging denn hier ab? Line hörte ein Geräusch. Offenbar wurde da etwas über den Tisch geschoben. Dann ein Ratsch. Offenbar wurde das Ding aus Papier soeben aufgerissen. „Okay“, kam von der Lederjacke die knappe Bestätigung. „Dann heute Nacht“, wies der Designer an,“ sie besorgen das Boot und wenn wir es finden, dann bekommen sie die zweite Hälfte.“ Die beiden Männer standen auf und verließen das Hotel. „Krass“, dachte Line, „das war ja wie im Film“. Sie konnte sich auf das, was sie gerade gehört hatte überhaupt keinen Reim machen und auch Sascha, dem Line beim Abendessen von ihrem Erlebnis berichtete, war ratlos. Line machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Sie war müde und wollte ins Bett gehen. Spät in der Nach schreckte sie hoch. Was hatte sie geweckt? Durch das Fenster schien grell der Vollmond. Line kletterte aus dem Bett in den Rollstuhl und rollte zum Fenster. Die Nacht war dank der leuchtenden Scheibe am Himmel ziemlich hell. Vielleicht hatte das dazu geführt, dass sie schlecht schlafen konnte. „Blickdichte Vorhänge wären jetzt cool“, dachte Line und wollte sich gerade wieder ins Bett legen, als ein Lichtblitz ihr Auge traf. Dann nach ein paar Sekunden erneut. Line brauchte eine Ewigkeit um zu kapieren, was das war. Der Leuchtturm. Ihr Leuchtturm. Aber nein. Der Leuchtturm leuchtete doch schon lange nicht mehr. Und das Elektrische Seezeichen war doch von Land aus nicht zu sehen. Es sollte doch nur die Schiffe vor dem Flachwasser vor der Hallig warnen. Und dann sah Line noch etwas. Ein ganz schwaches Licht hüpfte über die Wasseroberfläche. Offenbar ruderte da jemand mit zur Hallig. Vielleicht war es auch ein kleines Motorboot. Jedenfalls war das, was das Mädchen da sah die Positionslaterne. Da war sie sich völlig sicher. Sie beschloss wieder schlafen zu gehen. Morgen würde sie ihrer Welt einen Besuch abstatten und mal nach dem Rechten sehen.
Der nächste Morgen begann für Line mit einem ausgezeichneten Frühstück mit frischen Brötchen, Müsli, Marmelade und Orangensaft. Ach ja und natürlich Kaffee. „Hast du gut geschlafen“, wollte Sascha wissen. Erst jetzt fiel Line wieder ein, was sie in der Nacht beobachtet hatte. Der junge Mann war sofort bereit mit Line auf die Hallig zu fahren. Nach dem Frühstück wollten die beiden Aufbrechen. Sascha ging noch einmal zu seinem Zimmer, während Line im Foyer wartete. Um sich die Zeit zu vertreiben nahm sie eine Zeitung von einem der Tische und begann darin zu blättern. Es war die hiesige Lokalzeitung. Sport, Nachrichten, Veranstaltungen. Da! >Verkauf der unbebauten Warft auf Hallig Süderfall genehmigt.< Line überflog den Artikel. Der Besitzer des >Meeresbriese<, dem Hotel in dem sie zur Zeit mit Sascha wohnte hatte die Warft mit der alten Ruine auf der Hallig Süderfall gekauft und auch eine Baugenehmigung erhalten. Der Autor des Artikels äußerte die Vermutung, dass sich das Hotel wohl auf die Hallig vergrößern wollte. Hieß es sollte dort ein neues Hotel entstehen. „Wie bitte“, schoss es in Lines Kopf. Wie konnte man es Wagen ihr Schloss zu verkaufen? Und noch dazu um dort ein Hotel zu bauen. Das konnte einfach nicht stimmen. Lines Blick fiel auf das Foto, das über dem Artikel abgedruckt war. Line erkannte den Mann, der da einem Anzugträger fröhlich lächelnd die Hand schüttelte. Es war Ennos Vater. Line ließ die Zeitung sinken. Sie hätte nicht hier her kommen sollen. Das Mädchen wollte nichts mehr mit all den Leuten zu tun haben. „Das du dich hier her traust!“, schnauzte sie eine Stimme an. Line fuhr herum. Enno. „Hallo Enno“, grüßte sie ihn und versuchte so freundlich wie möglich zu klingen. Der Junge blickte durch sie durch, als wäre sie Luft. „Weißt du eigentlich, wie das war? Ich hatte meinen Vertrag beim HSV schon in der Tasche. Aber dann mit Vorstrafe.“ „Ich habe damals dem Polizisten gesagt, dass ich nicht glaube, dass du mich angefahren hast.“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. „Ach“, fauchte der Junge. „Du hast mein Leben ruiniert. Steh wenigstens dazu.“ „Ich..“, began Line erneut, doch der Junge verschwand mit einem verächtlichen Laut. „Wer war denn das?“, wollte Sascha, der soeben hinzugekommen war, wissen. „Niemand“, entgegnete Line und fügte etwas barsch hinzu, „wollen wir?“
Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl die hochbetagte Fähre zu betreten. Alles war so vertraut. Line rutschte von ihrem Rollstuhl auf die Sitzbank. Sascha setzte sich ihr gegenüber. „Bist du aufgeregt?“, fragte Sascha. „Wieso?“ „Naja, immerhin kommst du mal wieder nach hause.“ Da sagte Sascha etwas. Zuhause? Was war das eigentlich? Line fühlte sich in ihrer WG sehr wohl, doch war sie dort zuhause?
Ihr Blick fiel auf die Zeitschriften, die auf dem Tisch vor ihr auslagen. Ein Flyer lud zu einem Besuch in der Halligkirche ein. Sie öffnete das Faltblatt. Drei Bilder zeigten das Innere der Kirche und gaben kurze Erläuterungen. Line stutzte. Eines der Bilder zeigte ein kleines Relief das in die Wand der Kirche versenkt war. Line erkannte den Schriftzug sofort. >Ave Maria Gratia<. Mit der rechten Hand fasste sich Line an den Hals. Mit ihrem ersten selbstverdienten Geld hatte sie eine versilberte Kette gekauft und einen Juwelier gebeten aus ihrer Fibel einen Anhänger zu machen. Gedankenverloren strich sie über das uralte Metal. Wie seltsam. Die Fähre legte an und Sascha schob Line in Richtung Eckwardswarft. „Line Kind“, rief ihre Mutter begeistert, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Sie rief nach ihrem Mann und dieser war genauso glücklich seine Tochter so unerwartet wieder zu sehen. Sie gingen in die Küche und setzten sich an den Tisch. Lines Mutter hatte zu Mittag gekocht und nun trug sie noch schnell ein Gedeck für ihre Tochter und den jungen Mann auf. Line erkundigte sich, was es neues auf der Hallig gab. Ihre Eltern hatten leider nichts Gutes zu berichten. Herr Süders war mit samt seines Kutters auf See verschwunden. Die Seenotretter hätten einige Tage gesucht und schließlich aufgegeben. Line war geschockt, hatte sie sich dem alten Mann doch immer verbunden gefühlt. Das Gespräch kam schnell auf das Bauprojekt. Lines Eltern hatten natürlich auch schon davon gehört. Es war eine riesige Katastrophe. Sollte wirklich ein Hotel auf der Hallig gebaut werden würde es in direkte Konkurrenz zu den Ferienzimmern der Familie treten. Nach dem Essen wollte sich Line eigentlich zur Halligkirche um sich dieses merkwürdige Relief anzusehen. Als Kind war sie so oft in der Kirche gewesen, doch an den Schriftzug >Ave Maria Gratia< erinnerte sich Line nicht. Doch Sascha wollte sich unbedingt den Leuchtturm ansehen und so musste Line ihren Plan notgedrungen verschieben. Lines Eltern machten sich an die Arbeit. Sie erwarteten am nächsten Tag einen Gast und mussten das Zimmer herrichten. Sascha hatte viele Fragen zum Leuchtturm und wie es war auf einer Hallig zu leben. Die Zeit verging wie im Fluge und auf dem Rückweg verkündete der Junge, dass sie sich beeilen müssten. Bald würde die Fähre abfahren. „Wie jetzt“, fragte Line. „Wir bleiben natürlich. Ich kann doch nicht einfach abhauen, ohne meinen Eltern auf wiedersehen zu sagen. Außerdem will ich mir noch die Kirche ansehen.