Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 21.02.2011, 23:21   #1
Mephistopheles
 
Dabei seit: 04/2009
Alter: 32
Beiträge: 42


Standard Ohnmacht

Eine etwas abstrakte "Geschichte", aber vielleicht findet ja doch jemand Gefallen daran.

Ohnmacht

Ohne zu wissen, wie es dazu gekommen war, erwachte ich in der Dunkelheit.
Nie hätte ich gedacht, dass so etwas mir zustoßen könnte, wo doch mein Leben so fleißig geplant war. Immer fühlte ich mich behütet und beschäftigt. Mir konnte keine Macht der Welt etwas anhaben, so lange ich im Licht war, da auch keine Macht jener Macht gleichkam, von der ich mich geborgen fühlte.
Jetzt war ich plötzlich hier in der Dunkelheit, und wusste nicht warum. Ich erkannte hier nichts mehr, denn ohne Licht kann man nicht sehen. Mit der Zeit kamen mir sogar Zweifel, ob denn das, was ich sonst im Licht gesehen, wirklich das war, wofür ich es damals gehalten hatte, denn hier in der Dunkelheit kann man sich nicht mehr vorstellen, wie es ist, zu sehen.
Bewegen konnte ich mich hier durchaus, denn ich hatte mehr Freiraum, als je zuvor. Allerdings war die Freiheit so groß, dass ich gar nicht wusste, wohin, und vor allem: Wozu? Egal, wohin ich mich bewegte, nichts veränderte sich. Alles blieb dunkel. Ich war orientierungslos. Es war absurd. Alles Planen schien sinnlos, da es zu nichts führen würde. Das war früher anders, im Licht –
Als ich meinen eigenen Körper betastete, spürte ich es: Ich war nackt – Ich war nackt in der Dunkelheit. Ein Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefert-Seins machte sich in mir breit. Wer oder Was war es eigentlich, dem ich mich hier ausgeliefert fühlte? Zwar bewegte ich mich in nahezu grenzenloser Freiheit, doch spürte ich, wie etwas auf mir lastete, das ich nicht zu benennen wusste. Es erdrückte mich, es wollte mich im Innersten zerbersten.
Diese Situation schien endgültig. Sie schien so lange anzudauern, bis mein Bewusstsein erlischt. Ich hatte Angst: Nackt war ich! Nackt in der Freiheit! Nackt in der Dunkelheit! Wo war die Macht, die mich kleidet, die die mich einsperrt, die mir Licht gibt? – Sie war tot.
Mephistopheles ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2011, 00:10   #2
weiblich marlenja
 
Dabei seit: 11/2010
Beiträge: 3.204


Das erkennen der eigenen Nacktheit und das Bewusstsein
in der Dunkelheit zu leben, in der Illusion es wäre Freiheit,
gefällt mir in Deinem Text.

Die Frage am Ende würde ich beantworten mit: Rufe Ihn an
in Deiner Not und Du wirst befreit aus Angst und Dunkelheit.
Ihn - der das Licht und Deine Rettung ist.
marlenja ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2011, 02:30   #3
männlich Ex-Schamanski
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2010
Beiträge: 2.884


Scheint da Onkel Nietzsche durch den Existentialismus?
Gut geschrieben, finde ich. Stringent und aus einem Guß.
Ex-Schamanski ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2011, 09:44   #4
Mephistopheles
 
Dabei seit: 04/2009
Alter: 32
Beiträge: 42


Danke für eure Antworten!

@marlenja

Schön dass Dir mein Text gefällt! Du hast richtig erkannt, um wen es sich bei der "Macht" handelt. Allerdings glaube ich, dass Du den Begriff der Freiheit in diesem Text nicht ganz verstanden hast. Was man darunter versteht, ist wohl auch eine Glaubensfrage. Sie ist hier (!) keine Illusion. Es ist keine von Gott gegebene Freiheit, sondern eine durch die Sinnlosigkeit der Welt und die Abwesenheit Gottes bewirkte Freiheit, in der der Mensch hoffnungslos (weil ohne Gott, bzw. weil ohne transzendente, sinngebende Macht) verloren ist. Es ist auch eine Glaubensfrage, ob man sich am Schluss nun fragt, "Wie mache ich Gott wieder lebendig?", oder lieber "Wie kann ich auch ohne Gott (weiter)leben?".

@Schamansky

Ja, Du hast die beiden geistigen Kerne herausgelesen, die mich wohl sehr beim Verfassen beeinflusst haben . Spätestens bei der letzten Bemerkung sollte einem Nietzsche-Kenner klar sein, auf wen ich mich hier beziehe. Ich habe mich bisher noch nicht eingehend mit Existentialismus befasst, aber die Grundgedanken (bzw. die Grundgefühle) davon haben mich schon sehr beschäftigt in letzter Zeit.

