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Alt 24.11.2010, 20:31   #1
männlich Fridolin
 
Dabei seit: 04/2010
Beiträge: 1.026


Standard Yesterday – Begegnung mit der Vergangenheit

Ich sehe, dass hier auch Texte in Prosa eingestellt werden können. Obwohl ich auf diesem Gebiet mir noch keine Meriten erworben habe, will ich doch eine Erzählung über ein mich sehr berührendes Erlebnis vorstellen.

Yesterday – Begegnung mit der Vergangenheit

Als ich nach vielen Jahren mal wieder zu einem Besuch in Heidelberg war, wo ich einen Teil meiner Schul-, Studien- und Berufszeit verbracht hatte, und gerade so in Gedanken durch die altvertrauten Gassen schlenderte, spürte ich plötzlich, wie sich eine Hand auf meine Schulter legte. Ich befürchtete schon, Opfer einer kriminellen Gewalttat zu werden, doch als ich mich umdrehte, blickte ich nicht in das Gesicht eines Schlägers, sondern in die strahlenden Augen eines älteren Herrn, der zu mir sagte: „Entschuldigung, aber ich glaube, ich kenne Sie!“

Ich zögerte, vielleicht war das so eine Masche, mir was anzudrehen. Aber nichts dergleichen. Er fuhr fort, nun das vertrauliche „Du“ verwendend: „Du bist doch Fridolin, der Schnelldichter! Dir verdanke ich, dass ich die große Liebe meines Lebens gefunden habe.“

„Mein Gott, Walter“, lachte ich, mich erinnernd, „das ist ja fast schon nicht mehr wahr, so lang ist das her. Aber wieso hast du mir die große Liebe deines Lebens zu verdanken?“ fragte ich und fügte hinzu: „Lass uns doch in ein Café gehen, dann können wir in Ruhe in Erinnerungen schwelgen.“

„Ich habe eine bessere Idee“, meinte er, „komm, ich wohne hier um die Ecke, dann mache ich zur Feier des Tages ein Fläschchen auf. Oder bist du sehr in Eile?“ Ich sagte ihm, dass ich gegen Abend wieder mit der Bahn heimfahren wolle.

Nach einem Fußweg von etwa zehn Minuten standen wir vor einem Haus im Jugendstil, und mein Begleiter führte mich in eine Maisonettewohnung, eine Wendeltreppe hinauf in ein großes Musikzimmer, in dessen Mitte ein weißer Konzertflügel stand. Ich erinnerte mich, Walter war damals in einem Trio der Pianist und Leadsänger. Die drei nannten sich die „Repeiros“, eine Verballhornung eines nach dem Krieg sehr bekannten Trios, das sich die „Die drei Peheiros“ nannte.

An der Wand gegenüber dem Flügel hing ein großes Gemälde mit dem Bildnis einer ebenso attraktiven wie elegant gekleideten Frau.

„Vor zwei Jahren ist sie gestorben“, sagte Walter, „aber sie ist immer bei mir und freut sich, dass ich dich getroffen habe.“ Ich nickte, denn ich habe schon oft erlebt, dass Menschen mit ihren verstorbenen Angehörigen auch nach dem Tod noch zu sprechen pflegen.

„Jetzt will ich dir aber etwas zeigen, ich sehe dir an, dass du darauf brennst, zu erfahren, wie das damals war“, sagte er und holte aus einem Schrank eine kleine Mappe, die er mir überreichte: „Mach mal auf, dann weißt du Bescheid“, sagte er. Ich öffnete die Mappe und fand darin eine Serviette und darauf einen Text, unverkennbar in meiner Handschrift geschrieben:

   
Gestern noch
war die Welt für mich so öd und leer,
ringsumher ein graues Nebelmeer,
denn ich vermißte dich so sehr.

Heut jedoch
kam das große Glück mit dir zurück.
Der Himmel öffnet sich für mich ein Stück
mit dir in jedem Augenblick.

Refrain:

Denn die Sonne, die so hell mir scheint,
bist du.
Und mein Herz, vereint,
schlägt im Liebestakt dazu.

Heut ist heut.
Was gestern war,
das ist Vergangenheit.
Die Zukunft öffnet uns die Pforten weit
zu einer Zeit voll Seligkeit.