“ „Aber dein Bericht“, entgegnete Sascha. „Du kannst ja gerne fahren. Ich bleibe“, beendete Line die Diskussion und wunderte sich über ihren Nachbarn. Wieso hatte er es auf einmal so eilig. Und woher war sein Interesse gekommen an dem Halligleben. Dass Line von einer Hallig kam wusste Sascha eigentlich. Irgendetwas war hier ober faul. Lines Eltern hatten natürlich nichts dagegen einzuwenden, dass Line und Sascha einen kleinen Aufenthalt einlegten. „Ihr könnt ja das andere Gästezimmer nehmen“, bot ihr Vater an. Line runzelte die Stirn. „Ich schlafe in meinem Bett“, befand sie und sah wie ihre Mutter hörbar ausatmete. Hatten die echt gedacht, dass sie und Sascha ein Paar waren. Line schlief fantastisch in ihrem alten Bett. So sicher und geborgen hatte sie sich lange nicht gefühlt. Der nächste Morgen begann überraschend. Johanna war zu Besuch gekommen. „Hey“, begrüßte sie Line und lächelte. „Als ich gehört habe, dass du wieder im Lande bist dachte ich mir, ich komme mal 'rum.“ Line freute sich sehr und noch mehr darüber, dass ihre alte Freundin vorschlug einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Das war Line mehr als recht. Johann schob den Rollstuhl und nicht ganz zufällig führte der Weg der beiden Mädchen zur Halligkirche. Die Kirche offen. Seit vielen Jahren gab es nicht mal mehr einen Schlüssel zu dem Gebäude. Doch das war auch nicht nötig gewesen. Niemand klaute hier. Line bat ihre Freundin sie bis zum altar zu schieben. Dort entzündete sie eine Kerze und stellte sie auf das dafür vorgesehene Pult. „Für den alten Süders“, sagte sie und blickte einen Moment traurig ins Nichts, „wo er auch ist“. Sie wandte sich zu Johanna und zeigte ihr den Flyer und erklärte ihr, warum sie hier waren. Johanna fand das ganze sehr spannend und war sofort bereit Line zu helfen. Es dauerte einige Zeit doch schließlich fanden die beiden Das Relief in der Rückwand des Altars. Line nahm ihre Kette ab.
Die beiden Schriften waren sich sehr ähnlich. Line sah genauer hin. Nein die Schriften waren völlig gleich. Auch Johanna war nicht entgangen, dass die Schrift auf Lines Anhänger und die Vertiefungen in der Wand völlig identisch waren. „Soll ich“, fragte Line und Johanna war völlig klar, was gemeint war. „Na klar“, erwiderte sie voller Spannung. Line drückte die Fibel vorsichtig in die Vertiefung. Sie passte tatsächlich wie angegossen. Doch es passierte nichts. Line zog an der Kette doch der Anhänger saß bombenfest und rührte sich keinen Millimeter. „Mist“, rief Line. Auch Johanna versuchte ihr Glück und sie war es auch, die eine winzige Kerbe über dem Relief entdeckte. Das Mädchen drückte mit den Fingern in die Kerbe und die Steinplatte in der sich das Relief befunden hatte bewegte sich ein kleines Stück nach unten. Gleichzeitig fiel Lines Anhänger zu Boden und ein Geräusch war zu hören, so als wäre gerade etwas aufgesprungen. Line und Johanna gingen um den Altar herum. „Krass“, stellte Johanna fest. Line war unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. An der Seite des Altars hatte sich ein kleines Fach geöffnet. Line löste sich aus ihrer Erstarrung und griff hinein. In den Fach lag ein zusammengerollte Bogen Papier. Er war sorgsam mit einer Schnur zusammengebunden. Line nahm das Papier heraus und wie von Geisterhand schloss sich das Fach wieder und verbarg sich zur vollständigen Unauffälligkeit. „Nun mach schon auf“, bat Johanna ungeduldig. Line entfernte vorsichtig das Band und breitete das Papier auf dem Boden der Kirche aus. Es zeigte eine Karte. Die beiden Mädchen waren zunächst ratlos. Auf der Karte war eine Art große Insel zu sehen. „Die Kreise“, grübelte Line, „könnten Warften sein“. „Ja und das Kreuz steht bestimmt für eine Kirche.“ Line zählte die Kreise. „Aber 28 Warften? So eine Hallig gibt es ja gar nicht. Beinahe zeitgleich sprang es den beiden Mädchen ins Auge. Johanna war es die es als erste Aussprach. „Das ist Süderfall vor ganz langer Zeit. Hier die Kirchwarft und hier Eckwardswarft und Süderswarft. Passt genau. Die anderen Warften sind halt mit der Zeit verfallen. „Da“, Line wies auf einen der Kreise. „Da muss die Warft mit der alten Ruine sein.“ „Und was heißt das hier? >Bona depositorium<“, fragte Line. Irgendwie konnten sich bei noch keinen richtigen Reim darauf machen. Sie beschlossen die Karte mitzunehmen. Als Line wieder zuhause ankam saßen ihre Eltern und Sascha schon beim Frühstück. „Hey“, begrüßte er sie, „du bist aber schon früh auf, „Was habt ihr gemacht?“. Line berichtete wahrheitsgemäß, dass sie mit Johanna, einer alten Freundin spazieren war. Den Rest behielt sie für sich. Warum genau sie Sascha nicht ins Vertrauen zog? Das wusste sie selbst nicht so genau. Es war ein unbestimmtes Gefühl. Und Line wusste, auf derlei Gefühle zu hören war im Zweifel nie falsch.
