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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 02.07.2014, 11:03   #1
männlich Schmuddelkind
 
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Beiträge: 4.798

Standard Wohnzimmer-Gespräch

"Schatz, ich hab vorhin mal wieder onaniert", berichtet er ihr oder dem Fernseher. Sie wippt noch drei mal mit dem Schaukelstuhl. "Und, wie war's?", fragt sie, die psychologische Fachzeitschrift umblätternd, nach. "Gut", antwortet er. "Gut", bestätigt sie. Sie sitzen eine Weile da, sein Blick in Richtung Fernseher, sie in der Ecke, auf dem Stuhl hin und her schaukelnd. Nachdem der Pfiff des Schiedsrichters ertönt, kommentiert er beiläufig: "Juve spielt nicht mehr so gut, wie in den Neunzigern." "Es ist 2014", erklärt sie. "Ja", erwidert er. Das Knarren des Schaukelstuhls und das gleichmäßige Summen des Zuschauerschwarms tönen einige Minuten nebeneinander her.

Sie blättert erneut um und sagt: "Ich hab dich übrigens betrogen, Schatzi. Nur damit du rechtzeitig das Abendessen mit deinen Eltern absagen kannst - am Samstag werde ich dich nämlich wieder betrügen."
Er wendet den Blick vom Spiel ab und sieht sie kurz an: "Aber könntest du nicht auch masturbieren?"
"Klar, aber mit Ole macht es natürlich mehr Spaß. Das verstehst du sicher."
"Ole?! Warum ausgerechnet mit ihm?"
"Na ja, er ist ein paar Jahre jünger als du, gutaussehend und erfolgreich. Aber lass uns doch jetzt nicht darüber streiten."
Ihr Blick ist nach wie vor auf die Zeitschrift fixiert. Sein Blick wandert langsam wieder zurück zum Fußballspiel. Ein Tor fällt. Er nimmt einen Schluck Bier aus der Flasche.

Plötzlich ergreift sie wieder das Wort: "Ach, da fällt mir was ein, Schatz. Ich bin mal meine Planung für das nächste Jahr durchgegangen: Ich überlege gerade, dich Anfang des Jahres zu verlassen und mit Ole zusammenzuziehen."
"Anfang des Jahres?!"
"Na ja, steht ja noch nicht ganz fest. Außerdem haben wir noch mindestens ein halbes Jahr, um einander vorzumachen, wir führten eine Beziehung."
"Hast ja recht, Schatz. Hab sowieso darüber nachgedacht, dich bis zum Ende des Jahres umzubringen. So gegen Weihnachten wäre ein guter Zeitpunkt, finde ich."
"Weihnachten bin ich übrigens nicht da, Liebling. Und hast du da schon was Konkretes im Sinn?"
"Ich habe ja noch den Schlagbohrer - den muss ich dem Nachbarn irgendwann wieder zurückgeben. Jedenfalls könnte ich dir damit durch die Schädeldecke ins Hirn bohren, wenn du schläfst. Kann natürlich sein, dass der Nachbar ihn bis dahin wieder zurück haben will; da dachte ich dann an den Trennschleifer. Mit dem könnte ich dir wohl recht sauber das Genick durchtrennen - müsste dich allerdings irgendwo fixieren."
Verwundert hakt sie nach: "Aber du kannst doch gar nicht mit Werkzeugen umgehen, Schatz. Lass das doch lieber den Profi machen!"
"Mal sehen. Ist ja noch nicht ganz durchdacht", räumt er ein.
Noch mit dem Buch vor der Nase "Eigentlich habe ich ja gehofft, dass dich bis Ende des Jahres deine Depression besiegt und ich dich eines Tages auf dem Dachboden finde, wie du an dem Balken hängst. So, ich gehe dann mal ins Bett. Gute Nacht, Schatz."
"Nacht, Liebling. Lass es dir noch mal durch den Kopf gehen!"
Schmuddelkind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2014, 12:17   #2
Thing
R.I.P.
 
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Grotesk!


Wie eine Zeichnung von U. Searle.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2014, 14:53   #3
weiblich Ex Täubchen
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Beiträge: 432

Liebes Schmuddelkind,

einfach gut geschrieben. Es gibt denke ich (leider nicht aus eigener Erfahrung) Ehen die wirklich glücklich sind mit auf und nieder. Deren Gedanken könnte man vielleicht bis auf ein paar heimliche geistige Ausflüge offen wiedergeben.
Bei deiner Darstellung ist denke ich eigentlich klar, dass sie sich wohl besser zeitig getrennt hätten um ihr Leben noch zu genießen. Davon wird es einige geben. Sie sprechen es nur nicht offen aus. So könnte ich mir vorstellen, kommen einem die Gedanken, wenn man die eines solchen Paares mitbekommen würde.
Naja, ich hoffe sie verläßt ihn friedlich und er verzichtet auf den Bohrer.
Gerne gelesen, ich mag so kurze Geschichten, wenn mich diese auch traurig stimmt.

LG Täubchen
Ex Täubchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.07.2014, 11:36   #4
männlich Schmuddelkind
 
Benutzerbild von Schmuddelkind
 
Dabei seit: 12/2010
Ort: Berlin
Alter: 38
Beiträge: 4.798

Vielen lieben Dank!

Freut mich, dass das Groteske auch als solches erkannt wurde. Ich schrieb schon einmal eine Groteske, an der kritisiert wurde, die Figuren seien überzeichnet.

Zitat:
Wie eine Zeichnung von U. Searle.
Den musste ich erstma googeln (gibt übrigens mehrere U. Searles). Aber was ich gesehen habe, hat mir wirklich gut gefallen und manche Bilder drücken genau diesen "Spirit" aus. Danke für den Hinweis.

Zitat:
Bei deiner Darstellung ist denke ich eigentlich klar, dass sie sich wohl besser zeitig getrennt hätten um ihr Leben noch zu genießen. Davon wird es einige geben. Sie sprechen es nur nicht offen aus.
Genau darauf wollte ich hinaus. Danke!
Es ist natürlich klar, dass man diese Gedanken, die die Protagonisten hier kommunizieren in einer realen Situation nicht offen ausspricht. Damit wollte ich darauf hinweisen, dass man miteinander reden muss, bevor solche Gedanken überhaupt entstehen. Ich habe es natürlich auf die Spitze getrieben, aber vereinzelt sind solche Gedanken bestimmt sogar realistisch.

LG
Schmuddelkind ist offline   Mit Zitat antworten
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ehe, entfremdung, enttäuschung

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