Refrain

Jetzt fiel es wie Schuppen von meinen Augen. „Ja“, sagte ich, „der Text ist von mir, ich habe damals öfter auf Servietten geschrieben, wenn mir plötzlich etwas einfiel, nahm ich, was grade zur Hand war. An viele solcher Niederschriften kann ich mich gar nicht mehr erinnern, auch an diese nicht.“

„Du hättest sie sammeln sollen, dann könntest du einen Band herausgeben mit dem Titel „Fridolins Serviettengedichte“, lachte er.

„Aber du weißt sicher, was für eine Bewandtnis es mit dem Text hat“, fragte er mehr rhetorisch und gab gleich die Antwort: „Das ist dein Text auf den damals ganz aktuellen Titel „Yesterday“ von den Beatles; leider hatte ich kein Englisch gelernt, und ausgerechnet dieses Lied wurde vom Publikum immer wieder gewünscht, besonders von einer jungen Dame, die mir sehr gefiel und der zuliebe ich die Mühe mit der englischen Sprache auf mich nahm. Als ich dann deinen Text sang, war meine Angebetete ebenso überrascht wie beeindruckt. Wenige Monate später haben wir geheiratet. Gerne hätten wir dich dazu eingeladen, aber du warst nicht aufzufinden. Unsere Liebe hat ein ganzes Leben gehalten und ist über den Tod hinaus nicht erloschen“, sagte er und fügte hinzu: „Komm, mach mir die Freude, sing das Lied für mich, ich bin nicht mehr so gut bei Stimme mit meinen bald 80 Lenzen.“

Er setzte sich ans Klavier, ich nahm die Serviette und wartete auf meinen Einsatz. Wie von Geisterhand verlöschte das Licht, nur der Flügel wurde von einem Licht an der Decke angestrahlt, und als dann der Raum vom Klang dieses wundervollen Instruments erfüllte wurde, fing plötzlich das Bild an der Wand an zu leuchten und es schien, als trete die Frau aus dem Rahmen und wäre mitten unter uns.

Ich blieb dann noch über Nacht bei meinem Freund, denn aus dem einen Fläschchen wurden zwei oder waren es drei? Jedenfalls war ich nicht verwundert, als die Frau aus dem Gemälde mir die Hand reichte und sagte: „Vielen Dank, mein Freund.“

Natürlich haben wir auch darüber gesprochen, was ich so mache. Ich fragte ihn, ob er Internet habe und er sagte, er hätte es gekündigt, weil er in Kürze an seinen Alterssitz in der Algarve ziehe. Ich riet ihm, sich an der Algarve Internet einrichten zu lassen, dann könnten wir weiter in Verbindung bleiben.

Am anderen Morgen sagte er mir nach dem Frühstück, gerne würde er mich zum Bahnhof begleiten, aber er müsse zum Arzt und hätte für mich ein Taxi bestellt, das auch kurz darauf schon vorfuhr. Nachdem wir uns noch einmal herzlich umarmt hatten, reichte er mir durch das offene Autofenster ein Päckchen. „Ich hab dir da noch ein paar Erinnerungen an früher eingepackt“, winkte dem davonfahrenden Taxi nach und ging ins Haus zurück.

Da das Päckchen fest verpackt und mein Zug brechend voll war, musste ich meine Neugier zügeln, bis ich zuhause war.

Was ich dann fand: Eine CD mit Klaviermusik von meinem Freund, eine Art Tagebuch mit dem Titel „Erinnerungen“ und ein Oktavheft, auf dem stand „Fridolins Serviettengedichte“.

Erschüttert las ich dann seine Zeilen an mich:

Lieber Fridolin, ich habe dir gestern nicht die ganze Wahrheit gesagt, als ich von meinem Alterssitz in der Algarve sprach. Es handelt sich um ein Hospiz; meine Reise dorthin ist eine Reise ohne Wiederkehr. Ich habe nur noch wenige Monate. Für mich war es ein Geschenk, dir noch einmal zu begegnen. Unter dem Einfluss meiner verstorbenen Frau habe ich die Mucke aufgegeben, habe der seichten Schlagerwelt den Rücken gekehrt und bin Korrepetitor geworden. Ich bin weit in der Welt herumgekommen, meine Frau war eine bekannte Cellistin. Einzelheiten kannst du in meinen Erinnerungen nachlesen. „Fridolins Serviettengedichte“ verdanke ich mehreren Freunden, die mir Abschriften von deinen Schnelldichtungen ermöglicht haben.