Nach dem Frühstück verabschiedete sich Sascha auffallend schnell von der Familie. Sie müssten die Fähre erreichen. Doch da hatte er die Rechnung ohne Line gemacht. Denn diese dachte gar nicht daran jetzt schon abzureisen. „Gut“, verkündete sie, „ich nehme die letzte Fähre.“ Entgeistert starrte sie der Junge an. Doch jede Diskussion wäre überflüssig gewesen und das wusste auch Sascha. Und so ließ Sascha die Nachbarin alleine und machte sich auf den Weg. Lines Eltern begleiteten ihn. Sie wollten den Gast von der Fähre abholen. Johanna musste zurück zum Hof ihrer Eltern um sich um die Tiere zu kümmern. Und so saß Line schließlich ganz alleine in ihrem Zimmer auf dem Bett und starrte die Karte an. >Bona depositorium<, grübelte Line. Das ganze hatte ihre Neugier geweckt und obwohl es unvernünftig war rutschte Line die Treppe herunter und kletterte in ihren Rollstuhl. Der Weg zu der alten Ruine war sehr beschwerlich. Line kam mit ihrem Rollstuhl kaum voran. Doch nach einer ganzen Weile erreichte sie ihr Schloss. „So und wo ist jetzt dieses Bona despositorium Dings“, dachte Line und blickte sich um. Sie entdeckte nichts. Das lag nicht zuletzt daran, dass sie mit dem Rollstuhl nicht über die groben Steinplatten fahren konnte. Doch Line hatte einen unglaublichen Dickkopf. Von so etwas lies sie sich nicht aufhalten. Sie bremste den Rollstuhl und lies sich zu Boden Fallen. Auf allen Vieren kam sie zwar voran aber diese Gangart war alles andere als komfortabel. Doch vielleicht war genau diese Perspektive ihr Glück. An einem Stein entdeckte Line ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden gut versteckt ein ihr wohlbekanntes Relief. Sie holte ihren Anhänger hervor. Kaum hatte sie diesen in die Vertiefung gesteckt begann ein ohrenbetäubendes Schauspiel. Die Platte auf der Line lag bewegte sich quietschend und ächzend und gab ein Loch frei. Line stürzte hinein und fiel ungefähr ein einhalb Meter tief. Stöhnend blieb sie liegen. „Verdammt“, schoss es ihr durch den Kopf. „Wieso hab ich keinen Zettel hinterlassen?“. Dem Mädchen war völlig klar, dass sie alleine nie aus diesem Loch kommen konnte. Doch das war im Moment nebensächlich. Ein Gang führte in die Tiefe. Er musste vor sehr langer Zeit mühevoll in den Felsen gehauen worden sein. Line robbte voran. Hinter einer Biegung hörte sie plötzlich Stimmen. „Wir müssen vorsichtiger sein. Die Kleine schnüffelt einfach zu viel herum. Was ist, wenn sie alles auffliegen lässt? Dann können wir den ganzen schönen Plan vergessen.“. Das war die Stimme eines Mannes. Line verstand gar nichts mehr. Es war ja schon verrückt genug, dass sich unter der Ruine in der sie als Kind so oft gespielt hatte ein Gang lag. Doch was waren das für Leute, die sich hier unten herumdrückten?
„Sie mit ihrem großartigen Plan“, die Stimme klang etwas jünger, „Es hätte gereicht ihr den Anhänger zu klauen, aber sie, sie mussten sie gleich über den Haufen fahren.“
„Überlegen wir lieber, wie wir die Tür auf bekommen.“, das war die Stimme einer Frau. Plötzlich löste sich aus der Wand hinter der Line lag ein kleiner Stein und fiel mit einem Pling zu Boden. „Was war das“, brüllte eine vierte Stimme energisch. Line zuckte zusammen. Ihr Herz wummerte so laut, dass sie sich sicher war, dass sie vier sie entdecken würden. „Rauskommen“, brüllte die Stimme. Und Line gab auf. Langsam schob sie sich hinter der Steinwand hervor. „Ach ne“, hörte sie die Stimme des Älteren sagen. Line blickte sich um. Vor ihr lag ein Raum er mochte vielleicht drei Meter breit und fünf Meter lang sein. An dem ihr gegenüberliegenden Ende des Raumes befand sich eine Art Tür. Ein Steinquader der in die Mauer eingelassen war. Auf dem Quader war Alphabet in verschnörkelter Schrift gemeißelt. In dem Raum standen vier Menschen. Line war geschockt. Sie erkannte einen der vier sofort. Sascha. „Was machst du hier“, fragte sie verängstigt, „Was ist das hier?“
„Ich kann dir das alles erklären“, stammelte der Junge, wurde aber unwirsch von dem Mann neben ihm unterbrochen. „Halt die Klappe. Wir müssen überlegen, was wir mit ihr machen.“
Line erkannte auch diesen Mann. Sie hatte ihn am vergangenen Tag in der Zeitung gesehen. Es war Herr Winkler, Ennos Vater. Sie blickte in das Gesicht der Frau und plötzlich blitze ein Bild vor ihrem inneren Auge auf. Es war die Frau mit der Lampe. Die Ärztin aus dem Krankenhaus. Auch den alten Mann der in der Ecke stand und vor sich hin stierte kannte Line irgendwo her. Doch im Moment kam sie nicht darauf wer das war. „Eine interessante Truppe“, fand Line und obwohl sie wahnsinnige Angst hatte nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte, „Ich versteh gar nichts. Sascha erklär' mir bitte was hier läuft.“ Der alte Mann, der bis jetzt geschwiegen hatte schaltete sich ein. „Ich finde, sie soll es ruhig erfahren“, stellte er fest und offenbar hatte er genug Autoriät. Denn Sascha begann zu erklären. „Du kennst doch bestimmt die Geschichte von Rungholdt?“ Line nickte, „die untergegangene Hallig die vor anno dazumal so reich war und dann in einer Flut untergegangen ist?“ Plötzlich begriff Line. Die Karte die sich in ihrer Jackentasche befand zeigte das Gebiet von Rungholdt. „Süderfall war früher ein Teil von Rungholdt?“ Sascha nickte. „Die Kleine ist gut“, spottete Herr Winkler. „Während meines Studiums habe ich zufällig Aufzeichnungen gefunden, die belegen, dass es von Süderfall einen Einstieg in ein Gewölbe gibt, dass zur Burg von Rungholdt führen soll. In den Aufzeichnungen ist von einem Archiv die Rede.“ „Und da hast du Herrn Winkler um Geld gefragt. Schließlich ist so eine Schatzsuche nicht billig.“, beendete Line Saschas Gedanken.
„Stimmt. Und als du dann die Fibel gefunden hast und in den Laden von Herrn Maier gebracht hast“. Line begriff, der alte Mann war der Juwelier. „Da musstet ihr natürlich handeln. Weil mein Anhänger mit dem Ganzen irgendwas zu tun hat und ich eure Pläne hätte durchkreuzen können?“
Sascha nickte. „Ich schlug vor, dass man dir den Anhänger einfach zu klauen. Doch Herr Winkler hat sich anders entschieden.“ Line konnte nicht glauben, was sie da gehört hatte. „Sie? Sie haben mich… Und sie haben zugelassen, dass ihr eigener Sohn verurteilt wird.“ „Ach was weißt du schon“, gab Herr Winkler barsch zurück, „Enno wird eines Tages das Hotel erben. Ihm fehlt es an nichts.“
„Und das Bild?“, erinnerte sich Line. Schließlich hatte ihr der Polizist ein Blitzerfoto gezeigt, auf dem Enno zu sehen gewesen war. Ennos Vater lachte. „Photoshop und ein Kerl mit Computerkenntnissen, der bezahlt wurde um seinen Job zu machen.“
