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22.03.2010, 22:52 | #1 |
Die Frau vor dem Fenster
Meine Ohren erwachen zuerst. Das Donnern eines Flugzeugs verliert sich wie ein Schatten, der über die Häuser gleitet. Die Stadt blendet ihre Geräusche ein. Das Röcheln aus Abgasrohren vor dem Rotlicht, das Raspeln der Reifen über den glatten Asphalt, das Verhaspeln der Fahrtwinde beim Zerschneiden der Luft. Der hysterische Zweiklang eines Polizeiwagens mischt sich ein, dazwischen das klagende Schleifen der Straßenbahn bei ihrem kurzen Auftritt zwischen den Häuserfluchten. Das Geflecht von Stadtgeräuschen verknüpft sich mit den Grundgeräuschen des Hauses, dem mehrstimmigen Fließen des Wassers in den verzweigten Leitungsrohren, dem saugenden Lärm der Frischluftventilatoren, dem Ächzen der Stahlverstrebungen, das sich über die Wände fortpflanzt. Im Zerfließen jeder akustischen Ordnung meldet sich der solide Rhythmus einer fernen Kirchenglocke, deren Schläge die Zeit im Sekundentakt auffressen.
Guten Tag neuer Tag! Hallo Scheintoter! Als ich die Augen aufschlage, ist mir, als hätte ich hundert Jahre unter einem großen dunklen Stein verbracht, den gerade jemand gütig wegrollt. Fiat lux, aber bitte in Überblendung. Dieser harte Schnitt blitzt mir alles Drumherum weg, also besser Augen wieder zu. Auf der Innenseite des Augenlieds läuft Fernsehen für Schwarzseher, in der ersten Szene werden die Lichtquellen, die ich eben noch im Blickfeld hatte, auf einen roten bis orangefarbenen pupillengroßen Punkt heruntergefahren. Ich sehe mir das noch eine Weile an, abschalten kann man ja nicht selbst, das kann nur der plötzliche Hirntod. Eigentlich warte ich nur auf die zweite Szene, in der die gespiegelten Pupillen langsam verglühen und mir eindeutig schwarz wird vor den Augen, und jetzt bin ich so weit und kann die Blendungen, Lichtstürze Liedspiegel und Schattenrisse einem erhellenden Vergleich unterziehen. Probeweise mache ich zu diesem Zweck ein paar Augenaufschläge. Hat sich da nicht eben etwas bewegt vor dem Fenster? Oder war das im Traum, als ich noch unter dem Stein lag? Jedenfalls habe ich den Kopf einer Frau gesehen, vielleicht nur für Sekundenbruchteile, er verschwand sofort wieder hinter der Fensterkonsole. Im Traum, sagt mir meine in die vergangene Nacht stolpernde Erinnerung, sprang eine Frau vom Dach, ein Haus stürzte ein, in pathetischer Zeitlupe, wie die Türme des World Trade Centers in den Videoclip-Versionen. Das Ganze von Musik untermalt, ein Trallala aus Flamenco und Fandango. Weit und breit kein Ansatzpunkt zu sehen, über den ich mich selbstanalytisch beugen könnte. Ich drehe mich auf den Bauch und starre ins Kissen. Nur die Ohren sind frei, bis sie durch ein schabendes Geräusch in schmerzend hoher Frequenz gegeißelt werden, und als ich mich umdrehe, ist doch tatsächlich die Frau wieder da; in verwegener Bergsteigermontur schwebt sie vor meinem Schlafzimmerfenster, trägt einen gelben Helm auf dem Kopf und sitzt inmitten von Seilen und Kabeln auf einer Art Kinderschaukel. Mit einem Gerät, das wie ein Scheibenwischer mit Handgriff aussieht, macht sie auf ihrem wackeligen Sitz schwungvoll quietschende Bewegungen von oben nach unten. Ich überlege kurz, wie ich mich verhalten soll. Gerade als ich beschließe, möglichst unauffällig aus dem Bett zu schleichen, steckt die Frau den Lappen, mit dem sie das Fenster trocken rieb, in den Gürtel ihrer Bergsteigerhose. Dann stößt sie sich mit dem rechten Fuß am Fensterrahmen ab und segelt lautlos nach unten, zum nächsten Fenster. Und ich bin wieder allein mit meinem Traum. |
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22.03.2010, 23:18 | #2 |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889
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Hallo Aporie,
deine Geschichte nahm mich gefangen, hat mich fasziniert. Was für wunderschöne Beschreibungen kleinster Details. Allein der Anfang mit dieser mikroskopisch genauen Schilderung der verschiedenen Geräusche. Ich bin mehr als beeindruckt. Du erhältst von mir 99,9 von 100 möglichen Punkten. Aber lautlos. Denn Geräusche so beschreiben wie du kann ich nicht. Neidlose Anerkennung und ehrliches Kompliment von Corazon |
22.03.2010, 23:53 | #3 |
Miro una mujer de papel.
