Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 09.04.2012, 10:19   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747


Standard Wie der Desperado betet

Wie betet eigentlich ein Desperado?

Eine knifflige Frage, die sich so eindeutig nicht beantworten lässt, weil sich sein Berufsstand nicht zuletzt durch Meinungs- und Glaubensvielfalt auszeichnet. Und selbst bei Gleichgläubigen sind die Unterschiede von gehöriger Tragweite. In jedem Falle aber gibt es weder Itzig noch Goi, weshalb heute Sabbat ist und morgen Sonntag, und auch für die restliche Woche finden sich genug arbeitsfreie Feier- und Festtage verschiedener Religionszugehörigkeit für die gewissenhafte Ausübung eines heiligmäßigen Lebens.

Der alte Prediger gab mir mal ein Büchlein voll lustiger Geschichten über zwei Verrückte zu lesen.

Der eine war Dorfpfarrer und der andere Bürgermeister, und obwohl sich die Beiden von klein auf kannten und unzertrennliche Freunde, ja so eine Art Blutsbrüder waren, konnten sie sich das aufgrund ihrer leidenschaftlich gegensätzlichen Gesinnung unmöglich eingestehen und lagen sich unablässig in den Haaren, wobei sie sich an Geritztheit und Hinterlist gegenseitig überboten. Der Frömmere von Beiden war bei genauer Betrachtung der gottlose Bürgermeister, zumindest wenn es ans Eingemachte ging, wohingegen der Pfarrer ständig versuchte, seinen Auftraggeber auf jede nur mögliche Weise hinters Licht zu führen, was ihm aus unerfindlichen Gründen nie so recht gelingen wollte.

Wie dem auch sei, dieses mitunter recht schlagkräftige und bärenstarke Pfarrerlein hatte eine unwiderstehlich herzerfrischende Art zu beten, also eigentlich zu feilschen und debattieren mit seinem Herrgott, in der ich die meine dann doch recht authentisch und entlarvt wiedergespiegelt sehe. Von einer Seelenverwandtschaft zu sprechen fehlt mir allein der Glaube und die demütige Inbrunst, was aber die Kunst der Wahrheitsauslegung und deren nicht ganz zweckfreie Umdeutung und Erweiterung betrifft, kann ich eine gewisse Übereinstimmung nicht so ganz von der Hand weisen.

Um es mit einfachen Worten auszudrücken: Wenn Gott sich nicht bedingungslos auf meine Seite schlägt, kann er mir zumindest zeitweise gestohlen bleiben, oder er möchte sich wenigstens aus der Sache, zu der ihm offenbar der nötige Zugang fehlt, raushalten und mal eben wegschauen, bis sie zu meinen Gunsten entschieden ist- ganz in seinem Sinne versteht sich.

Und genau wie ihm mag mir das aus genau so unerfindlichen Gründen nie so recht glücken, wie der wackere Gottesmann scheine ich da ein winziges Detail zu übersehen, das nicht so ganz ohne Wichtigkeit sein kann, jedenfalls was die Unabwägbarkeiten und Beeinträchtigungen betrifft, die sich mir hinderlich meist in Gestalt hemmender Mitmenschen in den vorherbestimmten Weg zu stellen wagen, die Gott aus unverständlichen Gründen als bei weitem nicht so lästig empfinden will wie ich und sich von daher permanent weigert, sie an meiner Seite zur Seite zu räumen, wo sie verdammt noch mal hingehören.

Andrerseits verhält es sich diesbezüglich mit dem Bürgermeister deckungsgleich, wenn der Heißsporn von einer Sache überzeugt ist, muss das der Rest der Welt auch sein, was sicher mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu tun hat, der ihn zur rechten Zeit klammheimlich mit einer Kerze in die Kirche treibt, so dass man sich als Wahrheitssucher ebenso gut in diesem wiederfinden könnte, aber ursprünglich ging es darum, die Frage nach der Art des Betens erörtern.

Wenn man beispielsweise die beiden Sturköpfe gegenüberstellt, dann betet der Bürgermeister –wenn er’s denn zwischendrin mal tut- mit der Einsicht, ein großer Halunke zu sein, der gehörig was auf dem Kerbholz hat und ein entsprechend schlechtes Gewissen, und der heilfroh ist drüber, nicht für jede Einzelheit zur Rechenschaft gezogen zu werden, wohingegen sein Widerpart der Pfarrer –wenn er’s denn zwischendrin wirklich mal tut- mit der Einsicht betet, ein großer Halunke zu sein, der gehörig was auf dem Kerbholz hat und ein entsprechend schlechtes Gewissen, und der heilfroh ist darüber, nicht für jede Einzelheit zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Bei allen Unterschieden in ihrer Art mit Gott zu kommunizieren, die sich sehr deutlich ausmachen lassen und leicht zu erkennen sind, lässt sich dennoch eine gewisse Übereinstimmung nicht so ganz verleugnen. Und wenn ich jetzt sage, dass ein Desperado auf diese doch sehr unterschiedlich ähnliche Weise zu beten pflegt, komme ich der Wahrheit vergleichsweise nahe.

Irgendwer hat mal gesagt, dass der Mensch seine Gewissensbisse, Gott und was man mit ihm in Verbindung bringt verraten zu haben, damit beruhigt, Gott vorzuwerfen von ihm verraten worden zu sein. Das kann man drehen und wenden wie man will, da ist was Wahres dran.

Wenn er dann eines Tages ans Kreuz gehängt wird, weiß er für gewöhnlich warum und wofür. Und so er noch nicht rasend ist vor Schmerz, kann es sein, dass er das Spotten mal sein lässt und ihm ein „Denk an mich“ über die Lippen kommt. Meines Wissens soll das für eine Eintrittskarte reichen, und so betet denn auch ein Desperado.

Wenn er’s denn wirklich mal tut.
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Wie der Desperado betet




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.