„Und sie?“, fragte Line die Frau. „Ich habe mich gut um dich gekümmert. Nach deinem Unfall“. Line lief bei dem kalten Grinsen der Frau ein Schauer über den Rücken. „Ich sitze seit einem Jahr in diesem dämlichen Rollstuhl. Warum Sascha?“ „Sei froh. Du lebst und dank unser Frau Doktor war es einfach dich abhängig zu machen. Und hab ich mich nicht gut um dich gekümmert? All die Monate. Und wenn wir durch die Tür sind und das Archiv von Rungholdt finden… Sei nicht dumm. Das Geld reicht für uns alle.“ Line hatte den letzten Satz überhört. „Ihr habt mich abhängig gemacht?“ Die falsche Ärztin blickte zu dem alten Mann. „Soll ich?“ „Nur zu“, erwiderte dieser. Die Frau holte aus einem Koffer eine Kanüle und zog eine Spritze auf. Jetzt bekam Line richtig Angst. „Was was soll das? Was haben sie vor?“ Die Frau ging einen Schritt auf sie zu und jagte die Spritze in ihren rechten Oberschenkel. „Nach deinem Unfall“, erklärte sie, „hast du dich relativ schnell erholt. Ich habe dir ein Medikament gespritzt, damit du deine Beine nicht mehr bewegen kannst.“ „Die Dienstagsspritze“, begriff Line, obgleich sie das alles, was die vier ihr gesagt hatten nur schwer begreifen konnte. „Ich habe dir gerade das Gegenmittel gespritzt. Eigentlich müsste die Wirkung langsam nachlassen.“ Die Frau Hatte recht. Line spürte ein unglaubliches Kribbeln in den Beinen. Sie versuchte aufzustehen und tatsächlich. Es gelang. Zwar war sie noch sehr wackelig auf den Beinen. Ihre Muskeln mussten sich erst einmal daran gewöhnen, wieder gebraucht zu werden. Doch Es stimmte. Plötzlich zog Herr Winkler eine Pistole aus seiner Tasche. „Schluss jetzt“, brüllte er. „Ich habe endgültig genug. Wir sprengen jetzt die Tür auf, nehmen das was dahinter ist und hauen ab. Dich lassen wir hier.“ Lines Beine zitterten. Ob es die Nachwirkung des Medikaments oder ihre Angst war? Wer weiß? Ihr Blick fiel auf die Steinbarriere und da fiel ihr etwas auf. „Warten sie“, rief sie und wies auf den Quader. „Sascha hilf mir mal.“ Niemand wusste genau, was Line vor hatte. Doch Herr Winkler lies sie gewähren und Sascha stütze Line, da ihre Beine noch sehr sehr schwach waren. Line berührte vorsichtig die erhabenen Buchstaben. Sie waren beweglich. Ganz langsam drehte sie an dem >A< Ein deutliches Klicken war zu hören. Den vier Kriminellen war das nicht entgangen. „Mach weiter“, ermutigte Sascha Line. Und diese tat wie ihr geheißen. Sie drehte der Reihe nach an den Buchstaben des Schriftzuges >Ave Maria Gratia<. Kaum hatte sie das >A< wieder in die Ausgangsstellung gedreht schob sich der Quader beiseite und gab den Blick auf einen riesigen Raum frei. In der Mitte des Raumes befand sich ein durchsichtiges Achteck. Es mochte ungefähr 50 Zentimeter hoch und eben so lang und breit sein. Voller Begeisterung stürzten Herr Winkler und die falsche Ärztin in den Raum und auch der Sascha und er Alte waren wie gebannt. Line erkannte ihre Chance. So schnell sie konnte stolperte sie zum Ausgang. Sie hatte das Loch im Boden schon fast erreicht, als sie Sascha brüllen hörte. „Bleib stehn' verdammt.“ Line dachte gar nicht daran, doch ihre Beine, die im letzten Jahr nicht einen Meter gelaufen waren hatten dem jungen Mann nichts entgegen zu setzen und noch ehe Line das Tageslicht sehen konnte wurde sie gepackt und zu Boden gerissen.
Plötzlich ein Schlag. Ein dumpfer Aufprall, ein Stöhnen. Sascha lag am Boden und Line blickte in das Gesicht von. „Inga? Wie kommst du hier her?“ „Ich dachte mir ich schau aufs Wochenende mal vorbei. Wollte mal sehen, was du mit meinem Freund anstellst. Wie ich sehe, habt ihr euch köstlich amüsiert. Du was geht den hier ab?“ „Das erzähle ich dir später. Wir müssen ganz schnell hier weg.“ Ein Blitz erhellte das Halbdunkel des Ganges. Gefolgt von einem dumpfen Knall. „Halt!“, brüllte Herr Winkler, „Zurück. Beide.“ Line und Inga blieb nichts anderes übrig, als Herrn Winkler in die Kammer zu folgen. „Du machst nur Ärger!“ brüllte der Mann und Line sah in seinem Blick etwas gruseliges. „Damit ist jetzt Schluss. Er spannte den Hahn seiner Waffe und zielte direkt auf Lines Kopf. „Das können sie doch nicht machen“, schaltete sich Inga ein. Doch Line sah in dem Gesicht des Mannes wilde Entschlossenheit. Sie schloss die Augen. Ein Knall. Kein dumpfer wie eben. Mehr ein tiefes Donnergrollen. Line öffnete die Augen wieder. Vor ihr lag Ennos Vater auf dem Boden. Und am anderen Ende des Raumes stand Herr Süders. Er hielt ein antikes Gewehr in der Hand. Die falsche Ärztin und der Juewelier beeilten sich davon zu kommen. Line zitterte am ganzen Körper und auch Inga war völlig fertig. Der alte Mann trat auf die beiden zu. Verschwörerisch blickte er Line an. „Hör jetzt genau zu. Es ist sehr wichtig. Seit vielen tausend Jahren lebte das Volk von Rungholdt auf dieser Hallig. Die Rungholdter waren sehr sehr reich und trieben mit der ganzen Welt Handel. Ihre Schiffe brachten nicht nur Waren sondern unschätzbares Wissen. All ihr Wissen über die Welt bewahrten sie in diesem Kristall. Er wies auf auf das durchsichtige Achteck. Der Kristall wird stets von einem Rungholdter bewacht der das Wissen sorgsam einsetzt. Für die Welt. Ich bin der letzte Bewahrer. Der Alte entfernte den Kristall von dem Steinsockel und reichte in Line. Du bist die nächste Bewahrerin. Pass gut auf. Es ist sehr sehr wichtig. Mit diesen Worten verschwand der Alte im Dunkeln. Line und Inga waren fassungslos. Ein Grollen holte sie schnell wieder zurück in die Wirklichkeit. „Wir müssen hier raus!“, rief Inga und half ihrer Freundin. Kaum hatten die beiden den Gang verlassen und waren wieder an die Oberfläche geklettert stürzte die ganze Anlage mit einem ohrenbetäubenden Lärm ein. „Das ist ja unglaublich“, fanden Lines Eltern als ihnen Line eine Stunde später die ganze Geschichte erzählt hatte. Sascha, der Juwelier und die Ärztin waren am Anleger der Fähre von der Polizei verhaftet worden. „Das müssen wir morgen gleich den Anderen erzählen.“ So war das auf einer Hallig. Geheimnisse gab es hier praktisch nicht. Es war natürlich auch ein bisschen fiel verlangt. Wie sollte man verheimlichen, dass ein Gebäude im Erdboden verschwunden ist. Doch Line hatte eine andere Idee. „Ich wollte unbedingt noch einmal in die alte Ruine“, erklärte Line, „dabei bin ich abgestürzt und durch den Sturz hat sich ein eingeklemmter Nerv entklemmt und deshalb kann ich jetzt wieder laufen. Inga hat mich aus dem Loch gezogen. Gerade noch rechtzeitig. Den Rest verschweigen wir. Bitte. Das müsst ihr mir versprechen.“ Inga sah ihre Freundin bedeutungsvoll an. „Du willst das wirklich tun?