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Alt 11.08.2008, 19:04   #1
Distel
 
Dabei seit: 08/2008
Beiträge: 67


Standard Alltag

Ich hasse Einkaufen. Um keinen falschen Eindruck zu hinterlassen, ich spreche nicht von vergnüglichen Einkäufen, wie Schuhe oder Bücher, nein, ich spreche von Supermärkten. Heute zum Beispiel. Angekettet wie Demonstranten vor Gorleben, stehen die Einkaufswagen vor mir. Langsam beginnt es hinter meinem rechten Auge zu pochen. Es ist immer das rechte. Ich vermute dort sitzen die "Einkaufsalarmnerven". Ich hab keinen Euro. Natürlich hätte ich einen dieser Plastikdinger mitnehmen können, die ich zu Hunderten zu Hause liegen habe. Aber die liegen warm und kuschelig irgendwo versteckt. Wir mögen uns nicht. Keine Ahnung wieso. Also wühle ich mich zur Kasse, um mein Geld zu wechseln. "Das geht erst, wenn ich die Kasse aufmache, quäkt mir die Kassiererin entgegen, dazu muss ich erstmal den nächsten Kunden abkassieren." Entsetzt beobachte ich, wie der nächste Kunde den 4 Wochen Einkauf einer Großfamilie aufs Band wuchtet. Vorsichtig trete ich einen Schritt zurück, weil mir schwindelig wird, vom Aroma, das aus den Achseln der Kassiererin entweicht, jedesmal, wenn sie zur nächsten Ware greift, um es über dieses nervige Piepding zu ziehen. Rums, haut mir ein Typ den Einkaufswagen in die Hacken. Ich will ihn schon anbrüllen, da sehe ich, dass er nur einen Zahn hat und im Einkaufswagen eine Flasche Weinbrand für 1,99 liegt. Ich lasse ihn passieren und versuche zu ignorieren, dass er sich wortreich bei mir entschuldigt. Er riecht aus dem Mund wie nasser Hund. Verbunden mit dem Achselgeruch der Kassiererin, ergibt sich ein giftiges Gemisch. Das Pochen hinter meinem Auge mutiert zu einem Klopfen. Endlich kann ich mein Geld wechseln und eile aus dem Laden.

Gierig sauge ich die frische Luft ein und befreie einen der Einkaufswagen aus seiner Gefangenschaft. Eigentlich öffnet sich die Tür automatisch, was sie auch tut, aber leider schließt sie sich in einem Affenzahn. Da ich noch leicht angeschlagen bin, von dem Geruchsterrorismus, schaffe ich es nicht ganz und die Tür klemmt mich ein. Ich lache blöd und schaue mich nach allen Seiten um. Niemand hats gesehen und ich kann meine Gesichtsmuskeln dem Schmerz anpassen. Der Einkaufswagen ist nicht mein Freund. Verbissen kämpfen wir mit- einander. Ich will nach rechts. Er nach links. Brutal gebe ich die Richtung vor. Ich will geradeaus. Mit wütender Wucht schiebe ich dieses drahtige Ungetüm vor mir her. Es nutzt die Wucht um bockig nach rechts zu driften. Gerade in diesem Augenblick rast ein Kind mit seinen Inlinern an mir vorbei. Hinterlistig knallt mein Wagen gegen das rasende Kind und mäht es um. Brüllend windet es sich auf dem schmutzigen Boden. Anklagende Blicke richten sich auf mich. Ich möchte das zuckende, brüllende Kind schlagen. Was hat es mit Inlinern im Supermarkt zu suchen? Aber ich täusche Betroffenheit vor und beuge mich zu dem Kind herab. Die Zuschauer sind zufrieden und wenden sich ab. "Steh auf", herrsche ich das Gör an. "Wenn du noch einmal hier mit Inlinern herumfährst, rufe ich die Polizei". Mit weit aufgerissenen Augen steht das Kind blitzschnell wieder auf seinen wackeligen Beinen. Das mit der Polizei klappt immer. Kinder sind zu blöd.

Befriedigt schiebe ich meinen degenerierten Einkaufswagen weiter. Verlockend lachen mir die Erdbeeren entgegen. Ich betrachte die Schalen, in denen oben leckere, saftige Erdbeeren zum Kauf locken. Clever drehe ich die Schalen um und sehe, wie unten die Erdbeerleichen vergraben liegen. Zerquetscht und mißbraucht röcheln sie unter dem Gewicht der gesunden Artgenossen. Nicht mit mir! Ich bin eine Supermarkt-Revoluzzerin. Beherzt kippe ich eine der Schalen aus, stelle die leere Schale auf die Waage und beginne damit, aus allen Schalen nur die besten Erdbeeren herauszusuchen. Es dauert nicht lange und die erste Kundin spricht mich an. "Das geht ja nicht, was Sie hier machen", klärt sie mich auf. "Doch, dass geht ganz gut" erwidere ich ungerührt und mache weiter. Der Marktleiter erscheint auf der Bildfläche. "Junge Frau, Sie können hier ja nicht aussortieren." weist er mich zurecht. Ich wende mich ihm zu. Grauer Kittel der über dem Bauch spannt, Wichtigtuer-Schild (Marktleiter), die Hände in die Seiten gestemmt. Hinter ihm der graue Lockenkopf, heftig nickend. "Für mein Geld will ich vernünftige Ware und keine vergammelten Erdbeeren. Wollen Sie mir das ernsthaft verweigern?" frage ich ihn lauernd. Er weiß, dass er verloren hat und täuscht Bestürzung vor. "Vergammelt? Oh, dass tut mir leid, stammelt er, natürlich, dann... er hasst mich. Zufällig sehe ich mein Gesicht in den Spiegeln, die über dem Obst hängen. Es wirkt ein wenig blasiert. Beschwingt gehe ich weiter und lasse Mr. Wichtig und den grauen Panther zurück.