Lebe wohl mein Freund
Dein Walter

Walter ist wenige Wochen darauf verstorben.
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Alt 25.11.2010, 17:24   #2
weiblich Lux
 
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Beiträge: 839


Hallo Fridolin,

das ist eine sehr rührende Geschichte und du hast wirklich schöne Worte gefunden. Weil es sich anscheinend um eine wahre Geschichte handelt, möchte ich auch vorsichtig mit Kritik sein, nur so viel: als das Licht plötzlich ausgeht und der Spot auf das Piano fällt und die Dame aus dem Bild heraus tritt...tja, das ist mir persönlich ein bisschen zu viel des Guten.
Aber ansonsten haben deine Worte etwas in mir berührt und ich möchte dir herzlich danken, dass du diese schöne, traurige Begebenheit mit uns geteilt hast.

Liebe Grüße
Lux
Lux ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.11.2010, 17:43   #3
weiblich Usa Ell
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Hallo Fridolin, ich schließe mich den Worten von Lux an, eine schöne Geschichte, aber die Passage mit der Dame im Bild würde ich streichen.
Grüße Usa
Usa Ell ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2010, 09:54   #4
männlich Fridolin
 
Dabei seit: 04/2010
Beiträge: 1.026


Hallo Lux und Usa,

ich weiß, dass ich kein guter Erzähler bin und habe mich deshalb von Prosatexten ferngehalten. Dies ist meine erste und sicherlich auch letzte Erzählung. Sie enthält bestimmt etliche kritikwürdige Stilfehler, sicher wirkt die von euch zitierte Stelle etwas übertrieben. Aber ich hatte tatsächlich diese Vision, wir hatten ja auch schon einiges getrunken.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren

LG Fridolin
Fridolin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2010, 10:17   #5
weiblich Usa Ell
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Dabei seit: 10/2010
Beiträge: 53


Lieber Fridolin,
warum wirfst Du so schnell die Flinte ins Korn?
Wer hat gesagt, dass Du ein schlechter Erzähler bist?
Grüße Usa
Usa Ell ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2010, 10:31   #6
weiblich Lux
 
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Alter: 38
Beiträge: 839


Halt, halt , halt Fridolin!
nicht so schnell!
Ich finde, du bist ein guter Erzähler, hast warme und liebe Worte gefunden und bis auf den mittleren Teil ist die Geschichte schnörkellos schön. Besonders der Schluss ist dir gut gelungen.
Natürlich glaube ich dir, dass es so war, wie du es beschreibst, dass du es so erlebst hast. Vielleicht würde schon eine leichte Umformulierung helfen...

LG
Lux
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Alt 05.05.2016, 20:25   #7
Thing
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Beiträge: 34.998


Standard Lieber Fridolin -

wieso stoße ich erst jetzt auf diesen anrührenden Bericht?
Zumal ich ja glückliche Besitzerin Deiner Serviettengedichte bin!
Möglich, daß ich noch zu neu auf Poetry war.

Eine ebenso anrührende wie wunderlich-rätselhafte Begegnung mit dem Jenseitigen (wie es vielen großen Dichtern geschah).
Alles steht sehr plastisch vor mir.

Ich freue mich, diese Entdeckung gemacht zu haben
und schicke Dir liebe Grüße!

Romulus-Thing



Die drei Peheiros sind mir selbstverständlich noch vertraut.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.05.2016, 19:40   #8
männlich Fridolin
 
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Beiträge: 1.026


Liebe Thing,

da hast du ja eine alte Geschichte ausgegraben, hab Dank für den lobenden Kommentar für meinen kleinen Ausflug in die Prosa. Aber dabei soll es auch bleiben, beim Ausflug.

LG Fridolin
Fridolin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.05.2016, 20:52   #9
Thing
R.I.P.
 
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Schade!
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