“ „Natürlich“ entgegnete die Freundin. Line war hundemüde und machte sich als bald auf in ihr Bett. Inga schlief in dem freien Gästezimmer. Die Morgendämmerung hatte gerade erst eingesetzt, als Line erwachte. Sie fühlte sich frisch und ausgeruht. Wie sehr hatte sie diesen Moment herbeigesehnt. Sie nahm ein großes Handtuch aus dem Schrank und machte sich auf den Weg. Dort wo einst die Ruine stand hatte sich der Staub mittlerweile gelegt. Die Erde war aufgewühlt von dem alten Gebäude nichts zu sehen. Line ging weiter über den Steinweg und erreichte ihre Badestelle. Langsam zog sie sich aus und glitt ins Wasser. Es war ein wunderschönes Gefühl wieder eins zu sein mit den Fluten. Weit hinaus schwamm sie nicht. Sie traute ihren Beinen nicht so recht über den Weg. Wieder am Strand wickelte sie sich in das Handtuch und blickte versonnen auf das Meer hinaus. Hinter sich hörte sie Schritte. Sie drehte sich um und blickte in das Gesicht von Luca. „Hallo“, begrüßte er sie, so als ob es das aller normalste der Welt wäre, dass sie sich hier und jetzt wieder trafen. „Hallo“, stammelte Line, unfähig etwas anderes zu sagen. „Darf ich mich zu dir setzen?“ Line nickte. Der Junge schwieg lange. Doch dann rückte er mit der Sprache heraus. „Ich habe damals einen großen Fehler gemacht. Deshalb bin ich hier. Um es wieder gut zu machen.“ Line verstand nicht so recht was er meinte. Der Junge strich über ihre Wangen. „Komm mit mir.“ „Wohin“, fragte Line. „Hinaus in die Welt.“ Line schüttelte den Kopf. „Das hier ist meine Welt.“ Verzweifelt suchte der Junge nach einem Strohhalm. „Dann bleibe ich bei dir!“ Line griff seine Hand. „Nein! Du musst reisen, unterwegs sein, die Menschen begeistern. Das ist dein Leben. Aber lass mir diesmal deine Nummer da. Wir können uns ja mal schreiben. Und wenn du das nächste mal in der Nähe bist sehen wir uns wieder.“ Der Junge nickte langsam. Er wollte etwas sagen doch Line strich ihm mit zwei Fingern über die Lippen. „Kannst du mich jetzt bitte noch einmal küssen?“
„War er das“, fragte Inga begeistert. Sie hatte gesehen, dass Line von einem jungen Mann nach Hause gebracht worden war. Line nickte. „Wenigstens hast du mehr Glück“, sagte Inga doch Line schüttelte traurig den Kopf. „Er ist fort. Es ist besser so.“
Inga grinste frech. „Sei nicht traurig. Wir haben ja noch uns. Freunde für immer?“ „Freunde für immer.“
Ehe Line abreisen konnte musste sie noch ihr Gepäck aus dem Hotel holen. Inga begleitete sie. Kurz bevor sie den Ausgang des Hotels erreichten trat ihnen Enno in den Weg. „Hör mal“, begann er zögerlich, „ich habe erfahren, was mein Vater getan hat. Es tut mir leid“. „Was wirst du jetzt machen?“, wollte Line wissen. „Ich werde versuchen das Hotel weiter zu führen. Doch das wird sicher nicht einfach.“ „Sicher nicht!“, entgegnete Line, „Ich wünsche dir viel Glück. Leb wohl.“ Sie gab den Jungen die Hand.
„Das Hotel Meersbriese in Hattemarsch ist ein ganz besonderer Ort. Modernste Architektur fügt sich perfekt in die historische Hafenpromenade. Von den meisten der insgesamt einhundert achtzig Zimmer genießen die Gäste einen unvergleichlichen Ausblick auf die Nordsee und die einzigartigen Halligen. Der Besitzer ist persönlich um das wohl jedes einzelnen Gastes bemüht. Auch Menschen mit Einschränkungen finden in dem perfekt barrierefreien Hotel einen idealen Ausgangspunkt für Unternehmungen aller Art. Ob eine Fahrt in das Umland oder die Besichtigung der Halligen. Für jeden Geschmack, jedes Alter gibt es ein passendes spannendes passende Angebot. In den beiden Hotel eigenen Restaurants können sich die Gäste mit gehobener Küche verwöhnen lassen. Der Spabereich lädt zu grenzenloser Entspannung ein. Fazit der Redaktion: Das Meeresbriese ist die perfekte Adresse für einen Urlaub an der See.“
Lines Chef lies den Zettel sinken, nahm seine Brille ab und polierte sie an seinem Hemdsärmel. „Gut, wirklich gut“, befand er und griff zum Telefonhörer. Er drücke eine Taste an dem Apparat. Lines Chef bat seine Sekretärin in sein Büro zu kommen. „Hier, das sollen die Jungs vom Satz noch rein nehmen.“ Er gab der Sekretärin Lines Artikel und diese verschwand. An Line gewandt sagte er, „Das war wirklich gute Arbeit. Nur weiter so. Line und Inga waren mit dem Zug nach Hamburg gefahren. Line hatte einen großen schwarzen Koffer dabei. Der Weg der beiden Mädchen führte schnurstracks zur Hauptfiliale der Goßlarbank. Ein freundlicher Mann in schwarzem Anzug begrüßte die beiden Mädchen. Line erklärte, dass sie den Inhalt des Koffers sicher verwahren wollte und zu diesem Zweck ein Schließfach anmieten würde. Nachdem Line einige Formulare ausgefüllt hatte geleitete der Mann die beiden Mädchen zu einer großen Panzertür. Nachdem ein Scanner den Fingerabdruck des Mannes erfasst hatte und dieser einen Code an einer Tastatur eingegeben hatte wurde die Tür geöffnet. Hinter der Tür saß ein bewaffneter Wachmann an einem Schreibtisch. Line musste den Koffer auf ein Fließband stellen. Nachdem der Koffer gescannt worden war öffnete der Wachmann eine zweite Tür. Nun befanden sich die beiden Mädchen im Tresor. Der Wachmann steckte einen Schlüssel in das Schloss eines Schließfaches. Der Anzugträger wiederum einen weiteren. Gemeinsam öffneten sie das Fach. Line stellte den Koffer in das Fach. Ihr wurde ein Schlüssel ausgehändigt. „Passen Sie gut auf den Schlüssel auf“, schärfte ihr der Bankangestellte ein. Wenn sie den Schlüssel verlieren gibt es keinen Weg an den Inhalt ihres Faches zu gelangen. Line und Inga verließen die Bank. Es war ein strahlender Sommertag. Die beiden Mädchen bummelten durch die Stadt. Bald würde der Zug kommen. Der Zug zurück in Lines Welt. Lines Handy vibrierte. Das Mädchen nahm das Gerät aus der Tasche und blickte auf den Bildschirm. Eine Nachricht von Sinah. „Liebe Line, ich gratuliere dir zu deinem bestandenen Abenteuer. Wir sind uns sicher, dass du deine Sache gut machen wirst. Einen Schlüssel habe ich bei mir. Du musst die anderen sieben finden. Liebe Grüße. Sinah. Unter dem Text wurde ein Bild angezeigt. Es zeigte einen Kristall ähnlich dem Lines nur mit dreieckiger Grundform. „Alle in Ordnung“, wollte Inga wissen. „Ich weiß nicht“, entgegnete diese. „sieh selbst.“ Line reichte ihrer Freundin das Gerät. „Was meinst du denn?“, wollte Inga wissen. Line nahm ihr das Telefon aus der Hand. Die Nachricht war verschwunden.
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Alt 14.07.2018, 12:23   #2
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Standard Update

