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Alt 08.06.2018, 20:58   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Der Hund - Teil 5 (Schluss)

In der folgenden Nacht lag Gerit lange wach. Lisbeth und Leo. Leo und Lisbeth. Vater und Tochter. Gerits Brust schmerzte vor Wehmut, und der Stolz, den er in Leos Augen gesehen hatte, tat ihm weh. Gerits Eltern hatten weder Liebe noch Stolz gekannt. Pflichterfüllung war eine Selbstverständlichkeit, die keiner Anerkennung bedurfte. Der Weg zu einem vollkommenen Leben war gepflastert mit Tadel und Strafe.

Lisbeth war ein geliebtes Kind, und Gerit beneidete sie darum. Was ihn aber weit mehr umtrieb, war die Frage, wie er, der sich um das Reich der Gefühle betrogen sah, Lisbeth dieselbe Liebe und Wärme geben konnte wie Leo. Gewiss, Gerit hatte Empathie bewiesen, als er Terence vor seinem Peiniger rettete. Aber sich in einen Menschen zu verlieben, sein restliches Leben mit ihm teilen und Kinder aufziehen zu wollen, gemeinsam Katastrophen zu bewältigen und sich bis zum Lebensende treu zu bleiben, das war etwas grundlegend anderes.

Er war verliebt. So lautete das Ergebnis seiner halbnächtlichen Grübelei, ehe er einsah, dass auf Schlaf nicht zu hoffen war und wieder aufstand.

Er sah die Post durch, die Leo zurückgelassen hatte. Viel Werbung. Die üblichen Rechnungen. Ein unbekannter Absender: Berger & Partner. Gerit riss den Umschlag auf und las. „… setzen wir Ihnen eine Frist bis zum … ehe wir Klage erheben … Die Kosten des Verfahrens sowie unsere eigenen Kosten …“

Die Frist war längst abgelaufen. Gerit war es egal. „Leckt mich!“

Sein Smartphone summte. Lisbeth.

„Gerit? Du bist wirklich noch wach?“

„Ich kann nicht schlafen.“

Er hörte sie kichern. „Du hast dein Smartphone eingeschaltet.“

„Ich dachte, es könnte wichtig sein.“

„Was machst du gerade?“

„Hab die Post durchgesehen. Hauptsächlich Werbung und Rechnungen.“

„Wie romantisch. Darf ich zu dir kommen?“

Gerit schluckte. Auf alles war er gefasst gewesen, nur nicht darauf.

„Jetzt gleich?“

„Jetzt gleich.“

„Ich warte auf dich.“

.*.*.*.*.*.

Gerit schlief bis Mittag durch. Als er aus der Bettkammer in den Wohnbereich geschlurft kam, gewahrte er auf dem Esstisch köstliche Speisen. Er rieb sich verwundert die Augen und setzte sich auf einen Stuhl. Lisbeth stellte ihm eine Tasse hin und küsste ihn auf die Nasenspitze.

„Trink erst mal einen Kaffee, damit du zu dir kommst.“

Gerit sog die Düfte der Speisen ein. „Wann hast du das alles gemacht?“

„Ich? Nie. Hab alles liefern lassen.“

„Aber abspülen tust du selbst?“

„Keine Wahl. Wenn du willst, kannst du abtrocknen.“

Lisbeth hängte Gerit das Geschirrtuch über die Schulter, nahm ihre eigene Kaffeetasse und setze sich zu ihm. „Was ist dein Problem, Gerit?“

„Terence.“

„Was noch?“

„Ein Nachbar namens Bungert.“

„Und?“

„Die Kanzlei Bender & Partner“.

Während Gerit Lisbeths Hand hielt, erzählte er seine Geschichte. Sie hörte ihm aufmerksam zu.

„Ich kann nicht ewig hier bleiben, Lisbeth. Irgendwann muss ich zurück in mein Haus. Mit Terence.“

„Lass mich denken, Gerit. Lass mich einfach nur nachdenken.“

.*.*.*.*.*.

An der Haustür klingelte es, und Lisbeth machte auf. „Guten Tag, kommen Sie rein.“

Gerit beobachtete die Szenerie durch einen Türspalt: zwei Männer in Anzügen, Bungert in Jeans und weißem Unterhemd.

„Wo ist mein Hund?“

Lisbeth lächelte gewinnbringend. „Ich hole Terence.“

Sie verschwand und kam binnen zwei Minuten mit Terence an der Leine zurück.

Einer der Männer zog ein Schriftstück hervor. „Herr Bungert erhebt Anspruch auf den Hund. Er hat einen Vertrag.“

Lisbeth warf einen Blick auf das Schriftstück.

„Das sagt mir nichts. Terence ist mein Baby. Ich habe ihn eigenhändig aufgezogen.“

„Machen Sie ihn los.“

Lisbeth kam der Aufforderung nach.

„Rufen Sie ihn.“

Lisbeth tat wie geheißen. „Bei Fuß!“ Terence stellte sich neben sie und sah zu ihr auf, um weitere Befehle zu empfangen.

„Was kann er noch?“

Lisbeth rief das komplette Programm ab. Terence apportierte, blieb sitzen, kam auf Zuruf, ging bei Fuß und räumte ohne Knurren den Sessel, wenn Lisbeth ihn scheuchte.

