Die verlogene Wahrheit

[Ex-Pennywise]

Ein reifer Gedanke löst sich aus der Rinde
des lichtlosen Winkels in meinem Gehirn.
Er fällt auf Papier, wird zu Worten aus Tinte
und keimte davor noch im Schatten der Stirn.
Ich hege und pflege die zahlreichen Sätze
wohlwissend, dass ich sie am Ende versteh.
Bewache sie so wie die kostbarsten Schätze
und dünge sie täglich mit einer Idee.
Ich habe komplexe Begriffe gewogen,
verfasse Pamphlete in bester Manier.
Die Wahrheit hat uns doch schon immer belogen,
das Zentrum des Wissens, das findet ihr hier.
Die Augen zu öffnen ist härteste Arbeit,
ihr müsst mir nur folgen und alles wird gut.
Zum Schutze der Menschen behalte ich Klarheit
und bleib euer Führer mit Nudelsiebhut.

[Cornelius]

Mit Vergnügen ziehe ich meinen Nudelsiebhut vor dem Verfasser dieser Zeilen.

Gruß Cornelius

[aufgeklappt]

hey,
ob da nochmal abgeschreckt werden muss, mit kaltem Wasser danach?
toll!
aufgeklappt und offen

[Ex-Pennywise]

Moin ihr beiden,

danke für die Blumen. Der Aluhut wäre wohl klassischer gewesen, hätte aber nicht ins Reimschema gepasst. Aus Insiderkreisen weiß ich aber, dass ein Nudelsieb auf dem Kopf den selben Zweck erfüllt.

Gruß

PW

[Candlebee]

Hey Pennywise,

mit einem Schmunzeln gelesen. Bereits die erste Zeile hatte mich, es gab kein Entkommen - bis zum bitt'ren Ende. Den Hut zieh ich nicht, aber ein Verneigerchen ob deiner Zeilen erlaub ich mir.

Nette Grüße, Candlebee

[Ilka-Maria]

Zunächst:

Liest sich flott und enthält ein paar gute Ideen und gelungene Formulierungen. Leider werden sie durch das Bestreben, möglichst viele Verse mit Originalität zu füllen, unterspült. Dabei kann es zu Stolpersteinen kommen wie die lichtlosen Winkel im Gehirn, die auf magische Weise Schatten auf der Stirn bilden und offensichtlich auf das Denken oder Nichtdenken Einfluss ausüben. Wie mag das funktionieren? Die Stirn denkt nicht, sondern die Masse dahinter. Wo aber kein Licht ist, kann auch kein Schatten sein. Der befindet sich in diesem Gedicht allerdings ja außerhalb des Gehirns. Also wo ist der Bezug?

Begriffe werden nicht gewogen wie ein Sack Kartoffeln, sondern gewägt, also der Wertigkeit nach eingeordnet, nicht nach Kilo oder Gramm. Merkt wahrscheinlich niemand, weil die falsche Anwendung des Begriffs gang und gäbe geworden ist, aber das macht es nicht richtig.

Das Wort "Führer" gehört seit 1945 zu den sensiblen Begriffen, auch "Unwörter" genannt, die man vermeidet.

Was Begriffe wie "Nudelsiebhut" als Synonym für "Aluhut" angeht, wäre ich mit seiner Anwendung ebenfalls vorsichtig. Denn er übersteigt meistens die Grenze zur Beleidigung, weil er als Kampfbegriff für alle Menschen eingesetzt wird, die eine Gegenmeinung vertreten. Mit so etwas zu operieren ist Gift für jegliche Art der Kommunikation und Verständigung. Die meisten Menschen sind nicht deswegen ignorant, weil sie verblendet oder von Geburt dumm sind (das ist der geringste Prozentsatz), sondern weil sie mit der Moderne, die noch nie in der Menschheitsgeschichte so komplex war, angesichts ihrer Alltagsbewältigung und Überflutung an Informationen, ferner an der Aufspaltung des Wissens in immer mehr Einzelgebiete, restlos überfordert sind.

Aber jetzt noch etwas Positives zum Text:

Es ist angenehm, einen orthografisch so sauberen Text lesen zu dürfen. Außer vier fehlenden Kommata, wobei zwei optional sind, also nicht unbedingt gesetzt werden müssen, habe ich keinen Fehler gefunden.

Lieber Pennywise, nimm es nicht als Kritik, sondern als Meinung.

Lieben Gruß
Ilka

[Georg C. Peter]

Zitat von Pennywise

Ich habe komplexe Begriffe gewogen,
verfasse Pamphlete in bester Manier.
Die Wahrheit hat uns doch schon immer belogen,
das Zentrum des Wissens, das findet ihr hier.

Hallo Pennywise,

den postfaktischen Wutbürger, der die "Wahrheit als Lüge" bezeichnet,
der selbstbewusst und mit Nudelsieb "gekrönt" seine Hirnrindenauswürfe bewundert,
hast Du wortstark und augenzwinkernd erfasst und zu Papier gebracht.