Hallöchen,
unter dem Link zur .rtf Datei findet Ihr jetzt das Ganze schön formatiert mit Absätzen und Kapiteln.

LG
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Alt 14.07.2018, 13:59   #3
Thing
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Ist der Tippfehler-Titel entfern/korrigiert?

Aber vielleicht gibt es ja Süders. Südlich von uns.
Ich selbst lese Sünder.

Leider hab ich es nicht geschafft, den ganzen Text zu lesen.
Das hier:
Denn Fantasie ist stärker als die Wogen der Zeit.
Gefällt mir sehr.

Vielleich traue ich mich noch einmal daran.

Freundlichen Gruß
von
Thing
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Alt 14.07.2018, 15:19   #4
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Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Ist der Tippfehler-Titel entfern/korrigiert?

Aber vielleicht gibt es ja Süders. Südlich von uns.
Ich selbst lese Sünder.
Stimmt schon. Süder ist in dieser Geschichte ein Eigenname.
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Alt 14.07.2018, 16:12   #5
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Hallo Thing, und Ilka,
vielen Dank für eure Antworten und für die Bereitschaft mein Geschreibsel zu lesen.
Bei meinem Recherche Ausflug nach Nordfriesland habe ich den Namen Süders gehört. Der ist laut den Erzählungen so entstanden, dass halt früher jemand der im Süden einer Hallig gewohnt hat Süders genannt wurde.
@thing: trau dich ruhig. :-) Ich hoffe du wirst nicht entäuscht.


LG
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Alt 17.07.2018, 20:14   #6
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Das Ding hat jetzt auch ein Cover :-)
http://25908.dcpserver.de/1.png
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Alt 17.07.2018, 21:44   #7
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Zitat:
Zitat von Reisender Beitrag anzeigen
Hallo Thing, und Ilka,
vielen Dank für eure Antworten und für die Bereitschaft mein Geschreibsel zu lesen.
Ich habe das "Geschreibsel" nicht gelesen, weil der Text in einem unformatierten Block präsentiert wurde, der keine Lust auf Lesen machte. Er sollte Vorgeschmack erzeugen, man könnte auch von "Promotion" sprechen. Denn jetzt ist es raus: Wir haben den Link zum fertigen Buch.

Dafür gibt es allerdings eine Rubrik unter "Eigene Veröffentlichungen".

Trotzdem gratuliere ich dir zu deiner Veröffentlichung und wünsche dir dafür Erfolg.
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Alt 17.07.2018, 21:55   #8
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Und jetzt zu deinem Text. Wer mich als Schnäubiger in Sachen "Adjektive" und "Füllwörter" kennt, wird wissen, was kommt.

Zitat:
Hoch oben am Himmel tobte ein gewaltiger Kampf. Immer schwärzere Wolken zogen mit rasender Geschwindigkeit vorbei und zeichneten ein bizarres Bild. Längst hatte sich die Sonne der mächtigen Kraft des heraufziehenden Unwetters ergeben und nur noch hier und dort blickte sie durch die schmalen Risse des Wolkengemäldes zur Erde hinab. So als wollte sie ein letztes mal nach dem Rechten sehen ehe sie für immer verschwand.
Line eilte die vielen Stufen des Leuchtturms hinunter. Sie musste sich beeilen um noch halbwegs trocken nach Hause zu kommen. Dabei hatte der Tag ganz anders begonnen. Über dem reetgedeckten Haus in dem Line zusammen mit ihrer Familie lebte war die Sonne aufgegangen und bereits die ersten Strahlen die durch das Fenster auf Lines Wangen fielen verkündeten den Beginn eines angenehm warmen Sommertages. Das Mädchen war aufgestanden, hatte gefrühstückt und hatte sich auf den Weg zu Ihrer Badestelle gemacht, unten in der kleinen Bucht die über einen schmalen Steinpfad von der alten Ruine aus zu erreichen war. Niemand wusste so genau was es mit dem uralten Bauwerk auf sich hatte. Einst musste es ein großes Wohnhaus gewesen sein, vielleicht sogar die Residenz eines Herrschers. Doch die Zeit hatte dem Bauwerk stark zugesetzt und viel mehr als ein paar große Steinbrocken, die sicher früher einmal die Grundmauer gebildet hatten, waren nicht übrig geblieben. Das hatte Line als kleines Kind nie davon abgehalten in ihrer Burg Prinzessin zu spielen. Denn Fantasie ist bekanntlich stärker als die Wogen der Zeit. Doch das war damals. Mittlerweile war Line fast erwachsen geworden. Diesen Standpunkt galt es manchmal noch sehr gegen die Ignoranz der Menschen zu verteidigen, die von sich dachten sie seien noch ein bisschen erwachsener. Wie Eltern, Lehrer, zum Beispiel.
Raus mit dem überflüssigen Kram!