Sus piernas apretadas forman la letra M como magica o marea de un amor profundo en su corazón de piedra |
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23.03.2010, 00:10 | #4 |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889
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Yo soy una mujer sincera
de donde crece la palma Du kannst besser spanisch wie ich. Mein spanisch ist sehr holprig. Na ja, ich leb ja auch schon 26 Jahre nur mit der deutschen Sprache. Du könntest den obigen Text ruhig unter Internationale Gedichte posten. Corazon |
23.03.2010, 00:26 | #5 | |
Forumsleitung
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Zitat:
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23.03.2010, 00:36 | #6 | |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889
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Zitat:
Yo soy un hombre sincero, de donde crece la palma Ich bin ein aufrichtiger Mann von da, wo die Palme wächst Ich habe daraus eine aufrichtige Frau gemacht. Es ist unvollständig, nur von "Guantanamera" zu sprechen. Das heisst lediglich "aus Guantanamo stammend". Korrekt ist "Guajira Guantanamera". Es ist ein Wortspiel und bedeutet sowohl "ein Lied aus Guantanamo" wie auch "eine Bäuerin aus Guantanamo". Lieber Gruss Corazon |
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23.03.2010, 00:42 | #7 |
Ich wollte amor pasado schreiben und habe mit profundo ungewollt einen Schritt in eine Richtung getan, in der andere Leute ein freudsches Umfeld vermuten könnten. Es war nicht einmal heimlich selbstreferenziell gemeint, aber inspiriert zu diesem poema de ocasion (mierda, warum gibt es hier keine Sonderzeichen) hast du mich schon.
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23.03.2010, 00:55 | #8 | |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889
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Zitat:
Ich mache auch ausser Poesie auch andere Sachen um Menschen zu inspirieren, es klappt recht gut. Man muss vielseitig sein. Du drückst dich sehr gewählt aus. "Selbstreferenziell" und "freudsches Umfeld" - du hast sicher eine enorme Bildung. Ich habe dich erst für sehr jung eingeschätzt, ich weiss nicht warum, aber ich denke du bist wesentlich erfahrener und reifer. Als ich. Da hat Ilka-Maria möglicherweise eine adäquate Gesprächspartnerin Liebe Grüsse Corazon |
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23.03.2010, 01:20 | #9 |
Das ist mein zweiter Versuch diese Nachricht zu hieven
Entschuldigung, falls sie nun womöglich zwei Mal auftaucht.
Ich bin nicht jung. Ich bin eine Ruine, von einem jungen Menschen bewohnt, um mit jemand viel Gebildeteren zu sprechen, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Und Ilka-Maria kommt mir irgendwie bekannt vor. Wenn du mich jetzt als Gesprächspartnerin abschieben willst, sei’s drum, ich bin ja ein Mann und bleibe Dir als Gesprächspartner trotzdem erhalten. (ist es eigentlich erlaubt, unter der eigenen Geschichte rastlos herumzuquatschen?) |
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23.03.2010, 01:25 | #10 |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889
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Um Gottes Willen, das hab ich doch nicht gemeint.
Ich hab gedacht du wärst eine Frau. Ach Mensch, warum schreibt ihr auch nix ins Profil? Es liegt mir fern jemanden, ob Mann oder Frau, abzuschieben als Gesprächspartner. Ich hatte nur den Eindruck du hast viel drauf. Und ich erwähnte Ilka-Maria nur, weil die auch extrem viel drauf hat. Während ich eher einfach im Geist bin. Aber sexy. Egal. Ja, hier sieht man das nicht so eng, dass man absolut nur textbezogen antworten darf, man darf auch mal abschweifen Freundliche Grüsse Corazon |
23.03.2010, 01:35 | #11 |
Noch vor 25 Minuten
waren die Grüße lieb, jetzt sind sie nur noch freundlich. Da gähnt ein Abgrund zwischen uns, und ich dachte mir, es wäre nur eine klopfzeichenfreundliche Wand.
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23.03.2010, 01:38 | #12 | |
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889
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Zitat:
Da bin ich erst mal freundlich und alles andere kommt dann mit der Zeit. So schnell bin ich nicht, nach paar Stunden... Deine Grüsse waren ja dagegen nicht mal vorhanden... Aber wenn du das brauchst: Liebste Grüsse Corazon |
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23.03.2010, 01:57 | #13 | |
Forumsleitung
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Ihr Lieben, ich finde, es kommt darauf an, um welches Thema es geht und ob es interessant genug ist, sich darüber auszutauschen. Ob man dafür einfache Worte benutzt oder intellektuell daherkommt, ist doch egal, solange man sich verständlich ausdrückt.
Zitat:
Auch von mir liebe Grüße Ilka-M. |
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