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Alt 05.09.2012, 12:57   #1
männlich Billy Bibbit
 
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Dabei seit: 01/2012
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Alter: 60
Beiträge: 137


Standard Der Reisende

Der Reisende sah sich die Häuser der Einwohner an und empfand eine Art von Unbehagen, denn keines der Häuser hatte Fenster. Alle waren mit grünen Dächern ausgestattet und besaßen einen viel zu kleinen Eingang. Es erinnerte ihn an eine Stadt aus einem Fantasieroman, aber eines war sicher, das hier war die Realität. Er näherte sich vorsichtig dem ersten Haus und versuchte herauszubekommen, was oder wer darin lebte. Er hörte und sah nichts, als neben ihm eine Stimme zu vernehmen war:
"Fremder, was suchst du hier?" Er drehte sich um und ihm gegenüber stand eine junge Frau, die mit einer Art Toga bekleidet war und ihn freundlich ansah. "Ich bin nur zufällig hier", antwortete er.
Sie nahm meine Hand und führte mich in die Mitte der kleinen Stadt.
"Willkommen in Darkany. Du wirst uns nicht mehr verlassen."

Er verstand die Worte, aber nicht den Sinn hinter ihrer Aussage. Doch er wusste, dass ein Fragen keinen Sinn hatte.
Dann verließ sie den Reisenden und er stand alleine da. Etwas später kamen kleine Menschen auf ihn zu, die ihn argwöhnisch betrachteten. Einer von Ihnen stieß mir ihm einen Finger in den Oberschenkel. So fest, dass er tief in seinen Muskeln verschwand. Er betrachtete das herausquellende Blut und animierte die anderen gleiches zu tun.
Mehrere Menschen kamen zu ihm und vergruben ihre Finger und Hände in seinem Körper. Der Reisende spürte den Schmerz, der sich über die Oberschenkel durch den Bauch, bis zur Brust zog.

Aber er war vollkommen entspannt. Eine Frau stieß ihm ihren Arm tief in das Herz, riss es heraus und legte es auf einen Altar. Es schlug schnell und aus den abgerissenen Venen pumpte frisches rotes Blut. Dann fingen alle an zu tanzen und forderten ihn auf gleiches zu tun. Er tanzte sich in Trance und sang Lieder der Liebe und der Sehnsucht nach Vollkommenheit.
Ein kleiner Mann schnitt ihm seine Arme ab und zerlegte sie fein säuberlich. Dann ordnete er die Knochen und Muskeln zu einem Bild, das einem Vogel glich. Man entfernte ihm die Ohren, aber er konnte sich nicht darum kümmern. Zu stark war sein Drang nach Rhythmus und Musik.
Der Reisende trennte sich von seinem Kopf, legte ihn an die Seite und beobachtete seinen restlichen Köper, wie er sich ekstatisch im Kreis drehte und erfreute sich daran, dass er sich mit jeder Bewegung weiter auflöste. Die Menschen stritten um seine Beine und fingen an, seine Finger, die Rippen, die Brust und alles sonstige zu essen. Dann war sein Körper endgültig verschwunden und sein Kopf versuchte auf sich aufmerksam zu machen. Er schrie: "Meine Augen, nehmt meine Augen."
Doch die Menschen verschwanden und ließen ihn zurück. Erst da wurde ihm die Aussichtslosigkeit seiner Situation bewusst.

Die schöne Frau kam wieder und legte ein Tuch über seinen Kopf. Sie lachte leise und verschwand. Er konnte durch das Gewebe tagelang die Sonne und die Nacht zuordnen. Er war glücklich und zufrieden. Manchmal regnete es. Es erfreute ihn und ich stellte sich vor durch Pfützen zu springen. Elegant wie eine Antilope. Soweit sein Kopf das realisieren konnte.
Nach vier Tagen nahm man ihm das Tuch wieder vom Kopf und trug ihn zu einer Feuerstelle. Man briet den Rest, zusammen mit Feigen und Basilikum. Seine Augen platzen mit einem lustigen Zisch-Geräusch. Das Leben kann so schön sein.
Er genoss es noch einen Moment, dann war das Büffet eröffnet.
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Alt 05.09.2012, 13:27   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


Halli Hallo, Billy Bibbit -


ein exquisiter Text, in dem lediglich e i n kleines Wort verrät, daß hier ein Träumender einen seiner eigenen Träume - ob Tiefschlaf, Wach- oder Wahrtraum - berichtet.
Sehr bizarr, skurill und tiefgründig; ich vermute eine Metapher.

Die kleine Erzählung hebt sich wohltuend von so vielen anderen Geschichtchen hier ab:
Logisch aufgebaut.
Roter Faden.
Stilistisch genau passende Kürze/Länge.
Hervorragender Spannungsbogen.
Einwandfreie Grammatik und Rechtschreibung.


Großes Lob
von
Thing
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