Es wirk schwülstig, bläht den Text auf und gibt null zusätzliche Informationen. Warum "hoch oben am Himmel"? "Am Himmel" reicht vollkommen, denn er ist immer hoch oben. Ein Kind ist immer klein, und Kraft ist immer mächtig. Niemanden interessiert es, ob eine Bucht klein, mittelgroß oder von immenser Ausdehnung ist. Bucht ist Bucht und immer eng begrenzt. Punkt.

Bringt sie endlich um, diese elenden und unnützen Adjektive!

Und sinnfreie Füllwörter wie "ganz", "sicher" und "noch" ebenfalls.
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Alt 18.07.2018, 06:47   #9
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Offensichtlich ist das Buch aber auch mit den unnützen Adjektiven und überflüssigen Füllwörtern veröffentlicht worden was beweist, dass nicht jeder "nackte" Sätze lesen will.

Hallo Reisender,

ich gratuliere ebenfalls zur Veröffentlichung, habe den Text aber nur häppchenweise gelesen, da mir soviel Text im grünen Block ohne Absätze zu leseunfreundlich war. Trotzdem denke ich, erkannt zu haben, dass es sich um ein Jugendbuch handelt?

LG DieSilbermöwe
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Alt 18.07.2018, 09:01   #10
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Offensichtlich ist das Buch aber auch mit den unnützen Adjektiven und überflüssigen Füllwörtern veröffentlicht worden was beweist, dass nicht jeder "nackte" Sätze lesen will.
Ulrich Gleis publiziert in Selbstverlagen, da kann jeder veröffentlichen. Er nutzt z.B.

https://www.lulu.com/
https://www.epubli.de/

Solche Verlage werden immer beliebter, weil die Selbstveröffentlicher unabhängig sind. Ich hatte die ganze Zeit schon darüber nachgedacht, in unserem Workshop mal ein paar Dinge über diejenigen Selbstverlage zu berichten, die von Schriftstellern als empfehlenswert angesehen werden.

Auf die literarische Qualität sagen die Veröffentlichungen im Selbstverlag nichts aus, dessen muss man sich bewusst sein.
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Alt 18.07.2018, 15:05   #11
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Hallo Ilka,
hallo Silbermöwe,
vielen Dank für eure beiden Feedbacks.
Liebe Silbermöwe, du hast natürlich recht. Ich schreibe Texte für Jugendliche. Das hat damit zu tun, dass ich als Erzieher mit Jugendlichen arbeite. Das ist auch ein Stück weit meine Motivation.
@Ilka: tatsächlich ist "vom Haus des alten Süders" (noch) nicht veröffentlicht. Ich habe nur schon mit der Software von epubli das Cover erstellt. Denn ich werde demnächst mit den Kindern eine Projektwoche z.T. wie entsteht ein Buch gestalten dürfen. Da ist es mir wichtig auch ein Buch mitzubringen und keine lose Blattsammlung.
Natürlich hast du recht. Ich veröffentliche onDemand. Daraus irendeine Qualität abzuleiten ist natürlich Quatsch. Irgendjemand hat mal gesagt, OnDemandverlage sind bessere Copyshops. Das stimmt.
Wobei ich lulu bzw. epubli gar nicht schlecht finde. Ich bekomme kostenfrei eine ISBN. Das ist schon nett, wenn ich jemandem der sich für mein Zeug interessiert sagen kann geh auf Amazon, kauf dir das, statt meinen heimischen Drucker zu bemühen.

Zu den Attributierungen.
Tatsächlich stimme ich dir da nur zum Teil zu. Natürlich habe ich eine Vorliebe für teils übertriebene Blumigkeit. Das will ich überhaupt nicht leugnen.
Und da habe ich auch noch sehr viel an mir zu arbeiten.
Aber Formulierungen wie "Hoch oben am Himmel tobte ein gewaltiger Kampf" haben gegenüber "Am Himmel tobt ein Kampf" schon eine andere Wirkung.
Wenn du meinen Text komplett liest wird dir auffallen, dass die Attributierungen immer weniger werden. Damit will ich unterstreichen, dass Line einen Wandel ihrer Welt von der traumhaften Idylle (viele Attribute) zur sachlich nüchternen Wirklichkeit (weniger Attribute) erlebt.
Gleichzeitig soll der Charakter der Line gegenüber der jugendlichen Zielgruppe glaubhaft rüberkommen. Für ein verträumtes Mädchen auf einer Hallig ist das eben ein riesig gewaltiger Kampf.
By the way wird dadurch ja auch indirekt attributiert.
Wenn für einen Charakter der Kampf hoch oben stattfindet sollte der Charakter ja ehr als klein wahrgenommen werden.

Beste Grüße

vom Reisenden
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Alt 18.07.2018, 15:27   #12
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Zitat:
Zitat von Reisender Beitrag anzeigen
@Ilka: tatsächlich ist "vom Haus des alten Süders" (noch) nicht veröffentlicht. Ich habe nur schon mit der Software von epubli das Cover erstellt. Denn ich werde demnächst mit den Kindern eine Projektwoche z.T. wie entsteht ein Buch gestalten dürfen. Da ist es mir wichtig auch ein Buch mitzubringen und keine lose Blattsammlung.
Natürlich hast du recht. Ich veröffentliche onDemand. Daraus irendeine Qualität abzuleiten ist natürlich Quatsch. Irgendjemand hat mal gesagt, OnDemandverlage sind bessere Copyshops. Das stimmt.
Lieber Reisender,

dein Projekt ist eine schöne Aufgabe, und bestimmt kannst du Kinder dafür begeistern.

Selbstverlage bessere Copyshops? Dieses Schlechtreden kann ich nicht teilen. Es gibt Autoren, die über Selbstverlage den Sprung in einen traditionellen Print-Verlag mit Festvertrag geschafft haben, weil ihre Literatur auffiel und Zuspruch fand. Der Versuch, über einen Selbstverlag in den Literaturbetrieb zu kommen, ist auf jeden Fall besser, als dass ein Manuskript auf dem Stapel "Zu entsorgen" eines Großverlags landet.