Grüße
Mephisto
Mephistopheles ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2011, 10:39   #5
weiblich marlenja
 
Dabei seit: 11/2010
Beiträge: 3.204


Hoi Mephistopheles

Sinnestäuschung verstehe ich unter Illusion. Der Mensch ist überzeugt,
er lebe in Freiheit und ist doch in Wahrheit, an die böse
Macht mit unzähligen Ketten gebunden.

Mir ist wir wären uns einig...! Du nicht?
marlenja ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2011, 10:47   #6
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


Halli Hallo -

ich dachte eher an Camus (und Sartre), aber Schamansky hat mir sozusagen die Augen geöffnet.
Guter Text ohne Schwulst und Geschwurbel, sozusagen eine Consommé double statt fader Brühe.

Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2011, 11:21   #7
Mephistopheles
 
Dabei seit: 04/2009
Alter: 32
Beiträge: 42


Zitat:
Zitat von marlenja
Sinnestäuschung verstehe ich unter Illusion. Der Mensch ist überzeugt,
er lebe in Freiheit und ist doch in Wahrheit, an die böse
Macht mit unzähligen Ketten gebunden.

Mir ist wir wären uns einig...! Du nicht?
In einigen Punkten schon, in vielen aber wohl auch eher nicht.
In meiner "Geschichte" geht es weniger um das, was "wahr" ist, sondern mehr darum, wie sich dieser Mensch fühlt! Er zweifelt, er fühlt die Abwesenheit Gottes. Das soll nicht heißen, dass Gott wirklich weg ist. Darüber wird vielmehr keine Aussage gemacht! Aber das soll hier jetzt nicht zu einer Diskussion über die Existenz oder Nichtexistenz Gottes führen, das ginge sehr weit am Thema vorbei. Es soll vielmehr Menschen ansprechen, die wirklich nachempfinden können, wie es der Person in der "Geschichte" geht. Dieser Mensch fühlt den Tod Gottes, und das hat Konsequenzen. Wie man damit umgeht, ob man Gott (für sich!) wieder im Geiste aufrichtet, oder ob man ohne ihn weiterleben kann, ist jedem selbst überlassen.

Zitat:
Zitat von Thing
ich dachte eher an Camus (und Sartre), aber Schamansky hat mir sozusagen die Augen geöffnet.
Guter Text ohne Schwulst und Geschwurbel, sozusagen eine Consommé double statt fader Brühe.
Danke für die lobenden Worte! Camus und Sartre sind sicher nicht ganz falsch, auch wenn ich nicht direkt aus ihrem Gedankengut (das mir nur sehr begrenzt bekannt ist) geschöpft habe. Freiheit, Last der Existenz, ... das sind Sachen, die sich hier ja auch finden lassen, wenn man so will. Allerdings auch in ein wenig abgewandelter, individuell gestalteter Form. Vielleicht könnte man den Kerngedanken vereinfacht so auf den Punkt bringen: Gott ist tot (Nietzsche), deswegen ist der Mensch verurteilt zur Freiheit (Sartre).

Grüße
Mephisto
Mephistopheles ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2011, 15:43   #8
männlich Ex-Schamanski
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2010
Beiträge: 2.884


Zitat:
Gott ist tot (Nietzsche), deswegen ist der Mensch verurteilt zur Freiheit (Sartre).
Genau so kam der Text bei mir an.
Ex-Schamanski ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.02.2011, 10:56   #9
Mephistopheles
 
Dabei seit: 04/2009
Alter: 32
Beiträge: 42


Schön, dann kommts ja schon mal so an, wie ich es beabsichtigt habe

Der zweite Absatz wurde noch einmal überarbeitet... ein, zwei Wörter habe ich umgestellt oder gestrichen und einige "Denn"s wurden getilgt.

[...]
Jetzt war ich plötzlich in der Dunkelheit, und wusste nicht warum. Hier erkannte ich nichts mehr, denn ohne Licht kann man nicht sehen. Mit der Zeit zweifelte ich sogar, ob das, was ich sonst im Licht gesehen, wirklich das war, wofür ich es damals gehalten hatte – hier in der Dunkelheit konnte man sich nicht mehr vorstellen, wie es ist, zu sehen.
[...]
Mephistopheles ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Ohnmacht



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Aus der Ohnmacht capriciosa Liebe, Romantik und Leidenschaft 0 29.12.2008 16:57
Aus der Ohnmacht capriciosa Liebe, Romantik und Leidenschaft 0 28.12.2008 15:53
Ohnmacht Yve Geschichten, Märchen und Legenden 9 31.07.2007 11:16


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.