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Alt 07.08.2018, 11:40   #1
Bickle
 
Dabei seit: 08/2018
Beiträge: 1

Standard Kein Text

In besonders selbstmitleidigen Nächten, in denen der Pathos von der Decke tropft, rede ich mir ein, wach bleiben zu müssen. Ich bilde mir ein, ich wäre ein Nachtmensch und mein Geist wäre erst dann klar, wenn ich nur noch das summende Rauschen der Nacht höre, aber tatsächlich ist es nicht die Ruhe der Nacht, die mir hilft konstruktiv zu sein, eher ist es der Nebel, der sich breitmachenden Müdigkeit, der die unnützen Gedanken, die unnützen Probleme und all die unnützen Erinnerungen, bis zur Kapitulation meines Körpers und des folgenden unruhigen Schlafes beiseite schiebt und mir hilft, produktiv zu sein.
Aber alles nur die romantische Vorstellung meiner selbst.

Mir fiel es immer schwer Kontakte zu knüpfen und wenn ich welche geknüpft habe, wollte ich sie am liebsten wieder loswerden, hielt aber an sie fest, weil ich sonst nichts mit meiner Zeit anzufangen wusste. Als ich Herman Hesses Der Steppenwolf zum ersten mal las, war ich nicht von Hesses Genie begeistert, ich suchte krampfhaft nach Identifikationspunkten, romantisierte mein Dasein und mein asoziales Ich hatte endlich einen Namen gefunden.
Aber alles nur die romantische Vorstellung meiner selbst.

Mittlerweile steht die Terassentür weit auf und kühle Nachtluft erfrischt das Wohnzimmer. Ich liege auf dem Sofa, starre die Decke an und beginne mit meinen Fingern rhythmisch auf meine Oberschenkel zu klopfen, während ich nervös mit meinen Füßen wackel. Eine Angewohnheit, die ich zum Leid meiner Mitmenschen von meinem Vater geerbt habe.
So sieht ein Steppenwolf aus, der die Nacht zum Tag macht.
Hinter mir steht ein Regal voller Bücher, die meisten habe ich mal durchgeblättert und dann wieder ins Regal gestellt. Lieblos und eingestaubt steht in der Ecke des Raumes eine Gitarre, die E-Saite ist gerissen. Wahrscheinlich ist die Gitarre eh verstimmt, keine Ahnung. Seit dem ich mal erfolglos einen Monat lang versucht habe Gitarre spielen zu lernen, steht sie da rum. Immerhin kann ich jetzt Leuten erzählen, ich hätte ein Hobby, wenn mal wieder diese unangenehme Frage aufkommt.
Meine Lehrer haben es früher nicht verstanden, wieso ich kurz vor dem Abitur die Schule verlassen wollte, um zu reisen und danach ein Jahr sozial zu arbeiten. Ich selber verstand es auch nicht, liebte es aber Reden gegen „das System“ zu schwingen. Am schlimmsten war es, wenn Sätze mit „In unserer Gesellschaft“ anfingen und irgendwo im Monolog „das System“ vorkam. Hach, wäre alles nur so leicht pauschalisierbar. Gerissen habe ich am Ende, trotz meiner überhöhten Selbstwahrnehmung, außer der E-Saite, nichts, aber die Ausrede, dass ich mich dem „System“ nicht beugen wollte, bleibt eine sichere Bank.
Eigentlich trete ich seit Jahren so verbissen auf der Stelle herum, dass sich schon eine dicke Hornhaut an meinen Füßen gebildet hat. Nie konnte ich etwas durchziehen. Meine Inkonsequenz zog sich seit jeher wie ein roter Faden durch mei
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