Das Internet macht es möglich, also warum es nicht nutzen?

Mich würde interessieren, welche guten oder schlechten Erfahrungen du mit den Selbstverlagen gemacht hast (gerne per PN). Ich hatte mich gerade mit einem Berliner Lektor darüber ausgetauscht, der einige Erfahrung auf dem Gebiet hat und mir seine Top-3 nannte. Wie ich bereits andeutete, könnte ich für Neugierige einen Faden zu diesem Thema in unserer Interessengemeinschaft "Workshop Kreatives Schreiben" aufmachen. Selbstverlage sind schließlich ein Geschäftszweig, der an Gewicht stark zunimmt.

LG
Ilka
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Alt 19.07.2018, 18:17   #13
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Zitat:
Der Versuch, über einen Selbstverlag in den Literaturbetrieb zu kommen, ist auf jeden Fall besser, als dass ein Manuskript auf dem Stapel "Zu entsorgen" eines Großverlags landet.
Aber vermutlich teurer - ein Manuskript an einen Verlag zu schicken kostet dagegen nur die Briefmarke.
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Alt 19.07.2018, 18:40   #14
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Aber vermutlich teurer - ein Manuskript an einen Verlag zu schicken kostet dagegen nur die Briefmarke.
Kann man so nicht sagen.

Den gängigen Verlagen (oder auch Agenturen) schickt man sowieso keine Manuskripte zu, sondern Exposés und eine Leseprobe. Die Lektoren wollen erst einmal wissen, ob das Thema interessant ist, ob der Schreibstil anspricht, ob das Thema zum Verlagsprogramm passt und ob der Autor sicher in Orthografie ist. Nur dann wird das vollständige Manuskipt angefordert. Einfach so eingesendete Manuskripte landen i.d.R. gleich auf dem Entsorgungsstapel. Da kann man sich die Briefmarke sparen. Außerdem muss man darauf achten, ob ein Verlag die Bewerbung lieber per Post oder per E-Mail haben möchte, da hat jeder seine eigene Philosophie. Wer sich nicht daran hält, wird nicht berücksichtigt.

Bei den Selbstverlagen sind die Kosten dagegen gering bis einigermaßen akzeptabel. Allerdings erscheinen die meisten Veröffentlichungen als E-Book in einem der untersten Preissegmente. Die Selbstverlage schöpfen für die Bereitstellung ihres Programms und den Service natürlich im Falle von Verkäufen den Hauptteil ab, für den Autor bleibt nur ein kleiner Prozentsatz.

Die Programme haben ihre Tücken. Es gibt Selbstverlage, in denen die Handhabung optimal ist, bei anderen ist es unter Umständen tückisch (z.B. bei Amazon). Auch gibt es Unterschiede im Service, wenn der Autor mal Probleme bekommt.

Selbstverlage sind jedenfalls eine gute Option zu jenen Abzockern, die in den Zeitungen mit "Autoren gesucht" werben und dann Vermarktungsverträge anbieten, die zwischen 3.500 und 8.000 Euro liegen. Hände weg davon!

Dem Autor aus Passion geht es ohnehin nicht um Ruhm und Geld. Wer schreiben will, der schreibt um des Schreibens willen. Mein Kontakt, die Schriftstellerin Helga Glaesener, schrieb mir unlängst: "Ich hatte schon zwei Romane fertig geschrieben, bis es mit einem Verlag klappte. Aber auch wenn es es nicht geklappt hätte würde ich immer weiterschreiben."
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Alt 21.07.2018, 22:12   #15
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Hallo Ilka,
vielen Dank für deine freundlichen Worte.
Nächste Woche gestalte ich mit den Kiddies erst einmal ein Puppentheaterstück und zwei Wochend rauf kommt dann die Bücherwoche. Ich hab jetzt sogar noch eine ehrenamtliche Vorleserin geinnen können.

Zu der Thematik OnDemandverlage.
Das lässt sich schnell sagen. Ich habe mal 600€ bezahlt für eine Verlegung. Soviel zum Thema Negativerfahrungen.

Mein klarer Tipp an alle. Bezahlt NIEMALS Geld an einen Verlag.

Fun fact am Rande. Der "Lektor" hat in meinem Cover 3 Rechtschreibfehler übersehen.
Achja und nach 2 Jahren hat sich der Verlag umbenannt und dabei alle Autoren gekündigt. Die haben tatsächlich das Geld nicht mit Büchern verdient.

Zu den positiven Erfahrungen:
lulu bzw. epubli

Meine Bemerkung mit besserem Copyshop sollte gar nicht negativ sein. Ich sehe einen Copyshop zunächst sehr positiv.
Dahinter steckt eine gewisse Sachlichkeit die ich bei den beiden o.g. sehr schätze.

Ondemandverlag heißt für mich, ich stelle den Content bereit und der geneigte Leser bezahlt den Verlag dafür meinen Content in ein Buch zu drucken.
Klar, dass es sich hierbei um etwas unlektoriertes handelt.
Das machen lulu und epubli ausgezeichnet. Die Bücher sehen gut aus. Die Software ist intuitiv. Ich muss nichts bezahlen.
Ich muss mich natürlich um die PR selber kümmern.

Jeder Ondemandverlag der mit großen Werbeversprechen lockt ist in meinen Augen unseriös.

Ich denke das ist auch alles gut so. Und wenn ich jemals einen etablierten Verlag mit einem Buch aus der Produktion meines Ondemandverlages davon überzeugt kriege mich unter Vertrag zu nehmen... Super.
Wenn nicht... Nicht.

Ich hatte letztes Jahr in den Sommerferien meinen Roman "Willst du mit mir gehen" dabei. 1 Kind hat vorgelesen. ca. 40 Kinder haben zugehört. Die haben das Buch auf ex gelesen und sich total angeregt darüber unterhalten.
Das finde ich voll cool.
In sofern betrachte ich das schon ehr als gute Erfahrung.


Noch mal ganz kurz on Topic.
Ich habe meinen Roman auch in ein anderes Forum gestellt.
Ich schreibe nämlich auch manchmal ganz andere Dinge.
(Computerprogramme :-))
Fand ich total spannend. Da kam erst einmal gar kein kommentar zum Text selber. Man riet mir zu einem Programm namens Latex.
Damit könne ich meinen Roman wesendlich bessere formatieren. Ein freundlicher Mensch hat das auch gleich für mich erledigt. Ich hatte ja keine Ahnung, was alles möglich ist, außerhalb von Courier 12.
Interessant, wie unterschiedlich die Perspektive von Menschen sein kann.

LG

P.s.: @Ilka: Wenn du zwecks Erfahrungen mit Verlagen noch was detailierteres Wissen möchtest. Immer gerne :-)
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