„Jetzt Sie, Herr Bungert.“

„Sitz!“

Terence dachte nicht daran.

„Bei Fuß!“

Terence wich Lisbeth nicht von der Seite und wedelte mit dem Schwanz, als ob alles nur ein Spiel sei.

„Du verdammtes Mistvieh, ich habe ein Vermögen für dich bezahlt!“

Bungert hatte den Gürtel aus den Schlaufen seines Hosenbunds gezogen und schickte sich an, damit auf Lisbeth loszugehen.

„Verfluchte Hexe!“

Die Männer im Anzug hielten ihn zurück. „Kommen Sie. Wir bringen Sie zurück in ihr Haus.“

„Warten Sie.“

Lisbeth sah Bungert in die Augen. „Wenn Terence Ihr Hund ist, dann nennen Sie mir ein Merkmal, das ihn unverwechselbar macht.“

Lisbeth war klar, dass sie eine blanke Karte spielte. Doch wenn sie funktionierte, hatte dieses Schauspiel ein Ende.

„Mein Hund hat kein Merkmal,“ giftete Bungert. „Der ist so rein wie frischgefallener Schnee.“

Lisbeth sah ihm nach, wie er zu seinem Haus geleitet wurde.

„Tasten Sie die Schwanzwurzel ab, und sie werden einen erbsengroßen Knoten finden. Völlig harmlos – eine Warze. Herr Bungert hätte das wissen müssen, wenn Terence sein Hund wäre.“

Der Mann im Anzug kam der Aufforderung nach. „Alles in Ordnung. Entschuldigen Sie, dass wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten mussten.“

„Keine Ursache, Sie machen nur Ihren Job,“ flötete Lisbeth ihm hinterher, als er das Haus verließ.

„Gerit!“ Er stürmte aus seinem Versteck und fiel Lisbeth um den Hals. Sie küsste ihn auf die Nase. „Jetzt ist Terence endgültig dein Hund.“

„Unser Hund …“

Er küsste Lisbeth so leidenschaftlich, dass er später in seinem Tagebuch vermerkte: „In diesem Augenblick ahnte ich, welche Kräfte in mir verschüttet lagen, und ich begann, sie auszugraben. Doch schon beim Schürfen an der Oberfläche begriff ich, wie wenig es bedarf, um glücklich zu sein.“
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Alt 18.07.2018, 07:14   #2
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Eigentlich wollte ich die Geschichte schon längst kommentiert haben, habe es aber immer wieder vergessen.
Also insgesamt gefällt sie mir, der Schluss ist mir aber aber dann doch zu kitschig. Nicht wegen dem Hund, den Gerit dann doch behalten kann, sondern die schnell abgespulte Liebesgeschichte. Kaum kennengelernt, schon unsterblich verliebt und die gemeinsame Zukunft steht sofort felsenfest.

Andererseits sind Geschichten ja nicht dafür da, das wahre Leben abzubilden.

LG DieSilbermöwe
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Alt 18.07.2018, 12:57   #3
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
... die schnell abgespulte Liebesgeschichte. Kaum kennengelernt, schon unsterblich verliebt und die gemeinsame Zukunft steht sofort felsenfest.
Danke für den Hinweis, was dich gestört hat, Silbermöwe. Darüber werde ich nachdenken. Ich hielt diese Erzählung nämlich nicht in erster Linie für eine Liebesgeschichte, sondern hauptsächlich für die Beziehungsgeschichte zwischen einem Mann und einem Hund. Auch ist mir nicht klar, woraus du schließt, dass der Protagonist und Lisbeth "unsterblich" verliebt sind und an eine gemeinsame, "felsenfeste" Zukunft denken.

Ich muss die Geschichte nochmal lesen, denn ich habe nicht mehr alles im Kopf abrufbar, was ich geschrieben habe. Mal sehen, wo da etwas von einer Zukunftsplanung der beiden steht. Das wäre tatsächlich etwas früh.

LG
Ilka
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Alt 18.07.2018, 17:32   #4
weiblich DieSilbermöwe
 
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Da steht es doch:

Zitat:
Aber sich in einen Menschen zu verlieben, sein restliches Leben mit ihm teilen und Kinder aufziehen zu wollen, gemeinsam Katastrophen zu bewältigen und sich bis zum Lebensende treu zu bleiben, das war etwas grundlegend anderes.
Oder was sollte sonst damit gemeint sein?

Das sind die Vorstellungen aller Neuverliebten, eine momentane Emotion, ein Augenblickserlebnis. Das sagt nichts darüber aus, wie es wirklich kommt.

Wenn ein Paar zusammenkommt, fabuliert es über alles Mögliche. Mein Ex-Mann faselte von "zwei prächtigen Söhnen" und einer Bibliothek. Die Realität war: Ein Kind (ein Sohn !) war ihm ein Störfaktor zu viel, und er hasste mich für jedes Buch, das ich in den Händen hielt.

Aber du hast recht, ich muss den von Dir zitierten Satz überarbeiten, damit solche Missinterpretionen nicht aufkommen.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
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