Liebevoll betrachte ich meine Erdbeeren. Vor mir sehe ich ein Kind auf Socken, Inliner unter dem Arm. Panisch schaut es mich an. Diabolisch simuliere ich eine Polizeisirene, indem ich meinen Finger über dem Kopf kreisen lasse und tatütata jaule. Das Erfolgserlebnis mit den Erbeeren hat mich ein wenig übermütig gemacht. Die weiteren Einkäufe verlaufen ohne Zwischenfälle, wenn man davon absieht, dass ich selten das bekomme, was ich wirklich will. Dreimal werfe ich meinen Speiseplan um, weil die Zutaten nicht da sind. Der Laden verfügt über 6 Kassen. Eine ist besetzt. Die Schlange der Wartenden reicht bis Kanada. "Können Sie vielleicht so nett sein und noch eine Kasse öffnen, brülle ich über 27 Köpfe hinweg. Zustimmendes Murmeln der anderen Wartenden. Wieselflink und dienstbeflissen öffnet der Marktleiter eine weitere Kasse. Er will mich loswerden, ich bin sicher. Schnell verteilt sich die Schlange auf beide Kassen. Ich checke kurz ab, welche der Kassen ich nehmen sollte. Entscheide mich dann dafür, die zu nehmen, die der Marktleiter betreut. Weniger Wartende und keine Omi dabei, die ihr Kleingeld im Portemonaie hortet, um es hier auszugeben. Ich bin frohen Mutes, bis der junge Mann vor mir eine Tüte Chips mit seiner Kreditkarte bezahlt. Wieder und wieder zieht der Marktleiter die Karte durch den Schlitz des Kartengerätes. "Sie muss kaputt sein", klärt er den jungen Mann auf. "Sie müssen Tesa über den Streifen kleben und wieder abziehen, dann funzt es", gibt der Mann hinter mir Tipps. "Hat mal einer Tesa?" gröhlt der Marktleiter durch den Laden. Minuten später eilt eine Verkäuferin herbei, Tesa in der Hand. Umständlich pult der Marktleiter an der Rolle herum. Er bekommt sie nicht auf. "Ich habe keine Fingernägel" entschuldigt er sich. Wieder kommt die Verkäuferin und übernimmt das schwere Amt. Endlich klebt Tesa auf der Karte. Wieder versucht der Marktleiter sein Glück. "Jetzt steht hier: Zahlung nicht möglich", informiert er den Kerl mit den Chips. "Oh, ja dann zahle ich bar" grinst der ungerührt und zählt 59 Cent auf den Tisch. Die andere Kasse hat inzwischen geschlossen.
Ich möchte töten. Zahle. Verlasse den Laden. Bis morgen. Schönen Tag noch.
Distel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2008, 08:00   #2
Murphy
 
Dabei seit: 08/2008
Beiträge: 3


Zitat:
Befriedigt schiebe ich meinen degenerierten Einkaufswagen weiter.
Was ist ein degenerierter Einkaufswagen?
Murphy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2008, 12:09   #3
Distel
 
Dabei seit: 08/2008
Beiträge: 67


Ein missratener Einkaufswagen, da er nicht so rollt, wie er eigentlich sollte.
Distel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2008, 12:21   #4
Kirmesbollo
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 302


hallo distel,
ein nachvollziehbarer einkaufsalbtraum, den ich mit einem schmunzeln gelesen habe.
„ich möchte das kind schlagen“
was das ganze perfektioniert hätte, wäre folgende szene, die glaube ich
auch nicht so selten ist: man steht mit allen händen voller einkaufstüten vor der kassiererin,
hält die hand mit mühe der dame zwecks entgegennahme des wechselgeldes hin...
und sie schmeißt die münzen auf das warenförderband, wo es nur mühsam aufzuknibbeln ist,
während ungeduldige intimsphärenignoranten so nah aufrücken, dass man riechen kann,
was sie in der letzten woche gegessen haben.
das nur so, danke für das schmunzeln: der bollo
Kirmesbollo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.08.2008, 18:12   #5
Distel
 
Dabei seit: 08/2008
Beiträge: 67


Stimmt , das habe ich ausgelassen. Ich hasse Einkaufen tatsächlich und habe nach so einem Horrortrip diese Geschichte herunter geschrieben.

Schön, dass du schmunzeln konntest.
Distel ist offline   Mit Zitat antworten
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