Ehrfürchtige Verneigung
und viele Grüße,
Georg

[Ex-Pennywise]

Moin zusammen,

danke fürs Feedback.

@ Ilka
Ich fasse da gar nichts persönlich auf. Interessanterweise haben wir ja gerade unter Candlebees "ohne Kommentar" eine interessante Diskussion über Kommentare bzw. fehlende Kommentare.
Deine Kritik kann ich nachvollziehen.
Einzig das mit dem Schatten und dem lichtlosen Winkel nicht. Vielleicht hätte ich irgendwie darauf hinweisen sollen, dass es um den Schatten hinter der Stirn geht. Das habe ich aber gar keine Lösung, wie ich das da einbauen soll.
Das mit "wägen" ist absolut richtig. Krass, dass es nicht aufgefallen ist. Aber wie du schon sagtest. Vielleicht hat sich dieser Fehler etabliert.

Führer habe ich ehrlich gesagt bewusst gewählt. Ich sehe da kein Problem, solange man das Wort nicht verherrlicht. Ebenso ist dies hier ja ein komplett überspitzter Text, der niemanden direkt anspricht. Ich würde ihn fast schon in den Bereich der Satire stecken. Wenn ich schon was in diese Rubrik hier stecke. Das ist für mich sehr ungewöhnlich.
Jedenfalls ist er nicht komplett ernst zu verstehen und mit einem Augenzwinkern zu sehen.
Ich bin aber auch nicht der größte Fan des Textes.
Danke für deine Kritik, die auch nachvollziehbar ist.

Ebenfalls danke an Candlebee und Georg.

Gruß

PW

[Eisenvorhang]

@Pennywise

Vielleicht so?

Ein reifer Gedanke löst sich aus der Rinde
des lichtlosen Winkels in meinem Gehirn.
Er fällt auf Papier, wird zu Worten aus Tinte
und keimt im Verborgnen, im Schatten der Stirn.

[Ex-Pennywise]

Das würde passen. Habe zwar erst "Verborgenen" gelesen. Dann hätte es metrisch nicht hingehauen. Aber Verborgnen haut hin.
Guter Vorschlag.

[Eisenvorhang]

Wegen notwendiger Senkungen heimlich weggeschnitzt

[MonoTon]

"und keimt insgeheim noch, im Schatten der Stirn."

fände ich ebenfalls denkbar. Zumal es auch noch einen schönen Binnenreim hergibt.
Mit einer Auslassung wäre ich eher sparsam. Ich mag Worte lieber ausgeschrieben, aber das ist Geschmackssache. Passen würde es sicher.

Lg Mono

[Eisenvorhang]

Cooler Vorschlag, Monoton, gefällt mir auch. Pennywise müsste dann entscheiden, da sich die Semantik leicht verschöbe.
"Insgeheim" und "verborgen" sind beides Wörter, die etwas mit Geheimhaltung und Verdeckung zu tun haben, aber sie betonen unterschiedliche Nuancen. Wenn wir von etwas sprechen, das "insgeheim" geschieht, denken wir meistens an Gedanken, Gefühle oder Absichten, die im Verborgenen gehalten werden. Es geht dabei um die Heimlichkeit oder Diskretion von jemandes inneren Zuständen oder Plänen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Im Gegensatz dazu bezieht sich "verborgen" eher auf die tatsächliche Versteckung oder Unsichtbarkeit von Dingen. Es kann sich um materielle Objekte handeln, aber auch um immaterielle Dinge wie Emotionen oder Informationen, die nicht sofort erkennbar oder leicht zu finden sind. Kurz gesagt, "insgeheim" hebt die geheime Natur von Gedanken oder Absichten hervor, während "verborgen" die Nicht-Erkennbarkeit oder das Verstecktsein von etwas betont.

Wegen der Auslassung: Penny hat bereits eine Auslassung im Text, die er wegen eines Reimes beschnitten hat (versteh). Um eine Auslassung auf einen Reim zu setzen, könnten wir den Schatten in direkten Bezug zur Stirn setzen. Der Vorteil… Weniger Adjektive. Es gibt hundertfache Möglichkeiten und die Einfachheit des Metrums, gibt das auch her. Es kommt ganz darauf an, was Penny aussagen und welche Nuancen er setzen will.

Ein reifer Gedanke löst sich aus der Rinde
des dunklen Verstecks tief in meinem Gehirn.
Er fällt auf das Blatt, wird zu Worten aus Tinte,
den Ursprung zu spüren, im Schatten der Stirn.
Ich hege und pflege die reifen Gedanken,
verstehe sie ganz, wenn sie endlich erscheinen.
Bewache sie sorgsam wie edelste Schranken,
nähr sie mit Ideen, die leise sich einen.
Etc.